Give Peace a Change!
Give Peace a Change!
Tagungsbericht: 25 Jahre Plattform Zivile Konfliktbearbeitung
von Ute Finckh-Krämer
Als die Einladungen zur Jubiläumsveranstaltung verschickt worden waren, kamen prompt einige Rückmeldungen der Form „Ihr habt einen Tippfehler in der Einladung, es soll doch sicher heißen: Give Peace a Chance!“ Nein, sollte es nicht: Bewusst sollte in der Jubiläumsveranstaltung der Blick darauf gerichtet werden, wie sich Friedensarbeit und der Umgang mit Konflikten ändern müssen, wenn Gewalt als akzeptiertes Mittel der Politik wieder zunimmt und in großen Teilen der Welt nicht ab-, sondern aufgerüstet wird. Ebenso ungewöhnlich wie der Titel war das Veranstaltungsformat: vor der eigentlichen Jubiläumsfeier fand eine zweistündige Friedenswerkstatt mit drei parallelen Workshops statt. Schon hierfür kamen etwa 40 Personen zusammen, die neugierig auf diese Werkstatt geworden waren. Die drei Themen der Workshops waren:
- Im Fokus: Aktuelle (für ZKB bzw. Friedensförderung relevante) politische Prozesse
- Machtstrukturen in der Friedensarbeit herausfordern: zwischen Feminismus und Rassismuskritik
- Innen und Außen zusammen denken
Den Workshops wurden jeweils dieselben vier Leitfragen mitgegeben:
- Was sind äußere Einflüsse und innere Dynamiken, die Veränderung erfordern?
- Wie können wir auf diese Herausforderungen bzw. den Handlungsdruck reagieren?
- Welche Veränderung werden wir (d.h. in der Friedensförderung Aktive) aktiv gestalten?
- Was bedeutet das für unsere Strukturen und Prozesse?
In der ersten Gruppe zu aktuellen Prozessen wurde eine ganze Reihe zunächst vielversprechend klingender politischer Entwicklungen gesammelt, die aber bei genauerem Hinsehen wohl nicht halten, was sie versprechen. Das reichte von der feministischen bzw. wertegeleiteten Außenpolitik, die bei konkreten Entscheidungen (etwa zur Energieversorgung) keine Rolle mehr spielt, über die Frage, wie stringent in verschiedenen Konfliktregionen die Einhaltung des humanitären Völkerrechts eingefordert wird, bis hin zu der Beobachtung, dass die gravierenden Folgen der Klimakrise nur partiell in außenpolitischen Strategien berücksichtigt werden. Nach Ansicht der Teilnehmenden dominiert »Sicherheit« als Leitbegriff in all diesen Entwicklungen. Dadurch werden verschiedene Strategiepapiere (bspw. Nationale Sicherheitsstrategie und Leitlinien Zivile Krisenprävention) inkongruent und es zeigen sich gleichartige Muster. Insbesondere werden Zielkonflikte nicht benannt, Anspruch und Umsetzung klaffen auseinander, die bürokratische Umsetzung in der Projektförderung nimmt der Zivilgesellschaft den für erfolgreiches Arbeiten notwendigen Freiraum, Zahl und Intensität der Krisen überfordern Personal und Budgets.
Was kann dem nach Ansicht der Teilnehmenden Abhilfe verschaffen? Hier in Kürze: Konkrete zivile Planziele, inklusivere Prozesse, Wirksamkeit schon in laufenden Maßnahmen zur Friedensförderung oder Konfliktbearbeitung zu untersuchen und Ergebnisse in den weiteren Prozess einfließen zu lassen (»adaptive peacebuilding«), genauer zu verstehen, was der Stellenwert staatlicher Strategiepapiere ist und wie sie genutzt/beeinflusst werden können. Und: als Zivilgesellschaft angemessene Ressourcen einzufordern.
Die zweite Gruppe sah unter anderem den Glaubwürdigkeitsverlust der Akteure aus den wirtschaftlich und politisch dominanten Staaten und »shrinking spaces« für zivilgesellschaftliches Handeln in vielen Ländern als die drängenden Entwicklungen, die Veränderungen erfordern. An einer Reflexion der eigenen Einstellungen zu Rassismus und der Reflexion der eigenen Rolle in der Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen führe kein Weg vorbei. Eine feministische und rassismuskritische Perspektive könne zu echter Beziehung und Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und der der Partnerorganisationen führen. Doch die Gruppe betonte auch: Vorsicht vor der »Komplexitätsfalle«!
Die dritte Arbeitsgruppe sammelte eine große Zahl von innergesellschaftlichen Veränderungen, die für Friedensförderung und Konfliktbearbeitung (nicht nur im Außen) relevant sind. Das reichte von der Dynamik sozialer Medien über Radikalisierungsprozesse und gesellschaftliche sowie ökologische Kipppunkte bis hin zu Ohnmachtsgefühlen angesichts tatsächlicher oder vermeintlicher Krisen. Der Gruppe war es wichtig zu betonen, dass »Innen« und »Außen« politisch und in den Konfliktdynamiken oft nicht mehr voneinander zu trennen seien. Die Förderstrukturen müssten an diese Entwicklung angepasst werden.
Die Workshopergebnisse wurden in einer Kaffeepause eifrig diskutiert, viele Anwesende genossen es, sich bei dieser Gelegenheit nach vielen Videokonferenzen mal wieder persönlich zu begegnen.
Zur eigentlichen Jubiläumsfeier kamen dann über 70 Personen in den repräsentativen Räumen der Robert-Bosch-Stiftung in Berlin zusammen. Stella Voutta, Leiterin des Fachbereichs »Frieden«, begrüßte als Gastgeberin die Anwesenden und erläuterte, warum aus ihrer Sicht das Thema Zivile Konfliktbearbeitung aktueller sei denn je: Gerade weil wieder mehr Konflikte mit Gewalt ausgetragen würden.
Ginger Schmitz, die Geschäftsführerin der Plattform ZKB, erinnerte in ihrem Beitrag an das Ziel der Plattform, die im Netzwerk Beteiligten bei ihrer gewaltmindernden Arbeit zu unterstützen, miteinander zu verbinden und in ihrer Arbeit vor Ort effektiver zu machen (siehe Schmitz, umseitig). Dieses Ziel sei genauso aktuell wie bei der Gründung 1998. Gleichzeitig habe die Plattform aber auch immer nach außen gewirkt, um die Strukturen und Rahmenbedingungen für Zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung zu stärken, um zu informieren und sich konstruktiv an Diskussionen im politischen Raum zu beteiligen. Ginger Schmitz wies auf aktuelle Projekte der Plattform hin, zu denen die Entwicklung ziviler Planziele, die Reform des Zuwendungsrechts für Auslandsprojekte und die Stärkung der Konfliktbearbeitung im Inland gehören.
In einem als Video eingespielten Grußwort wies die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze, darauf hin, wie wichtig aus ihrer Sicht Friedensengagement und Zivile Konfliktbearbeitung seien, und dankte den Mitgliedern der Plattform ZKB für ihr Engagement. Wörtlich sagte sie: „Lassen Sie uns gemeinsam an einer Welt arbeiten, in der wir keine Kriegsrhetorik mehr brauchen, weil Frieden unsere gemeinsame Sprache ist.“
Auf das Grußwort folgte eine Paneldiskussion, an der Dr. Tobias Bunde (Münchner Sicherheitskonferenz MSC), Dr. Martina Fischer (Brot für die Welt/Plattform ZKB), Staatsminister Tobias Lindner (AA), und Hiba Qasas (Principles for Peace Foundation) teilnahmen, moderiert von Christoph Bongard (forumZFD/Plattform ZKB). Die Leitfrage dieser Diskussion war: Wie hat sich der Kontext von Friedensförderung in den letzten 25 Jahren verändert und wie müssen wir alle unsere Arbeit verändern, um den Herausforderungen von heute gerecht zu werden?
Zunächst sprach Christoph Bongard jedoch die gewaltvolle Realität der andauernden Kriege an, die diejenigen, die die Jubiläumsveranstaltung vorbereitet hatten, nicht ausblenden konnten und wollten. „Denn diese Realität, die trifft Menschen, mit denen wir in der Friedensarbeit, mit denen viele von Euch und Ihnen eng zusammenarbeiten, mit denen wir uns verbunden fühlen.“ Er bat daher um eine Schweigeminute für diese Menschen. Anschließend begann das Podiumsgespräch mit Fragen zu den jeweiligen Erfahrungen der Teilnehmenden mit Ziviler Konfliktbearbeitung.
Tobias Bunde erklärte, dass das Team der Münchner Sicherheitskonferenz in den letzten 10 Jahren festgestellt habe, dass die zivile Krisenprävention in Deutschland weitgehend institutionalisiert sei und sich zu einem wesentlichen Teil deutscher Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt habe und daher zusätzlich zur klassischen »harten« Sicherheitspolitik betrachtet werden müsse.
Hiba Qasas betonte, wie wichtig Konflikttransformation auch und gerade in Nachkriegsgesellschaften ist. Sie berichtete, dass ihr im Lauf ihrer Arbeit im Irak jedoch klar geworden sei, dass es zwar völkerrechtlich verbindliche Regelungen für die Kriegsführung und für humanitäre Hilfe gebe, aber nicht für Friedensprozesse. In diesem Zusammenhang stellte sie die Frage, wie in Stabilisierungs- und Friedenseinsätzen eigentlich die Verantwortlichkeiten für das, was durch externe Akteure getan oder unterlassen wird, geregelt seien. Sie beschrieb, dass es während ihrer Zeit im Irak eine Vielzahl von Akteuren gegeben habe, die über keinen gemeinsamen Referenzrahmen verfügten. Dadurch hätten sich für sie weitere Fragen gestellt, z.B. wie überhaupt über gemeinsame Maßnahmen entschieden werden könne.
Martina Fischer schilderte ähnliche Erfahrungen und Beobachtungen aus den Balkankriegen in den neunziger Jahren. Rückblickend gesehen sei damals viel versäumt worden, sowohl in der Prävention als auch in der Deeskalation der Konflikte. Am ehesten hilfreich seien die damaligen zivilgesellschaftlichen Versuche gewesen, Kontakte über die Frontlinien hinweg aufrechtzuerhalten, die später Ansatzpunkte für Versöhnungs- und Aufarbeitungsprozesse boten. Aus diesen Erfahrungen heraus wurde damals das Konzept des Zivilen Friedensdienstes entwickelt. Sie verwies zusätzlich darauf, wie wichtig die wissenschaftliche Begleitung von Aktivitäten in Konfliktgebieten im Sinne einer Wirkungsanalyse sei, um herauszufinden, welche Aktivitäten zum Frieden beitragen würden und welche nicht. Eine spannende Frage sei dabei, wie sich Wirkungen messen lassen.
Deutlich wurde in der Diskussion allerdings auch, dass die Rückwirkungen der Kriege in der Ukraine und in Gaza aktuell dazu führen, dass Zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in der öffentlichen Diskussion verdrängt und in Frage gestellt werden und die Haushaltsmittel für ziviles Handeln – anders als die für das Militärische – gekürzt werden. Nur ein kleiner Trost war in diesem Kontext, dass von Tobias Lindner eine Reform im Bereich des Zuwendungsrechtes für aus dem AA geförderte Projekte in Aussicht gestellt wurde.
Einig waren sich alle vier Panelist*innen, dass mehr Augenmerk auf Expertise und Einschätzungen aus Konfliktregionen gerichtet werden müsse und dass geschützte Räume notwendig seien, in denen mit Vertreter*innen aus Konfliktländern über Gewaltminderung und Friedensförderung gesprochen werden könne. Dabei sei auch ein Denken in Prozessen statt in Strukturen wichtig – Hiba Qasas fand dafür ein anschauliches Bild: Es müsse weniger Architekten des Friedens und mehr Hebammen für Friedensprozesse geben. Martina Fischer wies darauf hin, dass die Coronapandemie den positiven Nebeneffekt hatte, dass alles auf virtuelle Treffen umgestellt werden musste. So konnte man auf einmal mit viel mehr Partnern aus dem globalen Süden direkt Workshops machen und häufiger mit politischen Akteuren in Kontakt treten bzw. direkte Kontakte zwischen Projektpartnern und politischen Akteuren hier in Deutschland herstellen. Sie wies mit Blick auf die Einbindung lokaler Expertise darauf hin, dass auch bei deutschen Strategieentwicklungsprojekten der direkte Kontakt zu Akteuren aus den Partnerländern wichtig sei. So würden Partner von Brot für die Welt in den Ländern der Sahel-Region immer wieder fragen, wieso die Bundesregierung »Sahel-Strategien« erstellen würde, obwohl die Länder und ihre Probleme sich sehr unterschieden. Differenzierte Länderstrategien seien da aus ihrer Sicht erfolgversprechender.
Einig waren sich alle Panel-Teilnehmer*innen auch bei der Einschätzung, dass die Einbeziehung möglichst vieler Perspektiven auf Konfliktregionen bzw. auf Konfliktdynamiken hilfreich sei, von der Projektzusammenarbeit über die Entwicklung oder Fortschreibung von Strategiedokumenten bis hin zu internationalen Abstimmungsprozessen. Nicht auflösen, aber immerhin deutlich benennen ließ sich das Dilemma, dass steigende Militärausgaben zu Kürzungen in zivilen Etats führen, solange die Randbedingungen für den Haushalt nicht verändert werden (Schuldenbremse, Steuerpolitik).
Zum Abschluss beschrieb Dr. Jörn Grävingholt, seit Sommer 2023 Abteilungsleiter bei Brot für die Welt und vorher lange wissenschaftlich im Bereich Ziviler Konfliktbearbeitung und Friedensförderung tätig, welche zum Teil dramatischen Entwicklungen hin zu mehr Gewalt und Rechtfertigung von Gewalt es in den letzten 10 Jahren gegeben habe. Er wies auf weltweit sichtbare ideologische Polarisierungsprozesse und das wachsende Selbstbewusstsein derer hin, die Gewalt als legitimes Mittel zu Erreichung ihrer Ziele ansähen. Entscheidend für das friedliche Zusammenleben in und von Gemeinschaften sei, dass Frieden und Gerechtigkeit im Kleinen wie im Großen zusammengesehen würden (siehe Grävingholt, umseitig).
Insgesamt hat die Veranstaltung sowohl einen Rückblick geboten, wie sich Zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in den letzten 25 Jahren entwickelt haben, als auch aufgezeigt, welchen Veränderungsbedarf, aber auch welche neuen Ansätze es für die Arbeit auf diesem Gebiet es in einer sich schnell verändernden Welt gibt. Für die PZKB und ihre Mitglieder waren insbesondere die Blicke von außen auf ihre Arbeit spannend und ermutigend.
Ute Finckh-Krämer ist MdB a.D. der SPD und langjähriges aktives Mitglied der PZKB. Seit 2018 ist sie Co-Vorsitzende des SprecherInnenrates der Plattform.