W&F 2010/2

11 Jahre Widerstand

Frauenwiderstandscamps in Reckershausen im Hunsrück von 1983 bis 1993

von Christiane Leidinger

Sie kamen jedes Jahr nach Reckershausen im Hunsrück – elf Jahre lang. Von 1983 bis 1993 schlugen sie auf »Adeles Wiese« ein bis zwei Monate ihre Zelte auf und machten sich in jeder Hinsicht breit. »Sie«, das waren bis zu 2.000 Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet, aber auch aus anderen Ländern wie der Schweiz, Österreich und Dänemark, die gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen bzw. Marschflugkörpern und gegen den alltäglichen Krieg gegen Frauen, Lesben und Mädchen protestierten und mit phantasievollen, teils spektakulären Aktionen Widerstand leisteten.

Sie hielten Mahnwachen, übernachteten an Bunkern, störten Fahnenweihen und Manöver, schnitten Absperrungszäune durch, besetzten Baukräne auf Militärgelände, sabotierten militärische Baustellen, blockierten Zufahrtsstraßen, überwanden Nato-Draht mit Teppichen, stellten Gedenktafeln an Kriegsgräbern auf, demonstrierten in Dörfern, produzierten Transparente und Flugblätter, sprühten Parolen im militärischen Absperrgebiet und vieles andere mehr. Im Laufe der Jahre verschob sich der Charakter der Camps zugunsten der Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt, die Antimilitarismus-Diskussionen und -Aktionen rückten in den Hintergrund. Für den Zusammenhang von »Militarismus und Gewalt« wird im Hunsrück immer wieder auf den »Bewusstseinswandel« hingewiesen, der sich durch die Frauenwiderstandscamps in der Region vollzog.

Der Hunsrück war als Ort für die Camps Anfang der achtziger Jahre mit Bedacht gewählt: Das Bundesland Rheinland-Pfalz wies zu dieser Zeit die dichteste Militärkonzentration in der BRD auf. Speziell im Hunsrück war das Militär der zahlenmäßig größte Arbeitgeber. Zudem war geplant, in diesem Gebiet die landwirtschaftliche Nutzfläche zum Vorteil des Militärs weiter zu reduzieren. Die AnwohnerInnen mussten nicht nur mit der Umstrukturierung der Dörfer zu funktionalen Wohnsiedlungen nach US-amerikanischem Muster leben, sondern mit bis zu 400 militärischen Aktionen im Jahr – und mit deren ökologischen Auswirkungen. Ende des Jahres 1983 sollten 96 Cruise Missiles bei Hasselbach stationiert werden.1

Das erste Hunsrücker Frauenwiderstandscamp

Das erste Frauenwiderstandscamps im Hunsrück 1983 entstand insbesondere vor dem Hintergrund negativer Erfahrungen von Androzentrismus, Sexismus und der Ausblendung feministischer Perspektiven auf Frieden, Gewalt und Krieg in der geschlechtergemischten Friedensbewegung – vor allem im Kontext der Bonner Großdemo und der Großengstingen-Blockade »Schwerter zu Pflugscharen« auf der Schwäbischen Alb im August 1982 (vgl. Einige Frauen, 1984, S.232; Schreiben der Frankfurter Vorbereitungsgruppe, 10.9.1982, Sammlung Finnemann; Frauengruppen, 1983, S.1; Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.127f.; Schmid, 2007).

Als Vorbild bezogen sich die ersten Organisatorinnen der Hunsrück-Zeltlager auf die Camps von Frauen in Greenham Common/Großbritannien wie auch auf diejenigen im italienischen Comiso. Nicht zuletzt daher pflegten die Hunsrücker Camperinnen europäische wie US-amerikanische Kontakte, tauschten sich aus und waren teilweise international vernetzt – etwa mit Frauen von den Philippinen und in Nigeria (vgl. Ankündigungsbrief für Herbst 1983, Sammlung Finnemann; Sammlung Braun).

Das Selbstverständnis der Widerstandscamps war „antimilitaristisch[es]“ und wollte „gleichzeitig feministischen Ansprüchen“ „genügen“ (Gilmeister/Finnemann, o.J., S.19).

Forschungslage

Die Forschungsliteratur ist sehr übersichtlich und widmet sich den Camps zumeist nur in kurzen Passagen.2 Des Weiteren werden die Frauencamps durch Artikel in Bewegungszeitschriften begleitet, insbesondere in den Printmedien, die sich an Frauen und Lesben richte(te)n, aber auch im Hunsrück-Forum. Das Gros der Informationen über die ersten Camps lässt sich aus der Camp-eigenen Dokumentation für die Jahre 1983 bis 1985 (Frauenwiderstand, 1985) und aus Erfahrungsberichten (z.B. Koppert/Lindberg, 1984) beziehen.

Schauen wir uns die Aufarbeitung der Campgeschichte in der einschlägigen frauenfriedensbewegten Publikation von Karola Maltry (1993) einmal genauer an: Eine politik-theoretische Einordnung des Camplebens und der politischen Aktionen wird darin nicht geleistet. Die Motivation des Camps reduziert die Politologin auf exklusiven Protest von Frauen: „Einige Feministinnen, die nach ihren Erfahrungen in Großengstingen der Form der direkten gewaltfreien Aktion sehr positiv gegenüber standen, planten für den Sommer 83 ein Frauen-Widerstandscamp, um diese Aktionsform nur mit Frauen praktizieren zu können“, wobei, so Karola Maltry weiter, sie „zusätzliche Motivation“ von den „Beispielen der Frauen in Comiso/Sizilien und vor allem der Frauen in Greenham Common“ erhielten (Maltry, 1993, S.148). In den Selbstverständnispapieren, Dokumentationen und Programmen der Hunsrück-Camps steht dies allerdings explizit anders. Im Programm des Ersten heißt es: „1. Trotz theoretischer Erkenntnis über ein gleichberechtigtes Gruppen-Verhalten kam es zu den üblichen Schwierigkeiten zwischen Frauen und Männern in bezug auf Entscheidungen und Organisation. 2. Zum anderen wurde der Zusammenhang von Patriarchat, Krieg und Militarismus sowie der Zusammenhang von Kriegsbedrohung und Bedrohung im Alltag nicht thematisiert und ausgedrückt.“ (Frauengruppen, 1983, S.1) Diese Begründung reicht weit über das hinaus, was Maltry als Aktionsseparatismus der Camps benennt: Die in Großengstingen beteiligten Frauen waren nicht nur unzufrieden über die Zusammenarbeit mit Männern, die sie als nicht gleichberechtigt kennzeichneten, sondern auch mit den unterschiedlichen Vorstellungen, was sich in den Widerstandsaktionen inhaltlich widerspiegeln sollte. Konkret wurde kritisiert, dass feministische, frauenbewegte Erkenntnisse wie Patriarchats- und Gewaltanalysen sowie die Verbindungen von Krieg und Alltag sowie von Patriarchat und Militarismus nicht miteinbezogen wurden.

Als positive Wirkung des Camps benennt Karola Maltry Innovation, Spektakularität und mediale Repräsentation; die konkreten Störungen des Militäralltags – wie etwa bei der Lance-Raketen-Übung 1983 (vgl. Einige Frauen aus Bärlin, 1984, S.234f.) – verschweigt sie jedoch: „Die Wirkung des Frauencamps lag weniger in seiner tatsächlichen Behinderung der Stationierungsvorbereitungen, als vielmehr in seiner für die Bundesrepublik ‚neuartigen’ und daher spektakulären Form des Protests, die die Aufmerksamkeit auf sich zog und große Resonanz in der Presse erzielte.“ (Maltry, 1993, S.150) Hinsichtlich der „Mobilisierung der Bevölkerung zu eigenen Friedensaktivitäten“ sieht sie wenig Wirkung und kontrastiert dies im Rahmen eines Vergleichs mit einer Fastenaktion, die Jutta Dahl, eine Hunsrücker Pfarrerin initiierte hatte: Diese habe, so ihre These, „gewiß mehr bewirkt, …als das Widerstandscamp, weil sie [die Fastenwoche] einerseits durch die persönliche Anstrengung der Beteiligten beeindruckte und andererseits der Lebensweise der Bevölkerung weniger fremd gegenüberstand“ (Maltry, 1993, S.150). Naheliegenderweise wird hier versteckt abwertend zum einen auf die breite Präsenz von Lesben in den (Zelt-)Dörfern angespielt und zum anderen auf den autonomen Politikstil der Camperinnen; außerdem verweist Maltry hier womöglich implizit auf den wenig bis gar nicht christlich begründeten Widerstand, der von den Camps ausging und der sich von dem stark christlich motivierten der Hunsrücker Friedensbewegung unterschied.

Widerstandsverständnis und politische Theorieproduktion

Der Titel »Frauenwiderstandscamp« war Programm. Anders als etwa in Großengstingen oder Mutlangen wurde jedoch vor dem (ersten) Camp nicht festgelegt, welche Formen des Widerstands praktiziert werden sollten. Der Widerstand wurde aus den Erfahrungen und Diskussionen der Campteilnehmerinnen vor Ort entwickelt (vgl. Perincioli, 1983, S.13).

Das oder präziser: die komplexen Widerstandsverständnisse der Hunsrückcamps müssen noch untersucht werden, ebenso die weitgreifenden feministischen Analysen zu Militär, Sexismus und Patriarchat, die in diesem Rahmen (weiter)entwickelt wurden. Als bemerkenswert festzuhalten bleiben aber bereits beim jetzigen Überblick über das reichhaltige Material die Vielfältigkeit der Perspektiven v.a. der an den ersten Camps Beteiligten und die daraus abzulesende gelungene Bündnispolitik (vgl. dazu auch: Frauen, die kämpfen, 1988, S.85; Piel, 1989; Gruppeninterview, 2010). Diese Bündnisse sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff und die Formen des Widerstands in den Camps stets umkämpft waren. Im Zentrum der (noch im Einzelnen aufzuarbeitenden) Diskussionen standen vor allem in den ersten Jahren Gewaltfragen sowie die Vermittlung des Widerstands an die Hunsrücker Bevölkerung.

In den theoretischen Debatten, die im Rahmen der Camps geführt wurden, wie auch in den politischen Aktionen, rekurrierten die Frauen auf die feministische Erkenntnis eines notwendigerweise weiten Begriffs von Frieden, der nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern generell Gewaltlosigkeit als Kriterium nennt und zudem die verschiedenen Gewaltformen von Männern gegen Frauen als „alltägliche[n] Krieg“ von Frauen mit einbezieht (vgl. Sander, 1980; Schmauch, 1983; Heiliger, 2007). Zumindest in den ersten Jahren wurde offenbar oftmals mit einem weiten Begriff von Patriarchat operiert, der alle Unterdrückungsformen, beispielsweise auch Militarismus, Rassismus, Antisemitismus, Imperialismus, Kapitalismus und Naturzerstörung mit einschloss (vgl. Frauengruppen, 1983, S.37; Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.128f.). Ein wichtiger Slogan basierte auf einer Parallelisierung von Gewaltformen wie Militarisierung, Imperialismus, sexualisierte Gewalt/Sexismus und Naturzerstörung: „Zwischen der Vergewaltigung einer Frau und der Eroberung eines Landes und der Zerstörung der Erde besteht kein wesentlicher Unterschied“ (Plakat 1986, Sammlung Finnmann; vgl. ähnlich Handbuch, 1984, S.12).

Über diese Themenkomplexe und Fragen nach Verbindungen von Politik und Spiritualität hinaus, waren weitere Diskussionsthemen: Antisemitismus (etwa Vereinnahmung von Kämpfen, Unsichtbarmachen), Ausländerfeindlichkeit, Faschismus (Verstrickung in Familiengeschichten, historisches Gedenken), Klassismus (soziale Herkunft, Geldfragen), Konsum (Verweigerung, Subsistenz), Ökologie (Atomkraft, Umgang mit Ressourcen, Ernährung), Rassismus (rassistische Sprache und Sozialisation, separate Camp-Räume für Schwarze FrauenLesben), Repression (»Sicherheitsgesetze«), Separatismus von Lesben, sexualisierte Gewalt, Unterschiede unter Frauen sowie immer wieder verschiedene Widerstandsformen, die parallel praktiziert wurden.3

Organisations- und Infrastruktur des Camps

Die Organisationsstruktur der Vor- und Nachbereitungen der Widerstandscamps sowie deren Durchführung wurde zweigleisig aufgebaut: Für jedes Camp gab es zwei bis sechs zumeist mehrtägige überregionale Vorbereitungstreffen sowie lokale Vorbereitungsgruppen in einzelnen Städten, die meist in den Zeltlagern Bezugsgruppen bildeten und einzeln und/oder neu ankommenden Frauen Anschluss bieten sollten (vgl. Handbuch, 1984, S.7-9; Gilmeister/Finnemann, o.J., S.4; 9). Nachbereitet wurden die Camps in der Regel durch ein bis zwei überregionale Treffen von ein bis zwei Tagen.

Die Beschlüsse wurden im Konsens gefasst (vgl. Gruppeninterview, 2010). Da durch die mehrwöchige, zumeist siebenwöchige Dauer der Camps nur wenige Frauen die gesamte Zeit über teilnehmen konnten und manche dafür keinerlei Kapazitäten hatten, wurden v.a. in den ersten Jahren jeweils zentrale Aktionswochenenden während der Camps bestimmt, damit Frauen anreisen konnten, um sich an den Aktionen zu beteiligen (vgl. Handbuch, 1984, S.4; 7; 76; Sammlung Finnemann).

Protest und Widerstand der Camp-Frauen zogen vielfältige staatliche Repressionen nach sich: Neben kontinuierlicher Polizei-Überwachung wurde insbesondere das Camp von 1984 mit Prozessen wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Nötigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt, aber auch wegen »grobem Unfug« überzogen (Kornfeld, 1985b; vgl. Einige Frauen aus Bärlin, 1984, S.234; 236; Sammlung Finnemann; Gruppeninterview, 2010). Neben Bußgeldern wurden auch mehrwöchige Haftstrafen verhängt (vgl. Prozessbroschüre, 1986; Piel, 1989; Sammlung Finnemann; Gruppeninterview, 2010). Die aus der staatlichen Repression entstandenen Kosten wurden durch private Spenden aufzufangen versucht. Auch die Finanzierung der Camps an sich wurde mit Spenden, Solidaritätsveranstaltungen und einen wöchentlichem Camp-Beitrag sichergestellt (vgl. Gilmeister/Finnemann, o.J., S.4).

Zur Organisationsstruktur gehörte es auch, die Camp-Öffentlichkeit selbst zu kontrollieren. Presse und Öffentlichkeit hatten daher – von campintern umstrittenen Ausnahmen abgesehen – keinen Zutritt zum Campgelände; Männer grundsätzlich nicht. Am Campeingang befand sich zumindest in den Anfangsjahren ein Presse-Informationszelt (vgl. Gilmeister/Finnemann, o.J., S.4; 7f.). Die ersten Camps wurden in der Presse regional und überregional wie auch in Zeitschriften größtenteils sehr kritisch bis ablehnend begleitet.

Widerstand im Alltag – alltäglicher Widerstand

Den zentralen Unterschied zu geschlechtergemischten Zeltdörfern beschreibt eine Camp-Frau, die aus gemischten »Anti-Imp«-Zusammenhängen kam und auch auf anderen Camps war, entlang der Frage nach der Umsetzung von „Visionen“ im Alltag: Die Hunsrück-Camps stehen z.B. für einen steten, verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen, der nicht auf die Zeit „nach der Revolution“ verschoben wurde (Gruppeninterview, 2010). Nach dem erfolgreichen ersten Camp 1983 sollte Widerstand auch im städtischen Alltag verankert werden. Dazu veranstalteten Camp-Frauen im November 1984 ein »Asphaltcamp« in Berlin (Kornfeld, 1985a, S.262; Sammlung Finnemann).

Die durch die mehrwöchigen Camps im Hunsrück temporär real gewordene Utopie von „Frauenland“ wünschten sich einige Frauen als alltägliche Lebensrealität (vgl. Frauengruppen, 1983, S.23; Handbuch, 1984, S.9; 17; Gilmeister/Finnemann, o.J., S.17). Daraus entstanden mit intensiver Vorbereitung einige Frauen/Lesbenwohnprojekte und u.a. ein Camp-Haus als Basis im Hunsrück sowie ein Lesbenkollektiv (vgl. Sammlung Finnemann).

Über die Umzüge in den Hunsrück hinaus, entschlossen sich zwei Frauen zu einer Dauermahnwache an der »Todesbasis Hasselbach« im Hunsrück. Diesen Ort des Mahnens richteten sie mit einem ausgebauten Wohnwagen im Oktober 1985 als festen Wohnsitz ein (vgl. Kornfeld, 1985a, S.264). Mitte Juli 1986 wurde die Mahnwache in Abwesenheit der Frauen polizeilich geräumt (vgl. Bogisch, 1986, S.25).

Was Anna Dorothea Brockmann 1984 in ihrem instruktiven, provokanten und kritischen Text zur Gewaltfrage in der Frauen- und in der Friedensbewegung forderte, haben die Frauen der Widerstandscamps im Hunsrück in vielen ihrer Aktionen stets aufs Neue eingelöst und kreativ ausgelotet: „bei Widerstand nicht auf die Grenzen, sondern auf die Angemessenheit zu schauen“ (Brockmann, 1984, S.142).

Gedächtnisschwund oder Geschichtsbemächtigung oder…?

Die aus den Widerstandscamps im Hunsrück entstandenen Aktionen verschafften den Frauen und ihren Anliegen vor allem in der Anfangszeit viel mediale Aufmerksamkeit: in den Tagesschau-Nachrichten der ARD (1983), den Tagesnachrichten des SWR (1983) und in Magazinen wie Brigitte (1985), Quick (1983) und Stern (1983). Aber über die Frauen und ihre friedenspolitische/n und feministische/n Protest- und Widerstandsgeschichte/n wissen heute fast nur noch diejenigen etwas, die das »sie« damals selbst gebildet haben, die dabei waren oder die, die es von »Camp-Frauen« – wie sie sich untereinander nannten – erzählt bekommen haben.

Ein auf den ersten Blick seltsamer Gedächtnisschwund in der Friedensbewegung und in der Frauen- und Lesbenbewegung wie auch in der Sozialen Bewegungsforschung – oder doch nicht? Auch darüber ließe sich ein – sicherlich längerer – Text schreiben, dessen Argumente und Einschätzungen zu Entwicklungen in der Frauen- und Lesben-Bewegung nicht nur auf die Hunsrückcamps zutreffen dürften. Ein solcher Beitrag würde das Verhältnis ausloten: zwischen der bedeutsamen Größe der Camps, ihrer beeindruckenden Kontinuität, der erstaunlichen Bandbreite der (auch medial) aufsehenerregenden Aktionen zur zeitgleich sich entwickelnden politischen Berechenbarkeit der Frauen- wie auch der Friedensbewegung (vgl. Brockmann, 1984, S.132; 135; 141; gwr, 78/1983), zur „Akademisierung des Feminismus“ und der daraus folgenden Marginalisierung radikaler Strömungen in der Frauenbewegung sowie zu deren Homogenisierung (Dackweiler/Holland-Cunz, 1991; Holland-Cunz, 1994, S.23; 31), außerdem zur konfliktualen Beziehung von Frauen- und Friedensbewegung (vgl. Dittmer/Lindner/Träger, 1983; Maltry, 1993; Schmauch, 1983; versöhnlicher bei Wasmuht, 1987, S.149-151). Nicht zuletzt würde sich ein solcher Text mit einem möglichen Interesse an Geschichtsbemächtigung auseinandersetzen, das Bewegungsgeschichtsschreibung nicht selten verzerrt. Dabei geht es auch darum, „nachträglich politische Konflikte durch deren Bewertung für sich zu entscheiden“ – dazu gehören auch Akzentverschiebungen hinsichtlich der Bedeutung von Themen und Perspektiven (Harms, 2005, S.13-15).

Literatur

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Baldhoff, Scarlett/Schikorra, Christa (1985): Frauenwiderstandscamp/Hunsrück 1983/84 – Mythos vom weiblichen Widerstand. unv. Dipl.-Arbeit am Inst. f. Sozialpädogogik und Erwachsenenbildung an der Freien Universität Berlin, Berlin.

Bogisch, Ute (1986): Dauermahnwache – Ein Nachruf. Hunsrück-Forum. Zeitschrift für Demokratie und Frieden 14 (Okt.-Dez.), S. 25.

Brigitte (1985) – Beitrag von Margret Meyer: Frieden und ein bißchen wunderlich. In: Brigitte 13, S. 86-90.

Brockmann, Anna Dorothea (1984): Alle reden von Gewalt... In: Vorbereitungsgruppe 7. Sommeruniversität für Frauen (Hrsg.): Dokumentation der 7. Sommeruniversität für Frauen, Berlin. „Wollen wir immer noch alles? Frauenpolitik zwischen Traum und Trauma“, o.O. [Berlin?], S. 129-142.

Camp-Abschiedsbrief Koppert/Lindberg (1987): Claudia Koppert/Birgit Lindberg 30.6.1987. Sammlung Koppert.

Dackweiler, Regina/Holland-Cunz, Barbara (1991): Strukturwandel feministischer Öffentlichkeit. beiträge zur feministischen theorie und praxis 30/31, S.105-122.

Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (2007): Lesben in Wut – Lesbenbewegung in der BRD der 70er Jahre. In: dies. (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 31-61.

Dittmer, Charlotte/Lindner, Christa/Träger, Hilde (1983): Ein bißchen Frieden – ein bißchen Feminismus... Überlegungen zum Verhältnis von Frauenbewegung und Friedensbewegung. beiträge zur feministischen theorie und praxis 8, S. 113-115.

Einige Frauen aus Bärlin (1984). Frauenwiderstandscamp ’83 in Reckershausen/Hunsrück, vom 15.7. bis 15.8.83. In: Vorbereitungsgruppe 7. Sommeruniversität für Frauen (Hrsg.): Dokumentation der 7. Sommeruniversität für Frauen, Berlin. „Wollen wir immer noch alles? Frauenpolitik zwischen Traum und Trauma“, o.O. [Berlin?], S. 232-239.

Felsenheimer, Katrin/Kornfeld, Ursel/Ulmer, Regine (1986): Frauen-Widerstandscamp im Hunsrück 1985. Leben an den Zäunen. In: Dokumentation der 1. Berliner Lesbenwoche 26.10.-2.11.1985: mit allen sinnen leben! Berlin, Eigenverlag, S. 46-52.

Frauen, die kämpfen (1988): Frauen, die kämpfen, sind Frauen, die leben: Ansätze zum revolutionären Frauen- und Lesbenkampf gegen Imperialismus und Patriarchat, Zürich: Selbstverlag.

Frauengruppen (1983): Frauengruppen aus ca. 20. Städten. Frauenwiderstandscamp 83: Frauenwiderstandscamp Sommer ’83, vom 15.7.-15.8.83 in Reckershausen (Hunsrück). Großes Aktionswochenende 30./31.7. V.i.S.d.P. D. Schadow, Berlin, Juni 1983, 2. Aufl. (Broschüre 58 S.)

Frauenwiderstand (Hrsg.) (1985): Frauenwiderstand im Hunsrück. Frauengeschichte(n) 1983-1985, o.O., Selbstverlag Frauenwiderstand.

Frauenwiderstand im Hunsrück (1987): Frauenwiderstand im Hunsrück. o.O.

Gilmeister/Finnemann (o.J.) [1983/1984?]: Bericht über das Frauenwiderstandscamp 1983. unv. Manuskript in: Sammlung Finnemann (Typoskript 20 S.).

Gruppeninterview (2010): Gruppeninterview mit Anne, Astrid, Christl, Dorothee, Inge, Maria, Martina, Pia, Ulrike (Hunsrück/Köln) am 10.1.2010 in Simmern, geführt von Christiane Leidinger.

gwr, 78 (1983): graswurzelrevolution. Für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft »’Gewaltfrei und ungehorsam’. Kein Frieden mit dem Staat«.

Handbuch (1984): Frauenwiderstand im Hunsrück vom 2.7.-31.8.84. V.i.S.d.P. Jutta Höhmann, o.O. Selbstverlag (76 S.).

Harms, Imma (2005): Der Zwang zur Geschichtsschreibung. Polemik gegen die Vitrinisierung der eigenen Vergangenheit. In: Hüttner, Bernd/Oy, Gottfried/Schepers, Norbert (Hrsg.): Vorwärts und viel vergessen. Beiträge zur Geschichte und Geschichtsschreibung neuer sozialer Bewegungen, Neu-Ulm, S. 13-26.

Heiliger, Anita (2007): Was man(n) Frieden nennt, ist alltäglicher Krieg gegen Frauen – Lesben in der Antigewalt-Arbeit. In: Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 91-94.

Holland-Cunz, Barbara (1994): Soziales Subjekt Natur. Natur- und Geschlechterverhältnis in emanzipatorischen politischen Theorien, Frankfurt/M./New York.

Hollensteiner, Antje (1995): Die aktuelle Rassismusdebatte in der weissen deutschen Lesbenbewegung. In: Schäfer, Anke/Lahusen, Kathrin (Hrsg.): Lesbenjahrbuch 1. Rücksichten auf 20 Jahre Lesbenbewegung, Wiesbaden, S. 127-135.

Kagerbauer, Matthias (2008): Die Friedensbewegung in Rheinland-Pfalz. Der Hunsrück als Zentrum des Protests gegen die Nachrüstung. Magister-Arbeit Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz. URL: http://www.pydna.de/MagisterarbeitKargerbauer/Magisterarbeit.htm (download 6/2009).

Koppert, Claudia/Lindberg, Birgit (1984): Ich lebe Widerstand, weil ich lebendig bin. beiträge zur feministischen theorie und praxis 12, S. 115-118.

Kornfeld, Ursula (1985a): Chronologie. In: Selbstverlag Frauenwiderstand (Hrsg.): Frauenwiderstand im Hunsrück. Frauengeschichte(n) 1983-1985, o.O., Selbstverlag Frauenwiderstand, S. 253-264.

Kornfeld, Ursula (1985b): Widerstand soll 35.000 Mark kosten. Frauen aus dem ganzen bundesgebiet betroffen. Strafbefehle und Bußgeldbescheide. Hunsrück-Forum. Zeitschrift für Demokratie und Frieden 8 (April-Juni), S. 23f.

Leidinger, Christiane (2010a): Erste Auswertung der Antworten zum Fragebogen zu den Frauenwiderstandscamps im Hunsrück 1983-1993, Berlin, unv. Manuskript.

Leidinger, Christiane (2010b): Frühe Debatten um Rassismus und Antisemitismus in der (Frauen- und) Lesbenbewegung in den 1980er Jahren der BRD. In: Bois, Marcel/Hüttner, Bernd (Hrsg.): Die Linke. Geschichtsbroschüre 2 (Arbeitstitel) (i.E.).

Lenz, Ilse (Hrsg.) (2008): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden.

Maltry, Karola (1993): Die neue Frauenfriedensbewegung. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung, Frankfurt/M./New York.

Müller, Ulrike (2009): Separation, Provokation, Aktion, Meditation – Das Frauenwiderstandscamp. In: Projektteam Frauenforum (Hrsg.): Zwischen Tradition und Aufbruch – Frauen-Geschichte der Hunsrück-Region, Simmern, S. 165-170.

Perincioli, Christina [sic] (1983): Nike vor der Küchentür. Raketen im Hunsrück. Courage. Berliner Frauenzeitung 7, S. 8-10.

Piel, Emma (1989): Frauenwiderstand im Hunsrück. Aktionen gegen Sexismus und Militarismus. graswurzelrevolution. für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft 136 (September), S. 10.

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Quick (1983). Beitrag von Heiner Emde: Frauen proben den heißen Herbst. In: Quick September, S. 82-84.

Sammlung Braun: Privatarchiv Ulrike Braun (Maitzborn).

Sammlung Finnemann: Privatarchiv Maria Finnemann (Steffenshof).

Sammlung Koppert: Privatarchiv Claudia Koppert (Horstedt).

Sander, Helke (1980): Über Beziehungen zwischen Liebesverhältnissen und Mittelstreckenverhältnissen. Courage 4, S. 16-29.

Schmauch, Ulrike (1983): Selbstkritische Überlegungen zu Frauenfriedensaktionen. beiträge zur feministischen theorie und praxis 8, S. 116-118.

Schmid, Michael (2007): 25 Jahre: »Schwerter zu Pflugscharen« – Einwöchige Sitzblockade vor dem Atomwaffenlager in Großengstingen im Sommer 1982. 6.8.2007 Online: URL: http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/004561.html (download 1/2010).

Stern (1983): Beitrag von Almut Hielsche: Flötentöne gegen Nato-Raketen: In: Stern August, S. 98f.

SWR (1983): Das Frauencamp im Hunsrück, Bericht von Christa Tornow. Blick ins Land am 1.8.1983, SWR3-Rheinland-Pfalz (5’41’’).

Tagesschau (1983): Friedenscamp im Hunsrück, Bericht von Rutger Eicker. Tagesschau-Nachrichten um 20 Uhr am 23.7.1983 (1’17’’).

Wasmuht, Ulrike C. (1987): Friedensbewegungen der 80er Jahre. Zur Analyse ihrer strukturellen und aktuellen Entstehungsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika nach 1945: Ein Vergleich, Gießen.

Witte, Martina (2007): Lesbische Separatistinnen in der autonomen Szene. In: Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 317f.

Anmerkungen

1) Müller, 2009, S.169 f.; vgl. z.B. Perincioli, 1983, S.13; Frauenwiderstand, 1985; Sammlung Braun; Sammlung Finnemann; Gruppeninterview, 2010; Frauengruppen, 1983, S.25-35; Einige Frauen, 1984, S.234; Felsenheimer/Kornfeld/Ulmer, 1985, S.48. Recherchen, Text und Chronologie wurden ermöglicht durch finanzielle Förderung von Imedana. Institut für Medien- und Projektarbeit e.V. (Nürnberg) in Kooperation mit Frauentraum und Frauenwirklichkeit e.V. (Kludenbach) – herzlichen Dank. Mein herzlicher Dank gilt weiterhin meinen (Gruppen-)Interviewpartnerinnen und den Teilnehmerinnen der Fragebogenaktion, außerdem Maria Finnemann für ihre unermüdliche Unterstützung und in alphabetischer Reihenfolge für Materialien, Hinweise, Lektüren, Kontaktvermittlung etc.: Ingeborg Boxhammer, Ulrike Braun, Gabriele Dennert, Anita Heiliger, Claudia Koppert, Rita Kronauer vom ausZeiten Frauenarchiv (Bochum), Birgit Lindberg, Hanna Lindenberg, Norbert Pütter vom Institut für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit/CILIP, Bürgerrechte & Polizei, Inge Rethfeldt, Astrid Rund, Christa Schikorra, Beate Selders, Trudel Trautner, Vanessa Tuttlies, Ute Weller und Martina Witte.

2) Vgl. Wasmuht, 1987, S.151; Frauen, die kämpfen, 1988, S.85f.; Maltry, 1993, S.148-150; Hollensteiner, 1995, S.130f.; Baetz/Dennert/Leidinger, 2007, S.175; Heiliger, 2007, S.93f.; Kagerbauer, 2008, S.73f.; 78; Textpassage und Fotodokumentation vgl. Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.126-132; 135; ausführlicher: Baldhoff/Schikorra, 1985; Lenz, 2008, S.819; 822; 831-833; Müller 2009.

3) Vgl. Frauengruppen, 1983, S.12; Handbuch, 1984, S.10; 14; 18; Camp-Abschiedsbrief Koppert/Lindberg, 1987; Frauenwiderstand, 1987, S.14; Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.129; Baetz/Dennert/Leidinger, 2007, S.175; Witte, 2007, S.317; Sammlungen Braun, Finnemann und Koppert; Gruppeninterview, 2010; Leidinger, 2010a/b.

Christiane Leidinger ist freischaffende, promovierte Politikwissenschaftlerin. Sie lebt, lehrt und forscht v.a. in Berlin. Aktuelles Projekt: Widerstandskonzeptionen von alten und neuen sozialen Bewegungen im 20. Jahrhundert.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2010/2 Frieden und Krieg im Islam, Seite 47–50