Jan van Aken (2024): Worte statt Waffen. Wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann. Berlin: Econ. ISBN 978-3-4302-1115-4, 304 S., 22,99 €.
Die im Untertitel des hier besprochenen Buches formulierte Frage, „wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann“, ist vor dem Hintergrund des Angriffs von Putins Russland auf die Ukraine und der Eskalation im Nahen Osten sowohl hochaktuell als auch dringlich zu beantworten. Von unerträglichen Menschenrechtsverletzungen und sogar Kriegsverbrechen abgesehen, werden wir Zeugen einer scheinbar unaufhaltsam abschüssigen Bahn von bisher regional begrenzten militärischen Auseinandersetzungen hin zu einem globalen Großkonflikt mit unabsehbaren Folgen.
Sein Erfahrungsschatz als Wissenschaftler, als Waffeninspektor und Mitarbeiter für die VN sowie als Bundestagsabgeordneter und Politiker erlaubt Jan van Aken ein tieferes Verständnis von üblicherweise unterschiedlichen Sichtweisen. Herausgekommen ist eine kluge, zu keinem Zeitpunkt belehrende, sondern zur kritischen Überprüfung auch eigener Standpunkte inspirierende Schrift.
Präsentiert werden, neben einer fundierten friedenswissenschaftlichen Analyse, anregende Ideen – ohne Anspruch auf Besitz eines „detaillierten Masterplans“ (S. 11). Geleitet ist das Buch von der durchgehend erkennbaren Überzeugung des Autors, dass in jedem gewaltförmigen Konflikt Auswege zum Frieden gefunden werden können. Er bestreitet vorsorglich den möglichen Vorwurf, ein Träumer zu sein, und hierfür gibt es auch keinerlei Anlass. Die Analyse stützt sich u.a. auf die Auswertung der wichtigsten kriegerischen Auseinandersetzungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, auf Abhandlungen namhafter Konfliktforscher wie William Zartman, George Mitchell und Johan Galtung, auf Interviews mit Zeitzeug*innen und vielen Expert*innen.
Im ersten Teil des Buches beschreibt van Aken Erfahrungen aus gelungenen und gescheiterten Friedensprozessen. In der dreifachen Quintessenz, dass Friedensprozesse langwierig sind, eine breite Teilhabe erfordern und sich auf ein wachsendes und gegenseitiges Vertrauen stützen müssen, verdeutlicht der Autor, dass Verhandlungen nur als Zwischenschritt auf dem langen Weg zum Frieden zu verstehen sind, Elitenkompromisse nicht nachhaltig sind, und dass Vertrauen nicht verordnet werden kann. Die Empirie der Friedensforschung bestätigt dies, da die Mehrheit der durch Verhandlungen erreichten Friedensschlüsse nicht von Dauer war, u.a. weil es an der Implementierung mangelte. Es wäre grundfalsch, Frieden nur als Ergebnis von Verhandlungen anzusehen. Werden Endszenarien zur Voraussetzung für den Eintritt in Verhandlungen erhoben, hätte das fehlende gegenseitige Vertrauen zur Folge, dass es von Anfang an keine Einigungschance gibt. Verhandlungen markieren im besten Sinne den Beginn eines Friedensprozesses. Die „Abrüstung in den Köpfen“ kann darüber hinaus aber Jahrzehnte dauern (S. 55).
Breiten Raum widmet der Autor seinen Erfahrungen als Mitglied des Inspektorenteams zur Überprüfung von Vorwürfen der Bush-Administration, der Irak betreibe ein Programm zur Entwicklung und Beschaffung biologischer Kampfstoffe ( S. 112ff.). Dabei spart der Autor nicht an kritischer Selbstreflexion, widmet weitergehend ein ganzes Kapitel der fatalen Wirkung des zunehmenden Missbrauchs von unbewiesenen Fakten (»Fake News«) für gewaltrechtfertigende Schuldzuweisungen (S. 147ff.). Informativ sind auch die Kapitel zur möglichen – aber auch mangelnden Wirksamkeit oder gar schädlichen Wirkung – von Sanktionen. Die Glaubwürdigkeit von Sanktionen (S. 193ff.) hinge davon ab, dass sie zielgenau sind und sich nicht dem Verdacht aussetzen, hauptsächlich eigenen wirtschaftlichen Interessen zu dienen (S. 226).
Einem politischen Klima, in dem das Diktum der Demonstrationen von 1983 »Frieden schaffen ohne Waffen« vergessen scheint, und selbst Frieden durch weniger Waffen schaffen zu wollen als verantwortungsloses Verhalten denunziert wird, begegnet der Autor mit Vorschlägen, wie durch einen bewussten abrüstungspolitischen Dreiklang gegenseitiges Vertrauen gefördert werden kann: Abrüsten, was man nicht mehr braucht; Verzicht auf Waffen, die man nicht hat; Ablehnung von Waffen, die es noch nicht gibt. Dieser einfache Dreiklang könnte von Staaten direkt ohne Verhandlungen ins Werk gesetzt werden, hätte vertrauensbildende Wirkung und lädt zur Nachahmung ein. Der Autor verweist hier auf Egon Bahr und auf dessen Erfahrungen während des Ost-West-Konflikts (S. 228f.).
Zum Ende seines Buches drückt sich van Aken nicht vor der mit dem Titel des Bandes implizit verbundenen Frage, wie die Gewalt in den aktuellen Konflikten (Ukraine, Palästina) zu zügeln sei. Er verzichtet auf Parteinahme für jene, die der Ukraine bedingungslose Verhandlungen mit Russland abverlangen, oder jene, die eine bedingungslose Unterstützung der Ukraine mit weitreichenden Waffen verlangen und einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld für möglich erachten. Seine Empfehlung an eine klügere Politik lautet, Diplomatie und Waffenlieferungen nicht als Alternativen zu betrachten, sondern eine diplomatische Lösbarkeit des Konflikts überhaupt wieder „sprechbar“ (S. 251) zu machen. Sanktionen seien zudem ein gangbarer Weg, aber nur, wenn eine Aufhebungsperspektive (Anreize) in den Raum gestellt würde, und – am Beispiel Russland – nicht nur Oligarchen, sondern auch der das System Putin tragende „obere Mittelstand“ (S. 256) einbezogen wäre.
Zur Lage im Nahen Osten empfiehlt van Aken, bezugnehmend auf den Journalisten Meron Rapoport, sich auf die Formel »Zwei Staaten, ein Heimatland« zu besinnen, die interessanterweise bereits während der britischen Mandatszeit in der Bezeichnung »Palestine/ Eretz Israel« für das gesamte Mandatsgebiet verwendet wurde. Dies sei einer Art »Schengenlösung« ähnlich, bei der gemeinsame Außengrenzen für das Land und zugleich darin zwei Staaten mit gleicher Niederlassungs- und Bewegungsfreiheit existierten. Der Weg dahin scheint aktuell nicht gangbar, aber eine Perspektive für dauerhaften Frieden zu haben, wäre gewiss mehr als ein Anfang.
Das Buch mischt Sachinformation mit Erlebnisbericht und politischen Empfehlungen. Dass die Melange gelingt, ist ein großes Plus. Zwei Kritikpunkte seien gestattet: Dass die Afghanistan-Verhandlungen nicht einmal erwähnt werden, ist nicht nur sehr bedauerlich, sondern spart wichtige Lernerfahrungen für das deutsche Verhandlungsengagement aus. Zum anderen bestreitet der Autor das Vorhandensein einer „Regelung“, dass Kriegswaffen nicht in Kriegs- und Krisengebiete geliefert werden sollen (S. 168). Dies ist sachlich nur in rechtlicher Hinsicht zutreffend. Politisch ist die Regelung Bestandteil der »Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern« vom 19. Januar 2000. Abschnitt III (sonstige Länder), Abs 4. und 5. enthalten entsprechende eindeutige Festlegungen. Die Einhaltung der Regeln ist zwar strittig, neuere Grundsätze gibt es aber bislang nicht. Ungeachtet dieser Anmerkungen bleibt als Fazit: Jan van Aken liefert nicht nur eine inhaltlich und sprachlich klare, zudem gut lesbare, Analyse aktueller Herausforderungen von Krieg und Frieden, sondern teilt auch Ideen, wie sie zu meistern wären. Vor dem Hintergrund seiner herausgehobenen Rolle in der Linkspartei wird interessant sein, zu beobachten, ob und wieweit seine Ideen im politischen Diskursraum dort und parteiübergreifend vor den anstehenden Bundestagswahlen Gehör und Anklang finden.
Hans-Joachim Gießmann