W&F 1984/5

Ästhetik der Kriegswaren und „Gute Industrieform“

von Udo Klitzke

In Air Land Battle 2000 kann man lesen, daß das Pentagon die Lust des Spielens von Kindern und Jugendlichen mit Computern und Videos militärisch nutzen will. Es ist zu vermuten, daß die hier vorgebrachten Thesen zur Vereinnahmung unserer Sinnlichkeit durch militärisches Interesse eher noch ungenügend erfassen.

In Air Land Battle 2000 steht: „Insbesondere der jüngere Teil unserer Bevölkerung gewöhnt sich zusehends an eine Video Display und Computerspiele Umwelt. Die Waffensysteme der Zukunft müssen diesen Trend ausnutzen.“ (zit. nach Blätter für deutsche und internationale Politik, Köln, H. 10, 1983, S. 1381 So verwerflich die Kriegsspiele der Kinder mit herkömmlichem Kriegsspielzeug sind, so „harmlos“ nehmen sie sich gegen diese abartige Vereinnahmung des Spiels der Kinder aus. Das bisherige Kriegsspiel der Kinder ist offenkundig und dies gibt die Möglichkeit, erzieherisch einzugreifen. Es war auch nicht als Kriegstechnik für's Militär zu verwerten. Das Spiel mit Computern und Videos jedoch muß und braucht keineswegs unmittelbar Kriegsspiel zu sein, um die in diesem Spiel gelernten Techniken militärisch zu nutzen.

Das Phänomen: Die sinnliche Gleichheit der „Form“ militärischer und ziviler Waren

Ein Vergleich von Katalogabbildungen der Exponate der Sonderschau „Gute Industrieform“ auf der Hannover-Messe mit Abbildungen im redaktionellen oder Anzeigenteil wehrtechnischer Zeitschriften zeigt: viele Waren für das Militär und zivile Waren mit „guter Industrieform“ gleichen sich wie ein Ei dem anderen.

Datenverarbeitungs- und Navigationsanlagen, Kommunikationsmittel und Meßinstrumente, Peilgeräte und Bedienpulte sind an Hand ihrer „Form“ nicht als Militärwaren zu erkennen.

Diese Gleichheit im Design gilt freilich auch für Gewehre, Mörser, Raketenwerfer usw. Daß der Konzern Heckler und Koch für sein „Waffen Munitions System Gewehr G 11 mit hüllenloser Munition“ u. a. „(g)utes ergonomisches Design, dadurch hohe und schnelle Feuerbereitschaft“ (Wehrtechnik, H. 8/1982, S. 7) anführt, zeigt, daß die Gestaltung solcher Waffen einen hohen Stellenwert für deren Funktion hat. Die im Sinne der „Guten Industrieform“ hervorragend gelungene „Form“, fand denn auch ihre entsprechende Anerkennung, indem das Gewehr System auf dieser Sonderschau ausgestellt wurde. Ebenso hätte dort auch das Mörsergeschoß „Bussard“ ausgestellt werden können.

Diese Beispiele sollen zeigen, eine eindeutige Zuordnung bestimmter Militärwaffen ist im Unterschied zu der Zeit der Technisierung der Militärwaren zu Beginn dieses Jahrhunderts und der folgenden Jahrzehnte über die sinnliche Erscheinung nicht mehr eindeutig möglich. Da der Umgang mit Gestaltungsmitteln sicherlich bei Militärwaren nicht beliebt ist, stellt sich die Frage nach den Gründen dieser „Angleichung“. Ein Grund könnte darin liegen, daß die modernen industriell gefertigten Waren, gleich welcher Gattung sie angehören, auf eine einheitliche „Formsprache“ hindrängen. Ein anderer Grund könnte der sein, daß die Waren mit „guter Industrieform“ schlicht Adaptionen der Formgestaltung von Militärwaren sind. Eine Umkehrung dieses Schlusses ergibt deshalb keinen Sinn, weil gerade in Rüstungswaren die höchste Form von Planung bei Entwurf und Produktion im Kapitalismus zu verzeichnen ist.

Gleichheit in der Technik

Die Möglichkeit, für militärische Zwecke entwickelte Waren auch im Produktionsbereich einzusetzen, ist v. a. darin begründet, daß sich aus der Sichtweise des Kapitals Probleme der Steuerung und Regelung von Maschinen und Anlagen, der Datenerfassung, -verarbeitung und -übermittlung, der Kommunikation usw. prinzipiell mit denen der Militärs gleichen, so daß das Kapital in für das Militär entwickelter Technik auch sein Verwertungsinteresse gewahrt sieht. Oder anders ausgedrückt: aus den vielfältigen Möglichkeiten der vom Kapital und vom Militär vorgefundenen und gesetzten Situationen, die es durch Technik zu lösen gilt, wird genau die technische Möglichkeit realisiert, die ihren Interessen gleichermaßen entspricht. Dabei ist als eine Voraussetzung gegeben, daß sich die Interessen beider bei der Problemdefinition decken. Sie „ziehen“, wie die Analyse des Militär Industrie Komplexes (MIK) zeigt, „zumindest ein stückweit an einem Strang“.

Als eine Voraussetzung für die Gleichheit der sinnlichen Erscheinung von Kriegs- und Zivilwaren ist auszumachen, daß der eindeutig vorhandene Spielraum alternativer Lösungen technischer Probleme vom gleichen Interesse des Militärs und Kapitals für ihre Zwecke genutzt wird und nicht im Allgemeininteresse nach humaner Arbeit, humanen Leben überhaupt. Selbstverständlich ist in diese Voraussetzung eingeschlossen, daß die Technik, gleich welchem Bereich sie dienen soll, identisch behandelt wird, als Technik an sich. Insofern hat hierin die Gleichheit der sinnlichen Warenerscheinung beider Warengattungen eine ihrer Voraussetzungen.

Auf Ergonomie reduzierte Handhabung

Als ein weiterer Beleg für die These der Gleichheit von Kriegs- und Zivilwaren in ihrem Design muß die Verwendung ergonomischer Erkenntnisse bei der Warengestaltung gelten.

In den 60er und v. a. in den 70er Jahren trat die Ergonomie in der Formgestaltung einen Siegeszug an. Sie wurde zur „Zauberformel“ für „gutes Design“. Abzulesen ist dies z. B. über den Stellenwert der „Handhabung“ bei Warentests der Stiftung Warentest und bei Designbewertung des Rates für Formgebung. Angesichts der marktstrategischen Bedeutung guter Testergebnisse dürfte evident sein, daß ein großer Teil des Kapitals bei der Warengestaltung auf ergonomische Erkenntnisse zurückgreift.

Eine solche Entwicklung ist im Interesse der Warenkäufer zu begrüßen, aber ist sie es vorbehaltlos? Ist der hier zur Geltung kommende Handhabungsbegriff ausreichend?

Bei der Beantwortung dieser Frage ist zunächst festzuhalten, daß die Ergonomie, wie dies Murell schreibt, den Anstoß für ihre schnelle Entwicklung auf militärischem Gebiet im Weltkrieg erhielt und dies setzt sich auch nach dessen Ende fort. Im Resultat erbrachte dies, daß „sich in der Tat in Amerika das Studium der menschlichen Arbeitskraft vorwiegend mit militärischen Problemen befaßt … .“ (Murell, S. 17). D. h. die Ergonomie ist in ihrer konkreten Ausprägung vorwiegend durch die Lösung militärischer Probleme bestimmt und zwar sowohl in ihrer Theorie- als auch Methodenbildung. Wenn in dieser Wissenschaft wie bei Murell von „menschlicher Arbeitskraft“ die Rede ist. so heißt dies wohl, daß darunter ein Mensch gefaßt wird, der in der Kriegsmaschinerie fungiert.

In der BRD entwickelte und verbreitete sich die Ergonomie wesentlich später als in den USA., d. h. die hier tätig werdenden Wissenschaftler lernten v. a. jene in den USA im Militärbereich entwickelte Wissenschaft. Dabei war es keineswegs so, daß nun die aus den USA kommende Ergonomie aufgrund ihrer „militärischen Abkunft“ in Frage gestellt wurde, sondern in der Theorie und Methodenbildung kam es zu Kontinuität.

Die Leitfunktion der im Militärinteresse betriebenen Forschung reichte bis in die konkrete Gestaltung von Gegenständen: Bedienhebel, Schalthebel, Drehknöpfe, Steueraggregate, Optimierung von Greifräumen usw. müssen zur Hand gehen, bzw. ihr entsprechen. Die Bedienung einer Maschine muß unter Hinzuziehung ergonomischer Erkenntnisse totsicher sein.

Optimale Bedienung und Handhabung von Kriegswaren muß auch den Eigenarten unserer visuellen Wahrnehmung entsprechen. Skalen, Zeichen, Symbole usw. müssen hierfür entwickelt werden. Auch in diesem Bereich erhielt die im militärischen Interesse entwickelte Ergonomie eine Leitfunktion in Theorie-, Methoden und Gestaltbildung.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Die Anpassung der Warenoberfläche an eine optimale Bedienung und Handhabung erfordert eine adäquate Farbgestaltung, die zugleich auch immer auf's Gemüt wirkt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß Rüstungswaren nicht in jedem Fall über den kriegerischen Tarnanstrich verfügen. Im Inneren des Panzers, der Kommandostelle, der Funkstation und anderer Orte muß sich der NATO Soldat nicht vor dem Feind tarnen. Hier hat die Farbe, wie Oberhaupt die Gestaltung, die wesentliche Funktion der Bedienungs- und Handhabungsoptimierung und die der Streßkompensation. So ist z. B. auch das Bedienpult FERA (vgl. Wehrtechnik, H. 8/1982, S. 39) an Hand des Design nicht als das zu erkennen, was es ist.

Allein diese Beispiele zeigen, da aufgrund der enormen Forschungsressourcen der Militärforschung, diese Forschung Leitfunktion erhält, weil sie Untersuchungen zur Handhabung und zum Bedienungskomfort machen kann, die in anderen Bereichen kapitalistischer Warenproduktion nicht möglich erscheinen. Sie muß diese Forschung im Militärinteresse auch betreiben, um die Wirkung aggressiver Hochrüstung auch zu gewähren, wie dies ein Beispiel einer Einschätzung der israelischen Okkupation Libanons in der Zeitschrift „Wehrtechnik“ zeigt. Dort steht, daß die eingreifenden Syrer überraschend holte Verluste hinnehmen mußten, obschon sie von der UdSSR hochwertige Waffensysteme hatten. Für diese Verluste führt die Zeitschrift u. a. folgenden Grund an: „Ein wesentlicher Faktor in dieser psychologischen Situation schien auch die lähmende Enge in den sowjetischen Fahrzeugen zu sein, die besonders bei der in diesem Krieg herrschenden Hitze zu Ermüdungs- und Streßreaktionen führte. Fahr- und Bedienungskomfort ist noch immer ein zu wenig beachteter 'Teil des Waffenbaus.“ (Wehrtechnik, H. 10/1982, S. 32).

Nun, der Ratschlag an die UdSSR diese Punkte beim „Waffenbau“ zukünftig besser zu beachten, soll hier nicht weiter interessieren. Galt es doch zu zeigen, daß bei Kriegswaren quasi kein Punkt bei der Konstruktion und Gestaltung außer Acht gelassen wird, daß sie in höchster Form sowohl in Technik und Gestaltung aufwarten und ihrer Entstehung eine Wissenschafts- und Gestaltungsqualität von sonst unerreichbarer Dimension verdanken.

Zum falschen Stellenwert der Kriegstechnik

Wenn Funktionalisten wie Muthesius zu Beginn dieses Jahrhunderts die Kriegswaren als Vorbilder für eine funktionale Gestaltung Hinstellten, so ließen sie sich von dem Gedanken und der Erkenntnis leiten, daß in diesem Bereiche kapitalistischer Produktionsverhältnisse die Surrogatproduktion“ nicht zu Hause sein kann.

Wenn je von der Erfüllung der Forderung nach Material-, Kontruktionsgerechtigkeit und innerer Wahrhaftigkeit im Kapitalismus die Rede sein kann, so sind hier insbesondere die Kriegswaren anzuführen. Sie sind aufgrund der für ihre Herstellung betriebenen Forschung auf ihre Funktion hin optimal konstruiert und gestaltet. Sie erreichen selbst unter extremen Belastungen eine lange Gebrauchsdauer, sie sind im Hinblick auf Bedienung und Handhabung optimal für ihre Zwecke gestaltet und konstruiert.

Weil die kapitalistischen Verhältnisse eine Waren- und Umweltgestaltung im Allgemeininteresse verhindern, kann eine aus der Militärtechnik ins zivile Leben übertragene Gestaltung eine falsche Bedeutsamkeit erlangen. In ihr wird das positiv bewertet, was in anderen Warengattungen z. T. nur rudimentär vorhanden ist: die hohe Übereinstimmung von technischem Gebrauchswert, Gestalt und Zweck.

Da die Forschungserkenntnisse in der Technik und Gestaltung aus ihrem Entwicklungskontext, dem Militärinteresse, herausgelöst werden, „an sich“ erscheinen, erzielen sie eine scheinbare Wertneutralität, die wiederum die Basis für ihren beliebigen Umgang abgibt. Insofern erscheint es als selbstverständlich, daß sie, entsprechend ihrer gewonnenen Beliebigkeit, Wissen und Erkenntnis schlechthin sind. Es erscheint nicht als Zumutung, in der militärischen Ergonomie nicht von Soldaten zu sprechen, sondern von „Arbeitskraft“. Und wer wird sich schon darüber aufregen, über „Arbeitskräfte“ gewonnene Erkenntnisse zu verwenden? Das Computer und Videospiel der Kids ist zunächst nichts Militärisches, aber indem es durch die Pentagon Strategen zum Material von Militärischem wird, wird es unter der Hand militärisches Spiel für Kinder und Jugendliche. So kommt über das Video Display und das Computerspiel die Funktion des Soldaten zu den Kids, die dann, wenn sie nun wirklich Soldaten sind, ihre Feststellungen treffen können, daß zwischen ihrem Spiel und ihrer Kriegsübung der Unterschied nicht so groß ist. Und auch die Waffen werden über ihr Design dazu beitragen, daß sie ihr Soldatensein nicht als Bruch, der zum Denken anregen könnte, empfinden. Sehen das Mörsergeschoß „Bussard“ und das „Gewehrsystem G 11“ nicht schön aus? Sind sie in ihrem Design nicht der nahtlose Übergang aus dem Zivil- ins Militärleben?

In unser aller Interesse muß der schleichenden Militarisierung unseres ganzen Lebens und mithin auch der falschen Bedeutsamkeit militärischer Waren Einhalt geboten werden. Bei dem Erarbeiten und Aufzeigen von Alternativen gilt freilich, daß „der Gegenstand“, wie Marx sagt, „kein Gegenstand überhaupt (ist), sondern ein bestimmter Gegenstand, der in einer bestimmten, durch die Produktion selbst wieder (zu) vermittelnden Art konsumiert werden muß.“ (Marx, S. 624) Wie der Hunger nicht gleich Hunger ist (vgl. ebda.), ist die Hand nicht gleich Hand. Die Hand, die die Kriegsmaschinerie bedient, ist eine andere als die, die gesellschaftlich sinnvolle Produkte herstellt, die zum Genuß und zur Lust spielt, die Kunstprodukte herstellt und Liebe gibt. Muß nicht auch die Technik und Gestaltung diesen Eigenarten unserer Hand, unseres Gehörs, unserer Augen, unserer Sinne gemeinhin Rechnung tragen?

Literatur

Air Land Battle 2000, zit. nach Blättern für deutsche und internationale Politik, H. 10/1983
Auf Gedeih und Verderb, hrsg. v. Friedrichs, G. u. Schaff, A., Wien 1982
Marx, K.: Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, Berlin 1971
Murell, K. F. H.: Ergonomie, Düsseldorf und Wien 1971
Noble, D. F.: Maschinen gegen Menschen. Nachdruck des Alektor Verlags, Stuttgart o. J. Stern, H. 10/1983
Wehrtechnik, H. 8/1982
Wehrtechnik, H. 10/1982

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1984/5 1984-5, Seite