Frieden auch digital?
Jahrestagung der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, Ev. Akademie Loccum, 21.-23. April 2023
Unter dem Thema »Frieden digital. Wie beeinflussen sich Konfliktbearbeitung und Digitalisierung?« knüpfte die Plattform direkt an die Jahrestagung 2022 an, auf der die digitale Transformation und die damit verbundenen Konflikte einer der beiden exemplarisch behandelten Transformationskonflikte war (vgl. den Tagungsbericht in W&F 3/2022, S. 50f.).
Wie kann der »öffentliche« digitale Raum so gestaltet werden, dass er demokratisch und allen gleichermaßen zugänglich ist? Die großen digitalen Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram, TikTok sind privatrechtlich organisiert, de facto aber inzwischen ein öffentlicher Raum geworden. Dadurch gibt es eine Mischung aus privatrechtlichen Nutzungsbestimmungen und staatlichen Rahmenbedingungen, die bei weltweit genutzten Plattformen aber nicht immer greifen. So gibt es immer wieder Kontroversen um Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz, Umgang mit Fehlinformationen oder Verleumdungen. Zum Einstieg in dieses komplexe Thema fand ein Panel mit Daniel Duke Odongo aus Nairobi, der an der Weiterentwicklung der Menschenrechtsplattform »Ushahidi« arbeitet, und Erik Tuchtfeld vom Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg statt. Hier ging es vorrangig um die Vorstellung einer nicht gewinnorientierten, partizipativen Plattform und um juristische Aspekte.
Im zweiten Panel ging es dann um den komplizierten Zusammenhang zwischen Konflikten im digitalen und im physischen Raum. Anne-Marie Buzatu von der ICT4Peace Foundation in Genf, Mischa Hansel vom IFSH in Hamburg, Elizaveta Kuznetsova vom Weizenbaum Institut in Berlin und Claudia Meier aus Berlin, die u.a. für die internationale Friedensorganisation BuildUp arbeitet, stellten je verschiedene Aspekte dieses Zusammenhangs vor. Die Präsentationen umfassten breite Felder, von Cyberangriffen bzw. ihrer Verhinderung/Sanktionierung über völkerrechtliche Aspekte der Nutzung ziviler Digitaltechnologie im Krieg am Beispiel des Ukrainekrieges, bis hin zu Parallelen zwischen Konflikten und ihren Eskalationsdynamiken im physischen und im digitalen Raum.
Dabei kamen auch einige Unterschiede zwischen dem digitalen und dem physischen Raum zur Sprache: Beispielsweise werden Cyberwaffen durch ihre Anwendung unbrauchbar, weil die nicht erkannten oder nicht rechtzeitig geschlossenen Sicherheitslücken, auf denen sie beruhen, schnell geschlossen werden können. Ebenso ist der Unterschied zwischen Spionage und Angriff im digitalen Raum fließender als im physischen Raum, weil schon einzelne Akteure dramatischere Folgen erzeugen können. Nicht zuletzt können im digitalen Raum anders als im direkten Kontakt völlig falsche Identitäten (anderes Geschlecht, Alter, Aussehen, Nationalität) vorgespiegelt werden. Im digitalen Raum entstehen auch neue Risiken – sind sich z.B. diejenigen, die »Open Source Intelligence« (bspw. »bellingcat«) betreiben, also mit öffentlich zugänglichen Informationen Aufklärung über reale Sachverhalte ermöglichen, darüber im Klaren, dass sie durch die Veröffentlichung ihrer Erkenntnisse auch zu Angriffszielen werden können?
Am zweiten Tag lag der Fokus auf der Praxis. Im ersten Panel diskutierten Emma Baumhofer von Swisspeace in Bern, Andreas Hirblinger vom Geneva Graduate Institute in Genf und Rita Costa Cots von BuildUp aus Barcelona/Utrecht miteinander, was über »Digitales Peacebuilding« bereits bekannt ist. Wichtige Erkenntnisse waren: Digitales Peacebuilding entwickelt sich genauso dynamisch wie die digitalen Technologien und ihre Nutzung und passt sich idealerweise stets mit an. Dabei ist im Auge zu behalten, dass eine Dezentralisierung der Entwicklung digitaler Technologien stattgefunden hat – Neuerungen kommen längst nicht mehr aus dem »Silicon Valley«. Für eine effektive Zivile Konfliktbearbeitung müssen online, genauso wie offline, geschützte Räume geschaffen werden, wobei die Expert*innen gleichermaßen betonten, dass rein digitales Peacebuilding nicht funktionieren würde. Zentral für die kritische Begleitung jeder neuen Technologie aus einer konfliktsensitiven Brille sei es, nicht primär darauf zu schauen, was diese leisten könnten, sondern eher, wie sie Interaktionen, Machtverhältnisse oder Inklusion/Exklusion von Gruppen verändern (drohen). So könnte zielgerichtet und präventiv konfliktbearbeitend interveniert werden. In der Diskussion wurde auch die praktische Frage aufgeworfen, wie sinnvoll mit welchen Daten umgegangen werden könnte, wer auf sie Zugriff hat und wer durch diesen Zugriff gefährdet werden kann (oft die Projektbeteiligten aus Partnerländern).
In jeweils parallelen Workshops wurde dann im Anschluss mit weiteren Expert*innen über verschiedene Methoden digitaler Arbeit im Kontext von Konfliktbearbeitung diskutiert: es kamen Monitoring & Dokumentation, »Pro-peace«-Kommunikation, »Counter-Propaganda« & Friedensbewusstseinsbildung, Dialog & Mediation sowie Digitales Empowerment und digitale Qualifizierung zur Sprache. Wichtige Erkenntnisse aus diesen Workshops:
- Digitale Desinformation kann Friedensprozesse behindern und blockieren, daher muss der digitale Raum im Blick gehalten und aktiv an der Verbreitung korrekter Informationen gearbeitet werden. »Codes of Conduct« für den digitalen Raum, die mit lokalen Partnerorganisationen erarbeitet werden, können dabei hilfreich sein.
- Mit Internetsperren durch Regierungen muss in vielen Konfliktzusammenhängen gerechnet werden. Die Beispiele dazu sind zahlreich. Mittlerweile stehen auch tools zur Umgehung großflächiger Zensur und Zugangssperren bereit – bei einer technischen Abschaltung des Internets sieht dies aber anders aus.
- Gegen Hass im Netz kann digital mit ähnlichen Methoden wie gegen Mobbing in der physischen Welt vorgegangen werden. Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer digitalisierten Welt auf, die sich laufend verändert. Für viele Eltern sind Elemente oder neu entstehende Plattformen, Kommunikationsformen oder auch Konfliktaustragungen in diesen digitalen Welten fremd, sie sehen daher die Gefahren durch Cybermobbing oder riskante »Challenges« nicht und können ihre Kinder nicht schützen. Es sei daher für alle wichtig immer nachzufragen, ohne zu bewerten, sich zeigen zu lassen, womit die Kinder sich beschäftigen, und Hilfe anzubieten oder Expert*innenwissen einzuholen, wenn etwas bedrohlich wird.
- Solange das Ziel einer Anwendungsentwicklung nach der Maxime »Security by design« noch in weiter Ferne ist, sollten Nutzer*innen die Sicherheitseinstellungen von Plattformen bzw. Sicherheitsmaßnahmen so streng wie irgend möglich einhalten. Und als Tipp für Anwender*innen: Bei jeder neuen IT-Anwendung sollten sie überlegen, welchen Mehrwert diese bietet und welcher Aufwand damit verbunden ist. Im Zweifelsfall sollte darauf verzichtet werden.
Am dritten und letzten Tag wurde mit Tobias Bacherle, MdB (Bündnis90/Die Grünen), Lorena Jaume-Palasí, Mitglied des »Advisory Board for the Panel for the Future of Science and Technology« (STOA) des Europäischen Parlaments, und Klemens Semtner, Auswärtiges Amt, darüber diskutiert, wie digitale Friedens- und Konfliktthemen im politischen Raum diskutiert und wo unsere Erkenntnisse dazu eingebracht werden können. Hier kamen u.a. die Frage des Missbrauchs digitaler Identitäten und wissenschaftlicher Daten durch autoritäre Staaten, die materielle Seite der Digitalisierung (Strom- und Ressourcenverbrauch), die Risiken von Künstlicher Intelligenz und die Frage digitaler Frühwarnungs-Daten zur Sprache.
Eine knappe Gesamtbilanz der Tagung: Auch wenn Zivile Konfliktbearbeitung zwingend den direkten Kontakt zwischen Menschen braucht, findet sie heute in einer Welt statt, in der für die meisten Menschen digitale Räume und die Interaktionen in diesen (mitsamt aller Konflikthaftigkeit) ein gewichtiger Teil ihres Lebens sind – und somit Teil des Peacebuildings werden (können). Dabei scheint es bei Betrachtung aller eindringlicher Statements auf der Tagung entscheidend, die Gemeinsamkeiten aber auch die Unterschiede von Online- und Offline-Welt genau zu beachten und entsprechende Maßnahmen zu entwickeln. Dies gilt auch für die Dynamiken der Nutzung von Online-Tools und -Plattformen. Nur mit einer solchen »digital bewussten« Brille wird Zivile Konfliktbearbeitung auch im 21. Jahrhundert weiter effektiv arbeiten können.
Ein ausführlicherer Tagungsbericht ist auf der Seite der Ev. Akademie Loccum zu finden: loccum.de/rueckblicke
Ute Finckh-Krämer