W&F 2024/3

117 Mio. Hungernde durch Konflikte

Grafik Krieg und Hunger am Beispiel Sudan

Zusammenhang von Krieg und Hunger am Beispiel Sudan; Quelle: IPC 2024

Worum geht es?

  • Nach Angaben des World Food Programme (WFP) litten 2022 über 117 Mio. Menschen in 19 konfliktbetroffenen Gebieten aufgrund der Gewalt vor Ort unter Hunger (IPC Phase 3).
  • Die SDGs der Vereinten Nationen sehen eine Abschaffung des Hungerleidens bis 2030 vor (Ziel 2). Die Vereinten Nationen betonen den engen Zusammenhang von kriegerischer Gewalt, Instabilität und mangelhafter Nahrungsversorgung. Eine enge Verbindung zu Ziel 16: Frieden, Gerechtigkeit und stabile Institutionen ist überdeutlich.
  • Der Tatbestand des Aushungerns ist seit dem Ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen von 1977 völkerrechtlich als Kriegsverbrechen kodifiziert. Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch sieht eine Strafverfolgung auch bei innerstaatlichen Konflikten vor.
  • In vielen Konflikten lässt sich nicht klar nachweisen, ob Hunger absichtsvoll oder unabsichtlich herbeigeführt wird. Auch die Komplexität der Verbindung von Faktoren, die zu Nahrungsmittelknappheit beitragen, erschwert diesen Nachweis.

Was sagen die Daten?

  • Insgesamt hungern nach Angaben des WFP 2024 über 309 Mio. Menschen weltweit. Diese Zahl umfasst nur diejenigen, die von krisenhafter Lebensmittelknappheit betroffen sind. Das WFP geht grundsätzlich von über 780 Mio. Menschen weltweit aus, die zu wenig zu Essen haben. Kritische Stimmen aus der Forschung hinterfragen die hierfür verwendeten Indikatoren und die Absichten hinter deren Auswahl, und gehen von ca. 1,5-2,5 Mrd. Menschen aus, die hungern (vgl. Hickel 2016).
  • Die Klassifikation von Hunger ist global nicht einheitlich, allerdings gibt es Versuche der Standardisierung. Zwei wesentliche Ansätze können unterschieden werden – einer mit Fokus auf Nahrungsmittelversorgung (Angebot und Nachfrage) und einer mit Fokus auf Unterernährung (medizinische Indikatoren). Die »Integrated Food Security Phase Classification« (IPC) kennt für akute Lebensmittelunsicherheit fünf Kategorien: Minimaler Mangel, Stress, Krise, Notfall, Katastrophe/Hungersnot.
  • Von den Hungerbetroffenen ist die größte Gruppe diejenige, die durch kriegerische oder anderweitig gewalttätige Konflikthandlungen von Hunger betroffen ist. Weitere maßgebliche Faktoren für Hunger sind: Effekte des Klimawandels auf die Landwirtschaft, Umweltkatastrophen, ökonomische Ungleichheit und Lebensmittelverluste (bzw. -verschwendung).
  • Fälle von besonderer Dramatik sind derzeit die Situationen in Gaza, in Sudan, Süd-Sudan, der Zentralafrikanischen Republik und Mali sowie in Jemen, Afghanistan und Myanmar. Für einige Staaten liegen nicht ausreichend Daten vor (u.a. Syrien, Ukraine).

Friedenspolitische Konsequenzen?

  • Jeder hungernde Mensch ist einer zu viel – die Abschaffung des Hungers muss daher auch eine dringliche friedenspolitische Zielsetzung sein. Die Nachhaltigkeitsziele 2 (Ende des Hungers) und 16 (Frieden, Gerechtigkeit und stabile Institutionen) müssen zusammengedacht werden.
  • Da sich in kriegerischen Auseinandersetzungen auch ohne eine (völkerrechtswidrige) Absicht konkrete Hungersnöte entwickeln können, ist ein strikter Schutz von Zivilist*innen in bewaffneten Konflikten eine hilflose Forderung. Vielmehr ist Gewalt- und Kriegsprävention auch Schutz vor Hunger.
  • Eine unmittelbare Strafbarkeit von Aushungern und die (straf- und zivilrechtliche) Verantwortung für Hunger und Nahrungsmittelknappheit (nicht nur in Gewaltkonflikten) müsste mit Nachdruck verfolgt werden.

Literatur

Hickel, J. (2016): The true extent of global poverty and hunger: questioning the good news narrative of the Millennium Development Goals. Third World Quarterly 37(5), S. 749-767.

Integrated Food Security Phase Classification« (IPC) (o.J.): IPC Mapping Tool. Interaktive Web-Kartierung der akuten Nahrungsmittelknappheit. URL: ipcinfo.org/ipc-country-analysis/ipc-mapping-tool.

World Food Programme (WFP) (o.J.): Conflict and Hunger. Themenseite. URL: wfp.org/conflict-and-hunger.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/3 Widerstehen – Widersetzen, Seite 33