Mitteilungen der Herausgeber*innen
Vortragsreihe am ZfK wieder aufgenommen
Im Wintersemester 2023/2024 hat das Marburger Zentrum für Konfliktforschung die Vortragsreihe »Konflikte in Gegenwart und Zukunft« wieder aufgenommen. Die Reihe gibt es am Zentrum seit mehr als 20 Jahren, sie hat aber eine 40jährige Geschichte. Sie behandelt Themen wie Krieg und Frieden, Gewalt und Rassismus, soziale Bewegungen und Klimakrise oder Ungleichheit und Armut.
Das Besondere des Neustarts ist nun, dass das Zentrum für Konfliktforschung die Vortragsreihe gemeinsam mit der Stadt Marburg organisiert und die Vorträge im Rathaus stattfinden. Die Reihe richtet sich an die interessierte Marburger Öffentlichkeit. In diesem Semester thematisiert die Reihe aktuelle Entwicklungen im Asylrecht, Rassismus, migrantischen Aktivismus oder auch Antisemitismus.
Im Sommersemester 2024 wird die Reihe weitergeführt werden. Rahmenthema wird dann das vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ausgerufene »Wissenschaftsjahr Freiheit« sein. Im Mittelpunkt stehen werden dabei Vortragsthemen zur Meinungsfreiheit, wissenschaftlichen Freiheit, historischen Perspektiven auf Freiheit und der eingeschränkten Freiheit, die durch Gewalt, Migrationsregime oder gesellschaftliche Zwänge beschnitten wird.
IALANA veröffentlicht Broschüre zur Richter-Blockade in Mutlangen
Die von der »IALANA Deutschland – Vereinigung für Friedensrecht« veröffentlichte Broschüre soll einen Beitrag zum kollektiven Gedächtnis der Friedensbewegung leisten und Mut machen für aktuelle Herausforderungen.
Nach einer jahrelangen Vorgeschichte richterlichen Protestes gegen die Stationierung von atomaren Pershing II-Raketen und Cruise Missiles blockierten am 12.01.1987 zwanzig Richterinnen und Richter mit einer Sitzblockade für zwei Stunden die Zufahrt zum Raketenstandort in Mutlangen. Es folgten ein medialer »Shitstorm«, politische Diffamierungen sowie Straf- und Disziplinarverfahren. Erst als 504 weitere Richter*innen und Staatsanwält*innen in einer Zeitungsanzeige Respekt für das Verhalten der »Blockierer« bekundeten, rückte in der Berichterstattung und Diskussion das Thema der Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Deutschland in den Vordergrund.
Die Broschüre zeigt die Entstehung dieses zivilen Widerstandes der Jurist*innen, den Ablauf der Aktion, ihre Folgen sowie die obergerichtliche Rechtsprechung zu derartigen Blockade-Aktionen.
Sie können die Broschüre als Druckversion über info@ialana.de bestellen oder die pdf-Datei auf www.ialana.de herunterladen.
Friedenswissen praktisch – Neu bei »Peace Science Digest«
Krieg schadet dem globalen Wachstum. PSD, Dezember 2023.
Für ihre Untersuchung der langfristigen Schäden, die Krieg in nationalen Ökonomien weltweit anrichtet, haben die Autor*innen die tatsächlich beobachteten und die angenommenen BIP-Wachstumsraten in 190 Staaten zwischen 1970 und 2014 untersucht. Ihre Analyse ermisst auch die ökonomischen Auswirkungen von drei Typen von Gewaltkonflikten (innerstaatliche, zwischenstaatliche und nicht-territoriale Konflikte), die Konfliktintensität und wie sich Gewaltkonflikte auf Nachbarländer auswirken. Ihre Ergebnisse in Kurzfassung:
- Kriege sind teuer und zerstörerisch und beeinträchtigen das langfristige Wirtschaftswachstum durch Bevölkerungsveränderungen, weniger Investitionen und sich verschlechternde Bildung.
- Das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) wäre im Durchschnitt um 12 % höher gewesen, wenn es seit 1970 keine gewaltsamen Konflikte gegeben hätte.
- Die entwickelten Volkswirtschaften in Nordamerika, Europa und Ozeanien haben von der Teilnahme an gewaltsamen Konflikten wirtschaftlich profitiert.
- Die asiatischen Länder litten am meisten unter den wirtschaftlichen Folgen von Konflikten, wobei der Irak und Afghanistan die Liste der Länder anführen, die am meisten davon profitiert hätten, wenn es seit 1970 keine gewaltsamen Konflikte gegeben hätte.
Schlüsselerkenntnis für die Praxis
- Der militärisch-industriell-parlamentarische Komplex (MICC) ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis, warum einige Länder wirtschaftlich von der Kriegsführung profitieren. Der MICC ist ein mächtiges System, das durch die tiefe Verflechtung der Rüstungsproduktion mit der nationalen Wirtschaft und durch die Drehtür zwischen Gesetzgeber*innen und Waffenlobbyist*innen die Entscheidung für einen Krieg stark beeinflusst. Es ist besonders aufschlussreich, dass die vorliegende Untersuchung Irak und Afghanistan – wo u.a. die US-Regierung über Jahrzehnte militärische Kampagnen durchführte – als die beiden Länder identifiziert, die am meisten von einem Ausbleiben gewaltsamer Konflikte profitiert hätten.
- Organisationen für Friedensarbeit können daran arbeiten, die »Legitimationslogik« von Gewalt in Frage zu stellen, um der Anziehungskraft des MICC entgegenzuwirken und eine solidere Unterstützung für Friedenskonsolidierungsinitiativen zu fördern. Dazu gehört auch eine aktive Infragestellung der dominanten Praxis von Peacebuilding weltweit durch Friedensorganisationen selbst und eine deutliche »Lokalisierung« von Peacebuilding.
- Viele friedensfördernde Organisationen (in den USA) vermeiden es, sich direkt damit auseinanderzusetzen, wie die Militarisierung ihre Arbeit schwächt – durch unverhältnismäßig hohe Staatsausgaben für Krieg im Vergleich zur Friedenskonsolidierung oder durch einen Diskurs, der die Öffentlichkeit dazu verleitet, Konflikte nur unter einer Perspektive von »Frieden durch Stärke« zu betrachten. Hier könnten Friedensorganisationen zum Beispiel damit beginnen, eine direkte Sprache zu verwenden, um den Krieg als das zu beschreiben was er ist, und zu kritisieren, wie der öffentliche Diskurs eine geschönte und entmenschlichende Sprache zur Beschreibung des Krieges verwendet (bspw. »Kollateralschäden«), um die wahre Natur der Kriegsführung zu verschleiern.
Zusammenfassung von de Groot, O. J.; Bozzoli, C.; Alamir, A.; Brück, T. (2022): The global economic burden of violent conflict. Journal of Peace Research 59(2), S. 259-276.
Wie in verhärteten Konflikten nebeneinander existieren? PSD, Oktober 2023.
Obwohl die Friedens- und Konfliktforschung wertvolle Erkenntnisse liefert, um Konflikte zwischen Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen oder Nationen mit gewaltfreien Methoden anzugehen und zu lösen, können manchmal die Ziele der Konfliktlösung nicht erfüllt werden, insbesondere wenn historische Gegner sich weigern, einander anzuerkennen. In solchen Fällen, so argumentiert Tatsushi Arai, kann die »funktionale Koexistenz« eine praktische Strategie zur Bewältigung verhärteter Konflikte sein und damit das Spektrum der praktikablen Interventionsmethoden erweitern. Ein wichtiger Beitrag des Artikels ist die »Akzeptanz einer dauerhaften Nichtlösung« als Voraussetzung für eine Intervention. Funktionale Koexistenz ist, wie Arai hervorhebt, in Fällen wie den arabisch-israelischen Beziehungen, den saudi-iranischen Beziehungen, dem Jemen, Syrien, Libyen, den armenisch-aserbaidschanischen Beziehungen, Zypern, dem geteilten Korea, Kaschmir, den tamilisch-sinhalesischen Beziehungen in Sri Lanka oder auch den Beziehungen zwischen den Rohingya und den Rakhine-Burmanen in Myanmar potenziell relevant.
Schlüsselerkenntnisse für die Praxis
Im Zusammenhang mit verhärteten Konflikten stellt Arai fest, dass:
- Ein jahrzehntelanger Prozess der Konfliktintervention zeigt, dass sich Bedingungen, die unveränderlich zu sein scheinen, im Laufe der Zeit ändern können, selbst bei Konflikten, für die keine Lösung in Sicht ist und bei denen keine gegenseitige Anerkennung zwischen den Parteien besteht.
- Parteien und Intervenierende in Konflikten, die nicht gelöst werden können, müssen engagiert bleiben, einen umfassenden Interventionsansatz verfolgen und geduldig bleiben, während sie konsequent nach greifbaren, praktischen Schritten zur Bewältigung des anhaltenden Zustands der »Nichtlösung« suchen.
- Bei einem so langfristigen Ansatz zur Konfliktlösung bedeutet ein »strategischer Ansatz für systemische Veränderungen«, zu verstehen, dass die funktionale Koexistenz innerhalb und zwischen Gesellschaften in verfahrenen Konflikten am stärksten bei den obersten Staatslenker*innen ausgeprägt ist, während die sozialen Spaltungen auf der mittleren Ebene und an der Basis weniger ausgeprägt sind.
- In lang andauernden Konflikten, in denen beide Seiten einander nicht anerkennen, aber dennoch koexistieren, ist es wichtig, nicht zu schnell eine Lösung finden zu wollen und vorgeblich »zu finden«.
- Um eine so langfristige Perspektive für die Konfliktintervention einzunehmen, sollten sowohl die Konfliktparteien als auch die Intervenierenden Wege finden, verschiedene Zeitrahmen für Veränderungen (kurzfristige Projekte und Aktionen; langfristige Prozesse und Muster) in ihren Konfliktlösungsstrategien zu kombinieren.
Zusammenfassung von Arai, T. (2022): Functional coexistence in intractable conflict: A decades-long view of conflict intervention. Peace & Change 47(2), S. 118-151.
Weitere Beiträge
Zudem sind auch noch die Analysen »Local Peace Agreements as a Means to Dissolving Armed Conflict« (September 2023) und »A Feminist Critique of Military Heritage« (August 2023) veröffentlicht worden. Zur aktuellen Eskalation in Israel erschien Mitte November bei der »War Prevention Initiative« das umfassende Briefing »Navigating the War on Gaza« (warpreventioninitiative.org)