Harald Maier-Metz (2022): Frieden durch Recht – Recht ohne Frieden. Der Pazifist und Völkerrechtler Walther Schücking in Marburg 1902-1921. Academia Marburgensis Bd. 18. Münster: Waxmann. ISBN 978-3-8309-4626-7, 372 S., 49,90 €.
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 stehen völkerrechtliche Fragen zu legitimer Kriegsführung und friedlichen Verhältnissen in der Welt erneut im Fokus der internationalen Politik. Historisch betrachtet befeuerten bewaffnete Konflikte immer wieder Diskussionen um die Gestalt und Rechtmäßigkeit kriegerischer Auseinandersetzungen. Dies war auch in der spannungsreichen und in Bezug auf völkerrechtliche Entwicklungen hochgradig dynamischen Zeit am Umbruch des 19. zum 20. Jahrhunderts nicht anders. Als wichtige, nicht unumstrittene, aber friedenspolitisch maßgebliche Figur in dieser Zeit gilt der deutsche Rechtswissenschaftler Walther Schücking, dessen Arbeiten zur Weiterentwicklung des »Haager Rechts« und des Völkerbundes prägend für die juristischen und politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts waren und deren Auswirkungen wir heute noch spüren können. In einer politischen Biografie hat sich nun jüngst Harald Maier-Metz wieder dem Werk und Wirken des Völkerrechtlers und Pazifisten Walther Schücking in dessen Marburger Zeit (1902-1921) gewidmet.
Der umfangreiche Band zeigt in zwölf chronologisch aufgebauten Kapiteln die Verflechtungen zwischen Schückings völkerrechtlichem Werk, seinem friedensorientierten politischen Wirken und den umfassenden historischen Umwälzungen im Übergang vom wilhelminischen Kaiserreich zur Weimarer Republik. Besonderen Fokus legt Maier-Metz dabei auf die Zeit des Ersten Weltkriegs und die Entwicklungen rund um die Versailler Friedensverhandlungen 1919.
Walther Schücking, geboren 1875, kam 1902 als Professor an die Juristische Fakultät der Universität Marburg. Bereits früh begann er sich politisch zu engagieren und blieb Zeit seines Lebens linksliberalen und demokratischen Wertvorstellungen verbunden. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wandte er sich dem Pazifismus und Internationalismus zu – Haltungen, denen er in der Zeit von 1914 bis 1918 treu blieb und die er während der Weimarer Republik vertiefte. 1935 verstarb er im Den Haager Exil.
Eindrücklich zeigt Maier-Metz, wie Schücking in der konservativen juristischen Fakultät, der größtenteils »rechts« stehenden Stadtgesellschaft Marburgs und der deutschen Gesellschaft insgesamt sowohl mit seinem politischen Engagement als auch seinen wissenschaftlichen Werken immer wieder aneckte. Während seine Ideen in den Jahren der Weimarer Republik zwar zunehmend auf Verständnis stießen, er als Delegierter an der Versailler Friedenskonferenz teilnahm, Reichstagsabgeordneter und schließlich Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag war, blieb er Zeit seines Lebens unter den universitären Kollegen ein Außenseiter. Über die Jahre geriet er in eine gleichsam isolierte wie auch konfrontative Stellung zum Land Preußen und zur Philipps-Universität – ein Verhältnis, das aus universitärer Sicht bis weit nach Schückings Tod schwierig blieb. So versteht sich der Band auch als „eine nachholende kritische Würdigung von Schückings wissenschaftlicher und politischer Tätigkeit in seiner Marburger Zeit.“ (S. 12)
Bereits kurz nach seiner Ernennung zum Ordinarius begann Schücking sich ab 1908 sukzessive dem Völkerrecht zuzuwenden. Pointiert schildert Maier-Metz hier die maßgeblichen und wesentlichen Schriften Schückings in ihrem Entstehungskontext in Marburg. Die 1908 erschienene Schrift »Die Organisation der Welt« beinhaltet erste Ausführungen zum „Zukunftsmodell eines internationalen ‚Staatenbundes‘“ (S. 45) und spiegelt sowohl Schückings internationalistische und pazifistische Haltung wie auch die klare naturrechtliche Verankerung seiner rechtswissenschaftlichen Ausführungen. Maier-Metz gelingt es fortan zu zeigen, wie Schückings Überlegung, „[…] Frieden durch Recht zu schaffen, Macht durch Recht zu begrenzen und Krieg dauerhaft durch internationale Kooperation zu verhindern“ (S. 47), dessen weiteren wissenschaftlichen und politischen Werdegang bestimmte. Darüber hinaus bildeten die Idee eines Schiedsgerichts zur friedlichen Beilegung zwischenstaatlicher Konflikte und erste Gedanken zur Verwirklichung eines »Weltparlaments« Positionen, mit denen Schücking laut Maier-Metz im deutschen Kontext isoliert blieb, obwohl er sich international gleichwohl zu vernetzen wusste.
Nach 1914 vertiefte Walther Schücking seine Völkerrechtslehre vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs. Der Band zeigt auf eindrückliche Weise, wie Schücking seine wissenschaftlichen Ausführungen zur Schiedsgerichtsbarkeit und Schaffung eines Weltstaatenbundes weiter ausbaute und mit seinem politischen Engagement – durch das er zahlreichen Repressionen ausgesetzt war – verflocht. Seine 1916 in der Schrift »Der Ausbau des Haager Werks« präsentierten Ideen zu einem Weltstaatenbund mit »Grundvertrag« erinnern bereits an spätere Völkerbundentwürfe. Maier-Metz fasst dies treffend so zusammen: „Schücking war damit der deutschen Debatte weit voraus […]. Kriegseinhegung, Streitbeilegung, internationale Exekutive und Abrüstung waren in einen organisatorischen Zusammenhang gebracht, womit er als Vorreiter der Konzeption eines Völkerbundes in Deutschland gelten kann […].“ (S. 126)
Walther Schücking blieb auch der wichtigste deutsche Vordenker des Völkerbundes, als Mitglied der deutschen Delegation in Versailles versuchte er, seine Überlegungen zum Völkerbund einzubringen, wenngleich der 1919 geschlossene Vertrag ihn tief enttäuschte. Seine Kritik am Versailler Vertrag war jedoch, anders als bei den meisten Zeitgenossen, in erster Linie völkerrechtlich begründet. Maier-Metz stellt fest, dass Schücking seiner Überzeugung, nur durch Recht könne ein dauerhafter Frieden erreicht werden, treu blieb – eine Seltenheit in der damals zunehmend nationalistischen Stimmung auch in den Rechtswissenschaften. Der 1921 gemeinsam mit Hans Wehberg veröffentlichte Kommentar zur Völkerbundsatzung und sein dort erschienener Beitrag »Die Fortbildung des Völkerbundes« werden immer wieder als Schückings politisches Testament bezeichnet, das seine unermüdliche Arbeit zur „Stärkung des Rechtsgedankens unter den Völkern“ (S. 339) widerspiegelt. Maier-Metz zeigt klar, wie er diesen Gedanken konsequent und zuletzt als Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag (ab 1930) verfolgte.
Harald Maier-Metz gelingt es, mit seiner politischen Biografie eine spannende Perspektive auf Walther Schücking zu entwickeln, die bereits existierende Biografien und Darstellungen miteinander vereint und ergänzt. In dieser Syntheseleistung liegt der besondere Wert des Buches. Maier-Metz verzichtet dabei auf pathetische Überhöhungen, zeigt stattdessen immer wieder die vielen Ambivalenzen der Person Walther Schücking auf und entwirft so, auch in Abgrenzung zu anderen Darstellungen, ein differenziertes Bild des Völkerrechtlers. Es entsteht ein umfangreiches Prisma aus der Person Schückings als Mitgestalter und Miterlebender der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg, seinem wissenschaftlichen Werk und politischen Wirken. Obwohl der Fokus auf den Marburger Jahren liegt, wird die Darstellung weder zeitlich noch räumlich verkürzt. Einige lange Passagen zur internen Entwicklung diverser Verbände und Parteien hätten durchaus stärker auf die Rolle Schückings zugespitzt werden können. Zahlreiche Absätze kommen zudem ohne Verweis auf die aktuelle themenbezogene Forschungsliteratur aus – einziger Wermutstropfen in diesem ansonsten gelungenen Werk.
Sarah Wilder-Fehl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Neueste Geschichte der Philipps-Universität Marburg.