Abschluß eines Abkommens zur Abrüstung von chemischen Waffen in Gefahr
von Verantwortung für den Frieden – Naturwissenschaftler-Initiative
In Genf liegt nach 20 Verhandlungsjahren das Abkommen zur Beseitigung der Chemiewaffen nahezu unterschriftsreif vor. Als um die Erhaltung des Friedens besorgte Naturwissenschaftler sehen wir die Gefahr, daß diese, C-Waffen-Konvention wieder in die Ferne zu rücken droht.
Seit Dezember vergangenen Jahres werden in den USA Granaten auf der Basis der neuen Binärtechnologie für Nervengase hergestellt. Jüngst wurden außerdem die Mittel für die binäre Sprühbombe „Bigeye“ freigegeben. Die neuen binären Chemiewaffen werden als gering giftige Vorstufen produziert. Erst im Flug entsteht beim Durchmischen das hochgiftige Nervengas. So lassen sich die Vorstufen der Kampfstoffe gefahrlos produzieren, lagern, transportieren und, zumindest im Prinzip, auch unbemerkt in Stellung bringen und verstecken. Die vorgesehenen Kontrollen als Bestandteil eines Abrüstungsvertrages werden dadurch außerordentlich erschwert.
Der US-Kongreß hatte die Produktion von Binärwaffen ausdrücklich von der Zustimmung der NATO abhängig gemacht. Die Bundesregierung hat mit Signalwirkung für die NATO-Partner zunächst in einer Vereinbarung mit Präsident Reagan der Produktion der Binärwaffen zugestimmt, bevor diese auf der Tagung des NATO-Verteidigungsrates im Mai 1986 zum „Streitkräfteziel“ erklärt wurden. Diese Zustimmung, ohne die nach dem Beschluß des US-Kongresses die Produktion der Binärwaffen nicht aufgenommen worden wäre, erweist sich nun immer mehr als verhängnisvoll.
Die neue Aufrüstung steht dem Abschluß der C-Waffen-Konvention im Wege. Das Haupthindernis bei der im chemischen Bereich sehr schwierigen Kontrolle der Einhaltung des Vertrages ist durch die Bereitschaft der UdSSR ausgeräumt worden vor Ort Inspektionen, auch unangemeldet, zuzulassen. Dagegen wird Die Verifikation eines C-Waffen-Sperrvertrages durch das Aufkommen der Binärwaffen behindert und Ansätze zur Vertrauensbildung werden auf diesem sensiblen Gebiet gefährdet.
Mit den Binärwaffen droht daher die Gefahr einer nicht mehr umkehrbaren Rüstungsentwicklung. Weil andererseits Giftwaffen relativ billig sind und ihre Abrüstung zu lang hinausgeschoben wurde, haben sich immer mehr Länder solche Waffen verschafft. Auch deshalb darf für chemische Abrüstung keine weitere Zeit mehr verloren werden. Die kontrollierte Abrüstung von C-Waffen ist technisch möglich. Der Gefahr einer heimlichen Produktion, insbesondere von Binärwaffen, läßt sich durch nichts wirksamer vorbeugen, als durch den Kontrollapparat, der mit dem Abschluß der C-Waffen-Konvention in Gang gesetzt werden soll. Allerdings kommt es darauf an, daß dieser Kontrollapparat seine Arbeit aufnimmt, noch bevor Binärwaffen in größerem Umfange vorhanden sind. Auch die Weiterverbreitung der Giftwaffen wird sich am ehesten eindämmen lassen, wenn sich die Industrienationen zu einem raschen Abschluß der C-Waffen-Konvention entschließen und mit der Abrüstung beginnen.
Als ein weiteres Hindernis für Abrüstung erweisen sich kürzlich bekannt gewordene Bedenken des europäischen Verbandes der chemischen Industrie (CEFIC) gegen einzelne Bestimmungen des in Genf ausgehandelten Entwurfs der C-Waffen-Konvention. Besonders befremdlich ist, daß dies in der Abschlußphase von Verhandlungen geschieht, an denen zumindest die westdeutsche Industrie durch Berater beteiligt war. Diese hatten bisher den nützlichen Modellcharakter der in der Bundesrepublik vom Rüstungskontrollamt der Westeuropäischen Union vorgenommenen Kontrollen betont und damit eine sehr förderliche Rolle bei den Genfer Verhandlungen gespielt.
Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrer Forderung nach einem baldigen Abschluß der C-Waffen-Konvention. Wegen ihrer besonderen Mitverantwortung für den Produktionsbeginn der binären C-Waffen sollte die Bundesregierung nach unserer Ansicht jedoch noch weiter gehen und ihre Zustimmung zur Integration von C-Waffen in das für Europa bestimmte Waffenarsenal insgesamt zurückziehen. Die Verweigerung einer Stationierung der Binärwaffen in der Bundesrepublik in Friedenszeiten sollte auf Krisenzeiten erweitert werden. Damit entfiele der Hauptgrund für das neue Binärprogramm.
Die Bundesrepublik kann als potentielles Stationierungsland in den Prozeß um die chemische Abrüstung eine Schlüsselfunktion ausüben. In diesem Sinne haben wir gleichzeitig mit der vorliegenden Erklärung den Bundeskanzler gebeten, sich aktiv für die Abschaffung der barbarischen Giftwaffen einzusetzen.
Köln, den 24. Februar 1988