Dossier 98

Sanktionen & einseitige Zwangsmaßnahmen

Auswirkungen und völkerrechtliche Grenzen

AG Sanktionen der IALANA – Vereinigung für »Friedensrecht« in Zusammenarbeit mit der ­Informationsstelle Wissenschaft und Frieden e.V. (IWIF)

erscheint als Beilage zu W&F 2/2024

Zur völkerrechtlichen Bewertung von Sanktionen

von Volkert Ohm

Innerhalb der IALANA hat sich eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, die sich mit Wesen und Wirken von Sanktionen befasst. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Untersuchung der völkerrechtlichen Grenzen. Dies ist – wie die folgenden Artikel zeigen – eine umfangreiche und komplexe Aufgabe, und zwar aus mehreren Gründen:

1. Sanktionen haben viele Gesichter. Sie wirken in verschiedener Weise, und zwar zumeist auch auf verschiedene Inhaber von Rechten: Staaten, deren Regierungen und Völker, sowie Einzelpersonen, Wirtschaftsunternehmen und Medien.

2. Sanktionen werden unterschiedlich verhängt: entweder von einzelnen Staaten, die sich ggf. zu einer koordinierten Ausübung verbünden (sogenannte einseitige oder unilaterale Sanktionen – völkerrechtlich präziser auch einseitige Zwangsmaßnahmen (EZM) genannt), oder aber von den Vereinten Nationen im Falle „einer Bedrohung oder eines Bruches des Friedens oder einer Angriffshandlung“ (Art. 39 UN-Charta) (sogenannte multilaterale Sanktionen). Die Feststellung, ob der letztgenannte Fall vorliegt, trifft der Sicherheitsrat. Er legt auch fest, welche Maßnahmen zu ergreifen und von den Mitgliedern der UN durchzuführen sind, um die Beendigung des festgestellten völkerrechtswidrigen Verhaltens zu erzwingen (Art. 41 UN-Charta).

3. Die völkerrechtlichen Regeln, welche die Zulässigkeit von Sanktionen begrenzen, wirken in unterschiedlicher Weise auf unilaterale Sanktionen einerseits und multilaterale Sanktionen andererseits.

Aufbau des Dossiers

Wir wollen in diesem Dossier versuchen, die vorstehend skizzierte Komplexität an konkreten Länderbeispielen darzustellen, mit Artikeln über die UN-Sanktionen gegen Irak, sowie über einseitige Zwangsmaßnahmen gegen Syrien, Kuba und Venezuela.

Zwei weitere Artikel befassen sich mit einer allgemeinen Bewertung von Sanktionen als Mittel der Außenpolitik und mit dem Umgang einzelner Organe der Vereinten Nationen mit einseitigen Zwangsmaßnahmen.

Zudem werden in zwei Artikeln die beiden zentralen völkerrechtlichen Schranken beschrieben, die grundsätzlich für beide unter Ziff. 2 genannten Sanktionsarten gelten, nämlich:

  • das aus der Souveränität abgeleitete Interventionsverbot und
  • die Menschenrechte.

Prüfungsschema für Völkerrechtskonformität von Sanktionen

Um darzustellen, ob und wie diese Schranken wirken, haben wir ein Prüfungsschema entworfen, das auf der nächsten Seite dargestellt ist.

Die Anwendung dieses Schemas birgt schon auf der ersten Stufe gewisse Schwierigkeiten, nämlich bei der Feststellung, gegen wen die Sanktionen tatsächlich wirken. Das ist nicht notwendigerweise nur der Staat, der von dem Sanktionierenden als Adressat genannt wird (Beispiel: die Nord-Stream-2-Sanktionen, die keineswegs nur gegen den genannten Adressaten Russland wirkten). Dabei ist weiter zu prüfen, wie schwer die Sanktionierten in ihren Rechten – dem Selbstbestimmungsrecht, den Menschenrechten, und/oder Rechten aus völkerrechtlichen Verträgen wie z.B. Handelsabkommen oder Freundschaftsverträgen – beeinträchtigt werden.

Zu bedenken sind bei dieser Prüfung zwei Faktoren, nämlich

  • die langanhaltende Wirkung von Sanktionen, die es erforderlich macht, deren Konsequenzen kontinuierlich zu beobachten und neu zu bewerten;
  • der Gesichtspunkt, dass Probleme in der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern auch durch andere Ursachen, wie z.B. den Klimawandel, mit beeinflusst werden.

Diese Faktoren könnten bedeutsam werden, wenn ein Staat gegen Sanktionierung Klage erhebt und die Rechtsverletzungen substantiiert vortragen muss. Für die Darstellung der Beeinträchtigungen – auch gegenüber der Weltöffentlichkeit – sind daher die Prüfungen und Berichte der UN-Sonderberichterstatter*innen über die negativen Auswirkungen von einseitigen Zwangsmaßnahmen sehr bedeutsam.

Wenn auf der ersten Prüfungsstufe ein Eingriff in Rechte festgestellt wurde, ist weiter zu prüfen, ob der Eingriff gerechtfertigt ist. Eine Rechtfertigung ist bei einer multilateralen Sanktion gegeben durch einen Beschluss des Sicherheitsrates, der den tatsächlichen Umfang der Sanktion abdeckt. Unilaterale Sanktionen können als sogenannte Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein, wenn sie zur Abwehr einer völkerrechtswidrigen Handlung dienen. Voraussetzungen und Regeln für Gegenmaßnahmen sind in einem 2001 von der UN-Kommission für Internationales Recht veröffentlichten Regelwerkentwurf beschrieben (vgl. ILC 2001, dort Art. 49-54).

Sofern auf der zweiten Prüfungsstufe ein Rechtfertigungsgrund festgestellt wird, bleibt in jedem Falle weiter zu prüfen, ob das Maß der Beeinträchtigungen in einem angemessenen und erträglichen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel der Sanktion steht. Auch auf dieser dritten Stufe ist noch einmal zu berücksichtigen, dass Sanktionen – wie schon eingangs erwähnt – zumeist gleichzeitig und in unterschiedlicher Weise auf verschiedene Inhaber von Rechten einwirken. Deshalb muss für jeden einzelnen Betroffenen gesondert eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden: Sind die Zwangsmaßnahmen a) geeignet und b) erforderlich um den (vorgegebenen) Zweck zu erreichen und stehen sie in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Zweck. Spätestens hier wäre allerdings auch zu berücksichtigen, dass der behauptete Zweck nicht unbedingt der tatsächliche wahre Zweck der Sanktionen ist. Wenn sich z.B. aus den gesamten Umständen ergibt, dass die Abwehr einer behaupteten völkerrechtswidrigen Handlung nur als Vorwand benutzt wird, um den Sturz einer Regierung anzusteuern, wären die Sanktionen schon wegen dieser eklatant rechtswidrigen Zielsetzung (Verstoß gegen das Interventionsverbot) nicht als Gegenmaßnahme gerechtfertigt.

Literatur

ILC (2001): Entwurf von Artikeln über Verantwortung der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen; mit Kommentierungen. UN Legal, veröff. 2008.

 

Prüfung der Völkerrechtsmäßigkeit von Sanktionen

Staaten oder Staatengruppen dürfen uni- oder multilaterale Zwangsmaßnahmen – sog. Sanktionen – nur unter der Voraussetzung gegen einen anderen Staat verhängen, dass diese nicht gegen völkerrechtliche Verträge oder völkergewohnheitsrechtliche Normen und Grundsätze verstoßen. Aus dieser Feststellung ergibt sich das folgende

Quelle: AG Sanktionen
IALANA, Amelie Freund

Entwicklungslinien der rechtlichen Verankerung von Sanktionen im internationalen System

von Gerhard Baisch und Heiner Fechner

Ob in der Ilias oder in der Bibel, Formen wie das Totalembargo oder die Blockade sind praktisch so alt wie die »Kriegskunst« selbst. Dabei entzog sich das »Aushungern« oder auch nur das Verhängen von Waffenembargos lange Zeit einer rechtlichen Regelung. Es kann als Annex zum »Recht auf Krieg« betrachtet werden.

Die Beziehung zwischen Sanktionen und Krieg hob auch der US-Präsident Woodrow Wilson hervor, einer der geistigen »Väter« des Völkerbundes. In seiner Vorstellung des Völkerbundes gegenüber dem Kongress sagte er über die Wirkung von Sanktionen:

„Krieg? Nein, nicht Krieg, aber etwas, das den Gegner trifft und ihn viel mehr beschäftigt als Krieg, etwas gewaltigeres als Krieg (…). Eine Nation, die boykottiert wird, ist eine Nation, die kurz vor der Kapitulation steht. Wenn man dieses friedliche, stille, tödliche Mittel anwendet, muss man keine Streitkräfte einsetzen. Es ist ein schreckliches Mittel. Es kostet kein einziges Leben außerhalb der der boykottierten Nation, aber es übt einen Druck auf diese Nation aus, dem meines Erachtens keine moderne Nation widerstehen könnte.“ (Wilson 1923, S. 67, 71)

Wilson umriss kurz vor Kriegsende in einer Rede auch das Thema Sanktionen konkreter. Er machte dabei deutlich, dass mit der Schaffung des Völkerbundes Alleingänge beim Thema Sanktionen ein Ende haben müssten, diese ausschließlich von der Weltgemeinschaft festgelegt werden dürften:

„Es muss eine Gerechtigkeit sein, die keine Begünstigungen und Abstufungen kennt, sondern nur die gleichen Rechte der beteiligten Völker (…). Es kann innerhalb des Völkerbundes keine besonderen selbs­tischen wirtschaftlichen Kombinationen geben und keine Anwendung irgendwelcher Form von wirtschaftlichem Boykott oder Ausschließung, außer insoweit, als die wirtschaftliche Strafgewalt vermittels Ausschließung von den Weltmärkten dem Völkerbunde selbst als Mittel der Disziplin und Kontrolle erteilt wird.“ (Wilson 1933)

Eine entsprechende erstmalige völkerrechtliche Regelung erfuhren Sanktionen in Art. 16 der Völkerbundsatzung. Sanktionen traten hier bei einem vertragswidrigen, friedliche Streitbeilegungsmechanismen missachtenden Krieg eines Völkerbundmitglieds automatisch in Kraft. Völkerrechtlich war damit eine erste völkervertragliche Basis für ein Monopol der Weltorganisation für die Verhängung von Sanktionen gelegt, die anschließend in die UN-Charta übertragen wurde. Die Gedanken Wilsons sind entsprechend als historisch wegweisend für die Interpretation der UN-Charta zu betrachten.

Der UN-Sicherheitsrat und Sanktionen

Die UN-Charta von 1948 regelte das Thema Sanktionen dann systematisch und verfahrenstechnisch präziser als die Völkerbundsatzung, ohne den 1919 eingeschlagenen Weg zu verlassen. Neben dem allgemeinen Kriegsverbot (Art. 2 Abs. 3) regelt hier Kapitel VII der Charta das Monopol und die Vorgehensweise des UN-Sicherheitsrats (SR). Der SR stellt „eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens“ nach Art. 39 fest, um Empfehlungen abzugeben oder Maßnahmen zu beschließen mit dem Ziel, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen“. Die erlaubten Maßnahmen sind Sanktionen (Art. 41) oder als ultima ratio das bewaffnete Eingreifen (Art. 42). Nach Art. 41 UN-Charta kann der Sicherheitsrat u.a. eine Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem den Frieden bedrohenden oder einen Krieg beginnenden Land beschließen.

Praktisch entfaltete sich über die Frage der Sanktionen allerdings bis zum Ende des Kalten Krieges kein Streit. Der SR verhängte bis 1990 nur zweimal Sanktionen, jeweils in Fällen postkolonialer Apartheidregime: 1966 gegen Südrhodesien (heute Zimbabwe), und 1977 gegen Südafrika. Erst in den 1990er Jahren, dem »Jahrzehnt der Sanktionen«, spielte die Vorschrift eine größere Rolle. Hier verhängte der SR 13 von insgesamt 27 zwischen 1990 und 2023 verhängten Sanktionen. Der nach dem Einmarsch in Kuwait verhängte umfassende Boykott des SR gegen den Irak (6.8.1990 mit Res. 660) mit seinen katastrophalen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung (vgl. Baisch, S. 14 und Lohrer, S. 29 in diesem Dossier) war Auslöser einer breiten Debatte in den UN über die menschenrechtliche Dimension von Sanktionen. In der Folge wurde bis heute vom SR nicht erneut ein umfassender Wirtschaftsboykott verhängt.

Aktuell sind 14 UN-Sanktionsregelungen in Kraft; sie verfolgen mehrere Ziele, darunter die Beilegung zwischenstaatlicher Konflikte, Demokratisierung, den Schutz der Menschenrechte und der Zivilbevölkerung, die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Terrorismusbekämpfung.

Sanktionen und Menschenrechte

Während die UN-Sanktionen aufgrund ihrer schweren Beeinträchtigung der Menschenrechte im Irak auf eine breite internationale Kritik auch in Ländern des Globalen Nordens stießen, war dieser Menschenrechtsfokus bei unilateralen Zwangsmaßnahmen zunächst nicht zu beobachten. Zwar berufen sich insbesondere Länder aus dem Globalen Süden, aber auch UN-Gremien u.a. auf die UN-Charta, um zu belegen, dass einseitige Zwangsmaßnahmen völkerrechtswidrig sind. Die große Zahl einseitiger Zwangsmaßnahmen seitens der USA, aber auch der EU, mit fatalen Folgen für die Rechte auf Leben, Gesundheit, soziale Sicherheit usw. in Kuba, Syrien, Venezuela (siehe jeweils die Artikel in diesem Dossier) und anderen Staaten werfen jedoch die Frage auf, warum nicht seit langem eine breite, öffentlichkeitswirksame internationale Debatte um die Menschenrechtskonformität von Sanktionen gerade im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte auch in den westlichen Staaten geführt wird.

Ein wesentlicher Grund für die geringe Hörbarkeit der tatsächlich erst seit den 2010er Jahren in größeren Kreisen stattfindenden Debatten liegt auch daran, dass es (anders als auf regionaler Ebene beispielsweise in Europa oder Lateinamerika) kein internationales Gericht für Menschenrechte gibt. Ein solches Gericht könnte die Rechtswidrigkeit extraterritorial wirkender, einseitiger Zwangsmaßnahmen von Staaten, die Menschenrechte von Menschen anderer Staaten beeinträchtigen, feststellen und damit für größere internationale Aufmerksamkeit sorgen. Die USA beispielsweise unterwerfen sich nicht einmal regional der Gerichtsbarkeit des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte; ihre Unterwerfungserklärung gegenüber dem Internationalen Gerichtshof (IGH) hatten sie im Zuge des Nicaragua-Verfahrens gegen sie wieder zurückgezogen. Während das Humanitäre Völkerrecht der Haager Verträge und Genfer Abkommen im Internationalen Komitee des Roten Kreuzes einen personalstarken, global wirkenden Verband zum Schutz der Rechte aufweist, fehlte es im Bereich der Menschenrechte bis in die 1980er Jahre an einer vergleichbaren organisatorischen Basis, die Menschenrechtsverletzungen durch Sanktionen systematisch erfassen, analysieren und kritisieren konnte. Daher überrascht es nicht, dass der Internationale Gerichtshof in seinem Nicaragua-Urteil 1986, das u.a. den Boykott Nicaraguas durch die USA einschließlich der Seeblockade betraf, das Thema Menschenrechte gar nicht anschnitt.

Schrittweise Institutionalisierung ab 1960

Seitdem haben allerdings mehrere Faktoren dazu geführt, dass Menschenrechte im Rahmen der UN zu einem zentralen Betätigungsfeld geworden sind, in dem durch institutionelle Verankerung (Menschenrechtsrat, Hoher Kommissar für Menschenrechte, Sonderberichterstatter*innen usw.) auch das Thema Sanktionen intensiv bearbeitet wird. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR, 1948) war zunächst ein Dokument ohne große Konkretisierung und Überprüfungsmechanismen. Das änderte sich in zwei Schritten ab den späten 1960er Jahren.

Zunächst wurden völkerrechtliche Verträge geschlossen, um die AEMR zu konkretisieren und Menschenrechte besonders verletzlicher Personen gesondert zu schützen. Zu nennen sind hier insbesondere der UN-Zivilpakt und der UN-Sozialpakt als Zwillingsabkommen von 1966, die beide 1976 in Kraft traten. Erwähnenswert sind auch die Antirassismuskonvention (1965/1969), die Frauenrechtskonvention (CEDAW, 1979/1981), die Kinderrechtskonvention (CRC, 1989/1990), die Behindertenrechtskonvention (CRD, 2006/2008) sowie die Wanderarbeiter-Konvention (ICMW, 1990/2003). All diese Menschenrechtsverträge schützen die Interessen besonders vulnerabler Gruppen gerade auch im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Fragen.

All diese Übereinkommen stützen sich auf ähnlich arbeitende Expert*innenkomitees, die die Umsetzung dieser Verträge durch die Mitgliedsstaaten überwachen und dabei zugleich allgemeine rechtliche Maßstäbe für die Beachtung der Regelungen dieser Verträge erarbeiten, sogenannte Allgemeine Bemerkungen. In einer solchen Allgemeinen Bemerkung (General Comment Nr. 8, 1997) hat beispielsweise der UN-Expert*innenausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) des Sozialpakts das Verhältnis von Wirtschaftssanktionen zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten diskutiert und festgestellt, dass die Regeln des Sozialpakts bei Sanktionserlass unabhängig vom Urheber (international, regional, unilateral) stets vollständig zu beachten sind. Ein Meilenstein, da damit einerseits festgestellt wurde, dass nicht nur Einzelstaaten an die Menschenrechte gebunden sind, sondern auch beispielsweise die UN, und andererseits, dass die Beachtung insbesondere der sozialen Menschenrechte auch bei extraterritorial, also über die Staatsgrenzen hinauswirkenden, ggf. auch Drittstaaten treffenden Sanktionen zu beachten sind.

Für den zweiten Schritt, eine stärkere Beobachtung der Beeinträchtigung der Menschenrechte durch Sanktionen, hat dann der Aufbau einer entsprechenden personalintensiven Verwaltungsstruktur gesorgt. Diese kam erst relativ spät, auf der (nach Teheran 1968) zweiten Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien 1993. Dort bekannten sich so gut wie alle UN-Mitglieder zu den Menschenrechten im aktuellen Stand, und damit auch die USA zu den im Sozialpakt verankerten Menschenrechten. Organisatorisch entscheidender war aber, dass mit dem Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) auch eine eigenständige UN-Behörde mit Rang eines Unter-Generalsekretariats und inzwischen mehr als 1.000 Mitarbeiter*innen zum Schutz der Menschenrechte geschaffen wurde. Das OHCHR hat eine zentrale Bedeutung für die menschenrechtliche Kritik an Sanktionen nicht nur aufgrund der Stellungnahmen der Hohen Kommissar*innen, sondern aufgrund der umfangreichen Hintergrundarbeit zu diesem Thema. Neben länderspezifischen und allgemeinen Studien zu Sanktionen kommt insbesondere der Zuarbeit zum Menschenrechtsrat und den Sonderberichterstatter*innen eine zentrale Rolle zu.

Eine weitere, für die heutige Debatte wichtige Änderung kam erst 2006. In dem Jahr wurde der UN-Menschenrechtsrat als Nebenorgan der UN-Generalversammlung gegründet und löste die weitgehend ineffektive, seit 1946 existierende UN-Menschenrechtskommission ab. Als wichtigstes UN-Gremium für Menschenrechte überwacht er nicht nur die Staatenpraxis mit dem Allgemeinen Periodischen Länderüberprüfungsverfahren (»Universal Periodic Review«), er setzt auch Sonderberichterstatter*innen und unabhängige Expert*innen zu menschenrechtlichen Themen und spezifischen Ländern ein, die für ihn Expertisen und Empfehlungen erstellen. Ferner verabschiedet der Menschenrechtsrat jährlich und öfter Resolutionen zum Thema einseitige Zwangsmaßnahmen.

So vertritt er die Auffassung, einseitige Zwangsmaßnahmen und diese auferlegende Gesetze stünden im Widerspruch zum Völkerrecht, zum Humanitären Recht, zur UN-Charta und den die friedlichen Verhältnisse der Staaten untereinander regelnden allgemeinen Normen und Prinzipien (zuletzt Res. A/HRC/RES/54/15 vom 13. Oktober 2023). Unter Betonung der negativen Effekte auf das Recht auf Leben, die Situation besonders vulnerabler Gruppen sowie der Entwicklungsländer wenden sich hier die Länder des Globalen Südens – die die Mehrheit des Menschenrats stellen – quasi geschlossen gegen Sanktionen, während die EU-Mitglieder, Großbritannien und die USA und damit der Globale Norden bzw. die ehemaligen Kolonialmächte einschließlich der europäischen Siedlerkolonien und westlich beherrschter Territorien geschlossen gegen die Resolutionen stimmen.1

Sanktionen und der Globale Süden

Die Staaten des Globalen Südens – im Kern ehemalige Kolonien der westlichen Mächte – spielten in der Auseinandersetzung über Sanktionen bei Gründung des Völkerbundes und der Vereinten Nationen jeweils keine erhebliche Rolle. Die ehemals spanischen und portugiesischen Kolonien in den Amerikas lagen nach der bis heute maßgeblichen Monroe-Doktrin2 im Einflussbereich der USA, die hier fortgesetzt militärisch und geheimdienstlich in innenpolitische Angelegenheiten intervenieren. Erst seit Beginn der Kubanischen Revolution (1960) haben Wirtschaftssanktionen hier eine größere Bedeutung und werden vor allem eingesetzt, um sich dem US-Willen entziehende Regierungen zu schwächen. Sie dienen dabei einerseits als Mittel zur Förderung des Regime ­Change – offiziell typischerweise unter dem Deckmantel der Förderung von Demokratie und Menschenrechten –, und andererseits zur Abschreckung anderer Staaten und damit Schwächung der strategischen Position der sanktionierten Staaten. In diesem Sinn hat sich ihr Charakter als In­strument neokolonialer Politik des Westens seit Ende des Kalten Krieges noch einmal stärker konturiert – am Anfang der vom ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah 1965 losgetretenen Debatte um Neokolonialismus findet sich beispielsweise noch kein Hinweis auf Wirtschaftssanktionen (vgl. Nkrumah 1965).

Bei der Debatte um einen kritischen Ansatz der Dritten Welt zum Völkerrecht (TWAIL: Third World Approach to International Law) ist mittlerweile gerade das Thema »ökonomischer Zwang« im Kontext der Debatte um das Interventionsverbot ein zentraler Unterscheidungspunkt zwischen dem westlichen Völkerrechtsverständnis, das sich darauf beruft, unilaterale Sanktionen verstießen weder gegen Völkergewohnheitsrecht noch völkervertragliche Regeln (Hofer 2017), und demjenigen des Globalen Südens, der sich auf die UN-Charta und zentrale Resolutionen der UN-Generalversammlung beruft (vgl. Gathii 1999). Vielleicht ist es der Tatsache geschuldet, dass weite Teile des Globalen Südens bei Verabschiedung der UN-Charta noch Kolonien waren, dass kein ausdrückliches Verbot einseitiger Zwangsmaßnahmen in der Charta verankert ist. Der systematische Aufbau des Kapitel VII macht jedoch deutlich, dass Sanktionen als das mildere Mittel gegenüber dem bewaffneten Eingriff betrachtet werden. Nach verbreiteter Ansicht bedeutet das aber auch, dass „die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen“ ohne SR-Beschluss genauso wenig zulässig ist wie das Führen eines Angriffskriegs.

Eine entsprechende Haltung lässt sich auch den regelmäßig von großen Mehrheiten getragenen Beschlüssen der UN-Generalversammlung entnehmen. In Resolution 78/135 vom 19.12.2023 zu einseitigen ökonomischen Maßnahmen als Mittel des politischen und ökonomischen Zwangs gegen Entwicklungsländer heißt es beispielsweise:

„Die Generalversammlung (…) fordert die internationale Gemeinschaft nachdrücklich auf, dringend wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass einseitige Wirtschafts-, Finanz- oder Handelsmaßnahmen ergriffen werden, die von den zuständigen Organen der Vereinten Nationen nicht genehmigt wurden, die mit den völkerrechtlichen Grundsätzen oder der Charta der Vereinten Nationen unvereinbar sind oder gegen die wesentlichen Grundsätze des multilateralen Handelssystems verstoßen und die insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, Entwicklungsländer betreffen.“

Das Abstimmungsergebnis lag hier bei 128 Fürstimmen, 43 (v.a. europäischen) Enthaltungen und acht Gegenstimmen, darunter die USA und Großbritannien. Dabei berufen sich die Staaten des Globalen Südens auf eine Reihe konsensual entwickelter Papiere wie beispielsweise die Erklärung über freundschaftliche Beziehungen der Staaten (»Friendly Relations Declaration«, UN-GA-Resolution 2625 (XXV) von 1970) und die Charta über ökonomische Rechte und Pflichten der Staaten (»Charter of Economic Rights and Duties of States«, UN-GA Resolution 3281(XXIX), 1974), in denen jeweils ausdrücklich ein Verbot einseitiger Zwangsmaßnahmen verankert ist. Ob daraus Völkergewohnheitsrecht hergeleitet werden kann, ist strittig, wobei die Grenzen hinsichtlich der Auslegung im Wesentlichen zwischen Nord und Süd verlaufen.

Insbesondere die Folgen der Irak-Sanktionen sowie die Verschärfung der US-Sanktionen gegen Kuba haben dabei den internationalen Druck aus Ländern des Globalen Südens steigen lassen. Die Stimmen des Globalen Südens im Menschenrechtsrat waren letztlich auch ausschlaggebend für die Benennung eines Sonderberichterstatters über die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Wahrnehmung der Menschenrechte durch den Menschenrechtsrat 2014 (Res. 27/21). Bei zahlreichen Untersuchungen der Lage vor Ort in betroffenen Staaten sowie verschiedenen Analysen rechtlicher Sonderfragen haben die beiden Sonderberichterstatter*innen Idriss Jazairy (2015-2019) und Alena Douhan (seit 2020) seitdem maßgeblich zur Vertiefung des Problembewusstseins in den UN und der menschenrechtlich interessierten Öffentlichkeit beigetragen.

Fazit

Wenngleich Sanktionen an sich kein neues Phänomen sind, so hat sich seit der Dekolonisierung und insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges ihr Charakter erheblich geändert. Seit den 1990er Jahren haben sich die erst spät entwickelten UN-Menschenrechtsgremien zunehmend mit dem Thema befasst. Dabei hat sich trotz konsensualer Resolutionen in den 1970er Jahren mit der Zeit eine erhebliche Spaltung zwischen dem Westen und dem Globalen Süden herausgebildet. Der Westen muss sich dabei von der Mehrheit der UN-Mitglieder und letztlich der Weltbevölkerung den Vorwurf des Neokolonialismus gefallen lassen.

Wirtschaftssanktionen sind zudem ein zentrales Politikfeld, in dem der heuchlerische Charakter bzw. die Unglaubwürdigkeit des westlichen Menschenrechtsdiskurses gegenüber dem Globalen Süden zum Ausdruck kommt. Dieses Politikfeld ruft zugleich nach einem Schulterschluss von Menschenrechtaktivist*innen und Friedensbewegten. Die Verhängung einseitiger Wirtschaftssanktionen ist nicht nur ein direkter Angriff auf die Menschenrechte der in den betroffenen Staaten lebenden Menschen. Wie Wilson treffend feststellte, ist sie auch eine Kriegführung mit anderen Mitteln. Wer sich für Frieden und Menschenrechte stark macht, muss sich daher vehement gegen jegliche Form des einseitigen und Menschenrechte beschneidenden Einsatzes von Wirtschaftssanktionen durch westliche Staaten einsetzen.

Anmerkungen

1) Abstimmungsergebnis bei Res. 54/15: 32 dafür, 13 dagegen, zwei Enthaltungen. Bei Res. 52/13 im April 2023: 33 zu 13 bei einer Enthaltung. Res. 46/5 im März 2021: 30 zu 15 bei zwei Enthaltungen, wobei Brasilien unter Bolsonaro, Japan, die Marshallinseln und Südkorea mit den Europäer*innen gestimmt haben.

2) Sie geht zurück auf eine Rede des US-Präsidenten James Monroe (1758-1831), der am 2.12.1823 die Trennung der amerikanischen von der europäischen Einflusssphäre forderte, indem er eine US-amerikanische Nichteinmischung (»non-intervention«) in europäische Angelegenheiten und umgekehrt ein Ende kolonialer Erwerbungen Europas in den Amerikas im Kontext der Unabhängigkeitskriege in Lateinamerika gefordert. Die schnell auf die Formel „Amerika den Amerikanern“ gebrachte Doktrin wurde sukzessive im 20. Jahrhundert zu Formel für die Vormachtstellung der USA auf dem amerikanischen Doppelkontinent.

Literatur

Gathii, J. Th. (1999): Neoliberalism, colonialism and international governance: Decentering the international law of governmental legitimacy. Michigan Law Review 98(6), S. 1996–2055.

Hofer, A. (2017): The developed/developing divide on unilateral coercive measures: legitimate enforcement or illegitimate intervention? Chinese Journal of International Law 16(2), S. 175–214.

Nkrumah, K. (1965): Neo-colonialism. The Last Stage of Imperialism. London: Nelson.

Wilson, W. (1923): Woodrow Wilson’s case for the League of Nations. Compiled with his approval by Hamilton Foley. Princeton: Princeton University Press.

Wilson, W. (1918): Address of President Wilson: Opening the Campaign for the Fourth Liberty Loan. Delivered at the Metropolitan Opera House in New York City, September 27, 1918. In: Fuller, J. (Hrsg.) (1933): Papers Relating to the Foreign Relations of the United States, 1918, Supplement 1, The World War, Volume I. Washington, DC: United States Government Printing Office, Doc. 258.

Das Interventionsverbot als völkerrechtliche Grenze für Sanktionen

von Volkert Ohm

Immer wenn Staaten »sanktioniert« werden, ist deren Souveränität in Gefahr, und damit gleichzeitig auch das Selbstbestimmungsrecht der von Sanktionen betroffenen Völker. Dieses ist das Recht eines Volkes, über seine Staats- und Regierungsform sowie seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung frei von jeglicher Fremdbestimmung zu entscheiden. Alle modernen Staaten sind bemüht, ihre Souveränität gegen Einflussnahme auf ihre inneren Angelegenheiten zu schützen. Gleichwohl neigen Staaten aber auch dazu, sich in die inneren Angelegenheiten anderer einzumischen, wenn es um die Durchsetzung eigener politischer oder wirtschaftlicher Interessen geht. Die Vereinten Nationen sind dazu berufen, über die Einhaltung der völkerrechtlichen Grenzen gegen solche Einmischungen zu wachen. Dieser Artikel analysiert die zunehmende Tendenz, die völkerrechtlichen Grenzen zu überschreiten und dadurch auch zu verschieben. Ferner fragt er nach den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Organe der Vereinten Nationen – insbesondere an die Generalversammlung (UN-GA).

Zu den Begriffen »Sanktionen« und »völkerrechtliche Grenzen«

Sanktionen werden im völkerrechtlichen Sprachgebrach mit Ausnahme der Sicherheitsratsbeschlüsse traditionell als »einseitige Zwangsmaßnahmen« bezeichnet. Dieser Begriff lässt deren Absicht, Wesen und Methode deutlicher erkennen: Es sind Maßnahmen, mit denen ein oder mehrere miteinander verbündete Staaten im Kollektiv auf einen anderen Staat (oder mehrere) Druck ausüben, um diesen zu einem geforderten Verhalten zu zwingen oder auch weitergehende Ziele (wie z.B. einen Regime-Change) zu bewirken. Ihrem Wesen nach sind solche Maßnahmen mehr oder weniger schwerwiegende Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit und Autonomie des Staates, gegen den sie sich erklärtermaßen richten. Sie können aber auch die Autonomie anderer Staaten beeinträchtigen, wie z.B. die formell nur gegen Russland gerichteten Nord-Stream-2-Sanktionen zeigen. Gleichzeitig wirken sie sich oft auch in gravierender oder sogar lebensbedrohlicher Weise auf Bürger*innen, Wirtschaftsunternehmen oder gesamte Gesellschaften aus. Dies wird von den sanktionierenden Staaten in Kauf genommen oder sogar beabsichtigt, um zusätzlichen Druck aufzubauen.

Dadurch können in mehrfacher Hinsicht Rechte derjenigen, auf die mit Sanktionen eingewirkt wird, verletzt werden. Im Mittelpunkt der völkerrechtlichen Schranken steht vor allem das aus Art. 2 Ziff. 1 und 7 UN-Charta abgeleitete und gewohnheitsrechtlich verfestigte Interventionsverbot. Ferner werden je nach Schwere der Auswirkungen Menschenrechte beeinträchtigt, die durch den UN-Zivilpakt, die UN-Sozialpakte und andere Menschenrechtsabkommen geschützt sind (siehe Fechner in diesem Dossier, S. 11). Außerdem kommt die Verletzung von Rechten aus bilateralen Freundschaftsverträgen oder aus Handels­abkommen in Betracht.

Der historische Hintergrund für die rechtliche Absicherung der Souveränität

Die Tragweite der genannten völkerrechtlichen Schranken ist Gegenstand von seit Jahrzehnten geführten Debatten. Die juristischen Diskurse spiegeln das diplomatische Ringen um Erhalt und Zuwachs von politischer und wirtschaftlicher Macht und Einfluss einerseits und die Bewahrung und Festigung von staatlicher Autonomie, Selbstbestimmung und Souveränität andererseits wider. Diese Diskurse gewinnen in dem Maße an Bedeutung, in dem Sanktionen als Mittel politischer Beeinflussung und Machtausübung eingesetzt werden, und zwar etwa seit Anfang der 1980er Jahre. Diese Tendenz wird – wie im Folgenden noch ausgeführt wird – gespiegelt durch die Abstimmungen über Resolutionen der UN-GA.

Während des Kalten Krieges waren Sanktionen nur in begrenztem Umfang gegen »Ostblockstaaten« verhängt worden. Ein herausragendes Beispiel für einseitige Zwangsmaßnahmen im Zuge des Kalten Krieges und des Wettrüstens ist das von den USA gegen Kuba 1960 verhängte, 1962 stark erweiterte umfassende Embargo, das bis heute andauert.

Die Staaten, die in den 1950er und 1960er Jahren ihre Unabhängigkeit erstritten, waren darauf bedacht, mit Unterstützung der UN ihre Souveränität abzusichern. Dieses elementare Anliegen war und ist eng verbunden mit dem Streben nach wirtschaftlicher Entwicklung und Autonomie. Beides fand Niederschlag in zahlreichen Resolutionen der UN-Generalversammlung, mit denen das oben genannte Interventionsverbot bekräftigt wurde. Eine treibende Kraft in diesem Prozess war die Bewegung der Blockfreien Staaten (»Non-Aligned Movement«), die sich 1961 konstituierte und sich seitdem nicht nur für diese Anliegen einsetzt, sondern in Anbetracht der Gefahr eines Dritten Weltkrieges auch für friedliche Koexistenz und Abrüstung, sowie für das Verbot von Massenvernichtungswaffen.

Die Verankerung des Interventionsverbotes im Völkergewohnheitsrecht

Der Grundstein für ein weitgefasstes Interventionsverbot, welches über das Verbot von gewaltsamem militärischen Zwang hinausgeht, wurde mit der Gründung der Vereinten Nationen gelegt – nämlich mit dem in Artikel 1 der UN-Charta formulierten Ziel „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln“ und mit den in Artikel 2 (1 und 7) verankerten Grundsätzen der „souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder“ und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates.

Diese Grundsätze wurden 1949 von der Völkerrechtskommission in dem »Entwurf einer Erklärung über die Rechte und Pflichten der Staaten«1 in Art. 3 dahingehend präzisiert, dass jeder Staat die Pflicht hat, sich der Einmischung in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates zu enthalten.

In der Folgezeit wurde der Grundsatz der Nichteinmischung weiterentwickelt und völkergewohnheitsrechtlich verankert. Völkergewohnheitsrecht ist die von einer rechtlichen Überzeugung getragene allgemeine Praxis (Art. 38 IGH-Statut). Es kommt im Fall des Interventionsverbots u.a. durch eine Vielzahl von Resolutionen der UN-GA zum Ausdruck. Das weitgefasste Verständnis von Intervention wurde erstmals in der Resolution über die Grundlagen des Friedens (UN-GA Res 290 [IV]) formuliert, in der die UN-GA jeden Staat auffordert, „sich jeder direkten oder indirekten Drohung oder Handlung zu enthalten, die darauf abzielt, die Freiheit, Unabhängigkeit oder Unversehrtheit eines Staates zu beeinträchtigen oder zivile Unruhen zu schüren und den Willen des Volkes in irgendeinem Staat zu untergraben“.

Als wichtigste weitere Resolutionen sind zu nennen (in chronologische Folge):

  • die Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker (1960; UN-GA Res 1514 [XV]);
  • die Erklärung über die Unzulässigkeit der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten und den Schutz ihrer Unabhängigkeit und Souveränität (1965; UN-GA Res 2131 [XX]), in der die UN-GA erklärte, dass „kein Staat das Recht hat, aus irgendeinem Grund direkt oder indirekt in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates einzugreifen“;
  • die »Friendly Relations Declaration« (1970; UN-GA Res 2625 [XXV]), die wiederholte, dass bewaffnete Interventionen und alle anderen Formen der Einmischung gegen das Völkerrecht verstoßen;
  • die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (1974; UN-GA Res 3281 [XXIX]), in der es heißt, dass kein Staat wirtschaftliche, politische oder sonstige Zwangsmaßnahmen gegen einen anderen Staat anwenden oder ihre Anwendung begünstigen darf, um von ihm die Unterordnung bei der Ausübung seiner souveränen Rechte zu erlangen;
  • die Erklärung über die Unzulässigkeit von Interventionen und Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten (1981; UN-GA Res 36/103).

Die Bekräftigung des weiten Umfangs des Interventionsverbots

Neben den genannten Resolutionen aus der Zeit der Herausbildung und Verfestigung des Interventionsverbots zu Völkergewohnheitsrecht ist aus der Vielzahl jüngerer Entschlüsse die Resolution der UN-GA vom 20.12.2012 (67/170) »Menschenrechte und einseitige Zwangsmaßnahmen« hervorzuheben. In der Präambel dieser Resolution wird betont, „dass einseitige Zwangsmaßnahmen und -gesetze gegen das Völkerrecht, das humanitäre Völkerrecht, die Charta der Vereinten Nationen und die Normen und Grundsätze zur Regelung der friedlichen Beziehungen zwischen den Staaten verstoßen“ und es wird dafür wiederum Bezug genommen auf alle früheren Resolutionen der GA zu diesem Thema. Außerdem wird auf diverse Schlussdokumente von Gipfeltreffen und Konferenzen der Bewegung der Blockfreien Staaten hingewiesen.

Auf der Grundlage aller in Bezug genommener Dokumente stellte die Generalversammlung in der vorgenannten Resolution präzise Forderungen auf, die nicht nur eine sehr weite Auslegung des Interventionsverbotes bekräftigten, sondern das Dokument zusätzlich sehr bedeutsam für das Verständnis der Tragweite der Menschenrechte bei der Bewertung der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen bzw. einseitigen Zwangsmaßnahmen machten (vgl. Kasten).

Menschenrechte und einseitige Zwangsmaßnahmen

Resolution der UN-Generalversammlung vom 20.12.2012 (67/170)

Die Generalversammlung fordert darin

  • „1. alle Staaten nachdrücklich auf, die Verabschiedung oder Anwendung einseitiger Maßnahmen einzustellen, die nicht im Einklang mit dem Völkerrecht, dem humanitären Völkerrecht, der Charta der Vereinten Nationen und den die friedlichen Beziehungen zwischen den Staaten regelnden Normen und Grundsätzen stehen, insbesondere Zwangsmaßnahmen mit allen ihren extraterritorialen Wirkungen, welche die Handelsbeziehungen zwischen den Staaten behindern und so der vollen Verwirklichung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und anderen internationalen Rechtsakten auf dem Gebiet der Menschenrechte verkündeten Rechte im Weg stehen, insbesondere dem Recht von Einzelpersonen und Völkern auf Entwicklung;
  • 2. die Staaten mit allem Nachdruck auf, mit dem Völkerrecht und der Charta nicht im Einklang stehende einseitige Wirtschafts-, Finanz- oder Handelsmaßnahmen, die der vollen Verwirklichung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, insbesondere in den Entwicklungsländern, im Wege stehen, weder zu erlassen noch anzuwenden;
  • 3. alle Staaten nachdrücklich auf, keinerlei einseitige Maßnahmen zu verabschieden, die nicht im Einklang mit dem Völkerrecht und der Charta stehen und die die umfassende Verwirklichung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Bevölkerung, insbesondere der Kinder und Frauen, in den betroffenen Ländern verhindern, ihr Wohlergehen einschränken und Hindernisse für den vollen Genuss ihrer Menschenrechte aufwerfen, einschließlich des Rechts eines jeden Menschen auf einen für seine Gesundheit und sein Wohlergehen angemessenen Lebensstandard sowie seines Rechts auf Nahrung, medizinische Versorgung und Bildung und die notwendigen sozialen Dienste, sowie sicherzustellen, dass Nahrungsmittel und Medikamente nicht als politisches Druckmittel eingesetzt werden; (…)
  • 5. sie verurteilt die anhaltende einseitige Anwendung und Durchsetzung einseitiger Zwangsmaßnahmen durch bestimmte Mächte und weist diese Maßnahmen, mit allen ihren extraterritorialen Wirkungen, als politische oder wirtschaftliche Druckmittel gegen ein Land, insbesondere gegen Entwicklungsländer, zurück, weil sie diese Länder an der Ausübung ihres Rechts hindern sollen, über ihr politisches, wirtschaftliches und soziales System selbst frei zu entscheiden, und weil sie die Verwirklichung aller Menschenrechte weiter Kreise der Bevölkerung, insbesondere von Kindern, Frauen, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen, beeinträchtigen;
  • 6. sie erklärt erneut, dass lebenswichtige Güter wie Nahrungsmittel und Medikamente nicht als politisches Druckmittel eingesetzt werden dürfen und dass Menschen unter keinen Umständen der eigenen Mittel zur Sicherung der Existenz und der Entwicklung beraubt werden dürfen;
  • 7. sie fordert diejenigen Mitgliedstaaten, die derartige Maßnahmen ergriffen haben, auf, die Grundsätze des Völkerrechts, die Charta, die Erklärungen der Konferenzen der Vereinten Nationen und der Weltkonferenzen sowie die einschlägigen Resolutionen zu befolgen und ihre Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten aus den internationalen Menschenrechtsübereinkünften, deren Vertragspartei sie sind, zu erfüllen, indem sie diese Maßnahmen so bald wie möglich aufheben;
  • 8. sie bekräftigt in diesem Zusammenhang das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung, kraft dessen sie ihren politischen Status frei bestimmen und ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung frei nachgehen können.“

Die Resolution »Menschenrechte und einseitige Zwangsmaßnahmen« wurde mit 128 Stimmen bei 54 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen verabschiedet. Für diese Resolution stimmten neben den BRICS-Staaten ausschließlich Staaten des Globalen Südens zusammen mit Belarus. Die übrigen europäischen Staaten stimmten zusammen mit den USA, Japan, Kanada, Australien und Israel dagegen. Das Abstimmungsergebnis und der Inhalt der Erklärung verdeutlichen die zwischenzeitlich erfolgte Polarisierung in der elementaren völkerrechtlichen Frage nach dem fortdauernden Umfang und der Tragweite des Interventionsverbotes. Westliche Staaten bemühen sich nämlich schon seit den 1980er Jahren verstärkt, das Rad der geschilderten völkerrechtlichen Entwicklung zurückzudrehen, um die sich ausweitenden Sanktionsregime zu legitimieren.

Zurückweisung der Versuche, das Interventionsverbot einzuengen

Diese Bemühungen spiegeln sich auch in der wissenschaftlichen völkerrechtlichen Literatur wider. Wissenschaftler*innen und nationale Think Tanks postulieren eine in der jüngeren Zeit zunehmende Ein­engung“ des ursprünglich weit gefassten Interventionsverbotes. Diese Einengung sei eine Folge der „Globalisierung“ (so Heintschel von Heinegg 2018; ähnlich auch Fassbender 2022 sowie Kunig 2008, Rn. 20). Die behauptete »Einengung« wird jedoch von den zitierten Autoren nicht schlüssig begründet. Wirtschaftliche Aktivitäten der an der Seite der USA stehenden »westlichen« Industrienationen, die den Begriff der Globalisierung ausfüllen (Ausweitung des unbeschränkten Freihandels, ruinöse Konkurrenz auf Gebieten der landwirtschaftlichen Produktion, Landgrabbing, Sicherung des Zugangs zu Rohstoffquellen, Verlagerung von industrieller Produktion in Billiglohnländer, Sicherung der Zinszahlungen auf gewährte Kredite etc.), bewirken per se keine Änderung von Völkergewohnheitsrecht. Es handelt sich um Bestrebungen und Aktivitäten, welche den zentralen Interessen der Nationen des Globalen Südens an einer Entwicklung und Stabilisierung ihrer Wirtschaften zuwiderlaufen. Daraus erklärt sich der Widerstand der Staaten des Globalen Südens gegen eine nachträgliche Aufweichung ihrer Selbstbestimmungsrechte und ihrer durch die Beendigung der Kolonialherrschaft erlangten Souveränität.

Deren stetiges Bekräftigen des gewohnheitsrechtlich verankerten weiten Verständnisses des Interventionsverbotes wird auch von den genannten Autoren letztlich zugestanden. Es wird gleichwohl beiseitegeschoben mit der Behauptung, die von überwältigen Mehrheiten der UN-GA beschlossenen Resolutionen wie z.B. die Resolution 2131 (XX) (1965) und Resolution 36/103(1981) spiegelten nicht die „allgemeine internationale Meinung“ zu diesem Thema wider (Fassbender 2022; Kunig 2008). Im Klartext bedeutet diese Behauptung, die »westlichen« Industrienationen seien aufgrund ihrer wirtschaftlichen und militärischen Potenz legitimiert, die „allgemeine internationale Meinung“ zu repräsentieren und seien dadurch ermächtigt, nach ihrem Belieben Völkergewohnheitsrecht zu ändern. Tatsächlich könnte eine Änderung von Völkergewohnheitsrecht aber nur durch eine übereinstimmende Praxis der Völkergemeinschaft erfolgen. Die massive Zunahme der Sanktionen seitens der USA und einiger anderer Staaten in den vergangenen drei Dekaden stellt keine solche übereinstimmende Praxis dar. Sie konnte deshalb keine Veränderung des gewohnheitsrechtlichen Interventionsverbotes bewirken, zumal – wie oben dargelegt – immer wieder der Inhalt früherer Resolutionen der Generalversammlung bekräftigt wurde, welche den weiten Umfang des Interventionsverbotes mit geformt haben. Diese Bekräftigungen erfolgten jeweils durch eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten in der UN-Generalversammlung.

Die kontroverse Bewertung der Resolutionen ist somit Ausdruck des Ringens um die Durchsetzung der in Artikel 2 der UN-Charta garantierten territorialen Unversehrtheit und politischen Unabhängigkeit aller Staaten, insbesondere der wirtschaftlich und politisch sowie militärisch schwächeren Staaten.

Ausblick auf die künftige Wirksamkeit des Interventionsverbotes

Die Rivalitäten zwischen »westlichen« Industrienationen einerseits und deren »systemischen Rivalen« China und Russland andererseits werden sich weiter verschärfen. Ich verweise beispielhaft auf die »China-Strategie« der Bundesregierung von 2023, welche in wesentlichen Teilen mit den Bestrebungen der »National Security Strategy« der USA von 2022 übereinstimmt. Sanktionen, vor allem wirtschaftliche Sanktionen (»measures of economic coercion«) werden deshalb auch in den kommenden Jahren nicht an Relevanz verlieren, sondern im Gegenteil eher zunehmen. Das Ringen um die Tragweite des Interventionsverbotes und um den Schutzbereich der Menschenrechte wird daher fortdauern.

Wie sind die Aussichten für deren Erhalt? Sie hängen meines Erachtens von mehreren Faktoren ab:

An erster Stelle steht die Frage, ob die Nationen des Globalen Südens – allen voran die Bewegung der Blockfreien Staaten – weiterhin gemeinsam konsequent für die Achtung ihrer Souveränität eintreten werden. Dies setzt voraus, dass deren Regierungen weder Drohungen nachgeben, noch den Versuchen unterliegen, sich korrumpieren zu lassen.

Damit steht in Zusammenhang die weitere Frage, ob sie weiterhin die erforderliche Unterstützung der zuständigen Organe der Vereinten Nationen erhalten. Der Sicherheitsrat wird bekanntlich bei wichtigen Abstimmungen wegen seiner Zusammensetzung und des Veto-Rechts kaum Entscheidungen treffen. Es wird also darauf ankommen, welche Positionen – neben der Generalversammlung – der UN-Generalsekretär und an seiner Seite der UN-Menschenrechtsausschuss (CCPR), der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) und der Menschenrechtsrat (UNHRC) künftig beziehen werden. Diese UN-Organe werden unterstützt durch ihre Sonderberichterstatter*innen, die zur Kontrolle der Achtung der Menschenrechte berufen sind.

Eine besondere Rolle wird auch dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zukommen, der bislang nur in bemerkenswert wenig Fällen mit der Prüfung von Sanktionen befasst wurde. In seinem oft erwähnten Nicaragua-Urteil von 1986 (betreffend militärische und paramilitärische Aktivitäten sowie Wirtschaftssanktionen der USA gegen Nicaragua) hat der IGH lediglich angemerkt, dass er nicht in der Lage sei, „solches Vorgehen auf wirtschaftlicher Ebene, wie es hier beanstandet wird, als eine Verletzung des gewohnheitsrechtlichen Interventionsverbotes anzusehen“ (Rn. 245 des Urteils). Die Urteilsgründe enthalten also keine konkreten Betrachtungen der von den Wirtschaftssanktionen ausgehenden Beeinträchtigungen – weder im Hinblick auf eine selbstbestimmte, souveräne Regierungstätigkeit, noch zu den Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung von Nicaragua. Solche Betrachtungen wären jedoch geboten, um die Intensität des durch die Sanktionen ausgeübten Zwanges zu prüfen. Die Frage, warum eine gründliche Prüfung in diesem Verfahren nicht durchgeführt wurde, bleibt offen. Man kann nur Mutmaßungen darüber anstellen, dass die Prozessvertretung Nicaraguas zu wenig Fakten über die Auswirkungen vorgetragen hat. Hieraus ergibt sich eine gewisse Unsicherheit für den Ausgang künftiger Prozesse vor dem IGH oder anderen Gerichten wie z.B. dem EuGH.

Im Hinblick auf die dargestellten Faktoren und Unsicherheiten sollten die Vereinten Nationen den Entwurf für eine Konvention vorlegen, welche die rechtlichen Grenzen für die Zulässigkeit einseitiger und multilateraler Zwangsmaßnahmen allgemein und speziell für Wirtschaftssanktionen festschreibt. Der Entwurf sollte die oben dargestellten gewohnheitsrechtlich verankerten Maßstäbe eines weiten Begriffs des Interventionsverbotes berücksichtigen. Allerdings ist zu befürchten, dass die Ratifizierung einer solchen Konvention auf den Widerstand derjenigen Staaten treffen würde, die ihre Sanktionsregime in den vergangenen vier Jahrzehnten massiv ausgebaut haben und diese aufrechterhalten möchten.

Anmerkung

1) Englisch: International Law Commission, Draft Declaration on Rights and Duties of States. Die Kommission wurde von der UN-Generalversammlung eingesetzt mit dem Auftrag das Völkerrecht weiterzuentwickeln und Entwürfe für Konventionen zu verfassen.

Literatur

Fassbender, B. (2022): Interventionsverbot. In: Staatslexikon online, 8.6.2022.

Heintschel von Heinegg, W. (2018): Interventionsverbot (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta). in Ipsen, K.: Völkerrecht, neu editierte 7. Aufl. (Hrsg. von Epping, V.; Heintschel von Heinegg, W.) München: C.H.Beck, S. 1149-1153.

Kunig, P. (2008): Intervention, Prohibition of. In: Max Planck Encyclopedia of Public International Law – MPEPIL Online. [in 2024 ersetzt durch Kriener, F.].

»Wirtschaftssanktionen« und soziale Menschenrechte

von Heiner Fechner

Verhungerte Kinder im Irak, fehlende medizinische Apparate in kubanischen Krankenhäusern, Massenemigration und leere Supermarkt­regale in Venezuela: unzählige soziale und ökonomische Defizite in Staaten des Globalen Südens sind auf sogenannte Wirtschaftssanktionen (WS) zurückzuführen. Im öffentlichen Bewusstsein erscheinen diese häufig als Interventionsmöglichkeit des Staates unterhalb der Schwelle des Krieges. Ein friedliches, völker- und menschenrechtskonformes Verhalten der Staaten soll so erzwungen werden.

Dabei werden die fatalen menschenrechtlichen Folgen von WS ausgeblendet. „Something more tremendous than war”, gewaltiger als Krieg, nannte US-Präsident Woodrow Wilson 1919 dieses Instrument des neuen Völkerbundes, welches zukünftige Kriege verhindern sollte. Er ging dabei nicht zu Unrecht davon aus, dass es sich um ein weitaus tödlicheres Instrument als die militärische Gewalt handelte (Mulder 2022, S. 1).

Menschenrechte im Fokus von »Wirtschaftssanktionen«

Menschenrechte stehen in doppelter Hinsicht im Fokus von WS. Einerseits werden tatsächliche oder vermeintliche Menschenrechtsverletzungen zur Begründung für die Verhängung von einseitigen Zwangsmaßnahmen (EZM) durch Staaten wie die USA, aber auch durch die EU, herangezogen (vgl. Fechner zu Venezuela in diesem Dossier, S. 25). Andererseits stellen WS, die direkt oder indirekt auf die die ökonomische Handlungsfähigkeit des Staates abzielen, zugleich Angriffe auf die Menschenrechte dar.

Betroffen sind dabei insbesondere Menschenrechte, deren Schutz und Gewährleistung des aktiven Handelns der Staaten und damit der institutionellen und ökonomischen Handlungsfähigkeit bedürfen. Dies gilt für die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankerten, im UN-Zivilpakt und UN-Sozialpakt von 1966 konkretisierten Menschenrechte ebenso wie für acht spezielle Übereinkommen oder regionale Menschenrechtsabkommen wie beispielsweise die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

Im Verhältnis der Staaten, die die Menschenrechtsabkommen ratifiziert haben, untereinander, aber auch gewohnheitsrechtlich gelten ferner die Staatenpflichten, die Menschenrechte jeweils zu achten (»obligation to respect«). So dürfen Staaten nicht Einzelpersonen widerrechtlich an der Ausübung der Rechte hindern, vor allem aber nicht die Subsistenz, das Überleben oder die Integrität von Menschen beeinträchtigen oder sie diskriminieren (so schon die einflussreichen, von den wichtigsten Menschenrechtsexpert*innen ausgearbeiteten »Limburger Prinzipien« von 1986); die in allen Menschenrechten verankerten Schutzpflichten (»obligation to protect«) verpflichten den Staat, die Bevölkerung vor Eingriffen Dritter in Form privater Akteur*innen wie auch Drittstaaten und Amtsträger*innen zu schützen; drittens schließlich sind allen Menschenrechten Gewährleistungspflichten (»obligation to fulfil«) innewohnend, d.h. die Pflicht, ein Höchstmaß an effektivem Genuss der Menschenrechte sicherzustellen (Krennerich 2016, S. 103ff.; International Commission of Jurists u.a. 1987).

Interessanterweise setzen sich die US-Regierung als global treibende Kraft von EZM, wie auch die Fachliteratur zum Thema WS und Menschenrechte vorrangig mit der Frage auseinander, ob EZM zu mehr Repressionen der Zivilbevölkerung durch die sanktionierten Staaten führen (z.B. Carneiro 2014). Damit kommt eine Reduktion der Menschenrechte auf bürgerliche und politische Rechte zum Ausdruck. Dabei gilt für alle Menschenrechte, dass bereits ihre Achtung und ihr Schutz eine funktionierende Staatlichkeit, insbesondere eine ausreichende Zahl von Gerichten mit entsprechender Ausstattung und ausgebildetem Personal, sowie präventiv und ggf. repressiv wirkende Organe wie Aufsichtsbehörden und Polizei voraussetzen. Wie die Beispiele zu Irak, Syrien, Kuba und Venezuela in diesem Dossier zeigen, können WS hier zu erheblichen institutionellen Schäden und damit allgemeinen Beeinträchtigungen der Menschenrechte führen.

Stellen die WS Angriffe auf das Wirtschaftssystem des betroffenen Landes dar, lassen sich insbesondere Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (im Weiteren: wsk-Rechte) sowie besonders vulnerabler Teile der Gesellschaft wie Mütter, Kinder oder Menschen mit Behinderungen beobachten. Denn mit der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit des Staates werden zugleich die staatlichen und staatlich finanzierten Sozial- und Kultureinrichtungen in Mitleidenschaft gezogen.

Betroffen sind hier abgesehen vom Recht auf Leben (Art. 6 Zivilpakt) typischerweise zunächst die Menschenrechte auf das erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit (Art. 12 Sozialpakt), auf Bildung (Art. 13-14 Sozialpakt) sowie auf soziale Sicherheit (Art. 9 Sozialpakt) und einen angemessenen Lebensstandard einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung sowie der stetigen Verbesserung der Lebensbedingungen (Art. 11 Sozialpakt). Eingriffe können hier direkt erfolgen, indem der »sanktionierte« Staat Medikamente, Instrumente, Geräte usw. beispielsweise wegen eines Totalembargos, Blockaden von Häfen oder Sanktionsdrohungen gegen Dritte nicht mehr importieren kann, oder indirekt, weil ihm aufgrund der Maßnahmen die finanziellen Mittel fehlen.

wsk-Rechte als gleichrangige, vollwertige Menschenrechte

In der öffentlichen Diskussion um WS gerät leicht aus dem Blick, dass es sich nicht zuletzt bei den wsk-Rechten um vollwertige Menschenrechte handelt. Einstimmig bzw. einmütig (ohne Gegenstimmen) hat sich die globale Staatengemeinschaft seit der ersten internationalen UN-Konferenz über Menschenrechte in Teheran (1968) in zahlreichen Resolutionen zu den verbindlichen menschenrechtlichen Grundsätzen bekannt und die für die Anerkennung als Völkergewohnheitsrecht erforderliche, allgemein als Recht anerkannte Übung (Art. 38 Abs. 1 Ziff. 2 IGH-Statut) bestätigt.

So heißt es bereits in der Teheraner Erklärung (UN 1968): Die volle Verwirklichung der bürgerlichen und politischen Rechte ist ohne den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nicht möglich“. In der Abschlusserklärung der Wiener Weltkonferenz über Menschenrechte 1993 sind sich die Staaten einig, „alle Menschenrechte sind universell, unteilbar, interdependent und miteinander verbunden. Die internationale Gemeinschaft muss die Menschenrechte weltweit fair und gleichberechtigt behandeln, auf derselben Grundlage und mit demselben Nachdruck.“ (UN 1993)

Wenngleich nur die Abwehr- und die Schutzdimension, beispielsweise im Fall von Diskriminierungsverboten, unmittelbar umsetzbar ist, handelt es sich auch bei der Gewährleistungsdimension auch bei wsk-Rechten um vollwertige Menschenrechte. Für sie gilt nach dem Grundsatz der Progressivität der Umsetzung der wsk-Rechte ein Rückschrittsverbot. Einmal erreichte Standards dürfen zum Beispiel nur aus zwingenden Gründen zurückgenommen werden (Krennerich 2016). Wenngleich die Beeinträchtigung der staatlichen Handlungsfähigkeit Rückschritte bei den sanktionierten Staaten grundsätzlich rechtfertigen kann, stellt sich hier die Frage, ob nicht die sanktionierenden Staaten mittelbar Menschenrechtsverletzungen begehen.

Öffentliche Aufmerksamkeit fehlt dem Thema jedenfalls aus mehreren Gründen: die USA als mächtigster Anwender von WS sind nicht Vertragsstaat des UN-Sozialpakts, sodass die Überprüfung durch den zuständigen UN-Ausschuss für wsk-Rechte nicht erfolgen und die innerstaatliche gerichtliche Überprüfung nur auf allgemeines Völkerrecht zurückgreifen kann. Auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte kann nicht angerufen werden, da die USA (und Kanada) auch die Amerikanische Menschenrechtskonvention nicht ratifiziert haben. Aufgrund des Fehlens einer internationalen Gerichtsbarkeit spielen wsk-Rechte zudem in der juristischen Ausbildung auch in Deutschland kaum eine Rolle. Immerhin widmen sich auf UN-Ebene der Menschenrechtsrat sowie der Ausschuss für wsk-Rechte, ein mit hochangesehenen Völkerrechtler*innen besetztes Gremium, der Aufsicht über die Staaten.

Extraterritoriale und internationale Pflichten im Bereich der wsk-Rechte

Was ist nun der völkerrechtliche Diskussionsstand zu Menschenrechtsverletzungen durch Wirtschaftssanktionen?

Grundsätzlich sind nach dem System der Menschenrechtsabkommen die Staaten im Verhältnis zueinander verpflichtet, innerhalb ihrer Staatsgebiete die Trias aus Achtung, Schutz und Gewährleistung umzusetzen. Allerdings kommen ihnen nach dem Völkerrecht auch über ihr Staatsgebiet hinausstrahlende, sogenannte extraterritoriale Pflichten zu. Der Stand des Völkerrechts wurde hier insbesondere von einer Vielzahl von Völkerrechtsexpert*innen mit langjährigen Erfahrungen in verschiedenen UN-Organen, großen NGOs und der Wissenschaft in den »Maastrichter Prinzipien über extraterritoriale Pflichten der Staaten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte« zusammengestellt (Network ETO Consortium 2013).

Nach den Maastricht-Prinzipien umfassen die allgemeinen Verpflichtungen aller Staaten zur Achtung, zum Schutz und zur Erfüllung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte außerhalb des Hoheitsgebiets des jeweiligen Staates Situationen, in denen der handelnde Staat Kontrolle oder Autorität über ein anderes Land ausübt – ein Beispiel ist die Besetzung Afghanistans. Die gleiche Verantwortung gilt aber auch für Handlungen mit vorhersehbaren Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Menschenrechte in anderen Gebieten und wenn ein Staat in der Lage ist, Einfluss auf die Verwirklichung von Menschenrechten in anderen Gebieten zu nehmen oder dementsprechende Maßnahmen zu ergreifen (Prinzip 9).

Prinzip 13 der Maastricht-Prinzipien stellt fest, dass die Staaten verpflichtet sind, „keine Handlungen oder Unterlassungen vorzunehmen, die die tatsächliche Gefahr mit sich bringen, dass die Wahrnehmung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte außerhalb des Hoheitsgebiets zunichte gemacht oder beeinträchtigt wird.“ Dabei sind auch Verfahren einzuführen und zu beachten, die regelmäßig die Risiken und potentiellen extraterritorialen Auswirkungen ihrer Maßnahmen unter Beteiligung der Öffentlichkeit bewerten und evaluieren, um Rechtsverletzungen zu verhindern. Daneben müssen den Betroffenen auch Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, um widerrechtliche Maßnahmen unterbinden zu lassen (Prinzip 14).

Eine rechtliche Verantwortung der Staaten ist dann gegeben, wenn die Aushöhlung oder Beeinträchtigung eines Menschenrechts eine vorhersehbare Folge ihres Verhaltens ist. Die Ungewissheit über mögliche Auswirkungen rechtfertigt ein solches Verhalten nicht. Vorhersehbare Risiken für die Menschenrechte müssen also vermieden werden.

In Bezug auf »Sanktionen« heißt es im Maastricht-Prinzip Nr. 22 ausdrücklich: „Die Staaten müssen von Maßnahmen wie Embargos oder anderen Wirtschaftssanktionen absehen, die dazu führen würden, dass der Genuss wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte zunichte gemacht oder beeinträchtigt wird. Werden Sanktionen zur Erfüllung anderer völkerrechtlicher Verpflichtungen [gemeint sind v.a. Sicherheitsratsbeschlüsse] verhängt, so müssen die Staaten sicherstellen, dass die Menschenrechtsverpflichtungen bei der Ausgestaltung, Umsetzung und Beendigung jeder Sanktionsregelung in vollem Umfang beachtet werden. Die Staaten müssen unter allen Umständen von Embargos und gleichwertigen Maßnahmen gegen Waren und Dienstleistungen absehen, die für die Erfüllung der [menschenrechtlichen] Kernverpflichtungen wesentlich sind.“

Der Begriff »Maßnahme« umfasst neben Blockaden, Embargos, Handelsverboten und anderen Mechanismen, die heute üblicherweise als »Sanktionen« bezeichnet werden, auch „Drohungen, Druck oder Anreize für derartige Handlungen“. Dies zielt insbesondere auf die Übererfüllung (»Over-Compliance«) oder Vorsichtsmaßnahmen von Unternehmen ab, die ihren Handel mit »geächteten« Staaten schon in Folge von Drohungen einstellen. Obwohl das Maastricht-Prinzip 22 die Zulässigkeit einseitiger wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen (»Sanktionen«) nicht von vornherein verwirft, unterstreicht es, dass jede derartige Maßnahme in Einklang mit dem Sozialpakt stehen muss und aus Menschenrechtsperspektive nur EZM unproblematisch sind, die sich nicht auf die wsk-Rechte auswirken (Schutter et al. 2012, S. 1131).

Laut einer relativ früh entwickelten Regel des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der zur Überwachung des Sozialpakts eingesetzt ist, müssen die Staaten Embargos und ähnliche Maßnahmen unterlassen, die die Versorgung mit Wasser, Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung sowie mit Gütern und Dienstleistungen gefährden, die für die Sicherung der wsk-Rechte wesentlich sind (UN-CESCR 1997, Ziff. 3).

Geltung bei fehlender Ratifizierung: der Fall USA

Ein besonderes Problem in diesem Zusammenhang stellen die USA dar. Als einer von wenigen Staaten weltweit haben sie den UN-Sozialpakt zwar 1977 während der Carter-Administration unterzeichnet, ihn aber – anders als beispielsweise alle EU-Mitglieder – nie ratifiziert. Damit entfaltet er keine völkervertragsrechtliche Geltung. Allerdings spricht vieles dafür, dass die Kerninhalte des Sozialpaktes gewohnheitsrechtlich gelten und damit auch für die USA verbindlich sind.

So stellen die materiellen Regelungen des Sozialpaktes, die auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte basieren, eine allgemeine, als Recht anerkannte Übung dar. 172 Staaten haben den Sozialpakt ratifiziert (Zivilpakt: 174), vier weitere haben ihn immerhin unterzeichnet, sodass die Inhalte von Zivil- und Sozialpakt als Konkretisierung der Menschenrechte betrachtet werden können, auf die in der UN-Charta und zahlreichen Erklärungen Bezug genommen wird. Lediglich 21 Staaten, von denen 14 weniger als eine Million Einwohner*innen haben, haben den Sozialpakt weder ratifiziert noch unterzeichnet. Die fehlende Ratifizierung kann aufgrund der positiven bzw. neutralen Abstimmung bei Grundsatzerklärungen seitens dieser Staaten nicht als Ablehnung der Menschenrechtsstandards gesehen werden, sondern eher als Vorbehalt gegen die vertraglichen Überwachungsmechanismen. Entsprechend lassen die Erklärungen eine für das Entstehen von Völkergewohnheitsrecht erforderliche, von einem Rechtsbindungswillen getragene Praxis erkennen, für die ggf. schon die unwidersprochene, wiederholte Erklärung ausreichen kann.

Der Globale Süden als Hauptbetroffener von Wirtschaftssanktionen

Einseitige Zwangsmaßnahmen in Form von Wirtschaftssanktionen beeinträchtigen typischerweise die Menschenrechte insbesondere in Staaten des Globalen Südens. Dabei werden insbesondere staatliche Schutzpflichten durch Schwächung von Institutionen sowie Gewährleistungspflichten in Mitleidenschaft gezogen. WS gegen ökonomisch verletzliche Staaten resultieren für gewöhnlich in Beeinträchtigungen der sozialen Sicherungssysteme, Bildung, Gesundheit, aber auch der Stabilität von Arbeitsverhältnissen sowie der den Lebensunterhalt sichernden Einkommen.

Wenngleich in den letzten zwei Jahren vor allem Russland in Bezug auf Sanktionen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, sind es nämlich in erster Linie Staaten des Globalen Südens bzw. ehemalige westliche Kolonien, die von EZM ökonomisch übermächtiger Staaten bzw. supranationaler Akteure (bspw. EU) betroffen sind. WS sind daher insbesondere im postkolonialen Kontext zu verorten. Das betrifft gleich mehrere Dimensionen kultureller, wirtschaftlicher, sozialer und politischer Natur.

Postkolonialismus heißt nicht lediglich, dass einige Staaten ehemalige Kolonien sind, sondern vielmehr, dass die auf unterschiedlichen kulturellen Ebenen entwickelten kolonialen Prägungen der betroffenen Gesellschaften weiterhin einflussreich sind. Das gilt zunächst für die »Epistemologie« bzw. Erkenntnistheorie und daraus erwachsende institutionelle Arrangements (u.a. Regierungs- und Demokratieverständnisse).

Auf den zweiten Blick fällt allerdings auch auf, dass die Wirtschaftsstrukturen der typischen Adressat*innen westlicher WS bis heute kolonial bzw. imperial geprägt sind. Während westliche Ökonomien typischerweise stark differenziert sowie in Schlüsselbereichen (Landwirtschaft, Kernindustrien) auf einen hohen Grad an Selbstversorgung ausgerichtet und daher in relativ geringem Maße anfällig für einseitige Zwangsmaßnahmen sind, sind viele Ökonomien des Globalen Südens seit Kolonialzeiten auf den Export weniger Rohstoffe spezialisiert. Zugleich sind sie noch immer abhängig von verarbeiteten westlichen Produkten und Dienstleistungen. Daraus resultiert eine starke Anfälligkeit für gezielte Zwangsmaßnahmen (»targeted sanctions«), die beispielsweise in Venezuela mit wenigen Bausteinen fast die gesamte formelle Ökonomie des Landes gelähmt bzw. sogar zerstört haben.

Dem korrespondieren formale Sozialsysteme, die insbesondere eine hohe direkte (finanzielle) Abhängigkeit vom Staat und dessen Konzessions- oder Verkaufseinnahmen aufweisen. WS werfen die Gesellschaften wieder auf die erweiterte Familie zurück, die mit Ausnahme des Bildungs- und Gesundheitssystems traditionell zentrale Funktionen des Sozialsystems übernimmt. Wenn der Staat Gesundheitsversorgung und Bildung sanktionsbedingt nicht mehr sicherstellen kann, werfen WS Gesellschaften so tendenziell in vormoderne Entwicklungsstadien zurück.

Bereits die Konferenz von Bandung 1955, die Vorläuferin der Bewegung der Blockfreien Staaten war, nannte das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker Voraussetzung der vollen Verwirklichung der Menschenrechte. Die Konferenzen der Bewegung der Blockfreien Staaten wiederholten und vertieften diese Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Entwicklung und Unabhängigkeit von Einschüchterung, Einmischung und Intervention und schrieben sich mit diesen Prinzipien u.a. in die jeweiligen Art. 1 des Zivil- und des Sozialpaktes ein. Spätestens seit Beginn des Embargos gegen Kuba 1960 wird dabei zugleich auch ein Kampf der Staaten des Globalen Südens gegen einseitige Zwangsmaßnahmen westlicher Staaten gekämpft, um volle Souveränität und die tatsächliche Realisierung von Menschenrechten zu ermöglichen. Der Kampf gegen EZM und die Nutzung von WS durch den Westen besitzt entsprechend einen dekolonialen Charakter, während die Nutzung dieser Systeme in kolonialer bzw. imperialistischer Tradition stehen. Dass vermeintlich »Rechtsstaatlichkeit« und eine »neue« Weltordnung wie im Fall des Irak mithilfe eines sanktionsbedingten Hungerregimes gegen eine wehrlose Bevölkerung durchgesetzt werden sollen, steht in kolonialistischer bzw. imperialistischer Tradition (Hammoudi 2019).

Menschenrechtskonforme Sanktionen?

WS sind zwar nicht automatisch menschenrechtswidrig, sie sind jedoch einer strengen menschenrechtlichen Kontrolle zu unterziehen. Diese muss vor Erlass von WS sowie regelmäßig nach ihrem Erlass unter Berücksichtigung realistischer Erwartungen bzw. tatsächlicher Entwicklungen erfolgen und verhindern, dass eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Menschenrechte erfolgt oder zu erwarten ist. Unantastbar ist dabei der Kern der jeweiligen Menschenrechte. Weder dürfen Staaten der ökonomischen Grundlagen ihrer Existenz und damit der Grundlagen der Sicherung der Menschenrechte ihrer Bewohner*innen beraubt werden, noch dürfen WS unmittelbar in Kernbereiche spezifischer Menschenrechte eingreifen, indem beispielsweise das Gesundheits- oder Bildungssystem funktionsunfähig bzw. Todesfälle provoziert oder grundlegende Bildungswege verunmöglicht werden.

Dabei ist nicht nur der Grad der Gewährleistung der Menschenrechte stark abhängig vom wirtschaftlichen Entwicklungsstand der jeweiligen Staaten. Vielmehr hängt die Entfaltung vieler Menschenrechte auch am Weltmarktzugang. Das Abschneiden davon durch WS westlicher Staaten im Namen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten steht in kolonialer, imperialistischer Tradition. Aus menschenrechtlicher, aber auch aus rechtsstaatlicher und demokratischer Perspektive sind solche WS in der Praxis daher praktisch durchweg schädlich.

Literatur

Carneiro, C. (2014): Economic sanctions and human rights: an analysis of competing enforcement strategies in Latin America. Revista Brasileira de Política Internacional 57, S. 197-215.

Hammoudi, A. (2019): Iraq, Imperialism, Political Economy, and International Law. In: Ness, I.; Cope, Z. (Hrsg.): The Palgrave Encyclopedia of Imperialism and Anti-Imperialism. London: Palgrave, S. 1-18.

International Commission of Jurists u.a. (1987): Limburg Principles on the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights. Human Rights Quarterly 9(2), S. 122-135.

Krennerich, M. (2016): Soziale Menschenrechte: Zwischen Recht und Politik. Frankfurt a.M.: Wochenschau Verlag.

Mulder, N. (2022): The Economic Weapon: The Rise of Sanctions as a Tool of Modern War: Yale University Press.

Network ETO Consortium (2013): Maastricht Principles on Extraterritorial Obligations of States in the Area of Economic, Social and Cultural Rights. Online unter: etoconsortium.org/en/the-maastricht-principles.

Schutter, O. de, et al. (2012): Commentary to the Maastricht principles on extraterritorial obligations of states in the area of economic, social and cultural rights. Human Rights Quarterly 34(4), S. 1084-1169.

UN (1968): Proclamation of Tehran. A/CONF.32/41.

UN (1993): Vienna Declaration and Programme of Action. A/CONF.157/23.

UN-CESCR (1997): General Comment No.12. The relationship between economic sanctions and respect for economic, social and cultural rights.

Zum Hungerkrieg mutiert

UN-Sanktionen gegen den Irak (1990-2010) und das humanitäre Völkerrecht

von Gerhard Baisch

So umstritten Sanktionen in der aktuellen Debatte sind: unangefochten völkerrechtlich zulässig erscheinen die vom UN-Sicherheitsrat (im Folgenden SR) nach Kap. 7 der UN-Charta beschlossenen Sanktionsregime. Als 1990 der Irak Kuwait besetzte und annektierte, verhängte der SR einen umfassenden Wirtschaftsboykott, der mit seinen verheerenden Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung das ganze UN-System in Misskredit gebracht hat.1 Wie konnte es durch die Sanktionen unter der Ägide des SR zu einer derartigen Hungerkata­strophe kommen? Hierzu muss zunächst die wirtschaftliche Lage des Irak im Jahr 1990 bestimmt und danach die Entwicklung des Sanktionsregimes verfolgt werden, um in einem letzten Schritt untersuchen zu können, warum die Sanktionen solch eine fatale Wirkung entfalteten.

Lage des Irak vor dem Jahr 1990

Der Irak war vor dem ersten Golfkrieg gegen Iran 1980 ein modernes Industrieland von 18 Mio. Einwohner*innen, mit einer gut ausgebildeten Oberschicht, einem leistungsfähigen Gesundheitssystem und riesigen Ölreserven. Die Hälfte des Bruttosozialproduktes wurde mit der Ölförderung und dessen Export erzielt; allein 90 % der Exporteinnahmen stammten aus Ölverkäufen. Die Landwirtschaft war auf Bewässerung angewiesen und konnte die Bevölkerung ohnehin nur teilweise versorgen; fast 85 % der Lebensmittel mussten importiert werden. Der Irak hatte unter Saddam Hussein am 22.9.1980 den ersten Golfkrieg begonnen, in dem er Iran angriff, und parallel Kriege gegen die Kurden im Norden und die Schiiten im Süden führte. Als der Krieg nach acht Jahren beendet wurde, lagen beide Länder am Boden. Der Irak beklagte mindestens 375.000 Todesopfer. Der Krieg hatte die letzten irakischen Währungsreserven in Höhe von 36 Mrd. $ aufgebraucht und hatte das Land zusätzlich mit über 80 Mrd. $ Krediten verschuldet, die es vor allem von Saudi-Arabien und Kuwait erhalten hatte. Insgesamt beliefen sich die irakischen Verluste durch den Krieg wohl auf 452,6 Mrd. $ (Rogalski 2001, S. 8). Mit Kriegsende stellten Saudi-Arabien und Kuwait ihre bisherigen Zahlungen an den Irak ein. Kuwait forderte darüber hinaus die sofortige Rückzahlung von Krediten in Höhe von ca. 15 Mrd. $, während der Irak seinerseits von den beiden Staaten u.a. einen Schuldenerlass und einen zusätzlichen Kredit über 30 Mrd. $ verlangte. Die beiden Länder verweigerten nicht nur jegliche Hilfe, sondern verschärften die Lage des Iraks noch durch eine verstärkte Ölförderung, wodurch die Weltmarktpreise sanken.

In dieser Situation versuchte der Irak, seine Probleme gewaltsam zu lösen, und besetzte am 2.8.1990 das benachbarte Kuwait, um es zu annektieren. Der SR reagierte umgehend und forderte mit UN-SR Res. 660 (1990) den sofortigen Rückzug des Iraks. Als Saddam Hussein nicht reagierte, verhängte der SR am 6.8.1990 mit Res. 661 ein vollständiges Handels- und Finanzembargo. Ausgenommen waren Lieferungen und Zahlungen für rein medizinische Zwecke und – in humanitären Fällen – für Nahrungsmittel.“ Ein Sanktionskomitee des SR sollte die Durchführung der Resolution überwachen und im Einzelfall feststellen, ob die Lebensmittelnotlage konkret einen »humanitären Fall« darstellen würde. Die Resolution wurde mit 13:0 Stimmen (Kuba und Jemen enthielten sich) verabschiedet.

Die Blockade traf den Irak hart, zumal er für seine Nahrungsmittelimporte auf die Devisen aus den Ölverkäufen angewiesen war. Bereits nach sechs Wochen der Blockade wurden dem Ausschuss von verschiedenen Seiten Versorgungsengpässe der irakischen Bevölkerung gemeldet. Die drastische Verknappung von Lebensmitteln war die direkte Folge des Embargos. Die Nahrungsnotlage fast der gesamten Bevölkerung des Irak war zum Jahresende 1990 dann schon manifest.

Die Folgen des zweiten Irakkriegs

Trotz der harten Sanktionen lenkte Saddam Hussein nicht ein. Die USA setzten daher auf Krieg. Mit Resolution 678 forderte der Sicherheitsrat am 29.11.1990 den Irak ultimativ auf, den bisherigen Resolutionen bis zum 15. Januar 1991 nachzukommen. Anderenfalls ermächtigte der Sicherheitsrat die Koalition der Kuwait unterstützenden Staaten, „alle erforderlichen Mittel einzusetzen.“ Am 17. Januar 1991 begann der Luftkrieg mit 2.000 Einsätzen allein in den ersten 24 Stunden im gesamten Irak. In nur wenigen Stunden war die Stromversorgung zu 90 % zerstört.

Der Überlebensfähigkeit der irakischen Industriegesellschaft wurde absichtlich größtmöglicher Schaden zugefügt (AlSammawi 2006, S. 77). Systematisch wurden die Telefonverbindungsstationen zerstört, 139 Auto- und Bahnbrücken sowie Staudämme wurden beschädigt und Wasserpumpstationen, Klär- und Wiederaufbereitungsanlagen vernichtet, sodass das Abwasser ungeklärt in die Flüsse gelangte, aus denen die Trinkwasserversorgung erfolgte. In der Landwirtschaft, die zu ca. 50 % auf Bewässerungssysteme angewiesen ist, verendeten 3,5 Mio. Schafe und 2 Mio. Rinder aus Futtermangel. Zerstört wurden neben Schulen und allen drei staatlichen Archiven auch 28 zivile Krankenhäuser. Unter den zerstörten Industriebetrieben rangierten alle drei Zementfabriken, drei Chlor-Fabriken zur Trinkwasseraufbereitung und Einrichtungen der Erdölindustrie. Der Schaden allein durch die Zerstörung der Infrastruktur des Iraks wurde auf mehr als 200 Mrd. $ geschätzt, die Kriegsverluste auf insgesamt 450 Mrd. $ (AlSammawi 2006, S. 79).

Am 23. Februar 1991 begann der Bodenkrieg, der rasch den Rückzug der irakischen Truppen aus Kuwait erzwang. Am 28. Februar 1991 erkannte der Irak die UN-Resolutionen an.

Statt Beendigung der Sanktionen neue Ziele

Nachdem Kuwait wieder die Souveränität und territoriale Unversehrtheit erlangt hatte, war das Ziel der Res. 661 des SR erreicht. Die Sanktionen wurden aber nicht aufgehoben, obwohl sich durch den Krieg die Situation für die Zivilbevölkerung massiv weiter verschlechtert hatte.

Mit Res. 687 vom 3.4.1991 traf der SR erwartbare ergänzende Regelungen zur Grenzfrage mit Kuwait und setzte eine 15km breite entmilitarisierte Zone und eine überwachende Beobachtereinheit der UN ein, die »United Nations Irak-Kuwait Observation Mission« (UNIKOM). Weiter statuierte er Regelungen zur Haftung des Iraks für alle Kriegsschäden in Kuwait infolge der Invasion und der Besetzung sowie u.a. zur Begleichung der Auslandsschulden des Iraks.

Mit dieser Resolution wurden die Embargomaßnahmen uneingeschränkt beibehalten, Ziel und Begründung aber völlig neu bestimmt. Jetzt sollten die Sanktionen die Entwaffnung des Iraks sichern: gefordert wurden die Einhaltung des Giftgasprotokolls von 1925, die Ratifizierung des (vom Irak schon unterzeichneten) Biowaffen-Übereinkommens von 1972, der Beitritt zum (noch nicht verabschiedeten!) Chemiewaffen-Übereinkommen, Einschränkungen der Verwendung von ballistischen Flugkörpern und die Beendigung angeblicher Verstöße gegen den Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag.

Unklar bleibt, wie sich diese neuen Ziele aus Res. 687 zum Friedenssicherungsauftrag des SR verhalten. Sanktionen kann der SR nur verhängen, um eine drohende Gefahr für den Weltfrieden oder eine Friedensverletzung abzuwenden. Er ist nicht berechtigt, irgendwelche völkerrechtlichen Verpflichtungen eines Staates mit Sanktionen durchzusetzen (Graefrath 2002, Ziff. 6). Außerdem enthielt die Resolution keinerlei Ermächtigung mehr für die Anwendung militärischer Gewalt, etablierte aber „ein System der Kontrollen, Überwachung und ökonomischen Sanktionen, das praktisch das gesamte wirtschaftliche Leben einem protektoratsähnlichen Regime unterwarf“ (Paech 2003, S. 5).

Zur Rechtfertigung benannte der SR als Ziel: „Schritte in Richtung auf das Ziel der Schaffung einer von Massenvernichtungswaffen und allen Flugkörpern zum Einsatz dieser Waffen freien Zone im Nahen Osten sowie in Richtung auf das Ziel eines weltweiten Verbots chemischer Waffen“ (Res.687 Teil C, Ziffer 14). Doch weshalb für das Erreichen dieser Ziele nun allein der Irak ins Visier genommen wurde, bleibt offen. Außerdem waren Einschränkungen der Versorgung mit Nahrungs- und sonstigen Lebensmitteln ohne Relevanz für die jetzt eingeforderten Abrüstungsmaßnahmen, Sanktionen insoweit also wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ohnehin unzulässig. Insgesamt ist die Verlängerung der ökonomischen Sanktionen über den April 1991 hinaus als völkerrechtswidrig anzusehen (Paech 2003, S. 5).

Für die Inspektionen wurde eine Sonderkommission (»United Nations Special Commission« – UNSCOM, später »United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission« – UNMOVIC) gebildet, die die beanstandeten Gegenstände übernehmen und vernichten sollte. Die Wirtschaftssanktionen aus Res. 661 sollten erst nach Feststellung der Auflagen­erfüllung außer Kraft treten. Die USA und Großbritannien verhinderten mehrfach eine entsprechende Feststellung per Veto mit dem Argument, ihrer Auffassung nach seien noch nicht alle Maßnahmen gänzlich abgeschlossen.

Sanktionen als Hungerkrieg

Nach Ansicht des UN-Beauftragten Martti Ahtisaari, der unmittelbar nach dem Krieg im März 1991 mit einer Mission in den Irak geschickt wurde, um den humanitären Bedarf der Bevölkerung festzustellen, wurde das Land in „ein vorindustrielles Zeitalter zurückgeworfen“ (Ahtisaari 1991, Abs. 8). Der Irak hätte sich wirtschaftlich nach und nach nur erholen können, wenn dem Land seine Erlöse aus dem Ölexport (1990 noch 17 Mrd. $) wieder zugekommen wären. Dies zu vermeiden war jedoch „Kernstück der Sanktionskonstruktion“ (Burghardt 2001, S. 14). An dem strengen Sanktionssystem inklusive Ausfuhrboykott für Ölprodukte und Beschlagnahme aller Auslandsguthaben hielt der SR fest – die wesentliche Ursache für die einsetzende humanitäre Katastrophe. Soweit Einschränkungen des Embargos für Lebensmittel und andere dringend benötigte Güter vorgenommen wurden, erleichterte man zudem nur zeitweise und in ungenügendem Umfang den Import, anstatt die landeseigene Produktion, die auch Arbeit und Einkommen gewährleistet hätte, wieder in Gang zu bringen (Rogalski 2001, S. 11).

Dies hatte zur Folge, dass der Import von Nahrungsmitteln seit August 1990 von bisher monatlich 343.000t bis Januar 1991 auf 135.000t fiel (AlSammawi 2006, unter 5.2.2). Ab September 1990 waren Nahrungsmittel rationiert. In den Folgejahren sanken die staatlichen Kalorienzuteilungen von 3.129 (1990) auf 1.093 (1995) täglich. Außerdem enthielten die verteilten Lebensmittel wenig tierische oder pflanzliche Proteine. Entgegen den Ankündigungen des SR, für ausreichend Lebensmittel zu sorgen, wurde die Ernährungslage fortlaufend schlechter. Nach einer Studie der FAO starben bereits bis 1995 über 1 Mio. erwachsene Iraker*innen und 567.000 Kinder infolge der Sanktionen (FAO 1995), im Wesentlichen an Unterernährung und Darminfektionen durch verseuchtes Trinkwasser (Sponeck 2002).

Das restriktive Einfuhrverbot für Technologien, auch zur friedlichen Nutzung, wie medizinische und sanitäre sowie Haushaltsgeräte, trug massiv zur wachsenden Not bei. Die landwirtschaftliche Produktion wurde durch Einfuhrverbote für Pestizide, Insektizide und Düngemittel, aber auch Chemikalien zur Trinkwasseraufbereitung stark behindert. Viele Produkte wurden zu Dual-Use-Gütern bestimmt und ihre Einfuhr insgesamt verboten. Auffallend ist, dass sich nach 1992 der SR mehrere Jahre hindurch nicht mehr zur wachsenden Hungerkatastrophe äußerte, bis 1995 mit der Res. 986 das sogenannte »Oil-for-Food«-Programm ins Leben gerufen wurde, das man aber erst 1997 umsetzte. Für alle Verzögerungen wurde vom SR die irakische Regierung verantwortlich gemacht.

Das Sanktionskomitee beharrte darauf, anstelle von Listen alle Beschaffungsprozeduren einzeln zu prüfen, was zu großen Verzögerungen und vielen Ablehnungen führte. Bis Anfang 2002 waren von den USA Warenbestellungen im Wert von 4,9 Mrd. $ blockiert worden, meist mit der Behauptung der Dual-Use-Möglichkeit, anstatt die Güter zu liefern und ihre Verwendung zu kontrollieren (Sponeck 2002).

Der Irak stemmte sich zwar anfangs gegen die in Res. 687 verhängten Abrüstungsmaßnahmen. Auch gab es immer wieder Streit um die Inspektionen von UNSCOM und der internationalen Atomenergiebehörde IAEO. Dennoch kamen die Arbeiten bei der Vernichtung von Materialien und fertigen Waffen aus dem Bereich der A-, B- und C-Waffen voran (Rogalski 2001, S. 7). 1997 erklärte die zuständige IAEO ihre Arbeit für die Unterbindung des irakischen Atomwaffenprogramms für abgeschlossen, 1998 auch die UNSCOM weitestgehend bezüglich der Bio- und Chemiewaffen. Damit waren die Ziele der Res. 687 erreicht, die als Begründung für die Fortdauer der Sanktionen herhalten mussten. Aber die USA und Großbritannien stimmten ihrer Aufhebung weiterhin nicht zu. Mit Res. 1284 vom 17.12.1999 wurde nur die zeitweise Suspendierung der Sanktionen für die Kooperation mit weiteren Inspektionen in Aussicht gestellt. In dieser Phase traten drei führende UN-Beamte für Hilfsprogramme (Dennis Halliday 1997, Hans von Sponeck im Februar 2000 und schließlich Jutta Burghardt im März 2000) aus Protest gegen die unerbittlich weiter aufrecht erhaltenen Sanktionen zurück. In der Zeit von 1996 bis Ende September 2000 durften von 34 Mrd. $ Erlösen aus den Ölexporten nur 25 %, also 8,5 Mrd. $, für die Grundversorgung eingesetzt werden (AlSammawi 2006, S. 96), das waren im Ergebnis 6 $ monatlich pro Einwohner*in.

Der Irak hatte begriffen, dass die USA die Sanktionen nicht aufheben wollten und daher den Abschluss der Abrüstungsmaßnahmen immer wieder hinauszögerten. Obwohl die USA nicht offen bekannten, dass sie eigentlich Saddam Hussein entmachten wollten, war jetzt die Absicht des Regime-Change als eigentliches Ziel der Sanktionen unverkennbar; die USA hatten sogar ein Kopfgeld von 87 Mio. $ auf den irakischen Machthaber ausgesetzt. Nach dem 11.9.2001 drängten die USA unter Präsident Bush auf einen neuen Irak-Krieg. Am 20.3.2003 begann der Angriff der USA ohne Ermächtigung des SR, offen völkerrechtswidrig. Spätestens mit dem am 1.5.2003 verkündeten Ende des 3. Irakkrieges war die Grundlage des UN-Sanktionsregimes entfallen. Mit Res. 1483 hob der Sicherheitsrat am 22.5.2003 endlich die Wirtschaftssanktionen aus dem Embargo vom 6.8.1990 auf. Erst mit Res. 1762 vom 29.6.2007 wurde das Mandat der Waffeninspektoren beendet, mit Res. 1957 vom 15.12.2010 schließlich auch die in der Res. 687 im Jahr 1991 verhängten weiteren Maßnahmen.

Sicherheitsrat selbst gebunden

Der Sicherheitsrat leitet seine Autorität von der UN-Charta ab. Kap. VII der Charta ermächtigt ihn, zur Friedenssicherung u.a. Wirtschaftssanktionen zu verhängen (Art. 41 UN-Charta). Diese müssen die Staaten befolgen, selbst wenn sie dadurch mit anderen vertraglichen Bindungen in Konflikt geraten (Art. 2 Ziff. 5 , Art. 103 UN-Charta). Auch die Macht des SR ist jedoch begrenzt durch die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht. Denn der SR agiert nach Art. 24 Abs. 2 UN-Charta „im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen“. Diese finden sich insbesondere in den Art. 1 und 2 sowie 55 der UN-Charta. Zu deren fundamentalen Zielen gehört die Förderung und Festigung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle“ (Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta). Daraus ergibt sich, dass der SR auch bei der Verhängung von Sanktionen zwingende Normen des Völkerrechts oder grundlegende Menschenrechte nicht verletzen darf (Graefrath 2002, Ziff.16; Paech 2003, S. 9; Piotrowicz und Zanetti 2004, S. 276).

Der vorhersehbare und vermeidbare Tod von hunderttausenden von Kindern war vor allem eine Verletzung der Rechte auf Leben, auf Gesundheit und soziale Sicherheit, statuiert durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) und konkretisiert in den Internationalen Pakten über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) sowie dem über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt, 1966), dazu in internationalen Verträgen wie dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (1989). Im Kontext der Sanktionen ist ebenso an das humanitäre Völkerrecht, konkret an Art. 54 des 1. Zusatzprotokolls vom 8.6.1977 zum Genfer Abkommen vom 12.8.1949 zu erinnern, der das Aushungern von Zivilpersonen als Mittel der Kriegsführung ausdrücklich verbietet.

Folgerungen für die UN-Sanktionen

Die furchtbaren Auswirkungen der UN-Sanktionen auf die Zivilbevölkerung im Irak lagen offen zutage. Weltweit gab es angesichts hunderttausender Opfer im Irak, für welche die USA und Großbritannien erfolglos versuchten, Saddam Hussein verantwortlich zu machen, heftige Proteste und sogar Völkermordvorwürfe (Bossuyt 2000, Ziff. 71). In der internationalen Diskussion setzte sich mehr und mehr die Überzeugung durch, dass die in der UN-Charta in Art. 41 u.a. vorgesehene gewaltlose friedenssichernde Maßnahme „vollständige Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen“, jedenfalls gegen ein auf Nahrungsmittelimporte angewiesenes Land mit einer großen Bevölkerung wie dem Irak, menschenrechtlich nicht zu verantworten sei (von Braunmühl 1998, S. 2).

Nachdem der Sicherheitsrat erleben musste, dass die Irak-Sanktionen gegen die Vetomacht der USA und Großbritanniens nicht eingeschränkt oder aufgehoben werden konnten, wurden Sanktionen danach vermehrt befristet, so dass ihre Verlängerung eines erneuten Beschlusses bedurfte. Die seinerzeit weit verbreitete Überzeugung, durch Sanktionen gegen die Bevölkerung einen Politikwandel des sanktionierten Systems bzw. seine Ablösung erreichen zu können, wurde im Irak nicht nur erneut widerlegt, sondern erwies sich als klar völkerrechtswidrig (Brzoska 2001, S. 58). Die Absage an die Sanktionsform »umfassende Wirtschaftsblockade« wurde zur Geburtsstunde eines neuen Sanktionssystems, der sogenannten »targeted sanctions«:

„Künftige Sanktionsregelungen sollten so gestaltet werden, dass die Chance, das Zielland zur Einhaltung der Resolutionen des Sicherheitsrates zu bewegen, maximiert wird, während die negativen Auswirkungen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung sowie auf benachbarte und andere betroffene Staaten minimiert werden“ (Generalsekretär der UN 2000).

Ins Visier genommen werden nun die verantwortlichen Politiker*innen, auch die sie unterstützenden Unternehmen, ihre Freizügigkeit beim Reisen, ihr Vermögen, usw. Details wurden erarbeitet auf den beiden Interlaken-Expertenseminaren (1998/1999). Zu deren Ergebnissen zählte auch die Erkenntnis, dass Finanzsanktionen besser wirken als Handelssanktionen, z.B. durch eingeschränkten Zugang zu Finanzmärkten, Zurückhalten von Krediten, Entzug von Entwicklungshilfe, u.a. (Elliott 1999, S. 189-192).

Im Jahr 2000 thematisierte der Sicherheitsrat selbst seine Sanktionspraxis und nahm sie auf seine regelmäßige Agenda. In der ersten Sitzung am 17. April 2000 unterstrichen die Ratsmitglieder die Notwendigkeit, die Gestaltung und Wirksamkeit von Sanktionen zu verbessern und sich mit den Herausforderungen bei ihrer Umsetzung, einschließlich ihrer unbeabsichtigten Folgen, zu befassen. Dies war auch nötig, da sich durch den verstärkten Zugriff auf die Finanzströme rasch ungewollte Folgen für die Versorgung der Zivilbevölkerung erneut – und eher noch verstärkt – einstellten. Vom Sicherheitsrat im Einzelfall beschlossene Ausnahmen beim Einfrieren von Vermögenswerten sollten z.B. die Bezahlung von Lebensmitteln, Versorgungsgütern oder Medikamenten im Rahmen von Hilfslieferungen sichern. Mit Resolution 2664(2022) beschloss der Sicherheitsrat zuletzt für alle aktuellen und künftigen Sanktionsregime, dass Zahlungen für solche Zwecke erlaubt sind und keinen Verstoß gegen das vom Rat oder seinen Sanktionsausschüssen verhängte Einfrieren der Vermögenswerte darstellen. Ob dieser nach Art. 25 UN-Charta auch die USA bindende Beschluss deren aus­ufernde Praxis unilateraler Finanzsanktionen beeinflussen wird, bleibt abzuwarten.

Fazit

Die umfassenden Wirtschaftssanktionen des SR gegen den Irak waren von Anfang an wegen der praktizierten vollständigen Unterbrechung der notwendigen Importe von Nahrungsmitteln unverhältnismäßig und rechtswidrig. Sie nach der Befreiung Kuwaits mit dem Ziel der Abrüstung speziell des Iraks aufrechtzuerhalten, war mit der friedenssichernden Funktion des Sicherheitsrats nicht begründbar und musste allein wegen der jahrelangen Fortsetzung der Sanktionen in eine Hungerkatastrophe führen. Der Sicherheitsrat verstieß dabei gegen die auch für ihn geltenden grundlegenden Menschenrechte. Für den von den USA und Großbritannien lange verdeckt angestrebten Regime-Change gab es keine völkerrechtliche Rechtfertigung, daher auch nicht für die selbst nach erfolgter Abrüstung dazu weiter eingesetzten Sanktionen.

Offiziell als Maßnahme zur Beseitigung irakischer Massenvernichtungswaffen verhängt, wurden die Sanktionen selbst zu einer solchen.

Anmerkung

1) W&F hat sich mit dem Dossier Nr. 37 im April 2001 (Steffen Rogalski und Jutta Burghardt »Irak: UN-Sanktionen und Menschenrechte«) schon einmal und ausführlicher mit dem Thema befasst, allerdings kaum mit den völkerrechtlichen Aspekten.

Literatur

AlSammawi, F. (2006): Die UN-Sanktionen gegen Irak und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung von 1990 bis 2003. Köln: Dissertationsschrift Universität zu Köln.

Athisaari, M. (1991): Report to the Secretary-General on humanitarian needs in Kuwait and Iraq in the immediate post-crises environment by a mission to the area led by Mr. Martti Athisaary. S/2236, 20.3.1991.

Bossuyt, M. (2000): The adverse consequences of economic sanctions on the enjoyment of human rights. E/CN.4/Sub.2/2000/33, United Nations – Economic and Social Council, 21.6.2000.

Bossuyt, M. (2012): The adverse.consequences of economic sanctions on the enjoyment of human rights. Zusammenfassung in 12 Thesen, Genf, 5.4.2012.

von Braunmühl, C. (1998): Sanktionen, die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln? Lehren aus der bisherigen UN-Sanktionspolitik. Vorgänge 142, Heft 2/1998, S. 1-7.

Brzoska, M. (2001): Der Schatten Saddams. Die Vereinten Nationen auf der Suche nach zielgerichteten Sanktionen. Vereinte Nationen, Heft 2/2001, S. 56-60.

Elliott, K. A. (1999): Analysing the Effects of Targeted Financial Sanctions. In: Swiss Federal Office for Foreign Economic Affairs (Hrsg.): 2nd Interlaken Seminar on Targeting United Nations Financial Sanctions, 29-31 March, 1999. Bern.

FAO (1995): Technical Report »Evaluation of food and nutrition situation in Iraq« – Executive Summary. TCP/IRQ/4552, 30.11.1995.

Generalsekretär der UN (2000): Report of the Secretary General on the work of the Organization. A/55/1, 30.8.2001.

Graefrath, B. (2001): Völkerrechtliche Aspekte der Irak-Sanktionen. Vortrag auf dem Internationalen Irak-Kongress in Berlin am 2.11.2002. Veröffentlicht vom Kasseler Friedensforum am 7.11.2002.

Paech, N. (2003): Die Rolle der UNO und des Sicherheitsrates im Irakkonflikt. APuZ B24-25 (Juni 2003), S. 35-44.

Piotrowicz, M.; Zanetti, C. (2004): Sanktionen und Menschenrechte – eine Auswertung des Bossuyt-Berichts. MenschenRechtsMagazin Heft 3/2004, S. 274-284.

Rogalski, S.; Burghardt, J. (2001): UN-Sanktionen und Menschenrechte. Dossier Nr. 37, Beilage zu W&F 2/2001.

Sponeck, H. (2001): Menschlich katastrophal, politisch wirkungslos – zehn Jahre Wirtschaftssanktionen gegen den Irak. In: Mutz, R.; Schoch, B.; Ratsch, U. (Hrsg.): Friedensgutachten 2001 (herausg. von IFSH, HSFK, FEST, BICC und INEF), Teil 3.4, S. 162-170.

Sponeck, H. (2002): Die Lebensumstände der irakischen Bevölkerung sind erbärmlich. Frankfurter Rundschau, 7.2.2002.

Keine Ausnahme für die Ausnahme

Die Wirkungslosigkeit europäischer Sanktions­ausnahmen für den syrischen Gesundheitssektor

von Tarek Mahmalat

Haben Ausnahmeregelungen eine Daseinsberechtigung, wenn sie in der Praxis wirkungslos sind?

Wirtschaftliche Instabilität, Gewalt, gezielte Bombardierung und die Instrumentalisierung von medizinischer Hilfe haben dazu geführt, dass das syrische Gesundheitssystem sich in einem kata­strophalen Zustand befindet. Die desolate Lage ist neben den »innen«politischen Gegebenheiten der Gewalteskalation seit 2011 aber auch eine Folge der einseitigen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen (im Folgenden: EZM) der Europäischen Union, der USA und anderer westlicher Staaten, die die Einfuhr von medizinischen Gütern wesentlich erschweren.1 Theoretisch ist der Gesundheitssektor von diesen EZM ausgenommen. Die Praxis zeichnet jedoch ein anderes Bild.

Divergenzen zwischen Theorie und Realität stellen ein Kernproblem von Zwangsmaßnahmen dar: Gemäß dem Text der europäischen EZM sollen diese wie ein chirurgischer Eingriff wirken und nur bestimmte Sektoren erfassen. In der Realität ähnelt es eher einem Schuss mit einer Schrotflinte; das Ziel kann zwar direkt mit dem Gewehr anvisiert werden – als Nebeneffekt erfasst der Schaden aber ohne Rücksicht alles um sich herum.

Europäische EZM: Syriens Ausgangslage

Es erscheint zunächst sinnvoll, sich den Beginn und die ursprünglich anvisierten Ziele der europäischen EZM zu vergegenwärtigen. Beginnen wir daher im Rat der Europäischen Union: Brüssel, 2011. Die europäischen Staats- und Regierungschefs reagierten auf die sich verschärfende Situation in Syrien im Zuge des Arabischen Frühlings mit fortlaufenden Erlassen restriktiver Maßnahmen. Erklärtes Ziel war die Eindämmung der Gewalt, was primär durch ein Waffenembargo gegen Syrien erreicht werden sollte. Um die Transaktionen mit Rüstungsgütern zu unterbinden, wurde deshalb ein Handelsverbot für Güter erlassen, die ganz oder teilweise für militärische Zwecke verwendet werden können (sogenannte Dual-Use-Güter). Dem syrischen Staat wurde zudem der Zugang zu Finanztransaktionen mit europäischen Banken verwehrt. EU-Finanzprodukte und Darlehen sowohl über die Europäische Investitionsbank als auch über private Akteure aus den EU-Mitgliedstaaten waren fortan der syrischen Regierung nicht mehr zugänglich. Zusätzliche handelsbezogene Beschränkungen wurden durch Verbote des Handels mit Luxusgütern und eine teilweise Aussetzung des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Syrien von 1977 vorgenommen (Olsen 2022, S. 112).

Erwähnt sei an dieser Stelle zum einen, dass nach der einschlägigen EU-Verordnung die »zuständigen Behörden« der Mitgliedstaaten für humanitäre Zwecke Ausnahmen von den Verboten gewährt bekommen können. Zum anderen ist der Gesundheitssektor von den Maßnahmen formal ausgenommen (Kanfash 2023, S. 11). Infolge der Sanktionspakete ist Syrien jedoch, gemessen an der Anzahl der verhängten Sanktionen, mit Stand Dezember 2023 nach Russland und Iran das am drittstärksten sanktionierte Land der Welt (Statista 2024).

Auswirkungen der EZM auf den syrischen Gesundheitssektor

Szenenwechsel: Damaskus. Vor dem Ausbruch des Krieges wies das syrische Gesundheitssystem einige der besten Gesundheitsindikatoren in der Region auf. So war Syrien im Gegensatz zu vielen Ländern in der Region auf dem besten Weg, die Millenniums-Entwicklungsziele in Bezug auf die Müttersterblichkeitsrate und die Kindersterblichkeitsrate zu erreichen (Sen und Faisal 2015, S. 316). Des Weiteren wurden in Syrien mehr als 90 % der lebenswichtigen Medikamente im Land selbst hergestellt, mit Ausnahme derjenigen für kritische Krankheiten wie Krebs, Diabetes und Bluthochdruck. Für die meisten Medikamente wurden die Preise vom Staat subventioniert und – vor dem Konflikt – sogar in mehr als 40 Länder exportiert (ebd., S. 319).

Diese Situation hat sich seit dem Ausbruch der Auseinandersetzungen und dem Erlass der EZM sowohl mittel- als auch unmittelbar geändert. Die »Nebeneffekte« der EZM, also die mittelbaren Folgen, sind ein Zusammenspiel aus »Over-Compliance«, Einfuhrbeschränkungen, der Dual-Use-Verordnung und den sehr eingeschränkten Möglichkeiten, auf legalem Weg Transaktionen mit Entitäten in Syrien vorzunehmen. Die sich überschneidenden Sanktionsregime haben so viele Zweifel und Unsicherheiten hinsichtlich der Einhaltung aller Maßnahmen hervorgerufen, dass Banken, Exporteure, Transportunternehmen und Versicherer fast vollständig auf Geschäfte mit Syrien verzichtet haben (Daher 2019, S. 12). Trotz Ausnahmeregelungen können daher syrische Pharmaunternehmen keine Produkte einführen, weil Banken und Handelsunternehmen nicht riskieren wollen, für ihre Beziehungen zu Syrien bestraft zu werden.

Verheerende Auswirkungen hat in diesem Kontext insbesondere die Dual-Use-Verordnung. Der Anwendungsbereich der Verordnung ist weit gefasst und betrifft unter anderem Rohre, Wasserpumpen sowie Ersatzteile für elektrische Generatoren und Industriemaschinen. Das führte unter anderem zu einem Ausfuhrverbot für chemische Produktionsanlagen – wie Reaktionsgefäße und Lagertanks – und für Chemikalien, die als Ausgangsstoffe für toxische chemische Stoffe verwendet werden können.

Des Weiteren sind die Preise für Medikamente durch die Einfuhrbeschränkungen nach Syrien erheblich gestiegen. Die Einfuhr von Waren über Beirut als einzig mögliche Handelsroute schlägt sich in den Lieferkosten nieder und verkompliziert die Logistik, die dadurch zudem fehleranfälliger wurde (Saeed 2021, S. 33).

Völkerrechtliche Kritik an der Sanktionspraxis

In den Plenarsälen in Genf und New York wird seit langem über die völkerrechtlichen Grenzen von EZM debattiert. Maßgeblich hierbei ist mitunter das Recht auf Gesundheit. Aus Art. 12 UN-Sozialpakt ergibt sich das Recht auf den Zugang zu einem funktionierenden Gesundheitssystem (Saul et al. 2016, S. 983) sowie auf den Zugang zu Arzneimitteln. Auf internationaler Ebene ergibt sich die Verpflichtung für Staaten, von Maßnahmen abzusehen, die das Recht auf Zugang zu Arzneimitteln für Personen in anderen Rechtsordnungen untergraben (Tobin 2013, S. 351).

Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat hinsichtlich EZM, die auf medizinische Ausrüstungen bzw. Medikamente gerichtet sind, daher bereits früh unmissverständlich Stellung bezogen:

„Die Vertragsstaaten sollten sich jederzeit der Verhängung von Embargos oder ähnlichen Maßnahmen enthalten, die die Versorgung eines anderen Staates mit angemessenen Medikamenten und medizinischer Ausrüstung einschränken. Beschränkungen für solche Güter sollten niemals als Mittel des politischen und wirtschaftlichen Drucks eingesetzt werden.“ (Committee on Economic, Social and Cultural Rights 2000, para. 41; meine Herv.)

Die EU würde im Fall Syriens im Zweifel auf die Ausführungen des UN-Ausschusses jedoch erwidern können, dass ihre EZM nicht direkt auf den Gesundheitssektor zielten und somit im Einklang mit Art. 12 des UN-Sozialpakts stünden. Durch die Ausnahmeregelung blieb der Gesundheitssektor jedoch, wie bereits zuvor dargelegt, nicht verschont.

Unter Anwendung der für die Sorgfaltspflichten der Staaten Maßstäbe setzenden, völkerrechtlich jedoch nicht bindenden sogenannten Maastrichter Prinzipien2 würde im vorliegenden Fall eine Verletzung des Rechts auf Gesundheit bereits dann vorliegen, wenn vorhersehbare Auswirkungen auf den tatsächlichen oder potenziellen Genuss des Rechts auf Gesundheit in einem anderen Staat zu erwarten sind (gemäß Prinzip 9 lit. b). Nach den Prinzipien würden die Verpflichtungen eines Staates nach den internationalen Menschenrechtsnormen tatsächlich ausgelöst werden können, wenn seine zuständigen Behörden wissen oder hätten wissen müssen, dass das Verhalten des Staates erhebliche Auswirkungen auf die Menschenrechte in einem anderen Staat oder Gebiet haben wird. Über die genauen Voraussetzungen einer solchen »Vorhersehbarkeitsprüfung« im Sinne der Maastrichter Prinzipen ließe sich sicher streiten. Die Autor*innen der Maastrichter Prinzipien nehmen dazu leider nur vage Stellung (De Schutter et al. 2012, S. 1109).

Hinsichtlich des syrischen Gesundheitssektors spielen die genauen Voraussetzungen einer Vorhersehbarkeitsprüfung jedoch keine Rolle und müssen daher nicht genauer definiert werden. Denn aus der Perspektive der EU waren die Nebenfolgen der Zwangsmaßnahmen vorhersehbar: Syrien ist nicht das erste Land, das Adressat von Zwangsmaßnahmen mit Ausnahmeregelungen geworden ist. Wissenschaftler*innen haben in der Vergangenheit bereits verschiedentlich auf die negativen Auswirkungen von EZM auf das Gesundheitswesen verwiesen (Baram 2000). Um dies zu veranschaulichen, soll an dieser Stelle auf eine groß angelegte Studie Bezug genommen werden, in der die Autor*innen 50 Artikel betreffend die Gesundheitseffekte von Sanktionen analysiert und verglichen haben. Es muss zwar erwähnt werden, dass die Studie keine Kausalität zwischen den EZM und der teils erheblichen Beeinträchtigung des Gesundheitswesens feststellen konnte. Zugleich erklären die Autor*innen jedoch, dass keine anderen Erklärungen für die gesundheitlichen Schäden gefunden werden konnten (Chaufan et al. 2023, S. 228).

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es angesichts des integrierten Charakters der Weltwirtschaft nahezu unmöglich ist, Sanktionen so zu gestalten, dass sie ihre erklärten Ziele erreichen, ohne der Zivilbevölkerung erheblichen Schaden zuzufügen. Wir kommen zu dem Schluss, dass der Einsatz von Sanktionen als politisches Instrument die globale Gesundheit und die Menschenrechte gefährdet, insbesondere in Krisenzeiten“ (Chaufan et al. 2023, S. 216).

Die EU hätte aufgrund der sanktionierten Produkte, dem Umfang und der daraus resultierenden Komplexität des Sanktionspakets insgesamt also wissen müssen oder jedenfalls wissen können, dass dieses verheerende Auswirkungen auf den Gesundheitssektor haben würde. Insofern unterlaufen die Sanktionen auch ihre völkerrechtliche Legitimation durch die Missachtung der Menschenrechte.

Abschließende Betrachtung

Die von der EU verabschiedeten EZM sind in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen bestehen bereits erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Erlasses der EZM, da diese sich nicht auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrats stützen. Zum anderen sollte die EU mit Hinblick auf die Auswirkungen der EZM eine entsprechende Überarbeitung in Betracht ziehen, damit das syrische Gesundheitssystem so wenig wie möglich in Mitleidenschaft gezogen wird. Die desolate Situation vor Ort hätte daher schon längst Anlass sein müssen, die Beschränkungen zumindest in der Richtung zu verändern, dass dem Gesundheitssektor mehr Spielraum und Autonomie gegeben wird.

Geht man von dieser Einzelfallbetrachtung zu EZM im Allgemeinen über, so lassen sich drei Elemente identifizieren, die fallübergreifend relevant sein könnten:

Die regelmäßig (zu Recht) vorgeworfene Handlungsunfähigkeit des UN-Sicherheitsrats sollte zum Anlass genommen werden, den Druck für die Verabschiedung einer kodifizierten Regelung bezüglich einseitiger wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen zu erhöhen. Es bedarf nämlich eines internationalen Vertragswerks, das die genauen Voraussetzungen sowie Rechtsfolgen für die Verabschiedung und ggf. Überschreitung der Grenzen von EZM außerhalb des UN-Sicherheitsrats normiert. Die Frage darf nicht alleine Forschungsgremien oder der Völkerrechtskommission aufgebürdet werden, sondern muss von der internationalen Staatengemeinschaft in Form eines kodifizierten Vertragswerks adressiert werden. Selbiges gilt für eine mögliche extraterritoriale Verpflichtung von Staaten für Handlungen mit Bezug auf Drittstaaten. Entsprechende Formulierungsvorschläge liegen seit mehreren Jahren vor.

Zweitens: Werden einem Staat die finanziellen Mittel für die weitere Einfuhr bzw. den weiteren Bezug von Arzneimitteln und pharmazeutischen Produkten aus dem Ausland entzogen oder faktisch unmöglich gemacht, müssen die zur unveränderten Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens erforderlichen Güter und Dienstleistungen in Form von gleichwertigen Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden, wenn eine extraterritoriale Wirkung auf das Gesundheitswesen ausgeschlossen werden soll.

Drittens: Gesundheitssektoren sollten nie direkte oder indirekte Adressaten von Zwangsmaßnahmen sein, vollkommen gleichgültig, ob die Zivilbevölkerung in einer prosperierenden Demokratie oder in einem totalitären Staat lebt. Es ist daher die Pflicht der Staaten, sowohl bei der Verhängung als auch während der Anwendung von Zwangsmaßnahmen tatsächlich kontinuierlich zu überprüfen, ob vermeidbarer Schaden entstanden ist oder entsteht und dies mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern bzw. auszugleichen. Der Verweis auf eine »Ausnahmeregelung« für den Gesundheitssektor, wie im Fall Syriens geschehen, darf nicht dazu gereichen, eine weitere und umfassende Prüfung der negativen Konsequenzen von EZM zu unterlassen. Der syrische Gesundheitssektor wird dabei politischen Entscheidungsträger*innen zukünftig als ein weiteres Negativbeispiel für die Folgen der Verhängung von unkontrollierten einseitigen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen dienen müssen.

Anmerkungen

1) Aufgrund der institutionellen Blockade des Sicherheitsrats der UN war eine entsprechend völkerrechtlich legitimierte Sanktions-Resolution nach Kap. VII, Art. 41 UN-Charta gegen Syrien nicht möglich bzw. zu erwarten. Daher wichen die benannten Staaten auf einseitige Maßnahmen aus.

2) In den sogenannten Maastrichter Prinzipien hat ein Gremium von Völkerrechtler*innen versucht, die extraterritorialen Pflichten von Staaten genauer zu konkretisieren, indem sie entsprechende Rechtsnormen verfasst haben. Vgl. auch Fechner in diesem Dossier, S. 12f.

Literatur

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Einseitige US-Zwangs-maßnahmen gegen Kuba

Rechtliche Analyse und Kommentare zu den Auswirkungen

von Desiree Llaguno Cerezo und Elizabeth Valdés-Miranda Fernández

Der kubanische Fall ist ein Beispiel für den Einsatz sogenannter »internationaler«, also von Einzelstaaten verhängter, grenzüberschreitend wirkender »Sanktionen«, um einen Wandel des politischen Systems in eine Richtung auszulösen, die die USA als demokratisch ansehen. Das Völkerrecht lässt die Anwendung einseitiger Zwangsmaßnahmen nur ausnahmsweise zu, und zwar auf der Grundlage einer Verantwortungsbeziehung, die sich aus der Begehung einer international unrechtmäßigen Handlung ergibt (Del Olmo Díaz 2020; Téllez-Núñez 2019; Cetina Contreras et al. 2016). Daher widerspricht die Hierarchie zwischen »Sanktionierenden« und »Sanktionierten« der horizontalen Struktur des internationalen Rechtssystems (Hofer 2020). Kuba ist also kein sanktionierter Staat, und die Vereinigten Staaten sind auch nicht legitimiert, dies zu tun, geschweige denn ihr innerstaatliches Recht als Instrument zu nutzen.

Die US-Politik der Blockade gegen Kuba ist ein komplexes und umfangreiches Geflecht von Gesetzen, Durchführungsverordnungen, Memoranden usw., mit denen seit 62 Jahren ein kompliziertes System von »Sanktionen« umgesetzt wird (Dávalos León 2019) .1 Die Verwendung innerstaatlicher Regeln und Mechanismen zu Zwecken der Zwangsausübung, um eine Änderung im Verhalten des Ziellandes zu bewirken, ist eine übliche Politik der Vereinigten Staaten bei der Ausübung ihrer Außenpolitik. Das Office of Foreign Assets Control (OFAC) des US-Finanzministeriums verfügt derzeit über mehr als 20 aktive Programme gegen einzelne Staaten zusätzlich zu denen, die auf bestimmte Einrichtungen und Situationen abzielen (U.S. Department of the Treasury 2024). Es handelt sich dabei nicht um eine Politik, die nur die USA verfolgen, und sie richtet sich auch nicht nur gegen Kuba; allerdings ist die US-Regierung Vorreiterin für die Umsetzung sogenannter unilateraler Sanktionen, insbesondere solcher wirtschaftlicher Art (Rodríguez 2016).

Jede neue US-Regierung seit 1962 erlegt der kubanischen Wirtschaft mehr und mehr Beschränkungen, Barrieren und Bremsen auf. Der Liste des jüngsten Berichts Kubas an die UN-Generalversammlung folgend (Republik Kuba 2023) sind die wesentlichen derzeit:

  • Gesetz über den Handel mit Feinden von 1917 (der Präsident der USA hat die Sanktionen nach diesem Gesetz am 14. September 2023 erneuert, wobei Kuba das einzige Land mit einer solchen regelmäßigen Verlängerung ist);
  • das Außenhilfegesetz von 1961;
  • das Ausfuhrverwaltungsgesetz von 1979,
  • das Kuba-Demokratie-Gesetz oder Torricelli-Act von 1992,
  • das Gesetz über kubanische Freiheit und demokratische Solidarität oder Helms-Burton-Act von 1996,
  • Art. 211 des Nachtrags- und Notbewilligungsgesetzes für das Haushaltsjahr 1999 und
  • das Gesetz zur Reform der Handelssanktionen und zur Förderung der Ausfuhr von 2000.
  • Andere Gesetze, auf die sich die oben Genannten beziehen, sind indirekt ebenfalls anwendbar.

Aus US-amerikanischer Sicht war es wohl auch erforderlich, rechtliche Regelungen mit Auswirkungen auf Dritte zu entwickeln, wie den Torricelli-Act und Helms-Burton-Act, um parallel dazu die wirtschaftlichen Beziehungen anderer Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen zu begrenzen.

All dies erfolgt mit dem steten Ziel, der kubanischen Regierung jegliche wirtschaftliche Basis zu entziehen sowie sie daran zu hindern, ihre öffentlichen Aufgaben wahrzunehmen, und dadurch eine Lage politischer Instabilität hervorzurufen. Keine der Maßnahmen zielt darauf ab, die Bürger*innen Kubas und die Regierung zu spalten; wäre dies der Fall, hätte es in der Zeit der Covid-19-Pandemie eine Flexibilisierung der Blockade gegeben. Ganz im Gegenteil verhängte Präsident Trump inmitten der Covid-19-Krise und kurz vor seinem Abgang sieben »Sanktionen« (Johanna Iturriaga Bartuste und Barrera Rodríguez 2023), und ließ Kuba erneut in die Liste der Länder aufnehmen, die den Terrorismus unterstützen (U.S. Department of State 2023).

Auswirkungen der »Sanktionen«

Anschauungsmaterial für die Auswirkungen dieser Sanktionen liefern einige Konzerne:

  • So weigerten sich zwei in der Schweiz ansässige Unternehmen, IMT Medical AG und Acutronic Medical Systems AG, im April 2020 unter Berufung auf US-amerikanische Handels-, Finanz- und Wirtschaftssanktionen, Lungenbeatmungsgeräte an Kuba zu verkaufen; beide Unternehmen waren von der in den USA ansässigen Vyaire Medical Inc. übernommen worden und setzten die Handelsbeziehungen zu Kuba unverzüglich aus.
  • Das US-Verkehrsministerium lehnte im Jahr 2020 auf Anweisung des Außenministeriums gar einen Antrag der Fluggesellschaften IBC Airways und SkyWay Enterprises auf Durchführung von Flügen nach Kuba mit humanitärer Fracht ab.
  • Die deutschen Unternehmen Sartorius und Merck, die eigentlich regelmäßig Labormaterialien, Reagenzien und Verbrauchsmaterialien liefern, haben ihre Lieferungen nach Kuba im Jahr 2020 aufgrund der Verfolgung durch Beamte des OFAC und des Finanzministeriums eingestellt.

Der Rückzug der regulären Lieferanten von Medizinprodukten inmitten der Pandemie, als alle Länder gleichermaßen Material nachfragten, verhinderte auch den Erwerb von 32 Geräten sowie Materialien für die Herstellung von Impfstoffkandidaten gegen Covid-19, darunter Geräte für die Reinigung von Impfstoffkandidaten, Zubehör für medizinische Produktionsanlagen, Filtrationsbehälter und -kapseln, Kaliumchloridlösung, Konservierungsstoffe, Beutel und Reagenzien (Pichardo 2024).

Die Wiederaufnahme Kubas in die Liste der Terrorismus unterstützenden Länder stellte eine weitere Belastung für die sich in Entwicklung befindliche Wirtschaft dar, die zudem von der durch die Pandemie ausgelösten Rezession betroffen war. Darüber hinaus führten sogenannte »smarte Sanktionen« gegen Einrichtungen, die mit dem Tourismus- und Erdölsektor verbunden sind, zu einer erheblichen Einschränkung des Zugangs zu Devisen und Treibstoff, ohne die es derzeit unmöglich ist, das tägliche Leben unter normalen und würdigen Bedingungen zu führen.

Niemals zuvor, nicht einmal während der Wirtschaftskrise in Kuba in den 1990er Jahren, hat die kubanische Bevölkerung einen so extremen Rückgang der Mittel für die Aufrechterhaltung des Sozialstandards erlebt, insbesondere im Hinblick auf den Mangel an Medikamenten, Treibstoff und Lebensmitteln.

Besonders von den US-Zwangsmaßnahmen betroffen ist der kubanische Tourismussektor. Seit 1963 war es US-Bürger*innen verboten, zu touristischen Zwecken nach Kuba zu reisen (U.S. Department of the Treasury 2024), wobei es einige Ausnahmen gab. Während der Amtszeit von Barack Obama wirkte sich der Abbau der Spannungen zwischen den beiden Ländern und die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahr 2014 positiv auf den Empfang von Tourist*innen nicht nur aus den Vereinigten Staaten, sondern auch aus anderen Teilen der Welt aus, so dass 2018 ein Rekordwert von 4,7 Millionen Tourist*innen erreicht wurde (Statista 2024), darunter fast 500.000 nicht-kubanische Amerikaner*innen (Gómez 2018). Dieser Tourist*innenboom wurde durch die Auswirkungen der Pandemie gebremst, wie in allen Teilen der Welt, doch die Erholung wurde durch die von Trump vor seinem Ausscheiden aus dem Weißen Haus angekündigten Maßnahmen geprägt. Derzeit sind zwar einige dieser Maßnahmen gelockert worden, wie z.B. die Genehmigung von Flügen, aber die Reisebeschränkungen für US-Bürger*innen, die den Kern der »Sanktionen« in diesem Bereich bilden, bleiben in Kraft.

Heute gilt für alle Reisenden nach Kuba eine Liste von Unterkünften, in denen sie aufgrund von Regierungsverbindungen nicht übernachten dürfen; sie müssen zudem alle Tickets und Quittungen aus Kuba fünf Jahre lang aufbewahren. Daraus lässt sich der absolut abschreckende Charakter all dieser Maßnahmen ableiten, die zudem mit erheblichen Geldstrafen verbunden sind, falls die US-Verwaltungsbehörden einen Verstoß gegen Genehmigungen feststellen.

Zusätzlich zu den Beschränkungen für ihre Staatsangehörigen ergreifen die USA indirekte Maßnahmen, um potenzielle Tourist*innen von einem Besuch der Insel abzuhalten. Dies gilt für das aktualisierte Programm für visumfreies Reisen (ESTA), das vereinfachte Besuche von Staatsbürger*innen der am Programm beteiligten Länder für Aufenthalte von weniger als 90 Tagen ermöglicht. Seit Juli 2023 werden bei der ESTA-Bearbeitung auch Fragen zu früheren Aufenthalten der Antragsteller*innen in Kuba und zu ihren Beziehungen zu diesem Land gestellt. Ziel war es, all jenen das ESTA zu verweigern, die Kuba am oder nach dem 12. Januar 2021 besucht hatten, dem Datum, ab dem die Aufnahme des Landes in die Liste der Länder, die den Terrorismus unterstützen, wirksam wurde (U.S. Department of State 2024). Europäische Tourist*innen sind direkt von dieser Aktualisierung betroffen, die daneben auch Einfluss auf die Anbieter*innen von touristischen Dienstleistungen in Kuba hat, im Wesentlichen Privatunternehmen, und die Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Erholung von den Auswirkungen der Pandemie weiter verringert. Präsident Trumps Maßnahmen und die derzeitige Politik haben dem bis 2019 erzielten Tourismuswachstum wirksam entgegengewirkt.

»Sanktionen«: Kritik der Verwendung innerstaatlicher Normen

Abschließend möchten wir einige Bemerkungen zur Verwendung innerstaatlichen Rechts als Mechanismus zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen souveränen Staates anbringen. Der Grundsatz der Nichteinmischung beruht auf der rechtlichen Überzeugung der Staaten, dass bestimmte Regeln für die internationale Gemeinschaft als Ganze verbindlich sind. Als Völkergewohnheitsrecht stellen sie den eigentlichen Kern des Völkerrechts dar, das sogenannte erga omnes-Wirkungen hat, d.h. Wirkungen, die ausnahmslos gegen alle Staaten wirken. Obwohl es auch dagegen sprechende Argumente gibt, neigen wir dazu, den Grundsatz der Nichteinmischung zugleich als eine Norm des jus cogens (des zwingenden, nicht abdingbaren Völkerrechts) zu betrachten (Roncagliolo Benítez 2015; Hofer 2020).

Es gibt verschiedene Arten der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates. Daher gibt es so viele Auslegungen und Definitionen des Grundsatzes, wie es Aktivitäten gibt, die als Einmischung betrachtet werden können. Es besteht jedoch inzwischen Konsens darü­ber, dass das Prinzip sowohl durch die Anwendung von Gewalt als auch durch andere wirtschaftliche, politische oder soziale Druckmittel verletzt wird, die dazu geeignet sind, die Souveränität eines Staates zu beeinträchtigen: Wenn sie also auf den Bereich einwirken, in dem jeder Staat frei entscheiden kann, insbesondere in Bezug auf sein politisches, wirtschaftliches, soziales und kulturelles System und die Formulierung seiner Außenpolitik.

Deshalb berauben »Sanktionen«, die offen oder verdeckt auf einen Regime-Change abzielen, sowie solche, die souveräne Staaten einseitig als »kriminell«, »gescheitert« oder ihre Regierung als »illegitim« abstempeln und behandeln, diese ihrer souveränen Rechte (Simpson 2004) und untergraben die internationale Rechtsordnung in Bezug auf die souveräne Gleichheit der Staaten, die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten und andere Grundsätze wie Selbstbestimmung, Treu und Glauben und die friedliche Streitbeilegung.

Die USA haben sich bei der Verhängung von »Sanktionen« der Rhetorik der „Unterstützung des kubanischen Volkes“ bedient. Um diese Unterstützung in die Tat umzusetzen, haben sie insbesondere mit dem Torricelli-Gesetz und noch mehr dem Helms-Burton-Gesetz Beschränkungen verhängt, die u.a. den Handel, Überweisungen mit Kuba-Bezug, Reisen sowie den Kauf und Verkauf von Immobilien, an denen Kuba oder kubanische Staatsangehörige beteiligt sind, betreffen. Das Torricelli-Gesetz verpflichtet andere Länder ausdrücklich dazu, ihren Handel mit Kuba mit den innerstaatlichen Bestimmungen der USA in Einklang zu bringen, da sie andernfalls keinen Anspruch auf Wirtschaftshilfe, Vergünstigungen oder einen Erlass der Auslandsschulden haben. Diese Regel ist gleichlautend auch im Helms-Burton-Gesetz enthalten.

Außerdem werden die Handelsrouten von Schifffahrtsgesellschaften unterschiedlicher Herkunft eingeschränkt, da sie 180 Tage nach dem Anlaufen eines kubanischen Hafens keinen US-Hafen mehr anlaufen dürfen. Diese kriminelle Einschränkung zwingt sie, zwischen der Lieferung von Waren an eine kleine Insel und Optionen im Seeverkehr des größten Marktes der Welt abzuwägen.

Trotz dieser Zielsetzungen war Kuba 1996 schon Mitglied der Welthandels­organisation (WTO), nachdem es verfassungsrechtliche und gesetzliche Änderungen vorgenommen hatte, um sich in die internationale Wertschöpfungskette einzufügen. Eine Verfassungsreform erfolgte 1992, das Gesetz über ausländische Investitionen und das Steuergesetz wurden 1994 erlassen, und die zentrale Staatsverwaltung wurde reformiert. Zu diesem Zeitpunkt interessierte sich nach ersten Investitionen und guter Entwicklung des Tourismus zunehmend europäisches, kanadisches und sogar US-amerikanisches Kapital für die Insel. Es war daher kein Zufall, dass 1996 das Helms-Burton-Gesetz als schwerwiegendes Instrument erlassen wurde, um die Funktionsfähigkeit der sozialistischen kubanischen Regierung weiterhin zu untergraben und den angestrebten Übergang zu der Art von Demokratie zu regeln, die die Vereinigten Staaten für Kuba anstreben.

Das genannte Gesetz geht über alles hinaus, was man sich bislang in Bezug auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates vorstellen konnte. Es legt ausdrücklich fest, wie ein Regierungswechsel in Kuba unter der Aufsicht des Präsidenten der Vereinigten Staaten durchgeführt werden soll. Im gesamten Text werden dem Präsidenten an 75 Stellen Sonderrechte in Bezug auf die politische Entwicklung Kubas eingeräumt:

  • z.B. sich im Sicherheitsrat für ein verbindliches internationales Embargo einzusetzen, ähnlich dem gegen Haiti verhängten, und andere Länder zu ermutigen, die Handels- und Kreditbeziehungen mit Kuba in mit dem Gesetz übereinstimmender Weise einzuschränken;
  • Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um die vorgesehenen Sanktionen gegen Länder anzuwenden, die Kuba unterstützen;
  • dem Kongress regelmäßig Berichte über die Entwicklung der Umsetzung des Gesetzes vorzulegen, einschließlich des Status des Handels Kubas mit Drittländern und der Bereitstellung von Hilfe für die Insel durch diese Länder;
  • die Vorstandsvorsitzenden der internationalen Finanzinstitutionen in den USA anzuweisen, Kuba den Zugang zu diesen Institutionen dauerhaft zu verweigern, bis der Präsident zu der Einschätzung gelangt, dass in Kuba eine demokratisch gewählte Regierung existiert.
  • Im gleichen Sinne soll der US-Präsident unabhängigen Einzelpersonen und Nichtregierungsorganisationen Hilfe gewähren, um die Demokratisierungsbemühungen Kubas zu unterstützen;
  • die notwendigen Schritte unternehmen, um die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zu drängen, einen speziellen Notfallfonds einzurichten, der speziell für die Entsendung von Menschenrechtsbeobachter*innen und die Unterstützung der Abhaltung von Wahlen in Kuba bestimmt ist und zu dem sie nicht weniger als 5 Mio. US$ als freiwilligen Beitrag beisteuern wird; und vieles mehr.

Wir haben es im Fall dieser »Sanktionen« mit zwei innerstaatlichen Gesetzen zu tun, deren Anwendungsbereich über das Territorium, die Bürger- bzw. Einwohner*innen und die Gegenstände bzw. Situationen in den USA hinausgeht. Es sind interne Normen, die in die normale Entwicklung der internationalen Beziehungen zwischen Kuba und anderen Staaten eingreifen, in den meisten Fällen sogar dann, wenn diese Beziehungen nicht einmal indirekt eine Verbindung zu den USA aufweisen. Es handelt sich um innerstaatliches Recht eines Vertragsstaates der UN, der durch die UN-Charta verpflichtet ist, sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen (Art. 2 Abs. 7), das im Grunde eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas legalisiert.

1996 betonte selbst die OAS über ihren Interamerikanischen Rechtsausschuss, kurz nachdem das Helms-Burton-Gesetz verabschiedet worden war, dass dieses Gesetz sowohl hinsichtlich des Inhalts, der sich auf den Anspruch auf verstaatlichtes Eigentum in Titel III bezieht, als auch hinsichtlich der gesamten extraterritorialen Wirkungen völkerrechtswidrig sei. Dieser Beschluss stellte klar, dass „der Staat seine Macht in keiner Form auf dem Territorium eines anderen Staates ausüben darf, es sei denn, es gibt eine völkerrechtliche Regel, die dies erlaubt. Die völkerrechtliche Grundvoraussetzung für die Festlegung von Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsbefugnissen liegt im Territorialitätsprinzip.“ (OEA/OAS 1996).

Ähnlich wurde das Helms-Burton-Gesetz in der WTO Verhandlungsgegenstand, nachdem die EU die USA zu Konsultationen aufgefordert hatte (WTO o.J.). Dass das vom Streitbeilegungsgremium gebildete Panel aufgrund der Aussetzung seiner Arbeit wirkungslos blieb, war eine Folge der bilateralen Vereinbarung, dass die USA im Gegenzug einen unbefristeten Aufschub der Anwendung der Titel III und IV des Helms-Burton-Gesetzes zusicherten.2 Diese Übereinkunft verdeutlicht die extraterritoriale Wirkung des Gesetzes, da die EU sich zum Schutz der Handels­interessen europäischer Staatsangehöriger und Unternehmen mit der Anwendbarkeit einer US-Norm befassen musste, die darauf abzielte, den Handel Kubas zu beschränken (Llaguno Cerezo 2022).

Die Anwendung des Helms-Burton-Gesetzes ist weit entfernt von völkerrechtlicher Zulässigkeit. Sein Ziel ist es, alle möglichen administrativen, gerichtlichen und außenpolitischen Mechanismen zusammenzustellen, um Vorteile bilateraler Beziehungen mit dem Inselstaat, insbesondere wirtschaftlicher Art, zu untergraben. Hinter dem angeblichen Schutz des Eigentums und der Rechte seiner Staatsangehörigen, die von der kubanischen Regierung nach 1959 enteignet wurden, kommt in diesem Gesetz eindeutig die Unzufriedenheit des US-Establish­ments mit der politischen Organisation zum Ausdruck, für die sich das kubanische Volk vor sechs Jahrzehnten entschieden hat; eine Unzufriedenheit, die sich auf alle ausländischen Staatsangehörigen erstreckt, die sich trotz der Warnungen und des Systems der »Sanktionen« für den Handel mit Kuba entscheiden (Dávalos León 2019).

Fazit

Die Dauer, das Ausmaß und die Unverhältnismäßigkeit der von den USA gegen Kuba verhängten Zwangsmaßnahmen offenbaren das wahre Ziel dieser sogenannten »Sanktionen«, die keine Grundlage im Völkerrecht haben. Das eigentliche Ziel besteht darin, innerstaatliches Recht zu nutzen, um die Möglichkeiten Kubas, sich in das internationale Wirtschaftssystem einzugliedern, negativ zu beeinflussen. So soll die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Insel im innerstaatlichen nordamerikanischen Recht legalisiert werden und die Rechtsgebundenheit von Richter*innen instrumentalisiert werden, um jegliche Geschäftsbeziehungen mit Kuba vor Gericht bringen zu können.

Anmerkungen

1) Es begann mit der Proklamation 3447 »Embargo on All Trade with Cuba« von US-Präsident Kennedy, die Entscheidung verkündend, den Austausch von Waren und Dienstleistungen mit Kuba zu verbieten.

2) Nach einer Entscheidung von Präsident Donald Trump wurde die Aussetzung der Anwendbarkeit der Titel III und IV ab dem 2. Mai 2019 nicht verlängert. Die Regierung Biden hat diese Vorgehensweise bisher nicht geändert.

Literatur

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Aus dem kubanischen Spanisch übersetzt von Heiner Fechner.

»Wirtschaftssanktionen« gegen Venezuela

Eine menschenrechtliche Kritik

von Heiner Fechner

Venezuela ist seit 2015 einem schrittweise von den USA aufgebauten Regime von »Wirtschaftssanktionen«, d.h. einseitigen Zwangsmaßnahmen (im Folgenden: EZM), ausgesetzt. Ergänzt wird dieses durch eine de-facto-Enteignung von in den USA und verbündeten Staaten tätigen Unternehmen an venezolanischem Staatseigentum. Getroffen wird damit vor allem die Öl- und Erdgasindustrie, die seit rund hundert Jahren die fast ausschließliche Devisen- und Haupteinnahmequelle des Staates ist.

Seit Einführung der EZM ist nicht nur das Bruttoinlandsprodukt zusammengebrochen. Vielmehr haben sich auch die Einfuhr an Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs sowie wirtschaftliche Investitionen extrem reduziert. Das hat zu einer massiven Verschlechterung des Lebensstandards beigetragen. Innerhalb weniger Jahre sind Armut und Elend für die Bevölkerungsmehrheit zum Standard geworden, unabhängig vom Beschäftigungsstatus. Dieser Artikel soll Entwicklung und Wirkung der EZM in Bezug auf Venezuela nachzeichnen und sie vor allem menschenrechtlich einordnen.

Die »Bolivarianische Revolution« seit 1999

Wer sich nach den Leitmedien richtet, bekommt den Eindruck, Venezuela sei bis zur Präsidentschaft von Hugo Chávez (1999-2013) ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat mit stabiler Wirtschaft gewesen. Dieser sei durch ein populistisches Regierungssystem sukzessive abgebaut und in wirtschaftliche Not gebracht worden – insbesondere durch Chávez’ Nachfolger seit 2013, Nicolás Maduro. Daher gelte es für westliche demokratische Regierungen, die »demokratische« Opposition mit dem Ziel eines Regierungswechsels zu unterstützen.

Tatsächlich hat ein voll ausgereifter demokratischer und sozialer Rechtsstaat in Venezuela nie existiert. Das Ende der letzten Diktatur (1958) änderte wenig an der faktischen Rechtslosigkeit (Informalität) der Bevölkerungsmehrheit, Verfolgung politisch Andersdenkender und weitverbreiteter Korruption. Unter Chávez wurden Sozialstaat und demokratische Teilhabe auf kommunaler Ebene (bspw. durch Nachbarschaftsräte u.a.) stark ausgebaut, während andere Bereiche kaum Fortschritte machten (bspw. die Demokratisierung der Wirtschaft). Die durch alte Eliten und privilegierte Mittelschichten geprägte Opposition reagierte auf den Sozialstaatsausbau mit ökonomischer Sabotage, Putschversuchen und gewaltgeprägtem Widerstand, unterstützt u.a. durch die US-Regierung (ausf. Fechner 2016).

Nach Chávez’ Tod im Jahr 2013 spitzte sich die Situation zu; die Opposition setzte unmittelbar nach dem Wahlsieg von Chávez’ Nachfolger Maduro auf einen Re­gime-Change, d.h. auf einen außerhalb der verfassungsrechtlichen Ordnung gewaltsam erzwungenen, das politische, soziale und ökonomische System grundlegend ändernden Regierungswechsel. Nach den von der Opposition gewonnenen Parlamentswahlen im Jahr 2015 spitzte sich der Konflikt zwischen einem mehrheitlich oppositionellen Parlament und dem Präsidentenamt inmitten eines Verfalls der Ölpreise und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise zu. Die US-amerikanischen EZM sind in diesem Kontext zu betrachten.

Das »Sanktionsregime« der USA gegen Venezuela: Zielsetzungen und Wirkung

Die Spirale der US-amerikanischen EZM begann mit dem »Venezuela Defense of Human Rights and Civil Society Act of 2014« (Gesetz 113-278 – im Folgenden »Venezuela-Act«). Das Gesetz, das „gezielte Sanktionen gegen Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen an gegen die Regierung Protestierenden, zur Stärkung der Zivilgesellschaft und anderer Zwecke“ vorsieht, nennt ökonomische Probleme, gestiegene Kriminalitätsraten, Machtkonzentration in der Exekutive bei Verschlechterung der Menschenrechtslage, rechtsstaatliche Defizite und nicht gerechtfertigte Niederschlagung von Protesten als Hintergrund. Ziele seien u.a. ein menschenrechtlich und rechtsstaatlich basiertes respektvolles Verhältnis mit Venezuela, die ökonomische Unterstützung der Bevölkerung und der repräsentativen Demokratie, sowie die Überwindung von Missständen.

Der Venezuela-Act ermächtigte den US-Präsidenten, von im »International Emergency Economic Powers Act« aufgeführten »Sanktionsmechanismen« Gebrauch zu machen. Präsident Obama erklärte darauf aufbauend am 8. März 2015 per »Executive Order« (im Folgenden: EO) 13692 das innenpolitische Handeln der venezolanischen Regierung zur „ungewöhnlichen und außerordentlichen Gefahr für die nationale Sicherheit und Außenpolitik“ der USA und belegte sieben Personen, darunter Angehörige der Streitkräfte und der Polizei, eine Staatsanwältin, sowie den Präsidenten eines staatlichen Schwer­industriekonzerns, mit entsprechenden EZM. Die Betroffenen wurden dabei mit dem staatlichen Umgang mit regierungskritischen, gewalttätig verlaufenden Protesten in Verbindung gebracht, die unter Regierungsgegner*innen und -anhänger*innen gleichermaßen mehrere Dutzend Menschenleben gefordert hatten.

Allerdings erlangten die EZM erst unter Präsident Trump ihr volles Gewicht. Dieser erließ von 2017 bis 2019 fünf weitreichende EO mit »targeted sanctions« (»zielgerichteten Sanktionen«). Ein euphemistischer Begriff, da hier mit relativ eng umschriebenen Maßnahmen der Einsturz des venezolanischen Zugangs zu ausländischen Geldern und damit ein Zusammenbruch der Ökonomie betrieben wurde, ohne ein allgemeines Handelsembargo zu verabschieden. EO 13808 verbot dem staatlichen venezolanischen Erdölkonzern PDVSA sowie anderen staatlichen Unternehmen den Zugang zu Krediten sowie eine Staatsfinanzierung über Banken mit Sitz oder Zweigstelle in den USA. Ergänzt um Verbote des Handels mit Venezuela in oder zum Nutzen von Digitalwährungen (EO 13827; vor allem gegen den Petro gerichtet, eine venezolanische Digitalwährung zur Ermöglichung internationaler Transaktionen unter Umgehung des US-Dollar), die Umschuldung von Krediten (EO 13835), Einschränkungen der venezolanischen Goldindustrie (EO 13850) sowie das Einfrieren staatlicher Vermögen in den USA (EO 13884) versuchte die US-Regierung, Venezuela in die Zahlungsunfähigkeit zu führen. EO 13857 von 2019 schließlich beschränkte nach Washingtons Anerkennung des Parlamentspräsidenten Guaidó als »Übergangspräsident« die EZM auf die Regierung unter Präsident Maduro.

EO 13808 begründete ähnlich den Folgeverordnungen das Verbot des Zugangs zu Krediten mit den „jüngsten Handlungen und Politiken der Regierung Venezuelas, einschließlich schwerer Verstöße gegen die Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Verantwortung für die sich verschärfende humanitäre Krise in Venezuela, der Einsetzung einer unrechtmäßigen verfassunggebenden Versammlung, die die Macht der demokratisch gewählten Nationalversammlung und anderer Regierungsorgane Venezuelas an sich gerissen hat, der ausufernden Korruption im öffentlichen Sektor sowie der anhaltenden Unterdrückung und Verfolgung der politischen Opposition und der Gewalt gegen sie“.

Ein Zusammenhang zwischen den verhängten Zwangsmaßnahmen und den dargestellten Entwicklungen in Venezuela ist mit Ausnahme der ersten EO aus 2015, in der einzelne Personen einschließlich der von ihnen vertretenen Körperschaften »sanktioniert«, d.h. ohne Gerichtsverfahren de facto bestraft werden, nicht erkennbar. Es fehlt an einer Eignung der Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtslage, der Wirtschaft oder Demokratie. Einen Überprüfungsmechanismus sehen die EO nicht vor – es fehlt bereits an überprüfbaren Zielen.

Die EZM betreffen formal nur »US-Personen« oder Handlungen in den USA. Da sie auch für Unternehmen gelten, die Zweigstellen in den USA betreiben, wirken sie jedoch extraterritorial. Wegen der typischen Präsenz international tätiger Finanzunternehmen in den USA und der Gefahr der Verhängung von Bußgeldern in Milliardenhöhe, resultieren die von der US-Regierung erlassenen Regelungen in einer faktischen globalen Blockade des Zugangs zu Krediten und Devisen (Weisbrot und Sachs 2019). Fälle wie beispielsweise die 2014 gegen die Pariser Bank BNP Paribas verhängte Geldstrafe von knapp 9 Mrd. US$ wegen der Umgehung von Sanktionen gegen Kuba, Iran und Sudan haben seitdem zu übergroßer Vorsicht geführt.

Schon der Venezuela-Act hatte eine erhebliche Herabstufung der Kreditwürdigkeit Venezuelas auf den internationalen Finanzmärkten zur Folge. So wertete beispielsweise Fitch Venezuela im Dezember 2014 um zwei Punkte von »B« auf »CCC« ab, Moody’s im Januar 2015 ebenfalls um zwei Punkte von »Caa1« auf »Caa3«, d.h. jeweils auf eine Stufe kurz vor dem Zahlungsausfall. Wegen des starken Rückgangs der Staatsausgaben für Importe, die aufgrund gesunkener Öleinnahmen und Kreditzugänge radikal reduziert wurden, landete Venezuela schnell in einer Abwärtsspirale. Befördert durch die Verweigerung des Parlaments, neue Kredite zu genehmigen, schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt zwischen 2014 und 2016 um geschätzt 24,3 % (Weisbrot und Sachs 2019, S. 7).

Noch deutlich intensiver wirkten allerdings die unter Präsident Trump zwischen 2017 und 2019 verhängten EZM im Zusammenspiel mit dem seit den Wahlen 2015 oppositionellen Parlament, das konsequent die erforderliche Zustimmung zu neuen Krediten einschließlich der Umschuldung verweigerte. Bei zeitgleich sinkenden Ölpreisen bedeutete dies eine schwere Doppelbelastung der Wirtschaft. Die Ölproduktion sank dreimal so schnell wie seit Beginn der Ölpreiskrise Mitte 2014 und koppelte sich vor allem von der Entwicklung in vergleichbaren Staaten ab. So exportierte Venezuela 2015 täglich 1,97 Mio. Fass Öl pro Tag und 2018 1,27 Mio., um 2022 schließlich bei 0,44 Mio. den Tiefststand zu erreichen (OPEC 2024). Die seit langem hohe Inflationsrate stieg von 2014 (62,1 %) bis 2017 (438,1 %) kontinuierlich, um 2018 mit über 65.000 % in der Hyperinflation zu landen.

Auswirkungen auf Menschenrechte in Venezuela

Ein Bericht der UN-Sonderberichterstatterin zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf den Genuss der Menschenrechte, Alena Douhan, über die Lage in Venezuela aus dem Jahr 2021 (Douhan 2021) führt die menschenrechtlichen Auswirkungen der EZM vor Augen. In den Blick nimmt sie dabei die Sanktionen gegen die Öl- und Goldindustrie sowie den Bergbau, die ökonomische Blockade, das Einfrieren von Geldern der Zentralbank, gezielte Sanktionen gegen Einzelpersonen sowie die Übererfüllung durch Banken und Unternehmen aus Drittstaaten.

Douhan weist in ihrem Bericht auf die erheblichen Auswirkungen von EZM auf das gesamte sozialstaatliche Institutionengefüge und damit die Menschenrechtslage vor allem im Bereich wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte hin. Das beginnt mit der Versorgungsinfrastruktur. So lief die Elektrizitätsversorgung 2021 aufgrund fehlender Ersatzteile, Emigration von Fachleuten usw. und infolge des erzwungenen Einkaufsstopps bei lediglich 40 % ihrer Kapazität. Diesel fehlt, weil die Raffinerien notwendige Zusätze nicht importieren können. Die Produktion und der Transport von Nahrungsmitteln sind dadurch beeinträchtigt, wie auch der Betrieb von Schulbussen, ÖPNV sowie Krankenwagen. Besonders betroffen sind dabei abgelegen lebende indigene Gemeinden, deren Versorgung aufgrund fehlender Ressourcen vielfach drastisch reduziert oder ganz eingestellt wurde.

Sowohl die allgemeine physische (Verkehr usw.) als auch die soziale Infrastruktur (Krankenhäuser, Schulen usw.) und Sozialprogramme erlitten schwerste Schäden. Betroffen sind dabei insbesondere besonders verletzliche Personen wie Mütter, Kinder und alte Menschen, Schwerbehinderte und chronisch Kranke sowie Indigene. Da es der venezolanische Staat ist, der durch öffentliche Unternehmen weitgehend die Versorgung mit Gas, Strom, Wasser, Transport, Telekommunikation, Schulen und Krankenhäusern sicherstellt, macht sich das plötzliche Fehlen des Zugangs zu Technologie und Produkten aus Ländern des Globalen Nordens unmittelbar bemerkbar. Es wirkt sich direkt auf den Genuss der sozialen Menschenrechte auf Leben, Nahrung, Wasser, Gesundheit, Wohnen und Bildung, sowie – wegen des erschwerten bis verunmöglichten Zugangs zu Benzin und der erheblichen Einschränkung des ÖPNV – auf die Bewegungsfreiheit, sowie den Zugang zum Recht aus.

Recht auf Nahrung und Wasser

Das Recht auf Nahrung und auf den Schutz vor Hunger (Art. 11 Sozialpakt) wird durch die Sanktionen erheblich beeinträchtigt. Nach realistischen Schätzungen wurden vor Beginn der EZM rund 75 % der verbrauchten Nahrungsmittel importiert, wobei der Staat über den Erdölverkauf wiederum für über 90 % der Deviseneinnahmen und damit letztlich die Bezahlung der Importe verantwortlich zeichnete. Infolge der EZM beobachteten die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO u.a. (2023) Unterernährung und chronischen Hunger in der Periode 2019-2021 bei 22,9 % der Menschen in Venezuela – ein Anstieg um 18,4 Prozentpunkte von ursprünglich 4,5 % in der Periode 2013-2015. Aufgrund der Hyperinflation und der fehlenden Handlungsmacht des Staates, im Bereich der Nahrungsmittelversorgung der Preisentwicklung entgegenzusteuern, deckte der Mindestlohn 2021 nach nationalen Erhebungen lediglich 2 % des Warenkorbs. Die Wasserversorgung der Haushalte, die zu 52 % über aus den USA stammende Technologien gewährleistet wird, zu 29 % über deutsche und schweizerische Apparate, funktionierte 2021 nur noch zu 50 %.

Mit der Nahrungsmittelunsicherheit verbunden sind indirekte Folgen wie der Anstieg familiärer Krisen und Spannungen samt Gewalt und Trennungen und zunehmender Kinderarbeit (Beeinträchtigungen der Menschenrechte auf Schutz und Beistand der Familie sowie von Kindern und Jugendlichen), aber auch wachsendes Gewicht der informellen Wirtschaft, Prostitution und sanktionsbedingter Migration. Auch gab es Meldungen über Fälle von Kinderprostitution im Austausch gegen Nahrungsmittel.

Recht auf Gesundheit

Im Hinblick auf das Recht auf Gesundheit (Art. 12 Sozialpakt) fehlt es seit Einführung der Wirtschaftssanktionen nicht nur an grundlegenden Medikamenten und Impfstoffen. Schwierigkeiten der Elek­trizitäts- und Wasserversorgung bringen Hygieneprobleme in Privathaushalten wie in Gesundheitszentren mit sich. Infrastruktur und medizinische Apparate werden aufgrund fehlender Wartung in Mitleidenschaft gezogen und können nicht ersetzt werden, sodass teilweise selbst einfache Bluttests nicht durchgeführt werden können. Ein Beispiel hierfür ist das staatliche Unternehmen Quimbiotec, das 2011 noch rund 600.000 Blutpräparate herstellte, während es 2015 lediglich 300.000 und 2020 nur 1.610 waren. Zulieferer aus dem Ausland sahen sich 2020 laut Aussage des Direktors von Quimbiotec sanktionsbedingt nicht mehr in der Lage, die Lieferkette nach Venezuela zu bedienen (Douhan 2021).

Versuche, eingefrorene Geldmittel zum Kauf von Medikamenten freizugeben, wurden selbst während der Covid-19-Pandemie vom Westen abgewiesen; ein mit dem UN-Entwicklungsprogramm UNDP vereinbarter Tausch eingefrorener Goldreserven gegen Covid-19-bezogene Medizinprodukte wurde von Großbritannien verhindert. Rund zwei Drittel der HIV/AIDS-Patient*innen mussten ihre zuvor kostenlose Behandlung abbrechen, sodass die Mortalitätsrate sich allein bis 2018 mehr als verdoppelt hatte (Douhan 2021).

Recht auf Bildung

Seit 2016 ist die staatliche Finanzierung für Bildungseinrichtungen erheblich rückläufig. Schulspeisung wird teils gar nicht mehr, teils nur noch in geringerer Menge und mit reduzierter Vielseitigkeit angeboten. Die Austeilung von Schuluniformen und weiterem schulischem Grundbedarf wurde stark gedrosselt oder gestoppt. Während der Pandemie verunmöglichten die Sanktionen Kindern und Jugendlichen aus ärmeren Haushalten aufgrund der häufigen Elektrizitätsausfälle, fehlender Infrastruktur für das Internet (fehlende Antennen und Modems) sowie technischer Hilfsmittel im Heimunterricht den Zugang zu Bildung vielfach.

Migration und Menschenrechte

Während nach Schätzungen des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) 2015 rund 700.000 Venezolaner*innen im Ausland lebten, stieg diese Zahl bis Mai 2021 je nach Schätzung auf bis zu 5,6 Millionen. Die Hyperinflation, geringe Löhne und verschlechterte Arbeitsbedingungen provozierten erhebliche Migration. So ist die Zahl der Ärzt*innen zwischen 2014 und 2019 von 66.138 auf 35.939 zurückgegangen. Während das Gerichtswesen mit maximal 22.390 Vollzeitbeschäftigten 2017 noch 467 offene Stellen aufwies, waren es 2020 schon 8.138. Bei der Polizei verblieben von 130.000 ausgebildeten Beamten noch 94.000. Je nach Bereich hat der Öffentliche Dienst sanktionsbedingt 30-50 % seiner Beschäftigten verloren, mit besonders hohen Verlusten bei hoch ausgebildeten Arbeitskräften wie medizinischem Fachpersonal, Ingenieur*innen, Lehrer*innen und Professor*innen, Richter*innen und Polizeibeamt*innen.

Die massenhafte Migration führte aber nicht nur in Venezuela selbst zu Menschenrechtsbeeinträchtigungen, sondern aufgrund der Vielzahl und der ökonomischen Schwäche der überwiegenden Anzahl der Betroffenen zu erheblicher Verletzlichkeit in den Transit- und Zielländern. Für die Geflüchteten bedeutet dies eine faktische Verschlechterung der Menschenrechtslage in fast jeder Hinsicht.

Auswirkungen auf das politische System

Die Sanktionen zielten laut Gesetzesbegründungen darauf ab, Verschlechterungen der Menschenrechtslage und einem Demokratieabbau bei Anstieg autoritärer Herrschaft entgegenzuwirken. In der Literatur herrscht Einigkeit darüber, dass die Zwangsmaßnahmen gegen Venezuela in keiner Hinsicht auch nur ansatzweise in die formal angestrebte Richtung gewirkt haben. Ganz im Gegenteil wird vielfach eine Zunahme autoritärer Strukturen beobachtet (vgl. Rosales und Jiménez 2021).

Konkrete Beispiele hierfür sind die Ausschaltung des mehrheitlich oppositionellen Parlaments durch den Obersten Gerichtshof, die Einberufung einer – tatsächlich keine neue Verfassung ausarbeitenden – Verfassungsgebenden Versammlung als Parlamentsersatz oder die gerichtliche Einsetzung von Parteivorständen in oppositionellen Parteien durch die Gerichtsbarkeit. Mögen für jeden einzelnen dieser Fälle aus der Perspektive der Agierenden auch plausible rechtliche Gründe gesprochen haben – dies ist nicht der Ort, das zu klären – so zeigen sie insgesamt doch erhebliche Defizite der demokratischen Verfassungspraxis auf. Defizite, die sich seit Aufnahme des Wegs der EZM zugespitzt haben.

Nicht allein die Arbeitsbedingungen der regierungsfeindlichen Opposition haben sich seit Beginn der Sanktionen erheblich verschlechtert. Auch die demokratischen Spielräume in eher regierungsnahen oder neutralen Feldern haben sich verkleinert. So hat sich die Position der Militärs in der Regierung, aber gerade auch in staatlichen Unternehmen, erheblich verstärkt und – aus der Abwehrlogik heraus – wurden vertikale anstelle dynamisch-horizontaler Strukturen befördert. Das traf insbesondere die größte demokratische Errungenschaft des Chavismo, die kommunale Selbstverwaltungsstruktur (»Consejos Comunales y Comunas«) als direktes Organ der bislang aus dem öffentlichen und ökonomischen Leben exkludierten Bevölkerung. Durch das staatliche Lebensmittelverteilungsprogramm CLAP wurde diese in eine vertikale, staatlich-militärisch gesteuerte Machtstruktur eingebunden, die ihrer horizontalen demokratischen Eigenlogik diametral entgegenwirkt.

Fazit

Die EZM der USA, der EU und westlicher Staaten haben Venezuela in eine schwere ökonomische, soziale und politische Krise gestürzt. Die Maßnahmen haben nicht nur eine für Venezuela unvergleichbare Emigrationswelle hervorgerufen, sondern auch die Menschenrechtslage massiv verschlechtert, insbesondere in Bezug auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Soweit die Ziele der EZM überhaupt in einem Zusammenhang mit dem offiziell angestrebten Zweck standen, haben sie das Gegenteil erreicht.

Recht unverhohlen geht es vor allem den USA um einen Regime-Change und damit um eine völkerrechtlich unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten, wobei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit formal im Mittelpunkt der Begründung der EZM stehen. Das politische System hat seit Beginn der EZM jedoch nicht den Weg zu mehr Demokratie und Herrschaft des Rechts eingeschlagen; im Gegenteil: während erhebliche Teile der Opposition wiederholt für gewaltsamen Widerstand optiert und voll auf die Unterstützung von außen im Kampf gegen die Regierung gesetzt haben, hat sich auch der Regierungsbetrieb zunehmend militarisiert. Die politische Ordnung ist im Vergleich zum Zeitpunkt vor Beginn der EZM deutlich dirigistischer (autoritärer) geworden. Im Alltag wiederum steht der Überlebenskampf über den rechtlichen, das gesellschaftliche Leben organisierenden Institutionen wie Arbeits-, Umwelt- oder Verwaltungsrecht usw.

Hier stellt sich schnell die Frage, welche Funktion solche zielgerichteten, aber letztlich global wirkenden EZM überhaupt haben, wenn sie weder die Menschenrechtslage noch Rechtsstaatlichkeit oder demokratische Mitwirkungsrechte verbessern. Objektiv ist ausschließlich die Schwächung Venezuelas als regionaler Macht und die Beseitigung Venezuelas (und des von Präsident Chávez ausgerufenen »Sozialismus im 21. Jahrhundert«) als politischem Orientierungspunkt für die Region erfolgt – wohl eine Intention des Sanktionsregimes. Die praktische Wirkung dessen liegt jedoch in einer massiven Verschlechterung der Menschenrechtslage, bzw. eines mittelbaren Eingriffs vor allem in die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Bevölkerungsmehrheit.

Literatur

Douhan, A. (2021): Visit to the Bolivarian Republic of Venezuela. Report of the Special Rapporteur on the negative impact of unilateral coercive measures on the enjoyment of human rights, Alena Douhan. A/HRC/48/59/Add.2. Genf, 6.9.2021.

FAO; IFAD; PAHO; UNICEF; WFP (2023): Regional Overview of Food Security and Nutrition – Latin America and the Caribbean 2022: towards improving affordability of healthy diets. Santiago, Januar 2023.

Fechner, H. (2016): Emanzipatorischer Rechtsstaat. Praxistheoretische Untersuchung soziokultureller Inklusion durch Recht am Beispiel Venezuelas. Baden-Baden: Nomos.

Krennerich, M. (2016): Soziale Menschenrechte: Zwischen Recht und Politik. Schwabach: Wochenschau Verlag.

OPEC (2024): OPEC Members’ crude oil exports, https://asb.opec.org/ASB_Charts.html?chapter=1538 (abger. 20.4.2024).

Rosales, A.; Jiménez, M. (2021): Venezuela: Autocratic consolidation and splintered economic liberalization. Revista de Ciencia Política 41(2), S. 425-447.

Weisbrot, M.; Sachs, J. (2019): Economic Sanctions as Collective Punishment: The Case of Venezuela. Center for Economic and Policy Research, Washington, D.C, April 2019.

Sanktionen: Kein Mittel friedlicher Politik

von Helmut Lohrer

Wenn – wie aktuell gegen Russland, aber schon seit vielen Jahren etwa gegen Syrien, Iran, Nordkorea oder zahlreiche andere Staaten – vonseiten der Europäischen Union oder den USA »Sanktionen« erlassen werden, ist in aller Regel keinerlei öffentliche Debatte über die grundsätzliche Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen wahrzunehmen. In manchen politischen Kreisen, unter Völkerrechtler*innen und auch unter Friedensaktivist*innen werden Sanktionen als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik allerdings kontrovers diskutiert. Während sie von vielen als etabliertes Mittel in der Auseinandersetzung zwischen Staaten und Bündnissen gebilligt werden, lehnen andere sie als ungeeignetes oder gar illegitimes Mittel der Einflussnahme ab.

Asymmetrisches Instrument der Außenpolitik

Die überwiegende Mehrzahl von Sanktionen wird nicht vom Sicherheitsrat verhängt, sondern in Form »einseitiger Zwangsmaßnahmen«, von einzelnen Staaten oder Bündnissen, wie z.B. der EU (vgl. Baisch und Fechner in diesem Dossier, S. 4). In der Praxis sind es alleine die Mächtigen, die so ihre Interessen durchsetzen können. An strenge Vorbedingungen, wie sie in der UN-Charta für den Sicherheitsrat formuliert sind, fühlen sie sich dabei nicht gebunden. Und sind es effektiv auch nicht – alle bislang dafür vorliegenden Normenkataloge sind immer Entwürfe geblieben.

Madeleine Albright, die frühere Außenministerin der USA unter Bill Clinton, hat das in ihrer Autobiographie (Albright 2003, S. 319) sehr deutlich formuliert, und Angela Merkel (zit. nach Lösing und Wagner 2010) hat es auf der sogenannten Sicherheitskonferenz in München 2004 zitiert: „Die zentrale außenpolitische Zielsetzung lautet, Politik und Handeln anderer Nationen so zu beeinflussen, dass damit den Interessen und Werten der eigenen Nation gedient ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern.“

Eine enttäuschende Klarstellung für alle, die in Europa und den USA die Hüter des Rechts sehen mit dem selbsterteilten Auftrag, den Rest der Welt zu Demokratie, Frieden und Menschenrechten zu führen.

In der von Albright und Merkel beschriebenen Eskalation spielen Sanktionen eine zentrale Rolle. Dabei geht es viel eher um wirtschaftliche und geostrategische Interessen als um Frieden, Menschenrechte und Demokratie: Sanktionen zielen oft indirekt darauf, Märkte zu erschließen und sie offenzuhalten; Rohstoffe zu möglichst niedrigen Preisen zu beschaffen, damit die Konjunktur nicht ins Stottern gerät; geostrategische Positionen zu sichern und die bestehenden Machtverhältnisse zu festigen.

Ein anschauliches Beispiel waren die Verhandlungen zum Atomwaffenverbotsvertrag, die von den Atommächten boykottiert wurden und die eine erhebliche Infragestellung der Machtverhältnisse bedeuteten. Insbesondere durch die USA wurde erheblicher Druck ausgeübt: Während Delegationsteilnehmer aus Entwicklungsländern gegenüber zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen über Drohungen aus den USA berichteten, dass eine Zustimmung zu dem Vertrag sich nachteilig auf die Wirtschaftsbeziehungen auswirken würde, lässt sich aus nachvollziehbaren Gründen niemand damit zitieren. Gut dokumentiert sind dagegen die Drohungen, die seitens der USA gegenüber Schweden ausgesprochen wurden: In einem als geheim eingestuften Schreiben von US-Verteidigungsminister Mattis an seinen schwedischen Kollegen Hultqvist drohte er 2017, dass die Unterzeichnung des Abkommens negative Folgen sowohl für die Rüstungszusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet wie auch für die Bereitschaft der USA haben werde, Stockholm im Falle eines militärischen Angriffs auf Schweden zu helfen (Gummesson 2017). Das ist wohl einer der Gründe, weshalb deutlich weniger Staaten den Vertrag bisher unterschrieben oder gar ratifiziert haben, als auf der UN-Generalversammlung ursprünglich dafür stimmten.

Es wird also mit Sanktionen gedroht, wenn ein Land sich den Interessen der Mächtigen widersetzt. Hierin liegt ein wesentliches Merkmal solcher Zwangsmaßnahmen: Sie werden immer vom Starken gegen den Schwachen ausgesprochen. Ganz im Sinne von Albright und Merkel.

Man stelle sich vor: Die Regierung von Mexiko ist über den Umgang mit den Menschen, die über die Grenze in die USA wollen, erzürnt und sagt, durch diesen werde die internationale Sicherheit bedroht, man verhänge nun Wirtschaftssanktionen gegen die USA. Das wäre aufgrund der bestehenden Machtverhältnisse offensichtlich absurd. Oder die Afrikanische Union sagt: Europa ist für die in der Kolonialzeit angerichteten Schäden nie aufgekommen und in aktuellen Handelsbeziehungen werden wir nach wie vor übervorteilt. Wir verhängen jetzt Sanktionen gegen die Europäische Union. Ein schlechter Witz. Sanktionen sind somit kein symmetrisch angelegtes Instrument in den internationalen Beziehungen, sie sind ihrem Wesen nach asymmetrisch.

Humanitäres Desaster

Aber ist es nicht geboten, vor dem Einsatz von Waffen mit wirtschaftlichen Maßnahmen Druck auf einen Staat auszuüben, um die Menschenrechte und die Demokratie zu verteidigen? Die Empirie zeigt, dass das in aller Regel nicht funktioniert. Wer unter den Sanktionen zu leiden hat, ist hauptsächlich die Zivilbevölkerung. Die in diesem Dossier aufgeführten Beispiele belegen das. Darüber hinaus ist es in kaum einem Fall gelungen, eine Regierung dadurch ins Wanken zu bringen oder auch nur ihr Verhalten zu ändern (vgl. Diehl in diesem Dossier, S. 32).

Am Beispiel des Irak (ausf. Baisch in diesem Dossier, S. 15) lässt sich dies verdeutlichen. Seit über 40 Jahren befindet sich der Irak im Kriegs- und Ausnahmezustand. Für viele Iraker*innen einschneidender als durch die Kriege selbst wurde das Land durch ein umfassendes Embargo beeinträchtigt. Am 6. August 1990 verhängte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – einstimmig – umfassende Wirtschaftssanktionen gegen den Irak (United Nations 1990). Von dem Embargo ausgeschlossen wurden u.a. für „rein medizinische Zwecke“ vorgesehene Lieferungen.

Vor Verhängung der Sanktionen importierte der Irak 80 % der Medikamente, der medizinischen Geräte und des sonstigen Klinikbedarfs aus dem Ausland. Die in der Resolution formulierten Ausnahmen erwiesen sich als überwiegend nutzlos: Im Dezember 1990 reiste eine Delegation der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) nach Bagdad. Die Kolleginnen und Kollegen erfuhren dort: Bereits nach 3 Monaten Embargo waren viele an Diabetes Typ 1 erkrankte Kinder und Erwachsene gestorben (Gottstein 2001). Es fehlte an Insulin und vielem anderen, z.B. an Infusionslösungen für die Dialyse. Die Regierung und die Elite des Landes hingegen waren von der mangelnden medizinischen Versorgung kaum betroffen.

Kurze Zeit später begann der 2. Irakkrieg, in dem die US-geführten Truppen in nur zwei Monaten die zivile Infrastruktur des Landes weitgehend in Trümmer legten. Die Auswirkungen der anhaltenden Sanktionen waren in der Folge noch dramatischer: 1998 starben nach Angaben von UNICEF täglich 250 Menschen als direkte Folge der Sanktionen (Muwakkil 2000), bis 2001 insgesamt 1,5 Millionen, überwiegend Kinder und Jugendliche, die nicht ausreichend ernährt und versorgt werden konnten, wie Prof. Gottstein (2001) von der IPPNW berichtete. Er hatte die Kinderhilfe Irak ins Leben gerufen und das Land mehrfach besucht. Als die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright 1996 gefragt wurde, was sie zum Tod von 500.000 Kindern aufgrund der Sanktionen sage, meinte sie: „Es ist hart, aber den Preis wert (Iden 2022).

Eine österreichische Ärztin, die in Basra ein Hilfsprojekt leitete, hat in den 1990er Jahren versucht, medizinische Geräte für eine Blutbank, z.B. spezielle Zentrifugen und Gefrierschränke, in den Irak einzuführen. Es wurde ihr vom amerikanischen Vertreter des Sanktionskomitees versagt. Ihr wurde mitgeteilt: Es gehe nicht um leukämiekranke Kinder, es gehe um Saddam Hussein (Claussen 2003).

Ähnliches war im Fall von Syrien zu beobachten: Die Mehrzahl der westlichen Staaten, darunter die EU, die USA, Kanada, Australien, die Schweiz und auch die Arabische Liga haben seit 2011 umfangreiche unilaterale Sanktionen gegen das Land verhängt. Anders als im Fall des Irak hat der UN-Sicherheitsrat die Sanktionen gegen Syrien nie unterstützt.

Während die USA und die EU lange an der politischen Vorstellung festzuhalten schienen, der syrische Präsident Baschar al-Assad könne gestürzt werden, kommen die Sanktionen einer Geiselnahme der Bevölkerung gleich. Die einseitigen Zwangsmaßnahmen sind zu einem erheblichen Teil schuld an der humanitären Kata­strophe, die sich in Syrien abspielt (Jazairy 2019). Besonders negativ wirken sich die Sanktionen auf das Gesundheitssystem aus (vgl. Mahmalat in diesem Dossier, S. 18). Alena Douhan, aktuell die UN-Sonderberichterstatterin zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen, hat unter anderem syrische Krankenhäuser besucht. Sie berichtete, Röntgengeräte, Herzkatheter, Inkubatoren, Beatmungsgeräte für die Intensivstation und Sauerstoffgeneratoren, endoskopische Geräte, Hämodialysegeräte, Computertomographen und MRT-Geräte seien wegen fehlender Ersatzteile und nicht aktualisierter Software außer Betrieb.

Ein weiteres, eklatantes Beispiel ist das umfassende Wirtschaftsembargo, das die USA seit 1960 (Beginn) bzw. 1962 (umfassender Ausbau) gegen Kuba verhängt haben (vgl. Llaguno und Fernández in diesem Dossier, S. 21). Es betrifft die Bevölkerung im Land ganz massiv und jeden Tag spüren die Menschen, dass ihnen der Wohlstand, der kaum 100km entfernt in den USA blüht, vorenthalten wird. Wer das Land als Tourist bereist, mag sich an den Besonderheiten, die sich daraus ergeben, erfreuen. Für die Kubaner*innen sieht dies völlig anders aus. Ich habe Kuba selbst besucht und dort Kolleg*innen kennengelernt, die zwar hervorragend ausgebildete Mediziner*innen sind, sich aber selbst die grundlegendsten Behandlungen nicht leisten können. Es ist beschämend, dass einfache Behandlungen wie eine Blasenspiegelung nicht durchgeführt werden, weil die Mittel dazu fehlen. Moderne Behandlungsmethoden wie Chemotherapien sowie dem aktuellen Standard entsprechende Medikamente zur Behandlung von Diabetes etc. stehen nicht zur Verfügung. Ein im Herbst 2023 in Brüssel abgehaltenes Tribunal über die Auswirkungen der Sanktionen und über deren Rechtmäßigkeit hat all dies in hervorragender Weise dokumentiert (Dahn 2023).

Fragwürdig in der Wirkung

Einseitige wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen können in ihrer Auswirkung nicht zuverlässig kontrolliert werden. So haben die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran und die seitens der USA neu aufgelegten Sanktionen dazu geführt, dass Banken und – auch europäische – Firmen ihre Geschäftsbeziehungen mit Iran beendeten, um Schaden für ihre internationalen Geschäfte abzuwenden. Diese »Over-Compliance« (Übererfüllung) verschärft die Wirkung von Sanktionen erheblich.

Wie sehr einseitige Zwangsmaßnahmen das erklärte Ziel verfehlen und stattdessen Elend und Not in der Bevölkerung verstärken können, wird besonders deutlich am Beispiel von Afghanistan, das seit fast 50 Jahren Ziel militärischer Interventionen ist. Nach der erneuten Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 wurden dem Land dringend benötigte Hilfen entzogen. Weil die Machthaber sanktioniert werden, zahlt die Zivilbevölkerung auch hier den Preis. Während afghanische Gelder seit Jahren auf westlichen Konten eingefroren sind, die Führungskreise der Taliban davon wenig spüren und ihre Herrschaft dadurch auch nicht ins Wanken gebracht wird, verhungern in dem Land Menschen und es wird berichtet, dass Eltern ihre Töchter verkaufen, damit der Rest der Familie eine Chance hat zu überleben (Drewello 2021).

Ein Beispiel für die Fragwürdigkeit von Wirtschaftssanktionen sind die von der EU und Deutschland gegen Russland verhängten Zwangsmaßnahmen infolge des völkerrechtswidrigen Einmarsches in die Ukraine. Ein ganz wesentlicher Teil der Strategie, mit der vorgeblich die Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland gestärkt werden soll, waren und sind bis heute die immer weiter ausgedehnten Sanktionen, mittels derer – das belegen Aussagen von Mitgliedern der Bundesregierung – Russland »ruiniert« werden sollte (Baerbock 2022). Wenngleich der wirtschaftliche Schaden auf russischer Seite unbestreitbar ist, bleibt der Effekt in mehrerlei Hinsicht weit von der beabsichtigten Wirkung entfernt. Durch die Einbettung Russlands in die Gruppe der BRICS-Staaten sowie die weitgehend unbeeinträchtigte Nähe zu China kann das Land auf andere Handelspartner ausweichen, Sanktionen umgehen und die negativen Auswirkungen der Handelsbeschränkungen teilweise ausgleichen, die politische Isolierung entgegen der Intention möglicherweise sogar neutralisieren. Während es viele Faktoren gibt, die sich auf die Verfügbarkeit und die Preise von Agrarprodukten auswirken, sind die Handelsbeschränkungen infolge des Krieges für die Ernährungssituation im Globalen Süden zweifellos schädlich (World Food Programme 2023). Russland ist zusammen mit der Ukraine einer der bedeutendsten Produzenten von Getreide, Mais, Pflanzenöl und Düngemitteln. Einen wesentlichen Einfluss spielen die Preise für fossile Energieträger. Wenngleich auch hier unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen, ist nicht zu bestreiten, dass die umfangreichen Sanktionen gegen den Energiesektor Russlands sich auch auf die Preise in Europa auswirken und damit zu einem Bumerangeffekt führen können, der einen kaum berechenbaren Schaden für die deutsche und die europäische Wirtschaft bedeutet (zum Bumerangeffekt siehe Diehl in diesem Dossier, S. 32).

Langfristig sind die wirtschaftlichen und politischen Folgen der westlichen Sanktionspolitik in einer sich vor aller Augen abspielenden, drastischen Veränderung der geopolitischen Kräfteverhältnisse nicht absehbar. Und wenn Berichte stimmen, dass westliche – auch deutsche – Technologie in koreanischen und russischen Waffen verbaut ist, die u.a. in der Ukraine eingesetzt werden, dann wird auch damit die Ineffektivität von Wirtschaftssanktionen, vor allem auch im Bereich des Technologietransfers, belegt.

Strategische Zwangsmaßnahmen

Im Juni 2023 erschien die »Nationale Sicherheitsstrategie« der Bundesregierung (Auswärtiges Amt 2023). Darin bezieht die Regierung auch zum Thema Sanktionen als Mittel der »Sicherheitspolitik« Stellung: „Die Bundesregierung setzt sich für einen zielgerichteten und flexiblen Einsatz von Sanktionen der EU ein und stellt eine effektive Sanktionsdurchsetzung auf nationaler Ebene sicher.“ (ebd., S. 38)

Es wird nicht erläutert, zu welchem Zweck oder gegen wen Sanktionen eingesetzt werden sollen. Das liest sich, als seien Sanktionen ein selbstverständliches Kontinuum der Außenpolitik. Als gelte es, sie einzusetzen, so wie Maßnahmen zum Schutz der Umwelt oder auf dem Gebiet der kulturellen Zusammenarbeit eingesetzt werden. Weiter heißt es in der »Sicherheitsstrategie«: „Internationale Zusammenarbeit, insbesondere im Kreis der G7, erhöht die Effektivität und Effizienz der Sanktionsmaßnahmen und leistet so einen Beitrag zur Einhaltung internationaler Normen.“

Immerhin teilt die Bundesregierung die Analyse, dass Sanktionen ein Instrument in der Hand der Mächtigen sind: Insbesondere die G7-Staaten machen damit Politik. Wir erfahren allerdings nichts über ihre tatsächliche Legitimität oder Illegitimität, wohl aber über die von der Bundesregierung angeführte Rechtfertigung: Sanktionen dienten der „Einhaltung internationaler Normen“. Das darf, wie in mehreren der Beiträge in diesem Dossier ausführlich gezeigt wird, bezweifelt werden: Verletzen doch, wie die Sonderbeauftragten der UN mehrfach festgestellt haben, viele der unilateralen Zwangsmaßnahmen selbst das Völkerrecht.

Dass Sanktionen auch aus der Perspektive der Bundesregierung in den internationalen Beziehungen ein aggressives Instrument darstellen, dessen strategischer Einsatz weiterentwickelt werden soll, kann man den folgenden Sätzen der »Sicherheitsstrategie« entnehmen: Gegen Sanktionen und wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen, die sich gegen uns und unsere EU-Partner richten, wird sich die Bundesregierung besser schützen und unterstützt dazu die Weiterentwicklung von Instrumenten mit Abschreckungscharakter im EU-Rahmen.“ (ebd., S. 38)

Und: „Die Bundesregierung wird dazu beitragen, das politische Mittel der Sanktionen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik noch effektiver zu gestalten. Die Fähigkeiten zum strategischen Einsatz von Sanktionen – inklusive der Analysefähigkeit über ihre Wirkpotentiale – gilt es national wie auf EU-Ebene zu verbessern.“ (ebd., S. 38)

In überraschender Deutlichkeit erfährt man also in der »Nationalen Sicherheitsstrategie«, dass auch aus Sicht der Bundesregierung Sanktionen ein Instrument der staatlichen Auseinandersetzung sind. Mit anderen Worten: Sie sind nichts anderes als Krieg mit (vorwiegend) wirtschaftlichen Mitteln.

Literatur

Albright, M. (2003): Madam Secretary: A Memoir. New York: miramax.

Auswärtiges Amt (2023): Integrierte Sicherheit für Deutschland, Nationale Sicherheitsstrategie. Berlin.

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Drewello, M. (2021): 3000 Euro für eine Sechsjährige: Warum verzweifelte afghanische Familien ihre Töchter verkaufen. Stern, 24.11.2021.

Gottstein, U. (2001): Irak: Es leiden die Unschuldigen. Deutsches Ärzteblatt 98(42), A-2706 / B-2326 / C-2158.

Gummesson, J. (2017): USA:s försvarsminister varnar Sverige för kärnvapenstopp. Svenska Degbladet, 30.08.2017.

Iden, S. (2022): Vom Flüchtlingsmädchen zur US-Außenministerin: Das Jahrhundertleben von Madeleine Albright. RedaktionsNetzwerk Deutschland, 24.03.2022.

Jazairy, I. (2019): UN-Sonderberichterstatter zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen 2015 – 2020. Erklärung anlässlich einer Pressekonferenz. Bundespressekonferenz, 29.05.2019.

Lösing, S.; Wagner, J. (2010): Diplomatie mit Marschflugkörpern. IMI-Analyse 2014/44. Junge Welt, 17.12.2010.

Muwakkil, S. (2000): Where is our shame? Chicago Tribune, 29.05.2000.

United Nations (1990): Resolution 661, 06.08.1990.

World Food Programme (2023): Krieg gegen die Ukraine befeuert weiter globale Ernährungskrise. 21.02.2023.

Sanktionen – ein Bumerang?

von Wiebke Diehl

Sanktionen sind ein uraltes Mittel der Politik, das schon in der Antike genutzt wurde, aber seit Ende des Kalten Kriegs als Mittel der Kriegführung zu immer exzessiverer Anwendung kommt. Erklärtes Ziel ist die Einflussnahme auf das Verhalten anderer Staaten. Dies gilt unabhängig davon, ob Sanktionen in den Bereichen Diplomatie, Wirtschaft, Finanzen, Militär oder auch Kultur und Sport verhängt werden, ob sie umfassend oder partiell sind. Es gilt auch für die sogenannten gezielten Sanktionen, die wie alle Sanktionen nicht nur unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sehr fragwürdig sind, sondern ebenfalls ganze Wirtschaftsbereiche und damit große Teile der Zivilbevölkerung betreffen können.

Während Sanktionsregime, ob formal völkerrechtskonform vom UN-Sicherheitsrat oder aber von einzelnen Staaten oder Staatenbündnissen verhängt und als »unilaterale Zwangsmaßnahmen« zu qualifizieren, vorgeblich Menschenrechte, Demokratie und Völkerrecht befördern sollen, führen sie selbst zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Betroffen sind insbesondere die Rechte auf Leben, auf ausreichende Ernährung und auf das höchste erreichbare Maß an körperlicher und geistiger Gesundheit. Zudem werden regelmäßig Staaten, die enge wirtschaftliche Beziehungen zum sanktionierten Land unterhalten, in Mitleidenschaft gezogen.

Umso relevanter ist die im Folgenden beleuchtete Frage, ob Sanktionen überhaupt dazu geeignet sind, die intendierten Ziele zu erreichen. Diese Frage stellt sich für alle Sanktionsformen, weshalb hier nicht zwischen multilateralen und unilateralen Zwangsmaßnahmen unterschieden wird. Weiter soll der Frage nach negativen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die sanktionierenden Staaten und auf unbeteiligte Länder nachgegangen werden. Im Zentrum steht also, ob das Kosten-Nutzen-Verhältnis ins Negative ausschlägt, sowie die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, die auch für die völkerrechtliche Bewertung der jeweiligen Maßnahmen von Relevanz ist. Darüber hinaus wird analysiert, inwieweit Sanktionen, die in den meisten Fällen die Verwirklichung geopolitischer Interessen zum Ziel haben, eben diesen Interessen der verhängenden Staaten zum Schaden gereichen. Hier geht es neben Sanktions-Umgehungsstrategien auch um den wachsenden Widerstand im Globalen Süden, wo – in Reaktion nicht zuletzt auf Sanktionsregime – auf ein Ende der unipolaren Weltordnung und die Entdollarisierung des Welthandels hingewirkt wird.

(Nicht-)Wirkung von Sanktionen

Es wäre falsch zu behaupten, Sanktionen erzielten keine Wirkung. Im Gegenteil: Sie ziehen erhebliche Einschränkungen der Handlungsspielräume von Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen nach sich und haben extrem negative Folgen für die Zivilbevölkerung. Besonders betroffen sind vulnerable Gruppen, darunter Ältere, Kinder, Frauen und Minderheiten. Nicht umsonst sind Sanktionen, die keine Alternative zum, sondern Teil von Kriegen sind, von manchen als Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts bezeichnet worden (bspw. Mueller und Mueller 1999). Bisherige UN-Sanktionen reduzierten die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eines sanktionierten Staates um durchschnittlich 2,2 Prozentpunkte pro Jahr, was einer negativen Gesamteinwirkung auf das BIP von mehr als 25 % in einem Zeitraum von zehn Jahren entspricht (Neuenkirch und Neumeier 2015). Das syrische BIP sank nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds zwischen 2010 und 2015 sogar um 75 %; ähnliche Zahlen liegen unter anderem für den Irak und Venezuela vor. Insbesondere die Bereiche Ernährungssicherheit und medizinische Versorgung leiden – verstärkt durch die sekundäre oder extraterritoriale Wirkung von Sanktionen, die dazu führt, dass selbst auf dem Papier von den Zwangsmaßnahmen ausgenommene Produkte nicht eingeführt werden können. Die Sanktionierung von »Dual-Use-Gütern« verhindert die Einfuhr auch von Produkten, die z.B. für die Herstellung von Medikamenten benötigt werden. Etwa in Syrien oder im Iran, die beide zuvor über 90 % der benötigten Medikamente selbst produzierten, hat dies verheerende Auswirkungen.

Die Inflationsrate schnellt unter Sanktionen in die Höhe, Importe verringern sich, die Produktion leidet, sinkende Steuer- und Zolleinnahmen führen dazu, dass weniger Geld für die Versorgung der Bevölkerung und für die Errichtung und den Erhalt von Infrastruktur bereitsteht. Das von den Vereinten Nationen im Jahr 1986 als „unveräußerliches Menschenrecht deklarierte Recht auf Entwicklung wird durch Sanktionsregime langfristig verhindert – wegen der Nachwirkungen und der Zurückhaltung (ehemaliger) Handelspartner, die eine erneute Sanktionsverhängung fürchten, oft noch bis zu Jahrzehnte nach deren Aufhebung.

Sanktionen können zudem verheerende Auswirkungen auf Handelspartner sanktionierter Länder haben. Beispiele sind der Libanon, dessen schwere Finanz- und Wirtschaftskrise auch durch die Syrien-Sanktionen verursacht wurde, oder postsowjetische Staaten, die durch die Russland-Sanktionen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Aus den Russland-Sanktionen resultieren darüber hinaus große Gefahren für die Ernährungssicherheit im Globalen Süden, insbesondere in Afrika. Dies galt ganz besonders zu Beginn der Sanktionsverschärfung insbesondere im Finanz- und Versicherungsbereich im Jahr 2022, die den Export russischen Getreides, Pflanzenöls und anderer Lebensmittel, besonders aber von Düngemitteln, erheblich erschwerte und verteuerte.

Untersucht man die Wirkung von Sanktionen, ist zunächst zu fragen, welches Ziel sie verfolgen. Dabei müssen die offen deklarierten Intentionen den tatsächlichen nicht entsprechen. Während Menschenrechte, Demokratie bzw. Demokratisierung und die Rückkehr zu völkerrechtskonformem Verhalten mantraartig als Absicht vor sich hergetragen werden, geht es faktisch in den allermeisten Fällen um geopolitische und/oder wirtschaftliche Ziele. Ein politischer oder Kriegsgegner soll geschwächt werden bis hin zum Regime-Change, der Auswechslung einer unliebsamen Regierung. Zudem werden Sanktionen in den allermeisten Fällen von Ländern des Globalen Nordens, also wirtschaftlich stärkeren, gegen wirtschaftlich schwächere Staaten des Globalen Südens verhängt. Das real existente Machtgefälle verstärkt die negativen Auswirkungen für die betroffenen Länder. Ihre intendierten Ziele allerdings erreichen Sanktionen in den allermeisten Fällen nicht.

In einer viel zitierten Studie kamen die Autoren Gary Hufbauer u.a. (Hufbauer et al. 1990) – zwei von ihnen waren in den 1970ern in dem für die Verhängung von Sanktionen zuständigen US-Finanzministerium tätig – 1990 noch zu einem im Vergleich zur Mehrheit der Forschungsergebnisse optimistischen Ergebnis: zwischen 1914 und 1990 seien Sanktionen in 34 % der Fälle zumindest teilweise und in bescheidenem Umfang erfolgreich gewesen. Der Beweis, dass Sanktionen der wesentliche und primäre Grund für Verhaltensänderungen gewesen seien, könne allerdings auch in diesen Fällen nicht sicher geführt werden, mussten sie zugeben.

Robert Pape (1997) von der University of Chicago kam in einer in den späten 1990er Jahren durchgeführten empirischen Überprüfung der Studie von Hufbauer u.a. zu dem Schluss, nicht 40, sondern nur fünf der 115 untersuchten Sanktionsfälle könnten als teilweise erfolgreich gelten. Bei allen anderen hätten gleichzeitige Militärinterventionen eine übergeordnete Rolle gespielt. Wie auch in späteren Forschungsarbeiten festgestellt, verhelfen Sanktionen gemeinhin weder dem Völkerrecht zur Geltung, noch fördern sie eine Demokratisierung und schon gar nicht die Menschenrechte (Demarais 2022; Hanania 2020). Bemerkenswert, dass Hufbauer u.a. (2019) ihre Zahlen in einer späteren Auflage dennoch aufrecht erhielten.

Wirksamkeitsfaktoren und ungewollte Auswirkungen

Sanktionen erreichen ihr Ziel eher, wenn eng gefasste, relativ leicht umsetzbare Forderungen definiert werden. Stehen ein Wandel im Bereich der Kerninteressen eines Staates oder gar ein Regierungswechsel im Zentrum, sind sie hingegen besonders erfolglos (Demarais 2022). So lenkte der Iran – nicht nur, aber auch – in Reaktion auf die Sanktionen bezüglich seines Atomprogramms ein. Das nach der einseitigen Aufkündigung des Atomabkommens unter Präsident Trump verhängte Sanktionsregime hingegen, das auf für Teheran äußerst relevante außenpolitische Bereiche zielt, verfehlt sein Ziel.

Sanktionen wirken zudem entweder schnell oder gar nicht und sie wirken besser, wenn sie durch gleichzeitige diplo­matische Initiativen flankiert werden. Je länger die Sanktionen in Kraft sind, desto stärker bilden sich Umgehungsstrategien heraus, womit sich die Gründe, den Forderungen Folge zu leisten, für den sanktionierten Staat reduzieren. Eine besondere Relevanz hat außerdem, wie breit das Sanktionen verhängende Bündnis ist – je größer, desto stärker der Druck und desto komplizierter die Suche nach Umgehungsstrategien – und wie eng die wirtschaftlichen Beziehungen sind, die die verhängenden Staaten zum sanktionierten Land zuvor unterhielten (Demarais 2022). So treibt etwa Nordkorea 90 % seines Handels mit China und die restlichen 10 % mit Russland, weshalb die Aussichten, dass die Sanktionen den bezweckten Regimewechsel bewirken könnten, von Anfang an gering waren. Auch die Russland-Sanktionen werden von einem Großteil der Welt nicht nur nicht mitgetragen, sondern darüber hinaus deren Umgehung vielfältig unterstützt.

Gerade in instabilen Demokratien oder Autokratien verschärfen Sanktionen tendenziell Unterdrückung und Demokratieabbau (Hanania 2020). Die Herrschenden zweigen für den Erhalt des eigenen Lebensstandards noch mehr öffentliche Gelder ab, Kriminalität und Korruption nehmen zu. Im Iran verfestigte sich der wirtschaftliche Einfluss der Islamischen Revolutionsgarde unter Sanktionen erheblich. Im Irak wurde die Familie von Saddam Hussein durch Ölschmuggelgeschäfte zu einer der reichsten der Welt, während 1,5 Millionen Iraker*innen in Folge der Zwangsmaßnahmen ihr Leben verloren. Nach dem völkerrechtlich relevanten Maßstab der Verhältnismäßigkeit war das Sanktionsregime gegen den Irak angesichts des unermesslichen Leids der Zivilbevölkerung illegal, obwohl die Irak-Sanktionen formal völkerrechtskonform vom UN-Sicherheitsrat verhängt worden waren. Von einem Einlenken Bagdads angesichts der Zwangsmaßnahmen sah die Welt zugleich zu keinem Zeitpunkt eine Spur (vgl. Baisch in diesem Dossier, S. 15).

Ein weiteres treffendes Beispiel dafür, dass Sanktionen im Regelfall ihre beabsichtigte Wirkung verfehlen, ist Syrien, das seit 2011 umfassenden Sanktionen unterliegt. Inzwischen leben nach Schätzungen der UN über 90 % der Syrer*innen unter der Armutsgrenze. Selbst UN-Mitarbeiter*innen konnten keine Konten eröffnen oder Finanzbeträge transferieren (Jazairy 2018). Zahlreiche Studien, darunter eine vom European Council on Foreign Relations (Samaha 2019) und eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) durchgeführte (Turkmani und Haid 2016), folgerten, die Sanktionen hätten in Syrien zwar enormen Schaden für die Zivilbevölkerung bedeutet, auf das Handeln der Regierung aber keinerlei Einfluss gehabt. Vielmehr sei deren Zuspruch unter der Bevölkerung gefestigt worden. Dieses auch für andere sanktionierte Länder bekannte Phänomen wird in der Forschung als »Rally-round-the-flag«-Effekt bezeichnet: anstatt sich – wie von den Sanktionen verhängenden Staaten erhofft – gegen die Regierung aufzulehnen und diese gar zu stürzen, rücken Bevölkerung und Regierung im Angesicht eines »äußeren Feindes«, der das Leid verursacht, näher zusammen.

Ähnliches zeigt sich auch in Russland: laut Umfrageergebnissen des unabhängigen, in Russland als »ausländischer Agent« qualifizierten Levada-Instituts liegen Präsident Putins Umfragewerte seit der Ukra­ine-Invasion und der Verhängung umfassendster Sanktionen gleichbleibend bei um die 80 % Zustimmung. Zuvor konnte er weniger als 70 % der Bevölkerung hinter sich vereinen. Wie eine Studie des Chicago Council on Global Affairs und des Levada Center vom Juli 2023 zu Tage beförderte, sind 70 % der Russ*innen nicht besorgt über die gegen Russland verhängten Sanktionen und acht von zehn Befragten (84 %) gaben an, diese verursachten für sie und ihre Familien keine ernsthaften Probleme (El Baz et al. 2023). Zudem haben die Sanktionen keinerlei relevanten Einfluss auf die in der Bevölkerung weit verbreitete Zustimmung zu Russlands Militäreinsatz in der Ukraine gezeitigt. Den Krieg in der Ukraine zu beenden – das deklarierte Ziel der Sanktionen gegen Russland verhängenden Staaten – vermochten sie ebenfalls nicht. Und schon gar nicht konnten sie Russland „ruinieren“, wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock offener als andere das wahre Ziel ausgab.

Backlash – Auswirkungen im sanktionierenden Land und Sanktionsumgehung

Die Russland-Sanktionen und ihre Auswirkungen in den sanktionierenden Staaten zeigen gut, wie gerade unilaterale Zwangsmaßnahmen auf die sie verhängenden Staaten zurückschlagen können. Weil Russland eine weit bedeutendere Wirtschaftsmacht ist als etwa Syrien, Venezuela, Kuba, Iran oder sanktionierte afrikanische Staaten, und weil gerade Deutschland enge Wirtschaftsbeziehungen zu Russland unterhielt und von billiger russischer Energie profitierte, zeigt sich der Effekt hier besonders deutlich. Dass Sanktionen auf sie verhängende Länder zurückschlagen, gilt aber auch für andere Sanktionsregime.

Im August 2023 veröffentlichten die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags (WD) eine Dokumentation, die sich mit den Auswirkungen der Russland-Sanktionen auf die Wirtschaften der Mitglieder der Europäischen Union, Großbritanniens und Russlands befasst (Wissenschaftliche Dienste des Bundestags 2023). Die Dokumentation beschäftigt sich nicht nur mit den Gewinnen oder Verlusten von Unternehmen, sondern nimmt die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen in den Blick. Im Zentrum stehen die um mehr als 10 % gestiegenen Lebensmittelpreise in der EU, in Großbritannien sogar um mehr als 19 %, und die gleichzeitigen erheblichen Auswirkungen auf die Reallöhne, die im Jahr 2022 in der EU um 4 % zurückgingen.

Die Sanktionen haben sich laut der Dokumentation deutlich auf den deutschen Außenhandel ausgewirkt. Deutsche Warenexporte nach Russland seien laut Statistischem Bundesamt um 45,2 % auf 14,6 Mrd. € gesunken. Die Einfuhr von russischer Energie sei zwar im Jahr 2022 noch um 6,5 % auf 35,3 Mrd. € gestiegen. Als die Sanktionen in diesem Bereich griffen, stiegen aber die Preise für Energie und Rohstoffe in Deutschland um 80 %. Die in der Dokumentation genannten Zahlen verdeutlichen, dass die EU-Länder und insbesondere Deutschland nicht in der Lage sind, die durch die Russland-Sanktionen verursachten wirtschaftlichen Verluste zu kompensieren. Wegen der nicht aufzufangenden Energiepreise gerät die Industrie zunehmend gegenüber der globalen Konkurrenz ins Hintertreffen und auch die Bevölkerung wird massiv getroffen. Ein dauerhafter Wohlstandsverlust scheint unaufhaltsam. Derweil erweist sich Russlands Wirtschaft – nachdem die Bundesregierung noch im Frühjahr 2022 behauptet hatte, die russische Wirtschaftsleistung werde wegen der Sanktionen um 15 % zurückgehen – als erstaunlich robust. 2023 stieg das BIP in Russland um 3,5 % und damit weit schneller als in allen großen EU-Staaten, in denen Inflation und Rezession vorherrschen.

Russland hat wirksame Umgehungsstrategien entwickelt und Alternativ­märkte akquiriert. So haben etwa China und Indien ihre Ölimporte aus Russland erheblich gesteigert – Indien teils, um russisches Öl an Deutschland weiterzuverkaufen. Bei der Einfuhr westlicher Güter umgeht Russland, das sich einiges bei seit langem sanktionierten Ländern wie dem Iran abschauen konnte, die Sanktionen vor allem über die Türkei, Armenien, Kasachstan, Usbekistan und Kirgisistan (Astrov et al. 2024), aber auch über Osteuropa.

Neuordnung der Welt und Entdollarisierung

Sanktionen haben nicht nur nicht intendierte Effekte und wirken auf die sanktionierenden Staaten sowie Handelspartner von sanktionierten Staaten zurück. Sie sind auch ein mächtiger Motor für die Bemühungen insbesondere des Globalen Südens, eine multipolare Weltordnung zu errichten, in der nicht mehr ein US-Hegemon und andere westliche Staaten das Sagen haben. Dazu gehört die Schaffung neuer sowie die Festigung und Erweiterung alter Organisationen, allen voran das BRICS-Bündnis, aber auch der Versuch, den US-Dollar als vorherrschende Weltwährung zu verdrängen. Ein letzter Katalysator für die Bestrebungen im Globalen Süden, den Welthandel zu entdollarisieren, war das Einfrieren von über 300 Mrd. US$ an russischen Devisenreserven im Ausland durch westliche Staaten, insbesondere die USA, im Februar 2022. Damals zeigten sich sehr schnell Auswirkungen: der Dollaranteil an den globalen Währungsreserven sank auf 47 % und damit zehnmal schneller als im Durchschnitt der zwei Jahrzehnte zuvor.

Der Globale Süden, Hauptadressat westlicher Sanktionsregime, verfolgt zunehmend einen präventiven Ansatz. Das gilt insbesondere für den Finanzbereich, in dem Sanktionen besonders umfassend wirken. Nur wer vom US-Dollar – zumindest weitgehend – unabhängig ist, kann sich der vollen Härte der fatalen Folgen von Sanktionen entziehen. Die umgesetzten Maßnahmen verfolgen einen mehrgleisigen Ansatz. Einer der Pfeiler ist der Währungsschutz. Gerade Moskau, das nach Verhängung der ersten Sanktionen im Jahr 2014 ausreichend Zeit hatte, sich vorzubereiten, hat etwa die Hälfte seiner Reserven in nicht-westlichen Währungen, vor allem in Rubel, Rupien und Renminbi, angelegt. So blieb man auch nach der Verhängung umfassender Sanktionen im Jahr 2022 handlungsfähig. Zweitens werden immer mehr Handelsgeschäfte in lokalen Währungen abgewickelt. Im vergangenen Jahr haben China und Brasilien eine entsprechende Vereinbarung getroffen, genauso Indien und Malaysia, die die Rupie als Währung im grenzüberschreitenden Verkehr festlegten. Auch bei Geschäften zwischen Bolivien und Russland sind Landeswährungen akzeptiert. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums werden Handelsgeschäfte zwischen Russland und China inzwischen zu 70 % in Rubel oder Yuan abgewickelt, bei russischen Handelsgeschäften insgesamt sind es sogar 80 %. Im November 2023 schlossen gar der jahrzehntelange enge US-Verbündete und weltweit zweitgrößte Erdölproduzent Saudi-Arabien und China ein dreijähriges Währungsaustausch-Abkommen im Wert von 50 Billionen Yuan (etwa 6,4 Mrd. €). Das ist zwar angesichts des Volumens chinesischer Erdölimporte aus Saudi-Arabien, die im Jahr 2022 bei umgerechnet 59,4 Mrd. € lagen, eine relativ kleine Summe. Die symbolische Wirkung aber ist nicht zu unterschätzen.

Als dritter Pfeiler können die Bemühungen, Alternativen zum SWIFT-System zu entwickeln, gelten. Denn wer vom SWIFT-System, das alle Banken der Welt miteinander verbindet, ausgeschlossen wird, ist faktisch vom Finanzsystem abgeschnitten. Dies wurde schon 2012 im Fall des Iran sichtbar, später für Russland. Die Initiative in diesem Bereich hat China ergriffen, das mit dem Cross-Border Interbank Payment System (CIPS) eine Alternative entwickelt. Ebenfalls die Führung übernommen hat China im Bereich des vierten Pfeilers, der Entwicklung digitaler Zentralbankwährungen. Durch diese könnte man sich vom US-Dollar komplett abkoppeln und wäre somit dem Einfluss von Sanktionen weit weniger ausgesetzt.

Fazit

Sanktionen sind – das zeigt die Forschung – in den allermeisten Fällen unwirksam, was die Umsetzung ihrer Ziele angeht. Dabei gibt es zwar Abstufungen und Kriterien, die einen Erfolg mehr oder weniger wahrscheinlich machen. Dieser bleibt aber begrenzt. Selbst für gern angeführte »Positivbeispiele« wie Südafrika ist höchst umstritten, ob es tatsächlich die Sanktionen waren, die den Zusammenbruch des Apartheidsystems maßgeblich verursachten. Die Auswirkungen von Sanktionsregimen sind vorwiegend negativ, besonders im Bereich der Menschenrechte. Eine Kosten-Nutzen-Abwägung unter Einbezug der Frage nach der Verhältnismäßigkeit schlägt auch deshalb in nahezu allen Fällen negativ aus.

Ebenfalls einzubeziehen sind die Auswirkungen von Sanktionen auf nicht beteiligte Dritte (insbesondere enge Handels­partner des sanktionierten Staates) und die negativen Rückwirkungen auf die sanktionierenden Länder selbst, was sich besonders deutlich, aber keinesfalls nur, am Beispiel der Russland-Sanktionen zeigt.

Schließlich können Sanktionen verhängende Staaten ihre eigenen geopolitischen Interessen durch die Verhängung solcher Maßnahmen erheblich gefährden. Dies gilt umso mehr, je exzessiver Sanktionsregime verhängt werden, je mehr Länder und die jeweiligen Bevölkerungen also davon betroffen sind und je berechtigter die Sorge (noch) nicht sanktionierter Staaten ist, ebenfalls zum Ziel zu werden. Insbesondere die zunehmenden Bestrebungen aus dem Globalen Süden, den Welthandel zu entdollarisieren, laufen US-amerikanischen und westlichen Interessen diametral entgegen und verdeutlichen somit, dass die Bezeichnung von Sanktionen als »Bumerang« eine immer größere Berechtigung hat.

Literatur

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Demarais, A.(2022): Backfire. How Sanctions Reshape the World Against U.S. Interests. New York: Columbia University Press.

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Jazairy, I. (2018): Report of the Special Rapporteur on the negative impact of unilateral coercive measures on the enjoyment of human rights on his mission to the Syrian Arab Republic. A/HRC/39/54/Add.2. Genft, 8.10.2018.

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Mueller, J.; Mueller, K. (1999): Sanctions of Mass Destruction. Foreign Affairs 78(3), S. 43-53.

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Pape, R.A. (1997): Why economic sanctions do not work. International Security 22(2), S. 90-136.

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Turkmani, R.; Haid, M. (2016): The role of the EU in the Syrian conflict. Paper commissioned by the Human Security Study Group. SiT/WP/05/16, Februar 2016.

Wissenschaftliche Dienste des Bundestags (2023): Auswirkungen von Sanktionen auf die europäische und russische Wirtschaft. WD 5 – 3000 – 063/23. Berlin, 21.7.2023.

Die Autor*innen

Gerhard Baisch ist Rechtsanwalt und Mitglied im Vorstand von IALANA Deutschland. Er lebt in Bremen.

Wiebke Diehl ist Islam- und Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin und lebt in Berlin.

Heiner Fechner, Dr. jur., ist Co-Vorsitzender der IALANA und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen.

Desiree LIaguno Cerezo, Dr. jur., ist Professorin an der Universität von ­Havanna. Ihr Promotionsstudium in Seerecht und internationalem Recht führte sie an die Universität Cadiz, Spanien (2022).

Helmut Lohrer, Dr. med., ist »International Councilor« der deutschen Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW). Er lebt und arbeitet als Hausarzt in Villingen-Schwenningen.

Tarek Mahmalat ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Regensburg.

Volkert Ohm ist Rechtsanwalt und Mitglied im Vorstand von IALANA Deutschland. Er lebt in Bremen.

Elizabeth Valdés-Miranda Fernández, Dr. jur., Professorin für Völkerrecht an der Universität von Havanna. Nach einem Master in Völkerrecht an der Universität Havanna führte sie ihre Promotion in Seerecht und Völkerrecht ebenso an die Universität Cadiz, Spanien.

Einladung an die Leser*innen

Wir Autor*innen wünschen uns einen offenen, kritischen Austausch über die in den einzelnen Artikeln vertretenen Einschätzungen und Bewertungen. Eine kritische Debatte darf aus unserer Sicht nicht auf die Frage nach Sinn und Zweck von Sanktionen und deren Verhältnismäßigkeit beschränkt bleiben.

Es ist bedauerlich, dass zahlreiche Publikationen von Politikwissenschaftler*innen Sanktionen in solch reduzierter Weise nur nach Sinnhaftigkeit und Effektivität einschätzen und dabei die jedem staatlichen Handeln gesetzten völkerrechtlichen Grenzen außer Betracht lassen. Dass die Verletzungen des Völkerrechts in den letzten Dekaden wieder dramatisch zugenommen haben, kann eine Vernachlässigung des Völkerrechts durch die Wissenschaft nicht rechtfertigen. Im Gegenteil sollten diese Verletzungen Ansporn für alle von Sanktionen berührten Wissenschaftsbereiche sein, sich im Dienst der Friedenssicherung mit aller Kraft für die Bewahrung und Fortentwicklung geltenden Rechts einzusetzen.

Wir möchten deshalb Sie, die Leser*innen dieses Dossiers, einladen, uns Ihre Meinungen mitzuteilen. Bitte richten Sie Ihre Stellungnahmen an Kornelia Kania, E-Mail: kornelia.­kania@ialana.de.

IALANA – Vereinigung für »Friedensrecht«

  • Wir nehmen Stellung zu aktuellen Konflikten, die zum Ausbruch von Kriegen und Bürgerkriegen führen können oder führen.
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IALANA fühlt sich der Stärke des Rechts gegenüber dem Recht des Stärkeren“ und dem Vorrang der zivilen nichtmilitärischen Konfliktschlichtung verpflichtet.

IALANA mischt sich in die Politik ein und setzt dabei auf die Aufklärung der Öffentlichkeit über die drohende Aushöhlung und Zerstörung des bestehenden Völkerrechts durch Missachtung der entscheidenden rechtlichen Grundsätze der UN-Charta und der dort angelegten Friedensordnung.

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V.i.S.d.P.: David Scheuing, redaktion@wissenschaft-und-frieden.de

Erscheint als Beilage der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden 2/2024

Bestellungen an: Wissenschaft und Frieden, Palanterstr. 55, 50937 Köln, E-Mail: bestellung@wissenschaft-und-frieden.de, Webseite: wissenschaft-und-frieden.de

Satz und Layout: EP Knaab, Marburg

Druck: Häuser Druck, Köln

Preis: 2,- € (zzgl. Versand)

Bildnachweis: Titel: Michael Kappeler/picture alliance/dpa | S. 5, 23, 24: Privatfotos Helmut Lohrer | S. 6: UN Photo/Jean-Marc Ferré | S. 10: UN Photo/Loey Felipe | S. 13: UN Photo #329490 via flickr | S. 17: UN Photo/Eskinder Debebe | S. 27, 28: ­Privatfotos Heiner Fechner | S. 31: DirectRelief via flickr | S. 33: Matthew Roth (User: Almonroth) via wikimedia commons, CC-BY-SA.