W&F 1990/1

Aktionsvorschläge

von Olaf Achilles

Der militärische Bereich muß aus unserer Gesellschaft weichen. Die realistische Utopie einer militärfreien Gesellschaft rückt (wieder) in die öffentliche Diskussion – eine zwingende Notwendigkeit, wie bereits früher erkannt wurde.

Schon im 2. Weltkrieg gab es das Prinzip der offenen Stadt: Um den militärischen Schaden zu begrenzen, wurde mitunter planmäßig auf die Verteidigung von Städten verzichtet. Dies Prinzip der offenen Stadt kann und muß heute angesichts der unsagbaren potentiellen und akuten Bedrohung für ganze Regionen gelten, wollen wir als Menschen auf und mit dieser Erde überleben.

Konzepte kommunaler Friedensarbeit weiterentwickeln

Eine entsprechende Entwicklung zeichnet sich in verschiedenen Abrüstungsvorschlägen ab. Atomwaffen-, panzer-, tiefflug- und manöverfreie Zonen wurden bereits in den 80er Jahren global und regional von politischen Organisationen aller Ebenen bis hin zu Staaten gefordert. Innerhalb der kommunalen Friedensarbeit sind hierzu die verschiedensten Konzepte entwickelt worden. Die kommunalen Räte haben über eine Bannung militärischer Teilbereiche (Manöver, Tiefflug) aus ihrem Planungsgebiet, auch Maßnahmen zur nichtmilitärischen Sicherheit wie z.B. der Völkerverständigung (Partnerstädte u.a.) beschlossen. Dieser Ansatz ist weiter zu entwickeln.

Bundesrepublik ohne Armee

In der Schweiz gibt es seit 1982 die GSoA – die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee. Am 26. November 1989 fand auf ihre Initiative darüber eine Volksabstimmung statt, die weltweit schon im Vorfeld Aufsehen erregte. 36 % (über ein Drittel!) der SchweizerInnen stimmten für die Abschaffung der Armee! In 142 Gemeinden und in den Kantonen Jura und Genf gab es die erforderliche Mehrheit für Militärfreiheit. Es sind damit 142 entmilitarisierte (Gemeinde-) Zonen in der Schweiz symbolisch entstanden.

Eine dieser Idee entsprechende Initiative von Friedensforschern und Militärgegnern existiert seit Mitte 1989 unter dem Titel „Bundesrepublik ohne Armee (BoA)“ auch hier. „BoA steht für eine Perspektive, eine langfristige Zielvorstellung, eine realistische Utopie, eine strategische Orientierung in der Konfusion, der Vielfalt, dem unübersichtlich gewordenen Dickicht der gegenwärtig gehandelten Friedenskonzepte für Mitteleuropa und darüber hinaus – als da sind: atomwaffenfreie Zonen, defensive Verteidigung, Aufkündigung von Jalta, vertrauensbildende Maßnahmen, Frieden schaffen ohne Waffen, doppelte und dreifache Null-Lösung, Gemeinsame Sicherheit usw.“.

Entmilitarisierung vor Ort

Mit der rasanten Entwicklung im Osten Europas schwindet das Bedrohungsbewußtsein. In Siegen forderten die GRÜNEN eine „garnisonsfreie Stadt Siegen“: „Die Völker Ost-Europas, die Menschen der DDR zeigen uns den Weg: Man muß selbst und bei sich zu Hause mit der Umgestaltung beginnen und sie durchsetzen, sonst wird es keine Veränderung geben“, heißt es dazu in einem Flugblatt.

Im Rat der Stadt Wildeshausen in Niedersachsen stellten die GRÜNEN einen Eil-Antrag auf Auflösung des dortigen Bundeswehrstandortes. Der Rat der Stadt sollte „die Konsequenz ziehen, die große historische Chance, weltweiter, weitreichender Abrüstungsschritte zu nutzen und aktiv zu unterstützen“. Das Bundesverteidigungsministerium müsse „für die problemlose Integration der Bundeswehr-Angestellten in das zivile Berufsleben sorgen“, heißt es u.a. in der Antragsbegründung.

Der hessische SPD-Vorsitzende Hans Eichel stellte fest, daß eine baldige Entmilitarisierung der Nachbarländer Hessen und Thüringen „keine Utopie mehr“ sei. (FR 22.1.90).

Die GRÜNEN fordern in einem Aufruf „Schwerter zu Pflugscharen, Kasernen zu Wohnungen“, vom Dezember 1989, eine Entmilitarisierung beider deutscher Staaten bis zum Jahr 2000. Neben einer Umverteilung von Kapital und ziviler Technologie zugunsten Osteuropas und der »Dritten Welt«, fordern sie einen »Rüstungskonversionsfond« im Bundeshaushalt.

Entmilitarisierung der DDR

In der DDR gibt es, ebenfalls seit Dezember 1989, den »Appell der 89«, der sich an die Bürger des Landes richtet und von vielen bekannten Persönlichkeiten unterschrieben wurde. Alle Parteien und Gruppierungen, so sein Ziel, sollen den »Appell der 89« in die Wahlprogramme aufnehmen und „zum Dekret Nr. 1 der neuen Volkskammer, zum »Dekret des Friedens"“ erheben. Der Appell genießt große Zustimmung.

„Im Wissen und mit der Erfahrung tiefgreifender Veränderungen in der Welt der sozialistischen Länder, angesichts der sich zuspitzenden ökologischen Krisensituationen unseres Planeten, die sich in Gestalt der Bevölkerungsexplosion, der Energie- und Umweltkrise, in der sich anbahnenden Klimakatastrophe, der Zerstörung der schützenden Ozonschicht, der Abholzung des tropischen Regenwaldes und der Verluste von immer mehr Tier- und Pflanzenarten als die Existenzgefährdung der Erde erweisen könnte, rufen wir in Übereinstimmung mit der Zusicherung, daß von deutschem Boden nur noch Friede ausgehen wird, alle Menschen guten Willens auf, mit einem mutigen und die Phantasien überflügelnden Schritt, der Welt den Beweis für die Kraft der Vernunft zu liefern, indem die Deutsche Demokratische Republik einseitige Vorleistungen mit dem Ziel einer Totalen militärischen Abrüstung bis zum Jahre 2.000 vollzieht.“

Auszug aus dem »Appell der 89« (Hervorhebung im Original)

Miliärfreie Zonen und regionale Konversion

Um diese Initiativen kommunal zu unterstützen, schlage ich folgende Aktionen vor:

  1. Die Kommunen in der Bundesrepublik müssen ihre Friedensbeschlüsse der letzten Jahre um Maßnahmen für eine ökologische Sicherheit erweitern und sich zur militärfreien Zone erklären.
  2. Städte und Gemeinden, in denen es zivilisatorische Bomben wie Chemiewerke und Atomanlagen etc. gibt, müssen schon heute auf eine militärische Verteidigung verzichten und sich zur offenen Stadt bzw. Region erklären.
  3. Es könnten ebenfalls ökologische Sicherheitszonen eingerichtet werden, die für jegliches Militär tabu sind und als Naturschutzgebiete erklärt werden. Hier sind vor allem die geplanten, grenzüberschreitenden Naturparks zu nennen.
  4. Darüber hinaus wäre zu prüfen, ob (bestimmte) militärische Einrichtungen der neuen, ökologischen Sicherheitsdefinition noch standhalten. Dies ist gerade für Truppen- und Standortübungsplätze fraglich; militärische Neubauten, Manöver, besonders Tiefflüge, sind abzulehnen.
  5. Gemeinden, Initiativen und andere politische Gruppen können sich den Inhalten des »Appells der 89« anschließen.
  6. Die Gemeinden beginnen mit Schritten für eine regionale Konversion, dem zivilen Umbau ihrer Region. Dabei sind besonders Maßnahmen zu treffen, die die wirtschaftlichen Abhängigkeiten vom »Faktor Militär« beseitigen.

Die Idee der regionalen Konversion beinhaltet, (militärdominierte) Städte, Dörfer, Gemeinden und Regionen mit möglichst vielen kommunalen Ressourcen zu einem ausgeglichenen, entmilitarisierten Mensch-Natur-Gefüge zu entwickeln.

Diese Maßnahmen sind nicht zuletzt deswegen erforderlich, weil mit den zunehmenden Abrüstungsvorschlägen auch die Stationierungsdichte in der Bundesrepublik abnimmt.

Militärische Belastungsanalysen

Eine militärische Belastungsanalyse hat die Auswirkungen des mobilen und stationierten Militärapparates in einer bestimmten Region zum Untersuchungsgegenstand. Sie basiert zumeist auf einer vorher erstellten Analyse der militärischen Infrastruktur. Militärische Belastungsanalysen sind auch für die Bauleitplanung relevant. (Vgl. Achilles 1990).

Die Ansätze der kommunalen Gegenwehr gegenüber militärischer Belastung müssen in die Überlegungen zur regionalen Konversion einfließen. Die genaue Darstellung der militärischen Belastungen – Genese und Entwicklung – im ökologischen, ökonomischen, sozialen, raumordnungs- und kommunalpolitischen Bereich ist als Ausgangsanalyse für eine konsequente antimilitaristische Umstrukturierung der Region notwendig.

Das neue Militär – eine »starke Truppe«?

„Deutschland muß leben, auch wenn wir sterben müssen“ – so ist die traditionelle Soldaten- und Bürgerpflicht noch heute auf einem Hamburger Kriegsdenkmal zu lesen. Die Militärs haben diesen Slogan modifiziert:

„Dieses Militärbündnis, dieser Staat, diese Sicherheitsdoktrin müssen leben, auch wenn die Welt dadurch zerstört wird.“

Militärs schaffen sich die Notwendigkeit ihrer Existenz. Es muß darauf geachtet werden, daß das Militär nicht ökologische Bedrohung in die militärische Gesamtverteidigung einbaut, um damit wieder Legitimation bei der sensibilisierten Bevölkerung zu erheischen. Momentan wird mit Vehemenz versucht, die militärischen Funktionen auf den zivilen Bereich auszudehnen. Katastrophenschutz und Erdbebenkompanie sind in der Diskussion. Dies läuft auf eine Militarisierung der Ökologie und damit eine Okkupation des Friedenswillens der Menschheit hinaus. Nur außerhalb des Militärapparates sind diese Ideen jedoch friedensfördernd. Nur eine Entmilitarisierung wird eine ökologisch-soziale und damit friedliche Weltinnenpolitik gewährleisten und damit eine „auf Dauer angelegte Entwicklung“ ermöglichen, wie sie die Brundtland-Kommission in ihrem Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ fordert.

Auch die Sklaverei wurde aus unserem Kulturkreis verbannt. Wir können die realistische Utopie einer militärfreien Gesellschaft verwirklichen. Eine Notwendigkeit besteht seit langem.

Literatur

Olaf Achilles: „Vom Wandel der militärischen Funktionen“ in: Wissenschaft und Frieden 3/89
ders.: Militärische Belastungsanalysen und regionale Konversion; Reihe kommunale und ökologische Friedensforschung Band 2, Verlagshaus Riedmühle, Alheim 1990
Lester R. Brown: „Für die Militärs bleibt genug“ in: Der Spiegel, Spiegel-Gespräch 3/1990, S. 90 - 98.
D. Fischer/W. Nolte/J. Oberg: Frieden gewinnen. Dreisam-Verlag, Freiburg 1987
Hanspeter Greger/Roland Vogt (Hrsg.): Westpfalz Zivil – regionale Konversion; Kaiserslautern 1987
möp-rundbrief: Mitteilungen der Arbeits- und Forschungsstelle „Militär, Ökologie und Planung“ (MÖP) e.V. zur kommunalen und ökologischen Friedensforschung und Friedensarbeit; erscheint zweimonatlich
Michael Renner: National Security: The Economic and Envorinmental Dimensions; Washington 1989
William D. Ruckelshaus: „Politik für eine lebensfähige Welt“ in: Spektrum der Wissenschaft 11/89, S. 152 - 162

Auszug aus einem Diskussionsbeitrag (möp-diskussion) „Von der heiligen Kuh zum trojanischen Pferd“ – über die Notwendigkeit einer militärfreien Gesellschaft, welche als Beilage zum möp-rundbrief 19/20 erschienen ist. Möp-diskussion ist für 3.50 bei der MÖP e.V., Reuterstr. 44, 5300 Bonn 1 zu erhalten.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1990/1 1990-1, Seite