25 Jahre Wissenschaft & Frieden
von Jürgen Nieth
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Im Oktober 1983 – vor 25 Jahren erschien die erste Ausgabe von Wissenschaft & Frieden. Werfen wir einen Blick zurück: Nie in der Geschichte der Bundesrepublik war die Friedensbewegung stärker und in der Öffentlichkeit präsenter als in diesem Jahr 1983. Hunderttausende demonstrierten während des Ev. Kirchentages in Hannover gegen die Stationierung von Pershing II und Cruise Missile, fast anderthalb Millionen beteiligten sich am 22. Oktober an den Demonstrationen in Bonn, Berlin und Hamburg sowie an der Menschenkette zwischen Stuttgart und Ulm. Sechs Millionen hatten den Krefelder Apell unterschrieben, mit der Aufforderung „an die Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zurückzuziehen.“
Die Friedensbewegung bediente sich aber nicht nur vielfältiger Protestformen, sie entwickelte auch eine bis dahin in dieser Breite nie gekannte wissenschaftliche Kompetenz. Ermöglicht wurde Letzteres u.a. durch eine Palette wissenschaftlicher Literatur und die Herausbildung zahlreicher berufsspezifischer Friedensinitiativen. Bereits 1982 hatte sich die »Deutsche Sektion der internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges« (IPPNW) gegründet. 1983 wurde mit dem Mainzer Kongress der Grundstein für die Bildung der »NaturwissenschaftlerInnen-Initiative – Verantwortung für den Frieden« gelegt. Es folgten die Friedensinitiativen der Juristen, der Psychologen, der Kulturschaffenden, der Pädagoginnen und Pädagogen, der Historiker, der Städtepläner usw. Diese Situation rief geradezu nach einem Informationsdienst an der Schnittstelle von Friedenswissenschaft und Friedensbewegung. Der Bund demokratischer WissenschaftlerInnen ergriff die entsprechende Initiative.
Doch trotz aller Widerstände begann am 10. Dezember 1983 die Stationierung der atomaren Mittelstreckenraketen in der BRD. Die Rüstungsspirale drehte sich weiter und mit den US-amerikanischen Plänen zur Weltraummilitarisierung (SDI) drohte eine neue Eskalationsstufe.
Im ersten Editorial von W&F schrieben Rainer Rilling und Paul Schäfer: Der Infodienst „wird
• bundesweit friedenspolitische Aktivitäten im Wissenschaftsbereich dokumentieren…
• einen interdisziplinären Erfahrungs- und Informationsaustausch organisieren helfen…
• Analysen und Materialien zum Problemkreis Rüstungsforschung, Militarisierung der Wissenschaft etc. liefern.“
W&F wurde mit dieser Linie zu einer wichtigen Informationsquelle der Bewegung.
1986 gaben dann die USA und die Sowjetunion in Reykjavik ihre harten Positionen auf: Rüstungskontrolle und Abrüstung schienen machbar. 1989/90 dann die Implosion des Warschauer Paktes, die NATO verlor den Feind und in der Bevölkerung wuchs die Hoffnung auf eine Friedensdividende. In einem kurzen Zeitfenster stellte sich damit auch die Frage nach dem Charakter und der Notwendigkeit von W&F.
Doch spätestens Mitte der 1990er Jahre wurde sichtbar, die Welt war nicht friedlicher nach dem West-Ost-Konflikt. Zerfallende Staaten, neue Kriege und das Streben der übrig gebliebenen Weltmacht nach absoluter Dominanz prägten das Bild. Rüstungsausgaben und Rüstungsexporte stiegen wieder. Mit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien kam es dann auch zum offenen Bruch des Völkerrechts durch die NATO und das mit Beteiligung der deutschen Bundeswehr. Eine Bundeswehr, die heute mit über 6.000 SoldatInnen in elf Ländern im Einsatz ist und wieder Krieg führt. Siehe Afghanistan!
Die Welt ist unübersichtlicher geworden und neue Themen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, wie z.B. die Folgen der Globalisierung, die Verletzung der Menschenrechte, die Aushebelung des Völkerrechts, die Privatisierung der Kriege. Gleichzeitig rücken aber auch »alte« Konfliktfelder wieder ins Blickfeld: Bestehende Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen werden nicht eingehalten, wie z.B. der Atomwaffensperrvertrag; die Rüstungsspirale dreht sich wieder schneller – das wird nicht nur in der A-Waffenforschung und der Weltraummilitarisierung sichtbar; zur Sicherung von Ressourcen und von Einflusssphären wird verstärkt auf die militärische Karte gesetzt; neben dem neuen Feindbild Islam wird auch das alte aus dem Ost-West-Konflikt wieder aufpoliert.
Der Start eines politischen Projektes wie W&F muss den Wunsch beinhalten, sich selbst überflüssig zu machen. Ziehen wir nach 25 Jahren Bilanz, dann müssen wir aber leider erkennen, dass wir davon sehr weit entfernt sind. Auf eine Stimme, die sich unbeirrbar und konsequent für friedliche Konfliktlösungen einsetzt und die wissenschaftlich fundiert Wege hin zu einer gerechteren und zukunftsfähigen Welt aufzeigt, kann nicht verzichtet werden.
Unser Dank gilt allen, die W&F über die Jahre unterstützt haben – durch Artikel und als AbonnentInnen. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein, dass diese Stimme deutlicher gehört wird.
Ihr Jürgen Nieth