Advanced Instrument for the Redistribution of Federal Budgets with Use for Military Services?
von Johannes Weyer
Die Entscheidung der Bundesregierung vom 3.6.87, die AlRBUS-Industrie mit Steuermilliarden in erklecklichem Umfang zu subventionieren, kommt nicht überraschend. Allenfalls erstaunt die Offenheit, in der diese Politik ohne die sonst üblichen Versuche der Umetikettierung („Zukunftsvorsorge", „Arbeitsplatzsicherung“, „Beitrag zum Umweltschutz“ etc.) durchgezogen wird. Alles neoliberale (Wahlkampf-) Gerede von wegen Deregulierung, Rückzug des Staates, mehr Markt wird durch die realpolitische Praxis der Bundesregierung Lügen gestraft. Der staatsinterventionistische Flügel dieser Regierung tritt, gestärkt durch das Ergebnis der jüngsten Landtagswahlen, mit deutlich gewachsenem Selbstbewußtsein auf. Deregulierung findet ausschließlich in den politischen Feldern (Sozial-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt-, Umweltpolitik u.a.) und ökonomischen Krisenberichten statt, die nur schwer mit den Umsatzinteressen der großen High-Tech-Konzerne einerseits, den globalpolitisch ausgerichteten „Wir sind wieder wer“-Ambitionen der Bundesregierung andererseits in Einklang zu bringen sind.
Überraschend war jedoch die zeitliche Kongruenz des AIRBUS-Coups mit einer – ebenfalls nicht unerwarteten – Nachricht, daß nämlich dieser Wundervogel nun auch in mehreren militärischen Versionen gebaut werden soll; ja sogar der durch die (zivilen!) Bundessubventionen jetzt erst aus der Taufe gehobene Langstreckenadler A 340 ist unter den Projekten, die ein neu gegründetes Marketing-Team der AlRBUS-Industrie vor einigen Tagen in Toulouse als mögliche militärische AIRBUS-Varianten vorstellte.
Zwar gab es schon 1986 Gerüchte um einen AIRBUS-U-Boot-Aufklärer (als Ersatz für die bald auszumusternde Brequet). Dem ehemaligen Abgeordneten K. H. Hansen waren entsprechende Konstruktionspläne zugespielt worden; doch auf die in einer MONITOR-Sendung ausgebreiteten Details reagierte die Regierung zunächst mit Dementis. Einzig F. J. Strauß hatte die Courage, in der Öffentlichkeit die Frage zu stellen, ob man nicht eines Tages eine militärische AlRBUS-Version ins Auge fassen sollte.
Auch in der „Wehrtechnik“ wurde schon einmal darüber spekuliert, wie nützlich der AIRBUS für „Verteidigungs“-Zwecke sein könnte. Im Rahmen eines europäischen ATM-Systems (eine Mini-Version von SDI zur Abwehr von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa) wurde der AIRBUS als AWACS-Träger diskutiert, wenn auch die technische Unterlegenheit einer solchen Luftaufklärung gegenüber satellitengestützten Systemen deutlich betont wurde. (AWACS nennt man die Flugzeuge mit den Riesen-Horchantennen auf dem Buckel, die u.a. beim US-Angriff auf Libyen eine wesentliche Rolle spielten.)
Es war also absehbar, daß eine relativ unspezifische Basistechnologie, wie sie ein Flugzeug nun einmal darstellt, Verwendung in unterschiedlichen Anwendungsfeldern finden würde, ja daß der militärische spin-off dieser Luftfahrttechnologie solange kaum zu verhindern ist, wie sich die Anforderungsprofile ziviler und militärischer Abnehmer nicht (oder nur geringfügig) unterscheiden. Und so zeigen die Pläne von AIRBUS-Industries auch, daß es hier nicht um hochspezifische militärische Zielvorgaben (wie etwa Tiefstflugfähigkeiten, Radarabsorbtion, Eindringfähigkeit etc.), sondern um die simple Verfügbarmachung von Flug- und Beförderungskapazitäten geht. So sollen der A300/310 als Frachtflugzeuge und Truppentransporter, der A300B4 als Tank- und Transportflugzeug, der A300-600 als Transporter zur Errichtung von Luftbrücken und als Tankflugzeug, der A340 in einer Tank-/Fracht-Version und der A320 als Patrouillen-Flugzeug und Elektronische Aufklärungsplattform konzipiert werden. Wenn eine derartige Überschneidung von Anwendungsfeldern existiert, ist keine Technologie vor einer militärischen Vereinnahmung geschützt. Zu fragen bleibt jedoch, welche Konsequenzen wachsende militärische Spezifikationen für die Zukunft des AIRBUS haben werden.
So geringfügig der Schritt vom zivilen zum militärischen AIRBUS in technologischer Hinsicht auch sein mag, so gravierend sind allerdings die militärpolitischen Konsequenzen dieser Entscheidung. Wozu, bitteschön, braucht die Bundesrepublik (die ja schließlich Hauptfinancier des A340 Langstreckenflugzeuges ist) luftgestützte Auftankkapazitäten? Sicherlich kaum für Langstreckenflugzeuge von Sportfliegern. Wohin aber sollen – in der Luft aufgetankte -bundesdeutsche Kampfflugzeuge fliegen? In welche Richtung soll der Aktionsradius der Luftwaffe erweitert werden? Die Frage „Wozu?“ wird also schnell zur Frage „Wohin?“. Und was soll Sinn und Zweck der elektronischen Aufklärungsplattform sein, wenn nicht Integration in ein – wie auch immer geartetes – europäisches ATM-System, dessen strategische Konsequenzen unüberschaubar wären. (Man denke nur an die Folgen für den ABM-Vertrag.) Zudem ist der friedenserhaltende Charakter dieser Sorte Luftstreitkräfte, über die die Bundesrepublik in der Mitte der 90er Jahre verfügen könnte, keineswegs unstrittig: Luftaufklärung und Wiederauftanken sind unabdingbare Bestandteile offensiver Eingreifkonzepte (Beispiel US-Libyenaktion), während sie in defensiven Konzepten nicht gleichermaßen zwingend erforderlich sind. Weder die militärpolitischen Implikationen der bundesdeutschen AIRBUS-Politik noch deren finanziellen und forschungs- und technologiepolitischen Aspekte sind Gegenstand einer intensiven Debatte in der Öffentlichkeit. Ja, angesichts der langandauernden Debatten über Subventionen im Kohle- und Stahl- oder im Agrarbereich verwundert es schon, wie rasch man im Fall AIRBUS zur Tagesordnung übergeht (und wie schmal und wie weit im hinteren Teil versteckt die Artikelchen in Zeitungen verschiedenster politischer Couleur waren).
Immerhin hat die Bundesregierung sich durch ihre AIRBUS-Entscheidung auf eine dritte milliardenschwere (und inflationsintensive) Großtechnologie festgelegt, die – neben der Kernenergie/Wiederaufarbeitung und der bemannten Raumfahrt – ihre Handlungsspielräume in Zukunft erheblich einengen wird. Aus zivilen Töpfen (sei es denen der Forschungs-, sei es denen des Wirtschaftsministers) müssen in den kommenden Jahren zweistellige Milliardenbeträge – Gelder, die anderer Stelle fehlen werden – für High-Tech-Projekte zur Verfügung gestellt werden, welche dann eines Tages klammheimlich in die Verfügungsgewalt der Militärs übergehen. Im Fall des Shuttle und der US-Raumstation hat das US-Militär bereits demonstriert, wie dieser Mechanismus funktioniert, der dem Militär das lästige Engagement in der (kosten- und öffentlichkeitsintensiven) Forschungs- und Entwicklungsphase erspart, die nachträgliche Übernahme des Lokführerpostens im fahrenden Zug jedoch gestattet. Es scheint so, als seien die Weichen für den AIRBUS ähnlich gestellt; und der Raumstation könnte eines Tages möglicherweise das gleiche Schicksal widerfahren. Eine kritische, öffentliche und politische Diskussion ist also erforderlich, damit der Entscheidungsspielraum der Politik nicht durch (selbst geschaffene) technologische Sachzwänge eingeengt wird. Die Alternative kann dabei keineswegs heißen: Enthaltsamkeit des Staates oder Rückzug aus der Praxis öffentlicher Interventionen und Subventionen. Das hieße, der neoliberalen Ideologie aufzusitzen. Nein, Subventionen müssen an die Offenlegung von Motiven und Kostenkalkulationen und an Bedingungen wie z.B. die Rückzahlung bei Markterfolg und eine klare und kontrollierbare Zweckbindung (beispielsweise an die zivile Luftfahrt) geknüpft werden. Sie müssen ferner einem öffentlichen Diskussionsprozeß unterliegen, der Kriterien für staatliche Interventionen entwickelt. Die einseitige Bevorzugung von ohnehin kapitalkräftigen Großkonzernen sowie die Fixierung auf dauersubventionierte Großtechnologien muß zugunsten einer am Kriterium der Marktfähigkeit, der gesellschaftlichen Nützlichkeit, der Sozial- und Umweltverträglichkeit, der Sicherung von Arbeitsplätzen und des Abbaus der Arbeitslosigkeit etc. orientierten Technologiepolitik aufgegeben werden. Die Bundesrepublik läuft ansonsten Gefahr, geblendet vom Glanz der neuen Technologien, in die Sackgasse zu rennen, in der die USA schon seit Jahren festsitzen und aus der nur Dauersubventionismus und Protektionismus, säbelrasselnde Großmachtpolitik und schließlich die Schaffung künstlicher Technologiemärkte im militärischen Bereich (zeitweise) heraushelfen.
Dr. Johannes Weyer ist Soziologe an der Universität Bielefeld.