W&F 2013/1

Alles hat seine Zeit – auch der Friede?

Tagung des AK Theorie der AFK, 8.-10. November 2012, Augsburg

Eva-Maria Teebken

Die Tagung des Arbeitskreises Theorie der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (Sprecher_innen: Christina Schües, Andreas Bock, Julika Bake) »Alles hat seine Zeit – auch der Friede? Friedenstheorien und ihre Zeit- und Zukunftskonzeptionen« wurde in Kooperation mit dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (Alfred Hirsch) und dem Institut für Philosophie der Universität Flensburg (Pascal Delhom) organisiert. Sie fand im Zeughaus der Stadt Augsburg statt. Die Tagung wurde durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) gefördert.

Interdisziplinäre Perspektiven und Herangehensweisen

Die Tagung des AK Theorie begann mit der grundlegenden Feststellung, mit dem Thema theoretisches Neuland betreten zu wollen – und daher auch grundsätzlichen Fragen nach der Bedeutung der Zeit für zukünftige Friedensentwürfe nachgehen zu müssen. In welchem Implikationsverhältnis und Zusammenhang stehen Zeitauffassungen und -gestaltungen zu unterschiedlichen theoretischen Friedenskonzeptionen und gesellschaftlichen Friedensprozessen? Können Zeitvorgaben oder –verständnisse friedensstiftende gesellschaftliche Prozesse begünstigen (oder verhindern)? Ist Friedensforschung Zukunftsforschung? Was ist Zeitlichkeit? Welche Folgen haben sich wandelnde Zeitlichkeiten für gesellschaftliche und politische Konflikte und Friedensprozesse?

Antworten finden sich in den verschiedenen Perspektiven der Sozialphilosophie und der Geschichtswissenschaft, in analytischen und begrifflichen sowie phänomenologischen und systemtheoretischen Perspektiven. Um einen angemessenen Beitrag für die allgemeinen und konkreten Zeitvorstellungen und Rhythmen zu schaffen, wurde der Workshop in die Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterteilt.

Friedensnobelpreis für Barack Obama – Gegenwart oder Zukunftsversprechen?

Die Tagung hatte zum Ziel, das Verhältnis von Zeit und Frieden in Bezug auf ihre Grundvoraussetzungen und theoretischen Implikationen, gesellschaftlichen Transformationsprozesse und politischen sowie ethischen Ansprüche zu erklären. Erläutert wurden etwa das Verhältnis von Zeit und Frieden im Spiegel der Entwicklungen von zeitlichen Auffassungen von Frieden (Pascal Delhom), Rousseaus verschiedene Zeitepochen (Alfred Hirsch) sowie zeittheoretische Überlegungen zu Kants Instrumentalisierungsverbot (Gertrud Brücher). Eine Überprüfung der Genese von aktuellen Zeitverständnissen wurde als wünschenswert betrachtet. Die Frage, wer über Zeithorizonte verfügt, wurde zuallererst friedenphilosophisch analysiert. Die modernisierungs- und zivilisierungstheoretischen Ansätze zeigen für die Beantwortung dieser Frage auf, wie das menschliche Subjekt durch Sachzwänge verdrängt wird. Wie steht es also um die Zeitsouveränität? In der Postmoderne verlaufen die Vergangenheit und die Zukunft gleichzeitig – sie werden durch den Bedeutungszuwachs der Gegenwart ununterscheidbar. Von einer Zeitsouveränität kann so kaum mehr die Rede sein. Zeithorizonte fallen in der Gegenwart zusammen, und die Zukunft wird als gegenwärtig betrachtet. Eine Überprüfung der Genese von Zeitverständnissen ist daher erforderlich (Gertrud Brücher).

Die Analyse der Zeitdimensionen des Friedensschaffens im Kosovo ergänzte diese Überlegungen. Die Interaktion zwischen den Akteuren der Gesellschaft und den Intervenierenden findet auf allen Ebenen, aber vor dem Hintergrund verschiedener Zeitkonzeptionen statt. Die Friedensschaffenden sind vergangenheitslos – die Zeitrechnung startet mit dem Mandat. Sie läuft entgegen der subjektiven Zeit der gesellschaftlichen Akteure, deren Vergangenheit ein fortbestehendes Narrativ ist. Die Herstellung einer Synchronisation von Zeitlichkeit stellt hier die Schwierigkeit dar – eine gleiche Vorstellung von Frieden ist dadurch besonders herausgefordert (Werner Distler).

Die Zeit als konflikt- bzw. friedensförderndes Element wurde in einem weiteren Vortrag systematisiert: Jeder Akteur befindet sich in einem Zeit/Raum/Normen-System. Der Begriff »Chronotrop«, eigentlich eine Zeit- und Raumkonzentration in der Erzählung, beschreibt eine eigene Zeitlichkeit, eine Zeitsouveränität. »Transtemporale Asynchronie« war etwa ein weiterer Terminus – eine Beschreibung für die vergangene Gegenwart und gegenwärtige Vergangenheit (Pierre-Frédéric Weber).

Zwei weitere Beiträge gingen der Rolle von Zeit und »timing« sowie der (fehlenden) ethischen Prinzipien für das Beenden von Kriegen (Petar Bojanic) sowie der Zeit in der religiösen Tradition des Islam (Kay Peter Jankrift) nach. Ein für die breitere Öffentlichkeit konzipierter Abendvortrag griff die eingangs erwähnte Frage »Ist Friedensforschung Zukunftsforschung?« auf und erläuterte die Hintergründe und Akteure der engen Verknüpfungen von Friedens- und Zukunftsforschung in den 1950er und 1960er Jahren in Deutschland (Elke Seefried).

Resümee

Wir bewegen uns im theoretischen Neuland. Daher tastete sich diese Tagung in ersten Schritten über vielschichtige Perspektiven an die Zusammenhänge von Zeit und Frieden heran. Resümierte Zukünfte des AK Theorie sind die Ausformulierung gesellschaftlicher Vorstellungen über Theorie (Christoph Weller), das Erforschen der Fragen, welche Zeitvorstellungen im Hinblick auf die Notwendigkeit zeitlicher Kontinuität und Sicherheit für politische Entscheidungen (Zeitsouveränität) dominieren oder wie Zeitvorstellungen Krisenverständnisse beeinflussen (Werner Calließ). Ein erklärtes Ziel ist es, Gegenwarten herauszuarbeiten und einen Fokus auf die Zeittheorie- und Friedensforschung zu legen.

Durch die neuen theoretischen Zusammenhänge ermöglicht die Tagung »Alles hat seine Zeit – auch der Friede? Friedenstheorien und ihre Zeit- und Zukunftskonzeptionen» des AK Theorie mannigfache Forschungsfragen, die sich qualitativ von bisher gestellten Fragen zu Sicherheit und Frieden, Konflikt und Frieden, Wissenschaft und Frieden unterscheiden. Vorträge und Diskussionen wurden in chronologischer Reihenfolge, zeitlicher Großzügigkeit und wissenschaftlicher Intensität abgehalten und lassen auf weitere Beiträge zu diesem Themenbereich hoffen.

Eva-Maria Teebken

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2013/1 Geopolitik, Seite 59–60