W&F 1999/1

15 Jahre Wissenschaft und Frieden

Streiflichter von der Festveranstaltung

von Redaktion

15 Jahre Wissenschaft und Frieden: Vom Oktober 1983 bis zum Dezember 1998. AutorInnen aus Deutschland, den USA, Österreich, der Schweiz, Italien, Frankreich, Russland, Japan und vielen anderen Ländern haben in diesen 15 Jahren in 63 Ausgaben von W&F mit rund 1.500 Artikeln Position bezogen. Ein Grund zu feiern, nicht nur für Redaktion, Vorstand und Herausgeber. Über Hundert Aktive aus den Friedensinitiativen der WissenschaftlerInnen, aus Friedensforschungsinstituten, Hochschulen, aus Friedens- und Menschenrechtsorganisationen folgten am 15. Januar der Einladung von W&F in die Hessische Landesvertretung, fanden Zeit und Gelegenheit zum Gespräch miteinander; zur Erinnerung und zur Diskussion des wie weiter unter den neuen politischen Rahmenbedingungen. Um die Zukunft der Friedens- und Konfliktforschung ging es auch in einigen der hier auszugsweise dokumentierten Grußworte.

Bärbel Dieckmann, Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn:

…Ich darf Sie heute Abend ganz herzlich in der Stadt Bonn begrüßen. Der 15. Geburtstag einer Zeitschrift ist nicht ein Termin, den die Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn als Pflichttermin wahrnehmen müsste. Zu Ihrem Geburtstag bin ich jedoch ganz besonders gerne gekommen…

Ich bin gekommen, um Ihnen zu gratulieren: Herzliche Glückwünsche der Stadt Bonn zum 15. Geburtstag, herzliche Glückwünsche zu 15 Jahren engagierter Arbeit! Ich bin aber auch gekommen, weil ein solcher Tag zwingt, die eigene politische Biographie zu rekapitulieren. Eine politische Biographie, die eng verbunden ist mit der Friedensbewegung…, die eng verbunden ist mit den politischen Diskussionen um friedenserhaltende und friedensstiftende Maßnahmen.

Wir alle, und viele von Ihnen kenne ich aus sehr unterschiedlichen politischen Zusammenhängen, haben die sicherheitspolitischen Auseinandersetzungen der 80er Jahre geführt. Geprägt war diese Zeit durch den Glauben, dass wir Frieden erhalten könnten, und das ist ja für manche Teile der Welt, z. B. für unser Land, gelungen.

Am Ende der Neunziger muss man trotzdem sagen, dass das Ziel, das wir damals vor Augen hatten, nur teilweise erreicht worden ist. Konflikte und Kriege bestimmen immer noch weite Teile dieser Welt und selbst auf europäischem Boden machen sie nicht halt. Dennoch war es wichtig und ist es wichtig, dass es ein Dialogforum zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gibt, wie es die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden« darstellt.

Durch ihre hervorragende Arbeit haben Sie in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, Konfliktlösungsstrategien und friedenserhaltende Maßnahmen zu durchdenken, zu diskutieren, aber auch Ursachen von Konflikten wissenschaftlich aufzuarbeiten. Sie haben ein Forum gegeben, auf dem Wissenschaftler aus der Bundesrepublik und aller Welt ihre unterschiedlichen Meinungen austauschen konnten. Sie haben Diskussionsprozesse angestoßen, die in vielen Fällen zu intensivem Engagement von Menschen für den Frieden geführt haben.

Ich bin aber auch deshalb gerne gekommen, weil die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden« seit zehn Jahren ihren Sitz in Bonn hat und hervorragend zu den Zukunftsprofilen unserer Stadt passt.

»…war es wichtig und ist es wichtig, dass es ein Dialogforum zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gibt, wie es die Zeitschrift W&F darstellt «

Die Bundesstadt Bonn ist nicht nur Sitz des Ministeriums für Bildung und Forschung, sondern auch Sitz des Zentrums für europäische Integrationsforschung, des Zentrums für Entwicklungsforschung, aber auch der UN-Organisation Volunteers against Conflict. Bonn wird in Zukunft der Sitz vieler Entwicklungseinrichtungen sein, ist der Sitz von vielen NGOs, die sich auch mit friedenserhaltenden Maßnahmen beschäftigen.

Willy Brandt, der ehemalige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und langjährige Parteivorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat 1986 gesagt: „Friede ist sicherer geworden, aber wie wir wissen nicht sicher.“

Ich wünsche Ihnen und uns heute Abend, dass der Friede noch ein Stück sicherer werden möge, durch die Arbeit dieser Zeitschrift in den nächsten Jahren…

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Einen schönen Verlauf“ wünschte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, der 15-Jahrfeier von W&F. Sie schreibt, dass sie gern – wie angekündigt – der „Einladung entsprochen und bei der 15-Jahrfeier mitgewirkt hätte“, aber leider ein kurzfristig anberaumter Termin dazwischen gekommen sei. Gleichzeitig informiert Frau Bulmahn mit ihrem Schreiben über einige Gedanken zur weiteren Vorgehensweise bezüglich der Friedens- und Konfliktforschung. Sie verweist auf die Koalitionsvereinbarung, aus der abzulesen sei, „dass ein wirklich neuer und breiter Anlauf unternommen werden soll, Wissenschaft und Forschung für eine deutsche Politik der Friedensgestaltung zu mobilisieren und mit langfristiger Absicht im gesamten Wissenschaftssystem zu stärken.“

»Neue Fördermöglichkeiten für die Friedens- und Konfliktforschung «

Sie gibt der Zuversicht Ausdruck, dass die in der Friedens- und Konfliktforschung Tätigen „die vielen guten Vorschläge aus den zurückliegenden Jahren im Lichte der gegenwärtigen Situation nochmals durchdenken und womöglich so aufbereiten, dass sie in einen konzentrierten Prozeß im Frühjahr einfließen können.“ Weiter teilt sie mit, dass zu entsprechenden Gesprächen eingeladen werde und sie hoffe, dass „erste Fördermöglichkeiten bald wieder geschaffen werden können.“

Hansvolker Ziegler, Bundesministerium für Bildung und Forschung:

Hansvolker Ziegler aus dem BMBF, in dessen Bereich die Friedens- und Konfliktforschung fällt, legte Wert darauf festzustellen, dass er Frau Ministerin Bulmahn „in ihrer einzigartigen Rolle über viele Jahre Ansprechpartnerin für die gesamte Landschaft der »concerned scientists«“ zu sein, nicht vertreten könne. Er selbst habe unter der Regierung Kohl die „Abwicklung der verbliebenen »Sonderförderung« der DFG für Friedens- und Konfliktforschung“ durchführen müssen. Nur die kleine Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn sei wie ein Wunder in der Förderung des BMBF erhalten geblieben.

In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung sei festgehalten worden, dass sich die neue Bundesregierung einsetzt „für den Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung… Hierzu gehört neben der finanziellen Förderung der Friedens- und Konfliktforschung und der Vernetzung bestehender Initiativen, die Verbesserung der juristischen, finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen für die Ausbildung und den Einsatz von Friedensfachkräften und -diensten.“ Damit gebe es jetzt eine neue Basis für eine umfassende Neugestaltung, bei der viele Ressorts zusammen wirken müssten, „damit keine nur isolierten Aktivitäten entstehen, sondern Forschung und Bildung einen gewichtigen Beitrag zu einer deutschen Politik der Friedensgestaltung erbringen können.“

»Wir brauchen eine breite Diskussion über die Modelle der Förderung von Friedens- und Konfliktforschung «

Hansvolker Ziegler bat um Verständnis dafür, dass bei einem „solchen Neuanfang, die Erwartungen auf ganz schnelle Lösungen enttäuscht werden müssen.“ Zuerst müssten wieder Menschen gefunden werden, die die Sache in die Hand nehmen. Er stellte den Anwesenden in diesem Zusammenhang Frau Irene Rüde vor, die sich hoffentlich diesem Aufgabenbereich zukünftig schwerpunktmäßig zuwenden wird.

Abschließend betonte er die Notwendigkeit einer breiten Diskussion über die Thematik und auch die Modelle der Förderung, „es reiche nicht, einfach das wieder zu beleben, was vor sechszehn Jahren unter ein politisch negatives Verdikt kam.“

Prof. Dr. Ulrich Albrecht, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung:

Ich beginne mit William Shakespeare, Hamlet:

Hamlet: Seht ihr die Wolke dort, beinahe in Gestalt eines Kamels?

Polonius: Beim Himmel, sie sieht wirklich aus wie ein Kamel.

Hamlet: Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel.

Polonius: Sie hat einen Rücken, wie ein Wiesel.

Hamlet: Oder wie ein Walfisch.

Polonius: Ganz wie ein Walfisch.

Selbst was wir sehen, um zu schweigen von dem, was wir lesen, so der große Spötter Shakespeare, liegt offenbar im Zweifel.

Der Luftkrieg im Irak beschäftigt uns leider wiederholt. Der Angriff der »Operation Dessert Storm« vom 17. Januar 1991 konnte per Satellit weltweit am Bildschirm verfolgt werden.

Nur: Es waren nicht die Militärs, immerhin eine öffentliche Einrichtung, sondern es war das Privatunternehmen CNN, welches anfangs die Bilder vom Golfkrieg lieferte. Was Shakespeare noch nicht karikieren konnte: Was wir vom Krieg, von Rüstung wissen, erfahren wir zu einem Teil – zu welch einem eigentlich? – von kommerziellen Unternehmen.

»Selbst was wir sehen… liegt offenbar im Zweifel «

Der französische Medienphilosoph Paul Virilio nutze die Formel von der »Technisierung des Sehens« …, dass mit dem Erfolg der hochtechnischen Waffensysteme gleichzeitig die Verheimlichung ihrer Wirkung verbunden, ja diese Wirkung abhängig ist von Verheimlichung. Wir wissen bis heute nicht, wieviel Tote der Golfkrieg zu Beginn dieses Jahrzehnts gefordert hat…

Es bleibt festzuhalten: Was wir sehen, so Hamlet gegen Polonius, liegt im Zweifel, es wird zudem zweitens – zu einem ungewissen Teil – kommerziell dargeboten und wir erfahren drittens nicht hinreichend genug über die Folgen.

Medien sind für militärische Zwecke instrumentierbar, ja offenbar militarisierbar. Die mediale Unschuld, der Anspruch, nur neutral zu informieren, den gibt es gerade in Kriegs- und Rüstungsdingen schon lange nicht mehr… Wir könnten weiter sehen, wenn wir die Geschichte unseres Problems zur Kenntnis nehmen würden… Wenn die Beobachtung des Kriegsgeschehens selbst zur Waffe, zur politischen Waffe wird, dann wird… die genaue Beobachtung von Krieg und Kriegsvorbereitung, die Verwendung von wissenschaftlicher Genauigkeit für den Wissenschaftler zur Pflicht.

Lobendes über W&F:

Der aufmerksame Zuhörer bemerkt längst, dass diese Thesen den Weg vorbereiten für die Laudatio auf den Jubilar, W&F, nunmehr das 15. Erscheinungsjahr vollendend. Ich würde gern den Ursprung der Zeitschrift im Nachrüstungsprotest der ersten Hälfte der 80er Jahre vergleichen mit einem anderen Schlüsselvorgang der deutschen Nachkriegsgeschichte, der Auseinandersetzung um die nukleare Ausrüstung der Bundeswehr in der zweiten Hälfte der 50er Jahre… (in diesem Kontext entstanden die Blätter für deutsche und internationale Politik, Argument, Konkret und Atomzeitalter). Während die Zeitschriftenprojekte des Jahres 1958 bezeichnenderweise der linken Kritik, ja marxistischen Positionen verpflichtet waren, aber ihre wenig spezifischen Titel wählten, ist es 25 Jahre später anders. Wissenschaft und Frieden drückt mit der Wahl der Selbstbezeichnung eine dezidierte Positionsnahme aus, die aber in der Umsetzung nicht mehr so deutlich für die marxsche Gesellschaftsanalyse eintritt… W&F (ist) wesentlich internationaler… angelegt als die Vorjournale, während die Militärkritik heute gleichermaßen viel konkreter ausfällt. Auch das Erscheinungsbild unterscheidet sich sehr: … W&F (hat) einfach eine andere, modernere Blattkultur…, ganz zu schweigen von der CD-ROM, auf der man die Zeitschrift nunmehr haben kann.

Als derzeitiger Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung möchte ich diesen Teil schließen mit einigen Reflexionen über das Verhältnis von Friedensforschung und den Lesern und Machern der Zeitschrift, dem friedenspolitisch aufgeschlossenen Teil der politischen Linken. Das Verhältnis war spannungsreich, auf mehreren Ebenen. Die verhältnismäßig kleine Community der Friedensforschung wird recht kritisch wahrgenommen, etwa von dem Bereich Internationale Politik bei den Politologen… Aber auch die allgemeine politische Linke setze die Friedensforschung unter Ideologieverdacht – der fehlten doch die angemessenen, die marxschen Kategorien zur Analyse der Realität.

»… hat die kritische Friedensforschung und die kritische Linke aufeinander zugeführt »

Ich meine, die kollektive Erfahrung des Raketenprotests in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, welche W&F erzeugte, hat beide Richtungen, die kritische Friedensforschung sowie die kritische Linke, aufeinander zugeführt. In der Linken wurde akzeptiert, dass die wissenschaftlich hinreichende Analyse der empörenden Realität einschlägige Forschung erfordert, und in der Friedensforschung, wenigstens in ihrem kritisch engagierten Teil, wurde erkannt, dass ohne Bezug auf soziale Bewegung alle kritische Analyse nichts verrichtet…

Folgerungen für die Friedensforschung und -publizistik:

In der neuen rot-grünen Republik soll ja lt. Regierungsabkommen die Friedensforschung wieder zentral gefördert werden, die Regierung setzt sich „für den Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung ein.“ Es geht um neue Ausbildungsmöglichkeiten für Peacekeeping und Peacebuilding.

In dieser Runde ist es gewiß angemessen, über die Umsetzung dieser Vorhaben zu reflektieren…

Im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung sind wir dabei zu folgenden Auffassungen gelangt:

Da ist erstens das Modell, nach dem Vorbild des renomierten SIPRI, welches ja dem schwedischen Reichstag zugeordnet ist, oder auch des dem amerikanischen Kongreß zugeordneten US-Institute for Peace, ein Hauptstadt-Friedensforschungsinstitut einzurichten. Wir halten das für nicht richtig – was soll eine solche Einrichtung neben den existierenden Einrichtungen wie der Hessischen Stiftung oder dem Hamburger Institut für Friedens- und Sicherheitspolitik?

Auch die Umlage der Fördermittel auf diese Einrichtungen verspricht nicht den frischen Impuls, den die neue Bundesregierung anstrebt. Die vorhandenen Institute sollen gewiß beteiligt sein, aber etwa in bezug auf die Prioritäten Ausbildung für Peacebuilding und Peacekeeping stehen sie nicht vornan.

Eine Neuauflage der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung erscheint uns gleichfalls als nicht zweckmäßig. Die DGFK war überkomplex organisiert, ihr organisatorischer Wasserkopf mit Kuratorium und Konzil neben Vorstand und Förderkommission drückte eher Probleme des Bildungsförderalismus aus als forschungsnahe Prioritäten.

Die Übertragung der Mittel an die DFG schließlich erscheint angesichts der disziplinären Verhärtungen dort als wenig attraktiv. Diese Wertung gilt ausdrücklich nicht der Bonn-Bad Godesberger Einrichtung oder gar ihren Mitarbeitern, sondern wendet sich zentral gegen Wissenschaftsauffassungen, wie sie etwa der Senat und die dort versammelten Professoren in seinen Entscheidungen sichtbar werden lässt.

Da es verstärkt um Ausbildung geht, erscheinen uns – positiv gewendet – die Hochschulen als Empfänger von Unterstützung besonders geeignet, etwa, indem ein Hochschulsonderprogramm Friedensforschung aufgelegt wird. Das käme der Intention entgegen, dezentral zu fördern. Auch könnte ein solches Programm Komponenten zur Frauenförderung sowie zur Förderung der Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen enthalten.

Mit andern Worten, ein solches Hochschulsonderprogramm soll nicht zur Linderung der sattsam bekannten Finanznöte der Universitäten dienen. Es soll den Hochschulen aber die Möglichkeit geben, in der Krise ihre friedenswissenschaftliche Kompetenz zu erweitern.

Ein solches Programm könnte ausgeschrieben werden, es sollte für die Institute der Friedensforschung wie auch für mögliche andere Bewerber offen gehalten werden. Ziel wäre die bewußte Heranziehung von Nachwuchs – einer weiteren Priorität der neuen Regierung.

Dr. Corinna Hauswedell, Historikerin, Vorstandsmitglied von W&F:

Das zum Abschied bereite Jahrhundert hätte in Sachen internationaler Friedens- und Sicherheitspolitik mit den 80er und 90er Jahren kaum zwei unterschiedlichere, aufeinanderfolgende Jahrzehnte hinterlassen können.

Im Laufe der 80er Jahre konnte der in der bisherigen Geschichte politisch-ideologisch wie technologisch am höchsten aggregierte und gerüstete, globale Ost-West-Konflikt beigelegt werden – im Konzert einer vorher und nachher nicht wieder erreichten öffentlichen Diskussion über Konzepte und praktische Wege der Friedenssicherung.

Die 90er Jahre mit ihrer Gemengelage aus Erwartungen an eine Friedensdividende im weiteren und engeren Sinne, den neuen Herausforderungen einer de facto erstmals in größeren Stil begonnenen Abrüstung, aber auch aus andauernden und neu aufbrechenden Konfliktpotentialen und Gewaltrealitäten sind Impulsgeber für die jetzt vorzufindende Bandbreite friedensorientierten Nachdenkens und Handelns geworden.

Auch angesichts der damit verbundenenen, früher ideologischer als heute geführten Auseinandersetzungen in Politik und Friedenswissenschaft erscheint die während dieser beiden Dekaden kontinuierliche, und zugleich durch Umbrüche und Veränderungen geprägte redaktionelle und herausgeberische Arbeit an der Zeitschrift W&F mit einem klaren thematischen Fokus und einer ideell und materiell wenig herrschaftspotent ausgestatteten Struktur als eine recht passable Leistung …

Es war ein guter Humus für W&F, dass die 80er Jahre ihre spezifischen Demokratisierungsimpulse vor allem einer doppelten Neukonstituierung von Öffentlichkeit verdankten: zum einen den sog. Neuen Sozialen Bewegungen… und zum anderen der Herausbildung einer Mediengesellschaft mit den unseren politischen und persönlichen Alltag revolutionierenden Kommunikationsformen und -strukturen.

Auf diesem Humus konnte die Zeitschrift sich und der mit ihr im weiteren verbundenen Community zwei spezifische Verdienste erwerben, die jeweils mit den eingangs erwähnten Unterschieden der beiden letzten Jahrzehnte korrespondieren: In den 80er Jahren war dies die Schaffung eines für die deutsche Diskussion neuen Forums vor allem naturwissenschaftlich geprägter Rüstungskritik, in den 90er Jahren das Angebot einer disziplinenübergreifenden Kommunikationsstruktur für die neuen friedenswissenschaftlichen Herausforderungen nach dem Kalten Krieg…

Die im Editorial der Nummer 1/1983 von W&F ergangene Einladung an die im Zuge der Friedensbewegung entstandenen Wissenschaftlerinitiativen, insbesondere der Naturwissenschaftler, durch ihre Mitarbeit zur Qualifizierung der öffentlichen friedenspolitischen Diskussion beizutragen, hatte mit dem amerikanischen »Bulletin of the Atomic Scientists« ein Projekt friedensengagierter Wissenschaftspublizistik vor Augen gehabt, in dem seit dem Eintritt in das Nuklearzeitalter nüchterne Hardwareexpertise mit dem Ethos der wissenschaftlichen Verantwortung verbunden wurde.

Es war für die bundesrepublikanische Landschaft jener Tage sicherlich nicht untypisch, dass die Initiative, für die zunächst Informationsdienst Wissenschaft und Frieden genannte Zeitschrift, aus den Reihen der akademischen Linken ins Werk kam. Rainer Rilling vom BdWi bewies damit ein hohes Gespür für den Stellenwert des bewegenden Zeitthemas und seine Demokratiehaltigkeit. Zusammen mit Paul Schäfer als engagiertem Redakteur und Anreger interessanter Beiträge wurde in den ersten acht Jahren die intellektuell attraktive Federführung des Heftes und das notwendige Durchstehvermögen für das innovative Projekt kreiert.

»Die Kritik der Waffen, als Enthüllung von und Frühwarnung vor neuen rüstungstechnologischen Entwicklungen… wurde zu einer Waffe der Kritik «

Die Kritik der Waffen, als Enthüllung von und Frühwarnung vor neuen rüstungstechnologischen Entwicklungen war ein Prinzip der Redaktionsarbeit von W&F, und wurde im öffentlichen Diskurs zu einer Waffe der Kritik an einer Dynamik, die immer wieder militärischen und nicht zivilen Konfliktlösungen Vorschub leistete…

Einen kritischen Umgang mit Wissenschaft und Technik in diesem Sinne für einen rationalen Pazifismus populär zu machen, wie er sich in den 80er Jahren entwickelte, kann vielleicht als die eine politisch-praktische Zielrichtung im Redaktionsverständnis von W&F angesehen werden. Verbunden war dies stets mit einer anderen, mit der Rückkoppelung in die Wissenschaft selbst, genauer zu den Hochschulen als den Orten von Wissenschaftsproduktion, Lehre und Ausbildung. Mit der Verbreitung von Seminar- und Vorlesungsprogrammen, Personen und Themen, unterstützte die Zeitschrift ein wesentliches Netzwerk- und Bildungsanliegen der friedenswissenschaftlich tätigen Initiativen und Individuen, und beschritt mit einer nirgendwo sonst vorfindbaren fachwissenschaftlichen Vielfalt natur- und sozialwissenschaftlicher, kulturhistorischer, psychologischer und pädagogischer Fragestellungen den Weg vom Informationsdienst zum interdisziplinären Magazin.

Ein Projekt, das sich mit einem derart kontroversen Themenfokus und so deutlich an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Bürgerwegung verortete, durfte sich nicht wundern, dass es auch die Verwerfungen in jedem dieser Bereiche und zwischen diesen immer wieder zu spüren bekam. Es dauerte eine Weile, bis Interviews in W&F mit führenden sicherheitspolitischen Experten der etablierten Politik in den späten 80er Jahren normaler wurden. Manchen Friedensforschern war das gebotene Forum nicht akademisch genug. In der Umbruchzeit zwischen 1989/90 und dem Golfkrieg 1991 lagen Hoffnungen, Resignation und Suche nach neuen Betätigungsfeldern in der Friedensbewegung und auch in den Wissenschaftlerinitiativen eng beieinander. War der Fokus Frieden und Rüstungskritik angesichts der vom Schleier des Kalten Krieges befreiten globalen Probleme noch zu vertreten? In welche Richtung ging der wind of change? Und würden die Ressourcen im engeren Sinne, die für ein inzwischen anspruchsvolles Zeitschriftenprojekt gebraucht wurden, ausreichen für eine Erneuerung?

Mit der Veröffentlichung des Memorandums »Friedenssicherung in den 90er Jahren – Neue Herausforderungen an die Wissenschaft« im Januar 1992 in W&F wurde nicht nur ein bis heute politisch-inhaltlich relevanter (vielleicht noch nicht genügend beachteter) Themenkatalog und konzeptioneller Impuls vorgelegt. Das in dieser Form einmalige Zusammenwirken an dem Text von über 30 west- und ostdeutschen Friedenswissenschaftlern aus den Natur- und Gesellschaftswissenschaften signalisierte auch im Innenverhältnis der Community so etwas wie ein Rauswachsen aus den Aporien der Cold-War-Ära, durchaus zum Nutzen künftiger Kooperation inner- und außerhalb von Institutionen und Netzwerken, wie es auch W&F eins ist.

In der Binnenstruktur von W&F unternahm die Redaktion unter neuer Leitung von Caroline Thomas 1992 die Aufgabe, mit soft- und hardware-Impulsen aus der Friedenswissenschaft die Themenführung des Heftes um Schwerpunkte wie z.B. Nord-Süd-Dialog, Zerbrochenes Europa, Das UN-System zwischen Macht und Ohnmacht, oder Medien und Gewalt zu erweitern. Rückendeckung sollte die neue Herausgeberstruktur, jetzt in den Händen der Wissenschaftler-Initiativen selbst, geben. Übrigens mit dem bis heute vorbildlichen, zuweilen notwendigen »supervisorischen« Geleit von Gert Sommer von der Psychologeninitiative »Bewusst-Sein für den Frieden«.1993 kam auch die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) in diese Struktur. Das Organ bekam einen ordentlichen Vorstand, zunächst mit Peter Krahulec, dem langjährigen sympathischen Kopf des Arbeitskreises Frieden in Forschung und Lehre an Fachhochschulen, ab 1996 bis heute mit dem damaligen Vorsitzenden der AFK Wolfgang Vogt. Das Zusammengehen mit anderen in der Friedensbewegung tätigen Organen, am bekanntesten der ehemalige »Mediatus« des Weilheimer Instituts, half weitere Kräfte und Ressourcen zu bündeln…

Woran und wie lassen sich denn – gestatten Sie diese vorsichtige Frage einer sympathisierenden Zeithistorikerin – die Wirkungen eines solchen Unternehmens wie W&F messen?

An der Innovationsfähigkeit beim Bearbeiten der relevanten Themen? Nicht schlecht, W&F.

An der Entwicklung der Abonnenten- und Leserzahlen? Sicherlich. Mit zwischen 3.500 und 4.500 sind sie über die Jahre verdächtig konstant.

An der Anzahl der Nachdrucke und Resonanz in anderen Medien? Tendenz in jüngerer Zeit deutlich steigend.

»…die Kritik am Militär immer wieder ironisch mit der Kultur des Friedens kontrastieren «

Und nicht zuletzt sicherlich an der Fähigkeit, einen eigenen Stil zu prägen und diesem treu zu bleiben. Bei W&F heißt das auch, die Kritik am Militär immer wieder ironisch mit der Kultur des Friedens zu kontrastieren, sparsam gestaltet in schwarz-weiss, aber mit Lust an Schattierungen! Und natürlich ohne der negativen Faszination der modernen Technik, ihrer IANUS-Köpfigkeit zu erliegen. Danke Rainer Rilling für 15 Jahre W&F – jetzt auf CD-Rom! Danke auch an Stefan Knaab, den desk-top-Betreuer seit der ersten Stunde!

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1999/1 Risiko Kapital, Seite