Ein Jahr Krieg im Sudan

Ein Jahr Krieg im Sudan

Zwischen neuen Fronten und alten Problemen

von Hager Ali

Seit einem Jahr tobt im Sudan ein Krieg, der es selbst am ersten Jahrestag selten in Europas Top-Nachrichten schaffte. Die langfristigen humanitären Folgen des Krieges wie auch mittelfristige Aussichten auf Frieden sind kaum absehbar. Mit zunehmend zersplitterten Frontlinien hat der Krieg eine schwer kontrollierbare Eigendynamik angenommen. Für jede ernsthafte Suche nach Frieden ist es wichtig, die Hintergründe des kriegsauslösenden Kampfes zwischen dem Sudanesischen Militär und den paramilitärischen Rapid Support Forces zu verstehen, denn im facettenreichen Krieg überlagern sich zunehmend neue Frontlinien mit alten Problemen.

Am 15. April 2023 brachen in Khartum Kämpfe aus, die schnell in einen landesweiten Krieg eskalierten. Im Mittelpunkt steht ein Machtkampf zwischen dem Staatsoberhaupt und General der Sudanesischen Armee (SAF), Abdelfattah Al-Burhan, und dem Befehlshaber der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF), Mohammed Hamdan Dagalo. In den ersten Kriegsmonaten war unklar, wer den Krieg für sich entscheiden könnte. Mit dem Vorstoß der RSF nach Osten und der Einnahme von Wad Madani in Al-Gezira – Sudans »Brotkorb« – am 18. Dezember 2023 kam allerdings eine entscheidende Wende. Der Fall von Wad Madani machte einen potenziellen RSF-Sieg wahrscheinlich und damit gleichzeitig realistische Aussichten auf Frieden zunichte; die RSF hat seitdem keine ernsten Anreize mehr, sich auf Verhandlungen mit der SAF oder auf eine Machtteilung mit Sudans Zivilgesellschaft einzulassen. Seit Januar 2024 fährt die SAF aber auch immer wieder neue Gegenoffensiven in Khartum und brach, ausgestattet mit neuen Drohnen aus dem Iran, die Belagerung der RSF Distrikt für Distrikt auf (Nashed 2024). Ob das aber für eine entscheidende Wende reichen wird, ist nach einem Jahr Krieg genauso unklar wie zu Beginn der Eskalation in Khartum. Besonders Darfur und Kordofan waren schon lange vor dem Krieg stark fragmentiert; die alte Sudan People’s Liberation Army North ist in mittlerweile fünf Faktionen zerfallen. Auch das Sudan Liberation Movement ist zersplittert. Seit sich das Kriegsgeschehen dahin ausgebreitet hat, kämpfen paramilitärische Faktionen sowie regionale und lokale Milizen mit- und gegeneinander – oder nutzen den Krieg für ihre eigenen Interessen (siehe Abbildung).

Abb. 1: Schematische Darstellung der Kriegsparteien im Sudan (Stand April 2024).

Ein Jahr Krieg stürzte den Sudan mit mehr als 10 Millionen Vertriebenen und über 13.000 Toten in die größte Vertreibungskrise der Welt (IOM 2024). Laut Vereinte Nationen sind 24,8 Millionen Menschen, und damit mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung im Sudan, auf humanitäre Hilfe angewiesen (Africanews 2024). Es droht eine schwere Hungerkatastrophe, da mit der militärischen Einnahme von Sudans »Brotkorb« Ernten zerstört wurden. Al-Fasher in Darfur ist mehrmals Schauplatz von genozidaler Gewalt geworden, bei der mehr als 1.300 Menschen der Massalit-Minderheit von der RSF und kooperierenden Milizen exekutiert wurden (Michael und McNeill 2023). Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen durch die RSF ist systematisch und weit verbreitet (REDRESS und SOAS 2023). Dazu werden zunehmend Kinder von den Rapid Support Forces zwangsrekrutiert (ACJPS 2024). Im Februar 2024 sind durch die RSF Sudans Internet Service Provider offline gegangen, womit die Bevölkerung nicht nur von der Außenwelt abgeschnitten wurde, sondern auch die Organisation von humanitärer Hilfe weiter erschwert wird (Reuters 2024).

Der Weg in den Krieg

Der Machtkampf zwischen Al-Burhan und Dagalo geht auf eine versuchte Reform im Sicherheitssektor zurück, bei der die RSF in die SAF integriert werden sollte. Um das Militär nach dem Putsch der beiden Führungsfiguren im Oktober 2021 als Regierungsbasis wieder tragfähig zu machen und kommerzielle Interessen zu bewahren, zielten sowohl Al-Burhan als auch Dagalo auf eine grundlegende Reform des Sicherheitsapparates. Das Timing des Oktober-Coups zerschlug Sudans versuchten Demokratisierungsprozess seit 2019 (siehe dazu Hartmann in W&F 2019/4). Allerdings geschah das an einem Zeitpunkt, an dem Omar Al-Bashirs politisches System zwar formell aufgelöst war, die Interimsregierung aber noch zu wenige voll geformte Institutionen und betriebsfähige Regierungsorgane hervorgebracht hatte. Durch die Auflösung der politischen Maschinerie der »National Congress Party« hatten Al-Burhan und Dagalo keinen Zugriff mehr auf eine vorgefertigte politische Basis, die sie nach ihrem Putsch landesweit mobilisieren und verwalten konnten (Ali 2023b). Währenddessen brachten die grassierende Wirtschaftskrise und andauernder Protest der Zivilgesellschaft Al-Burhans Regierung in Zugzwang. Es blieb Al-Burhan wenig mehr als direkte Repression gegen die Zivilgesellschaft, um politisch zu überleben. Damit wurde eine zentralisierte Streitkraft überlebensnotwendig, um Defizite im Staatsapparat auszugleichen.

Wo sich Coups durch das Militär häufen, betreiben amtierende Staatsoberhäupter sogenanntes »Coup Proofing«. Statistisch haben militärbasierte Diktaturen die kürzeste Lebensdauer im Vergleich zu anderen Diktaturen. Wer durch einen Putsch an die Macht kommt, wird selbst auch wahrscheinlicher durch einen Coup des Amtes enthoben. Mit 17 Putschversuchen seit der Unabhängigkeit im Jahr 1956 ist der Sudan eines der putschanfälligsten Länder der Welt (Powell und Thyne 2024). Wirtschaftliche Privilegien und die strategische Besetzung von führenden Ämtern senken Putschrisiken, in dem sie Streitkräfte durch Konzessionen an das amtierende Regime binden. Gleichzeitig wird durch sogenanntes »Counterbalancing« mit Paramilitärs und privaten Sicherheitsfirmen eine zu große Machtkonzentration im Militär vermindert. Doch mehrere quasi-unabhängige Streitkräfte in einem Staat zu haben ist äußerst riskant, weil sie den Sicherheitsapparat genauso gut zerreißen können. Sudans ungewöhnliche Konstellation von zwei Streitkräften in einem Staat ist sowohl Omar Al-Bashirs Erfolg mit dieser »Coup Proofing«-Strategie, als auch Al-Burhans Scheitern darin (Ali 2023a).

Nachdem Omar Al-Bashir selbst durch einen Militärputsch im Jahr 1989 an die Macht kam, kooptierte er in den frühen 2000er Jahren den Vorläufer der RSF, die »Janjaweed«, um die Machtkonzentration in der sudanesischen Armee zu entschärfen. Solange sich die RSF auf Aufstandsbekämpfung und Rohstoffhandel in Sudans Peripherie spezialisierte, konnte sie erstarken ohne die politische Hegemonie der SAF direkt herauszufordern. Damit waren die Rapid Support Forces zwar wichtig für Al-Bashirs politische Reichweite außerhalb Khartums, bekamen umgekehrt aber nicht das gleiche politische Gewicht in der Hauptstadt wie die SAF. Die Zweckallianz zwischen al-Burhan und Dagalo seit 2019 störte diese fragile Koexistenz. Mit Dagalos Ernennung zum Vizevorsitzenden der Interimsregierung kam der RSF eine neue Verhandlungsmacht in Khartum zu, mit der sie nun direkt auf Konfrontationskurs mit Al-Burhan und der SAF stand.

Parallel rekrutierte die RSF weiter und wuchs auf circa 150.000 Soldaten an. Dass die RSF wachsende paramilitärische Kraft mit viel Schadenspotenzial wurde und nach dem Putsch 2021 trotzdem nur wenig Aufsicht erfuhr, deutet stark darauf hin, dass Al-Burhan das Couprisiko durch die RSF seit 2021 verkannt oder gänzlich woanders verortetet hatte. Der Verdacht des Verrats galt den eigenen Reihen in der SAF, Eliten und Akteuren des alten Regimes, und insbesondere Al-Bashirs Geheimdienst, dem »National Intelligence Security Service« (NISS). Neben dem Geheimdienst, geriet auch der vom Innenministerium verwaltete Polizeiapparat in den Fokus von präventiven »Reform«bestrebungen.

Tatsächlich stammten die ersten Meutereien nach dem Sturz von Al-Bashir aus Faktionen der SAF und Eliten des alten Regimes: 2019 vereitelte die SAF einen versuchten Coup durch einen Stabschef, Al-Bashirs ehemaligen Außenminister Ali Karti und den Generalsekretär der Islamischen Bewegung Zubeir Ahmed Al-Hassan (Sudan Tribune 2019). Frühere Eliten des Bashir-Regimes in Khartum versuchten wenig später am 15. Januar 2020 eine Meuterei. Dagalo warf Al-Bashirs ehemaligem Geheimdienstchef Salah Gosh vor, diesen Aufstand orchestriert zu haben (BBC 2020). Wenige Wochen bevor Al-Burhan und Dagalo im Oktober 2021 die Macht ergriffen, scheiterte am 21.09.2021 ein weiterer Putschversuch von 21 Offizieren und vier Soldaten der SAF, die dem Bashir-Regime loyal geblieben waren.

Neben dem anhaltenden Risiko von Meutereien und Coup-Plänen machte der konstante Druck aus der Zivilgesellschaft durch Proteste und zivilen Ungehorsam das Projekt der Monopolisierung der Streitkräfte für das Regime so überlebenswichtig wie riskant. Zwar wurde bereits vom »­Juba-Abkommen« aus dem Jahre 2020 eine Zentralisierung der Streitkräfte im Sudan vorgesehen. Sinn und Zweck dieses Schrittes war es jedoch, bessere Rahmenbedingungen für demokratische Governance im Sudan zu schaffen. Im Kontext von Al-Burhans post-Coup Autokratie hingegen konnte mit einer Zentralisierung der Streitkräfte das politische Zentrum wieder stabilisiert werden, weil bis dato eine institutionell verankerte Regierungspartei wie die von Al-Bashir fehlte (Ali 2023b).

Die Verhandlungen zwischen Al-Burhan und Dagalo darüber, wer die neuen vereinigten Streitkräfte kontrollieren würde, erwiesen sich dann in der Folge als überaus schwierig. Die RSF, die vorher lediglich ein hypothetisches Putschrisiko darstellte, war nun eine reale Bedrohung für Al-Burhans Regime. Wenige Tage vor dem Kriegsausbruch am 15. April ent­sandte Dagalo Truppen der RSF ohne Erlaubnis der SAF nach Khartum und dem Merowe Flughafen. Dies war der Auftakt für den anhaltenden Zermürbungskrieg zwischen zwei Armeen über die Zivilbevölkerung hinweg.

Kriegsdynamik und Erfolgsstrategien der RSF

Entgegen vieler Erwartungen konnten die RSF schnell dramatische Geländegewinne verzeichnen. Für die Erfolge der RSF waren drei Faktoren im Kriegsverlauf maßgeblich: Militärlogistik, die Geografie der Kämpfe, und die Sabotage von Versorgungslinien.

Dass weder RSF noch SAF die Hauptstadt vollständig einnehmen konnten, liegt vor allem daran, dass das städtische Umfeld beiden Schwierigkeiten bereitet. Der Luftraum ist für Flugzeuge und Helikopter eingeschränkt und zwingt die SAF in einen Häuserkampf, auf den sie weder spezialisiert noch vorbereitet war. Die RSF ist mit ihrer Agilität und kleineren Waffen zwar besser für das städtische Schlachtfeld aufgestellt. Doch zu Beginn der Eskalation hatte die RSF, bis auf wenige über die Stadt verteilte Quartiere, kaum Versorgungslinien in der Hauptstadt (Ali 2023a). RSF-Soldaten plünderten daher oft Häuser von Zivilist*innen und nutzten sie als versteckte Abschussorte gegen die sudanesische Luftwaffe (Nashed 2023). Die Fähigkeit, zivile Infrastruktur in Gefechten zu nutzen, drängte die SAF taktisch in die Offensive, was in urbaner Kriegsführung gegen Guerilla die eher nachteilige Position ist. Umgekehrt konnte die SAF besonders jene Distrikte verteidigen, in denen ihre Quartiere und Infrastrukturen dichter waren. Hier war es die RSF, die in die Offensive gehen musste. Der Kampf um Khartum bleibt damit für beide Seiten ein militärstrategisches Patt.

Mit der Verlagerung der Kampfstandorte in Sudans ländliche Peripherie nahmen die Entfernungen zwischen SAF-Quartieren und den Frontlinien zu. Im offenen ländlichen Luftraum wurde die sudanesische Luftwaffe zu einem viel leichterem Ziel von Boden-Luft-Angriffen. Auf vertrauterem Terrain konnte die RSF dagegen ihre lokalen und regionalen Netzwerke in Belagerungen von SAF-Stützpunkten ausnutzen und gleichzeitig der sudanesischen Luftwaffe dramatische Verluste beibringen. Auch griffen die RSF gezielt die Infrastruktur der SAF an, indem sie Treibstoffdepots an Flughäfen, Start- und Landebahnen, sowie Hangars zur Wartung überfielen und zerstörten. In Zentral- und Süd-Darfur nutzten die RSF und die mit ihr kooperierende SPLM-N Al-Hilu Straßenblockaden, um die Versorgungsengpässe der SAF während Belagerungen zu verschärfen. Die zunehmende Anzahl von MANPADS und Drohnen im Arsenal der RSF machte die anfänglichen Nachteile der RSF gegen Luftangriffe wett. Konfliktdaten zwischen November und Dezember 2023 von ACLED zeichnen den Rückgang von Angriffen aus der Entfernung auch nach (ACLED 2024). Ohne Luftunterstützung, zuverlässige Versorgungslinien oder lokale Stützpunkte zur Neuformierung zog sich die SAF in der Folge oft zurück.

Die RSF konnten darüber hinaus viel schneller auf bereits etablierte Knotenpunkte im Schmuggel von Waffen durch den Sahel zugreifen (Ali 2024). Aufbauend auf der bestehenden Kooperation mit der Gruppe Wagner im Goldschmuggel in Darfur, konnten sich die RSF dazu auch das regionale Netzwerk der Söldnerorganisation in Libyen, Chad und der Zentralafrikanischen Republik zunutze machen. Im Vergleich zu den Waffenlieferungen an die RSF ist weniger über Waffenlieferungen an die SAF bekannt. Gesichert ist jedoch, dass Iran die SAF über Port Sudan mehrmals pro Woche beliefert. Die stärker diversifizierten Lieferketten von Waffen an die RSF machen es schwerer, sie von ihren Versorgungsketten abzuschneiden, als es umgekehrt bei der SAF der Fall war.

Keine schnelle Kriegsbeendigung erwartbar

Seit Ausbruch des Krieges wurden viele Feuerpausen ausgehandelt, die jedoch selten eingehalten wurden. Das lag weniger an der Qualität der Verhandlungen, als an Kriegsdynamiken der SAF und RSF: eine Niederlegung der Waffen rentierte sich taktisch für keine der Kriegsparteien. Die Beendigung des Krieges war lange nicht gewollt, weil politisch zu viel für beide auf dem Spiel stand. Nach einem Jahr Krieg ist aber auch wahrscheinlich, dass weder die RSF noch die SAF den Krieg aus eigener Kraft beenden können.

Eine wirkliche Kontrolle über das Kriegsgeschehen zu garantieren ist für beide Akteure durch die Zersplitterung der Frontlinien zunehmend unmöglich. Die fortgeschrittene Involvierung von bewaffneten Faktionen, wie denen der SLM und SPLM-N sowie lokalen und regionalen Milizen, stört die Befehlsketten innerhalb und zwischen Einheiten der SAF und RSF. Dabei spielen nicht unbedingt die Größe und Anzahl der nun involvierten Milizen und Faktionen eine Rolle in der Aufrechterhaltung der Befehlsgewalt. Der Grad ihrer Formalisierung und gesellschaftlichen Verankerung ist ausschlaggebend dafür, inwiefern sie Al-Burhans oder Dagalos Autorität auf kommunaler und regionaler Ebene herausfordern oder gar überstimmen können. Die SPLM-N, SLM und JEM sind zwar intern gespalten, existierten aber schon lange vor dem Krieg und haben ihre jeweiligen etablierten politischen Plattformen und Netzwerke jenseits der Zentralregierung. Je mehr lokal etablierte Faktionen also sich am Krieg beteiligen, desto stärker regionalisiert sich der Hauptkonflikt zwischen der SAF und der RSF, und desto mehr zersplittern auch die Fronten an faktionsspezifischen Prioritäten. Umgekehrt bedeutet der schleichende Zerfall von Befehlsketten für Al-Burhan und Dagalo, dass sich lokale Gefechte von ihrer nationalen Zielsetzung entfernen.

Nach einem Jahr Krieg ist der Zustand von Kommandostrukturen innerhalb der SAF und RSF ebenfalls fraglich. Je mehr sich in der SAF die Wahrnehmung einer realistischen Niederlage verbreitet, desto höher wird das Risiko von offenen Meutereien, Desertionen und Spannungen über spezifische Entscheidungen. RSF-Kämpfer und verbündete Milizen hingegen durchlaufen oft keine reguläre militärische Ausbildung. Das Marodieren und Terrorisieren von Zivilist*innen erfordert im Grunde genommen auch keine rigiden Befehlsstrukturen oder ausgeklügelten Strategien. Das macht RSF-Einheiten zwar agiler und unvorhersehbarer. Befehle werden aber möglicherweise nicht über alle Ränge hinweg befolgt, besonders wenn es um die Sicherheit von Zivilist*innen geht.

All dies spricht dafür, dass Kriegshandlungen nicht schnell zum Erliegen kommen werden, selbst wenn von Al-Burhan oder Dagalo der entsprechende Befehl käme. Mit der Faktionierung und Informalisierung nimmt der Krieg eine Eigendynamik an, die Al-Burhan und Dagalo immer weniger kontrollieren können. Damit sind nach einem Jahr Krieg die Friedensaussichten unklarer denn je.

Sanktionen greifen nicht

Einige Hoffnung richtete sich darauf, dass eventuell Sanktionen den Krieg schneller beenden könnten. Der Verlauf des Krieges deutet jedoch stark darauf hin, dass die bisherigen Sanktionen nicht greifen. Nicht nur kamen viele Sanktionen viel zu spät (bspw. die Sanktionen der EU erst im Oktober 2023 bzw. Januar 2024), sie fokussieren sich auch primär auf die finanziellen Ressourcen der SAF und RSF und bestimmte Entscheidungsträger. Dieser Sanktionsansatz für sich allein genommen ist jedoch unzureichend; die finanziellen und materiellen Ressourcen, die den Krieg aufrechterhalten, haben sich seit April 2023 enorm diversifiziert.

Es wird auch unterschätzt, dass sich Gewaltakteure auf Sanktionen eingestellt haben und diese aktiv umgehen. Der besondere Anreiz des Goldschmuggels im Sudan liegt darin, dass damit wirtschaftlichen Sanktionen ausgewichen werden kann. Durch die neuen Korridore zum Schmuggel von Waffen durch den Sahel, die in diesem Krieg geöffnet wurden, liegt es nahe zu vermuten, dass die geschmuggelten Waffen selbst zu einer sanktionsresistenten Währung werden könnten (Ali 2024). Der direkte Austauschhandel (»Bartering«) von Waffen, Treibstoff, Munition und Gold kann vor allem von der RSF zur Umgehung von Sanktionen und Waffenembargos genutzt werden – und zu einer Selbstfinanzierung, die gar nicht von Sanktionen erreicht werden kann. Die größte Schwäche der aktuellen Sanktionsmaßnahmen liegt dadurch darin, dass sie die Hilfsnetzwerke um die RSF, vor allem zwischen Wagner, den VAE und beispielsweise Haftar in Libyen, in ihrer Gesamtheit verfehlen.

Hoffnungen für die Zukunft?

Dass mit der Beendigung von Kriegen ohne Weiteres ein neues, gar ziviles und demokratisches Kapitel begonnen werden kann, ist eine gefährliche Fehlwahrnehmung in politischer Praxis und in der Wissenschaft. Das gilt auch für den Sudan. Militärische Transgressionen in Politik, das dysfunktionale Verhältnis der zentralen Regierung in Khartum zum Rest des Landes, und die jahrzehntelange Ausgrenzung der Zivilgesellschaft werden mit dem heutigen Krieg nicht einfach suspendiert – im Gegenteil. Die jüngste Zersplitterung der Frontlinien überlagert die alten Bruchstellen zwischen Hauptstadt und Regionen wie Darfur oder Kordofan. Die Entgleisung des Machtkampfs zwischen Al-Burhan und Dagalo in einen facettenreichen und landesweiten Krieg ist ein neuer Ausdruck der großen Entfernung zwischen nationaler Politik und regionaler Wirklichkeit, die Bürgerkriege, Sezessionen und demokratischen Aktivismus der sudanesischen Zivilgesellschaft über die Jahre befeuerte.

Sudans militärisch-autokratische Geschichte warf bereits lange vor dem Krieg einen Schatten auf eine demokratische Zukunft. Um jetzt aus diesem Schatten herauszutreten, müssen Friedensansätze aber auch weiter gedacht werden als bis zur nächsten Feuerpause. Der Weg aus diesem Krieg ist der langfristige Aufbau von inklusiver und stabiler Governance sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene. Ohnehin überfällige Sanktionen und Waffenembargos durch Deutschland und die EU dürfen hingegen keine falschen Illusionen erzeugen, dass sie etwa maßgeblich zum Frieden im Sudan beitragen könnten.

Literatur

ACJPS (2024): Sudan: Sixty-six children detained and used as pawns by RSF against SAF. African Centre for Justice and Peace Studies, 12.01.2024.

ACLED (2024): Situation Update January 2024 Sudan: The Rapid Support Forces (RSF) Gains Ground in Sudan. acleddata.com, 12.1.2024.

Africanews (2024): Sudan: over 25 million people facing humanitarian crisis, says UNHCR. AfricaNews, 12.04.2024.

Ali, H. (2023a): The Sudan Crisis: A Power Struggle By Design. Aljazeera English, 18.05.2023.

Ali, H. (2023b): Why the Military Promised to Withdraw from Power in Sudan. Political Violence at a Glance, 10.1.2023.

Ali, H. (2024): The War in Sudan: How Weapons and Networks Shattered a Power Struggle. GIGA Focus Middle East 2 (2024), S. 1-14.

BBC (2020): Sudan Army Quells Khartoum Mutiny by Pro-Bashir Troops. BBC, 15.01.2020.

IOM (2024): Dire Plight of More Than 10 Million Now Displaced by Conflicts in Sudan Must Not be Ignored. Mitteilung, 26.1.2024.

Michael, M.; McNeill, R. (2023): Reuters Special Report: Sudan refugees detail second wave of bloody ethnic purge by Arab forces. Reuters, 22.11.2023.

Nashed, M. (2023): Sudan residents describe raids, evictions by RSF soldiers. Aljazeera English, 07.05.2023.

Nashed, M. (2024): Can the Sudanese Army Sustain its Recent Battlefield Success? Aljazeera English, 15.03.2024.

Nashed, M. (2023): Sudan residents describe raids, evictions by RSF soldiers. Aljazeera English, 07.05.2023.

Powell, J.; Thyne, C. (2024): Global Instances of Coups, 1950-present. Version 29 January 2024.

REDRESS; SOAS (2023): Ruining a Country, Devastating its People. Accountability for serious violations of international human rights and humanitarian law in Sudan since 15 April 2023. Bericht, September 2023.

Reuters (2024): Sudanese Left in the Dark by RSF-Imposed Telecoms Blackout. Reuters, 12.02.2024.

Sudan Tribune (2019): Sudanese Army Thwarts Coup Attempt, arrests its chief of staff. Sudan Tribune, 24.07.2019.

Hager Ali ist wissenschaftliche Mitar­beiterin am »German Institute for Global and Area Studies« (GIGA) in Hamburg und ­promoviert an der Universität Hamburg.