W&F 2023/3

Es stand in W&F


Militärputsch in Niger

Der Militärputsch in Niger hat die Aufmerksamkeit erneut auf einen Sahelstaat und seine internen (Gewalt-)Konflikte gerichtet – auf den Staat in dem beispielsweise die verbliebenen deutschen UN- und EU-Mandatstruppen für Mali und die französischen Einsatzkräfte der ehemaligen »Barkhane«-Einheiten stationiert sind. Dass viele Sahelstaaten in einem neokolonialen Verhältnis zu europäischen Mächten stehen und welche Erklärungs- und Konfliktrelevanz diesem Umstand für konkrete Gewaltausbrüche gewidmet werden muss, hoben in Ausgabe W&F 1/2021 Christoph Marischka (»Europas Hinterhof?«) und Dolly Afoumba (»Rekolonisierung des Sahel«) hervor.

Sozialabbau und Aufrüstung

Schon in der allerersten Ausgabe von W&F 1/1983 (damals noch als »Informationsdienst«) vor 40 Jahren (!) problematisierte Herbert Wulff unter dem Titel »Sozialabbau und Aufrüstung« den Doppelstandard bei der Zuweisung von Mitteln für »Soziales« und für »militärische Zwecke« bei knappen Kassen. Diese Trends der Streichung sozialer Titel bei gleichzeitigem Aufwuchs im »Sicherheitssektor« zeigen eine Tendenz, die sich offenbar ungebrochen bis heute fortsetzt. Dieser systematische Zusammenhang bedarf auch in der aktuellen Debatte dringend der Kritik – dafür kann der Rückgriff auf Debatten der 1980er Jahre helfen, um die Augenwischerei zu entlarven.

Feministische Friedenspolitik

Erst in der letzten Ausgabe von W&F 2/2023 kritisierten und lobten unsere Gastkommentatorinnen Marieke Fröhlich und Victoria Scheyer die von Außenministerium und BMZ veröffentlichten Leitlinien zu feministischer Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Sie schrieben: „[E]ine feministische Außenpolitik ohne ernsthafte Selbstreflexion, […], verfehlt ihr feministisches Ziel“. Eine nun veröffentlichte Stellungnahme vieler feministischer NGOs und ThinkTanks stößt ins selbe Horn und führt bei aller Anerkennung diese Kritik entlang der Leitlinien detailliert aus (u.a. WILPF, 6.7.23).

Berliner Notizen

Anmerkungen aus dem Politikbetrieb


Öffentliche Anhörung zu Abrüstung

Anfang Mai fand im Unterausschuss »Abrüstung« eine öffentliche Anhörung über die „Zukunft der globalen Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur“ statt. Die geladenen Wissenschaftler*innen und Abrüstungsaktivist*innen stellten ihre jeweiligen Perspektiven vor, die sowohl mögliche kommende Prinzipien berührten als auch konkrete Maßnahmen umfassten. Angelika Claußen (IPPNW) forderte einen Paradigmenwechsel bei der Rüstungskontrolle mit den Leitprinzipien »Kooperation« und »Gemeinsame Sicherheit« statt Konkurrenz und Konfrontation. Jürgen Altmann (TU Dortmund) schlug unter anderem vor, dass sich Deutschland in Bezug auf konventionelle Streitkräfte in Europa für einen Ersatzvertrag zum KSE-Vertrag einsetzen sollte, vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen der OSZE reaktiviert werden sollten und insbesondere Systeme und Strukturen abgerüstet werden sollten, die Druck zum schnellen Zuschlagen erzeugen. Die Expert*innen forderten auch ein „nationales Konzept zu menschlicher Kontrolle über den Gewalteinsatz“ (Anja Dahlmann, IFSH) für die Nutzung automatisierter Waffensysteme. Ulrich Kühn (IFSH) stellte für die kommende Rüstungskontrolle bei Nuklearwaffen heraus, bei der Erarbeitung von Verhaltensstandards zu identifizieren, „welche Standards von Russland und China sowie weiteren Nuklearmächten mitgetragen werden könnten[…]. Frühzeitig sollten die Schwergewichte des Globalen Südens mit eingebunden werden“.

Neues Gutachten: Wann wird Deutschland Kriegspartei?

Erneut haben sich die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages im Juni mit der Frage beschäftigt: »Militärische Unterstützung der Ukraine: Wann wird ein Staat zur Konfliktpartei?« (WD2-023/23). Die Wissenschaftler*innen sind recht vorsichtig in ihrer Bewertung und kommen (noch im Juni) zur Einschätzung, dass „[i]m Ukrainekrieg […] indes nichts darauf hin[deutet], dass die Lieferung westlicher Waffen gegen die genannten Vorschriften [des humanitären Völkerrechts] verstoßen könnte“ (S. 12). Diese Einschätzung dürfte sich durch die Debatte um Streumunition (s.u.) etwas verkompliziert haben. Ganz zum Ende des Gutachtens kommen die Autor*innen aber auch zu einer interessanten Kritik: „Noch finden sich […] keine expliziten Rechtsauffassungen, welche die Unterstützung der NATO-Staaten zugunsten der Ukraine pauschal als eine Form der Konfliktbeteiligung bewerten. Doch lässt sich ein gewisses »Unbehagen« an der juristischen und rhetorischen »Orchestrierung« der westlichen Unterstützung kaum verhehlen. Das politische Schlagwort von der »Kampfjetallianz« geht jedenfalls schon rein semantisch über den logistischen Vorgang einer Lieferung von Flugzeugen hinaus“ (S. 34).

Zur Debatte um Streumunition für die Ukraine

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sich im Sommerinterview mit dem ZDF Anfang Juli zur Frage der Lieferzusage von Streumunition der USA an die Ukraine derart geäußert, dass er zwar für Deutschland die Unterschrift unter die sogenannte »Oslo-Konvention« weiterhin für richtig erachte, dass aber in dieser Zeit den USA nicht „in den Arm“ gefallen werden dürfe, eine Kritik sich also mithin verbiete. Dies führte zu einiger Empörung und hat mittlerweile sowohl rechtliche Konsequenzen (u.a. eine Strafanzeige gegen den Bundespräsidenten) als auch rechtswissenschaftliche Erörterungen nach sich gezogen. Einerseits betonen alle Stellungnahmen eine tatsächliche Verpflichtung der Vertragsstaaten, nach »bestem Gewissen« alle Nichtvertragsparteien vom Einsatz dieser Munition abzubringen, und heben auch hervor, dass sich für das Zusammenwirken von schon gelieferten militärischen Gütern mit der Streumunition (bspw. der Verschuss über von Deutschland gelieferten Haubitzen) erhebliche völkerrechtliche Herausforderungen ergeben. Allerdings wird auch der weite Spielraum des »besten Gewissens« der Vertragsparteien hervorgehoben – eine Formulierung, die wohl politisch eine stillschweigende Toleranz gegenüber der Lieferung ermöglichen wird.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2023/3 Gesellschaft in Konflikt, Seite 4