Atomwaffengegner geehrt
Verleihung des Göttinger Friedenspreises 2025, Deutsches Theater Göttingen, 15. März 2025
„We must complete the job of eliminating nuclear weapons.“ Unter diesem Motto erschien der diesjährige Gewinner des Göttinger Friedenspreises – Frank Niels von Hippel – am 15. März 2025 auf der Bühne des Deutschen Theaters in Göttingen. Der US-amerikanische Physiker hat sich zeitlebens gegen den Einsatz von Atomwaffen eingesetzt und war maßgeblich an der Beendigung des Kalten Krieges beteiligt. Nun wurde er für seine „Aktivitäten und Verdienste in der naturwissenschaftlichen Friedensforschung und mit friedenspraktischen Beiträgen im Themenbereich von nuklearer Rüstungskontrolle und Abrüstung, insbesondere in der Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen“ geehrt. Zu seinen Verdiensten „zählen zahlreiche Physik-basierte Studien, kooperative Initiativen und aktuelle Stellungnahmen zu den Themen der Kontrolle und Elimination von spaltbarem Material, der Sicherheit von Anlagen im nuklearen Brennstoffkreislauf und der Verifizierbarkeit der Abrüstung von Atomwaffen.“
Die Verleihung des Friedenspreises findet jährlich und in festlichem Rahmen statt, wieder einmal war der Saal des Deutschen Theaters gut gefüllt. Das hochaktuelle Thema der diesjährigen Verleihung – Atomwaffen und die Bemühungen um deren Kontrolle, bzw. Elimination – treibt gegenwärtig nicht nur Friedensbewegte wieder um. Die politischen Dynamiken unserer Zeit haben weltweit zu einer Situation geführt, in welcher „Atomwaffen wieder salonfähig werden“, wie der Laudator Götz von Neuneck bemerkte. Die Ehrung Frank von Hippels steht, ebenso wie schon die Verleihung des Friedensnobelpreises 2024 an die Organisation Nihon Hidankyō (Japan Confederation of Atomic and Hydrogen Bomb Sufferers Organization), ganz in diesem Licht.
Nach reichlicher Begrüßung begann der langjährige Friedensforscher und Physiker Götz von Neuneck seine Laudatio auf von Hippel. Allzu passend schien ein Ausspruch Carl Friedrich von Weizsäckers: „Die Atombombe legt die politische Verantwortung der Wissenschaft frei“. Hierzu bemerkte der Laudator: „Natürlich mögen manche Physiker dies nicht so gerne hören, aber es ist doch zwingend notwendig, sich gegen den Einsatz der Atomwaffen auszusprechen, denn auf einem zerstörten Planeten kann man auch keine Physik mehr betreiben.“ – für diese Erkenntnis steht Frank von Hippel mit seinem Lebenswerk. In seiner weiteren Rede beleuchtete von Neuneck die familiären Wurzeln von Hippels und verband sie mit der Stadt Göttingen – die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an Frank Niels von Hippel bezeichnete er als eine „Verbeugung vor seiner Familie“, die im Jahre 1933 aus Deutschland hatte fliehen müssen. Mit vielen spannenden Anekdoten aus von Hippels Leben holte die Rede Götz Neunecks das Publikum geschichtlich ab und lieferte einen detaillierten Einblick in die geschichtliche Entwicklung der atomaren Auf- und Abrüstung. Geschickt wob er dabei die Rolle und Geschichte Frank von Hippels in seine Erzählungen ein, welcher anschließend, unter tosendem Applaus, auf die Bühne trat.
„Wir haben einen langen Weg hinter uns“
Der inzwischen 87-jährige von Hippel schaffte mit seiner Rede eine nahezu heitere Atmosphäre im Saal. Mit viel Witz und Leichtigkeit erzählte er von seiner langjährigen Arbeit gegen Atomwaffen, insbesondere von seinen Erfahrungen und Erkenntnissen aus dem Kalten Krieg. Seine Geschichte begann 1980 mit dem Beginn des nuklearen Wettrüstens. In seiner Rolle als Vorsitzender der Federation of American Scientists (FAS), stand er damals im Austausch mit einer Gruppe sowjetischer Akademiker*innen, die vor einer „bedrohlichen Spirale des Wettrüstens“ warnten. Aus diesem Kontakt entwickelte sich eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den an Frieden und Abrüstung interessierten Wissenschaftler*innen und gegenseitigen Besuchen. So lernte von Hippel auch den sowjetischen Physiker Evgeny Velikhov kennen. Als im Jahre 1987 das Moskauer Forum zur Nuklearen Abrüstung stattfand, hielt Frank von Hippel im Namen der FAS und auf Bitten Velikhovs eine Rede über die Notwenigkeit und Machbarkeit einer Reduzierung der sowjetischen und amerikanischen Atomwaffenbestände. Tatsächlich wurden in den darauffolgenden Prozessen „die kombinierten US-amerikanischen und sowjetisch-russischen Bestände an nuklearen Sprengköpfen um den Faktor Acht und die weltweiten Bestände um den Faktor Sieben“ reduziert – ein großer Erfolg. Von Hippel und Velikhov, welcher 1985 zum „führenden technischen Berater in Sachen nuklearer Rüstungskontrolle“ Michail Gorbatschows, dem Vorsitzenden des sowjetischen Zentralkomitees, werden sollte, standen in engem Kontakt. Von Hippel fungierte in dieser Rolle als entscheidende Verbindung zwischen den USA und der Sowjetunion. Der engere Austausch zwischen den Nationen sorgte im Jahre 1985 für den Stopp sowjetischer Atomtests und beendete 1992 auch die Kernwaffentests auf US-amerikanischer Seite. Diese Entwicklungen legten letztlich „die Grundlage für den Abschluss eines umfassenden Teststoppvertrags (CTBT) […], der 1996 zur Unterzeichnung aufgelegt“, und bisher von 178 der 196 UN-Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde. „Das ist die gute Nachricht.“
„Wir haben noch einen langen Weg vor uns“
Leider endete die Rede nicht mit den Errungenschaften der Vergangenheit, sondern richtete einen düsteren Blick auf die Gegenwart: „Die schlechte Nachricht ist, dass wir die Arbeit nicht beendet haben. Es gibt immer noch mindestens zehnmal so viele Atomwaffen, wie nötig wären, um die Zivilisation zu zerstören. […] Mit dem Ende des Kalten Krieges […] gingen die Aktivisten der nuklearen Abrüstung fälschlicherweise davon aus, dass wir uns auf einem „Gleitpfad“ zu einer atomwaffenfreien Welt befänden. […] Aber der atomar-militärisch-industrielle Komplex hat sich nicht demobilisiert.“
Neben dieser Mahnung, sich nicht auf den Errungenschaften der späten 80er Jahre auszuruhen, beleuchtete von Hippel im weiteren Verlauf seiner Rede detailliert die aktuelle weltweite Dynamik erneuter atomarer Aufrüstung. Hinsichtlich der Gefahren eines unbeabsichtigten Atomkrieges warnte er emphatisch: „Wir haben bisher Glück gehabt. […] Aber das Glück währt nicht ewig. Wir müssen uns von den Atomwaffen befreien, bevor sie sich von uns befreien. […] Wir brauchen überall Menschen, die sich damit beschäftigen […].“ Seine Rede endete schließlich mit dem nachdrücklichen Aufruf: „We need a new public movement against nuclear weapons in the Northern Hemisphere! We cannot go on like this! We must finish the job!“ – Worte, die wir uns heute als Zivilgesellschaft mit aller Dringlichkeit zu Herzen nehmen und in aktives Engagement und mehr politische Beteiligung übersetzen sollten.
Die Rede von Dr. Frank Niels von Hippel, sowie die Laudatio sind auf der Website des Göttinger Friedenspreises nachzulesen: goettinger-friedenspreis.de
Marielle Martinez