W&F 1993/3

Alternative Medien im ehemaligen Jugoslawien

von Branka Trivic

* Bereits einige Jahre vor dem Zerfall Jugoslawiens wurde der jugoslawische Informationsraum durch nationalistische Machthaber in den Teilrepubliken »parzelliert« und »okkupiert«. Damit wurde der bundesweite Informationsraum zerschlagen und seine Bestandteile von den nationalen »Bunkern« der Republiken »geschützt«. Es setzte ein Krieg zwischen den Fernsehanstalten ein. Besonders aktiv war dabei die Propaganda der nationalistischen Führungen Serbiens und Kroatiens.

Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien begann also mit erschreckend harten Kämpfen der nationalistisch geprägten totalitären Propagandamaschinerien der Republiken, deren Ziel es war, in den Köpfen der Untertanen das häßlichste »Feindbild« zu erzeugen bzw. atavistisch-destruktive Instinkte zu wecken, die für eine Endabrechnung mit dem »Feind« notwendig sind. Auf diese Weise wurden – noch ehe die Waffen sprachen – bereits kriegführende Seiten und alle psycho-sozialen Bedingungen geschaffen, um mit ruhigem Gewissen in patriotischer Begeisterung den ersten Schuß abzufeuern und den ersten Tropfen Blut zu vergießen. Nach mehreren Jahren einer solchen Goebbels-Propaganda wäre es verwunderlich, wenn es im ehemaligen Jugoslawien nicht zum Krieg gekommen wäre.

Was oft nicht verstanden wird – in den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien ebenso wenig wie im Westen –, ist der Fakt, daß alle verfeindeten Republiken des ehemaligen Bundesstaates trotz der Feindlichkeiten untereinander einen größeren gemeinsamen Feind hatten und haben: Jugoslawien. Dieses Jugoslawien war für das kroatische Regime ein gefährlicherer Feind als die Serben und Serbien; dasselbe Jugoslawien war für das serbische nationalistische Establishment ein größerer Knochen im Hals als Kroatien, trotz der demagogischen »Jugoslawien«-Rhetorik dieser Oberschicht. Der slowenische »junge« Nationalismus »verdiente« sich durch den »Antijugoslawismus« einen unabhängigen Staat. Jugoslawien war und ist für sie alle der gefährlichste Feind, denn ihr gemeinsames »heiliges« Ziel war die Schaffung totalitärer Nationalstaaten.

Diese längere Einleitung ist notwendig, um einen besseren Einblick in die »Kalamitäten« bezüglich der Information im ehemaligen Jugoslawien zu bekommen und zu begreifen, weshalb der jugoslawische Informationsraum so fatal geteilt bzw. weshalb seine Reintegration notwendig ist.

Das erste alternative antinationalistische Medium auf dem Territorium Jugoslawiens vor dem Beginn des Krieges in Kroatien war die in Sarajevo stationierte Fernsehanstalt Yutel. Eine einstündige Informationssendung von Yutel verband den parzellierten jugoslawischen Informationsraum und versorgte die Zuschauer ganz Jugoslawiens mit objektiven Informationen, die das ganze Land abdeckten. Nach nur wenigen Monaten mußte Yutel die Ausstrahlung des Programms einstellen, denn ein solches antinationalistisches Informationskonzept war eine ernsthafte Bedrohung für das kroatische wie auch für das serbische Regime. Yutel wurde einfach vom kroatischen und vom serbischen Territorium vertrieben.

<>Serbien heute oder Wie ist die »Televisions-Bastille« zu zerstören<>

Schon vier Jahre lang wird die politische Szene Serbiens bestimmt durch den Kampf zwischen dem Regime von Slobodan Milosevic und den oppositionellen Parteien um die Kontrolle über die Medien. Genaugenommen geht es um die Kontrolle über das Fernsehen Serbiens als dem wichtigsten und einflußreichsten Massenmedium und Propagandainstrument der Republik. Die »TV-Bastille« (nach Vuk Draskovic) bzw. Televizija Beograd (das Fernsehen Belgrad) ist noch nicht gefallen und wird wohl auch so leicht nicht fallen, denn der herrschenden Sozialistischen Partei und Milosevic ist klar, daß ein Verlust des Fernsehens gleichzeitig den Verlust der Macht bedeutet. Aus diesem Grund wird das Monopol auf den Rundfunk und das Fernsehen Serbiens so skrupellos verteidigt. Das serbische Fernsehen ist demnach in der Republik bei Informationen und Propaganda, was die Reichweite der Programme und die Zuschauerzahlen betrifft, ohne Konkurrenz. In der katastrophalen ökonomischen Situation, bei der verheerenden Inflation, ist für die einfachen Leute das regelmäßige Kaufen einer Tageszeitung ein Luxus, den sie sich nicht leisten können. Selbst bei einer weitaus größeren Kaufkraft der Bevölkerung wäre es illusorisch zu glauben, die Gesamtauflage von weniger als 200.000 Exemplaren der größten Tageszeitungen Serbiens könnte mit dem serbischen Fernsehen konkurrieren, dessen Informationssendungen täglich von mehr als 50 Prozent der sieben Millionen erwachsenen Bürger Serbiens gesehen werden. Schon vor dem Inkrafttreten der Sanktionen wiesen die Zuschauerzahlen von Televizija Beograd die absolute »Führung« dieses staatlichen Fernsehens bei der öffentlichen Meinungsbildung in Serbien aus. Während der Wahlkampagne, unmittelbar vor den ersten Mehrparteienwahlen im Jahre 1990, lasen 30 Prozent der Erwachsenen der Republik überhaupt keine Tageszeitung. Auf dem Höhepunkt des Krieges mit Kroatien sahen drei Millionen Menschen bzw. 60 Prozent der Bevölkerung Serbiens (ohne die Gebiete Kosovo und Wojwodina) regelmäßig die wichtigste Informationssendung des serbischen Fernsehens. Die Resultate einer zweiten Untersuchung besagen, daß 65 Prozent der Zuschauer keinerlei Zweifel an den Informationen hegten, die vom Fernsehen Serbiens ausgestrahlt wurden. Schon im Jahre 1992 kontrollierten Milosevic und seine herrschende Sozialistische Partei neun Zehntel der Medienlandschaft in Serbien.

Nach alledem klingt es zwar paradox, doch es ist wahr: Die Medienlandschaft in Serbien ist trotzde uneinheitlicher und reicher an alternativen Medien als in Kroatien.

Die wichtigsten alternativen Medien im audiovisuellen Sektor Serbiens sind der unabhängige, private Fernsehsender Ntv Studio B und der Rundfunksender B 92. Hinzuzählen kann man auch noch den Fernsehsender Televizija Politika.

Die bedeutendsten unabhängigen Presseorgane sind das Wochenmagazin Vreme (Die Zeit) sowie die Tageszeitung Borba (Der Kampf).

In Montenegro, wo die Situation im Hinblick auf Politik und Information der serbischen aufs Haar gleicht, gilt als einziges alternatives Medium, das sich Televizija Crna Gora (Fernsehen Montenegro) und der regimetreuen Tageszeitung Pobjeda (Der Sieg) widersetzt, die unabhängige Wochenzeitung Monitor.

Mit gewissen Variationen ist das gemeinsame Merkmal aller dieser alternativen Medien ihr Bestreben, durch objektives und vielseitiges Informieren den gesamten südslawischen Raum (gemeint ist der ehemalige jugoslawische Raum, Anm. d.Üb.) »abzudecken« und sich der nationalistischen Kriegspropaganda zu widersetzen, mit der die Öffentlichkeit in Serbien täglich vom Bildschirm aus »bombardiert« wird.

Das Wochenmagazin Vreme

Die unabhängigen Medien traten in Serbien im Laufe des Jahres 1990 an die Öffentlichkeit. Das erste und einzige unabhängige Wochenmagazin, Vreme (Die Zeit), wurde von einer Gruppe Journalisten und Intellektueller mit deren eigenem Kapital gegründet. Trotz großer finanzieller Schwierigkeiten konnte sich dieses Magazin am Leben erhalten. Es wird ausschließlich durch Abonnements und Werbung finanziert. Seit kurzem versteht sich Vreme mit einer gewissen finanziellen Unterstützung aus dem Ausland auch als Verlag und hat bereits die ersten Bücher veröffentlicht. Bei seiner Gründung im Oktober 1990 war es dieser privaten Publikation nicht möglich, sich in Serbien registrieren zu lassen, deshalb ist Vreme in Kroatien registriert. Unmittelbar darauf genehmigten die serbischen Behörden das Erscheinen privater Presseerzeugnisse. Als Vreme gegründet wurde, hat – wie einer der Mitarbeiter sagt – das serbische Regime die Gefahr dieses Wochenmagazins für sich unterschätzt. Danach war es zu spät, mit ihm abzurechnen, und so nahm das Regime Zuflucht zu einer anderen Taktik: Vreme und die übrigen alternativen Medien wurden für eigene Propagandazwecke genutzt – um der Welt zu zeigen, wieviel Demokratie in Serbien herrsche. Diese Taktik widerspiegelt am besten die »stalinistische Schläue« von Slobodan Milosevic: Warum nicht galant sein einem Feind gegenüber, der dich nicht besiegen kann? Solange Vreme, das überwiegend in Belgrad gelesen wird und dessen Auflagenhöhe einige zehntausend Exemplare nicht übersteigt, keine Gefahr für das wichtigste Medium des Regimes, Televizija Beograd, darstellt, besteht kein Grund, es zu behindern und sich ihm zu widersetzen. Im Gegenteil, man muß es als eigene Legitimation der Demokratie benutzen.

Von den hohen professionellen Qualitäten und dem journalistischen Standard, den dieses Magazin aufweist, zeugt die Tatsache, daß auch Journalisten aus Kroatien und Autoren albanischer Nationalität aus Kosovo sowie Reporter muslimischer Volkszugehörigkeit aus Bosnien gern dafür schreiben. Das ganze Klima, das Vreme entwickelt, ist – so wage ich zu behaupten – in journalistischer, politischer und kultureller Hinsicht nicht nur in den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien, sondern auch in Osteuropa etwas Einzigartiges; mir ist kein überzeugenderes Beispiel für einen antinationalistischen und toleranten Diskurs bekannt. Doch im Hinblick auf die immer katastrophaler werdenden ökonomischen Verhältnisse und die drastische Verschärfung des Embargos droht der Existenz dieses Magazins eine ernste Gefahr. Die internationalen Hilfsorganisationen für die freien Medien im Bereich des ehemaligen Jugoslawien müßten dies im Auge behalten.

Der Fernsehsender Ntv Studio B

Die unabhängige Fernsehanstalt NTV Studio B begann nach gewaltsamer technischer Behinderung durch das serbische Regime und das Fernsehen Serbiens im November 1990 sein Programm auszustrahlen. Diese Anstalt ist heute Eigentum ihrer Mitarbeiter und finanziert sich durch Werbung. Doch in der völlig erschöpften Wirtschaft gibt es kaum noch Produkte, geschweige denn Werbung, und so droht dem Studio B ebenfalls der Bankrott und das Einstellen seiner Tätigkeit. Das Fernsehen von Studio B bietet einen außerordentlich objektiven und unparteiischen Journalismus, doch um seine technischen Mitarbeiter und Möglichkeiten steht es schlechter als beim Fernsehen Serbiens. Der Mangel an Geld und technischer Kapazität erlaubt es dieser Fernsehstation nicht, ihre Reporter in die Kriegsgebiete Bosniens zu schicken. Aus den gleichen Gründen konnte auch der Krieg in Slowenien und in Kroatien nicht verfolgt werden. Das ist ein großes Handicap für diese Fernsehanstalt, das sie zu vermindern sucht, indem sie die täglichen Informationssendungen der Fernsehanstalten anderer ehemaliger jugoslawischer Republiken (des Kroatischen Fernsehens, des Fernsehens Sloweniens usw.) wiederholt. Das größte Handicap für das Fernsehen Studio B besteht darin, daß sein Senderadius lediglich Belgrad abdeckt. Alle anderen Teile Serbiens werden nicht erreicht und sind ausschließlich auf das regimetreue Fernsehen angewiesen. Das unabhängige Fernsehen Studio B ist ständig bestrebt, die Empfangsmöglichkeit seines Programms auf ganz Serbien auszudehnen, doch das ist bis heute ein utopischer Wunsch geblieben; das Monopol für die Verteilung der Sendefrequenzen an private Rundfunk- und Fernsehanstalten liegt in der Hand der serbischen Regierung, also des Regimes von Milosevic, das natürlich nicht den Ast absägen will, auf dem es sitzt.

Der Rundfunksender B 92

Ein anderes unabhängiges Kommunikationsmedium, das sich bei den Einwohnern Belgrads großer Popularität erfreut, ist der Rundfunksender B 92, initiiert vor vier Jahren durch junge Reporter und Intellektuelle, die der Antikriegsbewegung nahestehen. Dieses Rundfunkprogramm ist außerordentlich modern konzipiert und versteht es, bei seinen Hörern – leider nicht mehr als 1,2 Millionen, da Radio B 92 nur in Belgrad empfangen werden kann – großes soziales und politisches Engagement zu wecken. Ein Problem sind auch in diesem Fall die Frequenzen. Radio B 92 benutzt widerrechtlich Sendefrequenzen, denn es bekommt vom Staat keine eigenen; ebenso wenig ist sein rechtlicher Status geregelt. Würde dieser Sender eine eigene Frequenz erhalten und die stärkere Funkanlage benutzen, die es schon besitzt, so würde seine Reichweite auf 4,5 Millionen potentielle Hörer anwachsen. Radio B 92 hat sich ein Netz von Mitarbeitern und Berichterstattern in den früheren jugoslawischen Republiken aufgebaut und bringt bis heute recht objektive und aktuelle Informationen aus den Kriegsgebieten.

Inwieweit NTV Studio B und Radio B 92 wie auch die unabhängige Presse zur Demokratisierung und Liberalisierung der politischen Meinung in Belgrad beigetragen haben, davon zeugen die Ergebnisse der letzten Wahlen. In den zentralen Belgrader Stadtteilen, wo diese Medien am besten zu empfangen sind, hat die Opposition gesiegt. Natürlich läßt sich diese Korrelation nicht verabsolutieren, denn auch andere Faktoren – die höchste Stufe der Urbanität, eine national gemischte Einwohnerschaft, das kulturelle, politische und oppositionelle Zentrum Serbiens u.a.m. – trugen dazu bei, daß Belgrad zum stärksten Stützpunkt der Opposition in Serbien geworden ist.

Die Tageszeitung Borsa

Einst das Organ der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, später des Sozialistischen Bundes Jugoslawiens, hat sich die Tageszeitung Borba (Der Kampf) schon in der Zeit der harten nationalistischen Scharmützel vor dem Zerfall Jugoslawiens für ein Konzept der antinationalistischen, objektiven Information entschieden. In einer Epoche, da alle Tageszeitungen in Serbien wie auch in Kroatien dem nationalistischen Wahnsinn und dem Diktat der Regimes unterlagen, entzog sich Borba nicht nur diesem Fahrwasser, sondern wurde zum stärksten Kritiker des Regimes von Slobodan Milosevic. Die Privatisierung dieser Zeitung und ihre Umwandlung in eine Aktiengesellschaft setzte schon im Jahre 1986 ein. Nach einer längeren Zeit der finanziellen Unterstützung durch die föderale Regierung begann Borba Privatkapital heranzuziehen. Das größte Aktienpaket liegt jetzt in den Händen privater Geschäftsleute. Im Juli dieses Jahres kam es jedoch trotz Widerstand der Redakteure zu einer aufgezwungenen Ablösung des Chefredakteurs der Borba und der Einsetzung einer neuen Leitung. Die Redaktionspolitik der Zeitung hat sich seither nicht wesentlich verändert, doch die Befürchtungen, die Machthaber könnten durch Druck auf die Hauptaktionäre mit dieser unabhängigen Zeitung abrechnen, sind nicht unbegründet. Im übrigen ist die finanzielle Lage von Borba um nichts besser als die der anderen unabhängigen Medien. Ihre Auflagenhöhe sinkt drastisch und liegt augenblicklich bei ca. 30 000 Exemplaren.

Das Verlagshaus Politika

Seit Anfang des Jahres 1992 begann das Zeitungs- und Verlagshaus Politika (Fernsehen Politika, Tageszeitung Politika, Wochenzeitung Nin und andere Editionen), sich von dem Regime, das es bis dahin gewissenhaft unterstützt hatte, zu distanzieren. Das Tageblatt Politika hatte Milosevic am meisten geholfen, an die Spitze der Machtpyramide zu gelangen und den serbischen Nationalismus zu entfachen.

Zu Beginn des vergangenen Jahres, als die Beschäftigten dieses Hauses die Zeitung privatisieren wollten, trat das Regime zum Gegenangriff an und beschloß, die Politika zu verstaatlichen. Die Beschäftigten der Politika, der ältesten Tageszeitung Serbiens, antworteten mit Streik und erreichten durch ihren massiven Widerstand, das Regime von seinem Vorhaben abzubringen. Für wie lange, das wird sich erweisen. Einige Indizien sprechen dafür, daß die serbische Spitze dieses einflußreiche Haus nicht aufgegeben hat. Die Regierung Serbiens und Beobanka (die Belgrader Bank) haben nämlich vor kurzem Aktien beim Politika-Fernsehen aufgekauft.

Zur Verdeutlichung muß gesagt werden, Beobanka ist als Staatsbank engstens mit dem Regime verknüpft. Also könnte der Aktienerwerb der erste Schritt der Regierung sein, allmählich das Kommando über die objektive, professionelle Fernsehanstalt Televizija Politika zu übernehmen. Damit hätte das Regime die Möglichkeit, sich vor der Welt demokratisch zu legitimieren, denn seine bisherige rechte Hand, das Fernsehen Serbiens, ist total kompromittiert. Falls es dazu käme, wäre es unreal, einen stärkeren Widerstand von Televizija Politika zu erwarten, da die Mehrzahl der Mitarbeiter auf Honorarbasis tätig ist.

Eines der ernsthaftesten Hindernisse für eine objektivere Information in Serbien ist die staatliche Agentur Tanjug, die seit geraumer Zeit völlig regimetreu orientiert ist. Wenn man weiß – es liegt in der Natur der Sache –, daß sich alle anderen Medien weitestgehend an den Nachrichten dieser Agentur orientieren, dann ist klar, daß Serbien augenblicklich eine völlig neue, objektive und professionelle staatliche Agentur braucht.

Kroatien – Wahrheit oder Vaterland?

„In Kroatien gibt es keine echten Reporter“, erklärte voriges Jahr der Direktor der kroatischen Nachrichtenagentur Hina, Milovan Sibl. „Viele Journalisten sind gemischter Abstammung – ein Elternteil Serbe, der andere Kroate. Wie können solche Leute objektiv über Kroatien informieren?“ Das fragt sich der betreffende Herr und beteuert, das einzige Medium, das objektiv über Kroatien berichte, sei ausgerechnet »seine« Hina.

Die Unabhängigkeit Kroatiens hatte offensichtlich nicht auch die Unabhängigkeit der kroatischen Medien vom Staat zur Folge. Das postkommunistische Kroatien und die herrschende HDZ (Kroatische demokratische Gemeinschaft) behielten das Medienmonopol wie in der Zeit des Kommunismus bei. Mehr noch, in der Strafgesetzgebung Kroatiens findet sich noch immer der Paragraph, der Menschen (also auch Journalisten!) für ein sogenanntes verbales Delikt unter Strafe stellt. Mehrere angesehene Journalisten wurden im letzten Jahr auf Grund dieses Paragraphen gerichtlich verfolgt. Mitglieder der herrschenden Partei haben die Schlüsselpositionen in dem Informationssystem inne, das sich durch extremen Zentralismus auszeichnet. Dieser wird ganz auf kommunistische Weise praktiziert. Nur das Vorzeichen hat sich natürlich gewandelt: Nicht mehr die Partei ist die zentrale politische Kategorie, sondern die Nation beziehungsweise der Nationalstaat. Mitglieder der HDZ haben das Monopol für das Kroatische Fernsehen, für die staatliche Agentur Hina und das wichtigste Zeitungs- und Verlagshaus Vjesnik (Der Kurier). Der Generaldirektor des HTV (Kroatischen Fernsehens) zum Beispiel ist gleichzeitig Vizepräsident der HDZ, der herrschenden Partei Kroatiens. Der o.g. Milovan Sibl, Direktor der Agentur Hina, ist ebenfalls ein Vizepräsident der HDZ. Der Staat hat das absolute Monopol über die elektronischen Medien – Rundfunk und Fernsehen –, und das ist eines der wenigen kommunistischen Gesetze, die die neuen kroatischen Machthaber von dem vorhergehenden System übernommen haben. Natürlich keinesfalls zufällig. Die Eigentumsfrage bei den anderen – lokalen – Medien ist nicht geklärt. Auch in Kroatien hat der Prozeß der Privatisierung der Medien begonnen, doch der Staat und die herrschende Partei nutzen auch dies, um ihr Monopol auf die Informationsmittel herzustellen, die sich ihrer Kontrolle entzogen haben. Sie tun das, indem sie eine Privatisierung der Medien durch die Beschäftigten verhindern oder verschleppen. Jede Privatisierung muß über sogenannte zentrale Privatisierungsagenturen abgewickelt werden, die eine spontane Privatisierung entweder unendlich in die Länge ziehen oder die Medien den Mitarbeitern des Regimes zuschanzen. Die herrschende Partei hat es fertiggebracht, die Mehrzahl der ehemals gegen die Machthaber recht kritisch ausgerichteten Zeitungen und Zeitschriften gefügig zu machen. Der Krieg auf dem Territorium Kroatiens hat bei dieser Sache ziemlich geholfen, indem er den Auftrag zum Patriotismus und zur Verteidigung des Vaterlands in die vorderste Ebene rückte und die innerpolitischen Unruhen zwischen dem Regime und der Opposition zum Schweigen brachte. Es bedarf nicht vieler Beweise für die Behauptung, daß die Machthaber den Krieg als Alibi für eine Abrechnung mit den kritischen, unabhängigen Köpfen innerhalb der Medien benutzt haben und noch immer benutzen.

Ansätze journalistischen Widerstands

Nachdem Danas (Heute), eine der qualitativ besten und kritischsten kroatischen Zeitschriften, eingegangen war, gründete ein Teil der Journalisten, der sich nicht der neuen regimetreuen Konzeption der Zeitung unterwarf, die unabhängige Zeitschrift Novi Danas (Neues Heute). Die Behörden türmten zahllose Hindernisse vor diesem Presseorgan auf, das am Ende nicht die Kraft hatte, seine unabhängige Redaktionskonzeption durchzuhalten.

Slobodna Dalmacija (Freies Dalmatien), die Tageszeitung von Split mit einer weitreichenden Tradition als kritisches, liberales Blatt, widerstand lange Zeit Tudjmans Anordungen über eine gehorsame, »patriotische« Berichterstattung. Den in diesem Haus Beschäftigten gelang es, die Zeitung durch den freien Verkauf von Aktien zu privatisieren, wobei sie sich der vorangegangenen föderalen Gesetzgebung aus der Zeit des letzten Bundesministers, Ante Markovic, bedienten. Das Regime proklamierte diesen Akt als »Diebstahl am nationalen Eigentum« und strengte einen Gerichtsprozeß gegen Slobodna Dalmacija an. Nach längerem Widerstand »kapitulierte« auch diese Zeitung. Heute ist sie leider eines der regimetreuesten Blätter in Kroatien.

Das kroatische Regime hat seine Probleme, das traditionell tolerante, multikulturelle Istrien definitiv zu unterwerfen. Der Versuch, die recht objektive istrische Tageszeitung Novi List (Neues Blatt) zu »brechen«, ist ihm mißglückt, so daß man diese Zeitung in bezug auf die dominante kroatische Presse als alternatives Medium ansehen kann.

Das derzeit markanteste alternative kroatische Presseerzeugnis ist die vierzehntägig erscheinende Ferald-Tribjun, die auch früher bestand, jedoch erst in diesem Frühjahr ein neues Profil und – dank einer Reihe der angesehensten kroatischen Journalisten, die sie redigieren – die Dimension einer kritisch-satirischen Redaktion erhielt. Die Zeitschrift erreichte eine Auflagenhöhe von 40 000 Exemplaren. Sie ist immer bereits in den ersten Stunden nach ihrem Erscheinen vergriffen.

Ein wichtiges alternatives Presseorgan ist auch Arkzin; es war bis vor kurzem das Bulletin des Zentrums für Antikriegsaktionen und erscheint nun vierzehntägig als Zeitschrift für Politik und Kultur.

In Split wurde vor einigen Monaten die Presseagentur Stina gegründet, die die Ambition hat, den gesamten südslawischen Raum abzudecken. Sie erhielt – so wie mehrere andere unabhängige Medien, z.B. Monitor oder Radio B 92 – bedeutende finanzielle Unterstützung von Presseorganisationen aus dem Ausland.

In Vorbereitung ist darüberhinaus ein Projekt mit dem Namen DanasNova Generacija (Heute – eine neue Generation); es soll in Zukunft ein unabhängiges Wochenmagazin werden. Dieses Projekt wird bereits von F.E.R.L. (Fédération européenne des radios libres) und der Organisation Couse Commune aus der Schweiz unterstützt.

Durch einen Verbund des südslawischen Informationsraumes würde die zur Zeit herrschende Informationsblockade, die die Regime in Serbien und in Kroatien realisiert haben, am wirkungsvollsten durchbrochen werden.

Das Verbinden des südslawischen Informationsraumes

Zur Zeit sind alle Kommunikationsverbindungen zwischen Serbien und Kroatien abgerissen, weder die Bewohner Serbiens noch diejenigen Kroatiens können verläßliche Informationen über das Kriegsdrama in Bosnien und Herzegowina erhalten – alles, was sie vorgesetzt bekommen, ist zuvor durch die Redaktion der serbischen bzw. kroatischen Propaganda gegangen; aus diesen Gründen ist es wirklich unbedingt notwendig, den Informationsfluß über das gesamte geteilte Gebiet wiederherzustellen. Das ist eine unerläßliche Bedingung, damit allmählich wieder die Vernunft einkehrt und in den ehemaligen jugoslawischen Gebieten ein normaleres mentales Bild hergestellt wird. Ohne die »Gesundung« des Informationssystems gibt es keine Voraussetzungen für die Beendigung des kollektiven Massenwahnsinns und die Herstellung eines etwas normaleren politischen Lebens. Zweifellos haben die politischen Instanzen und internationalen Hilfsorganisationen für unabhängige Medien im ehemaligen Jugoslawien dies auch begriffen und etwas in dieser Richtung getan. Einige Projekte weisen, obgleich sie noch in der Anfangsphase stecken, schon außergewöhnliche Resultate auf. Man muß jedoch sagen, daß es trotz guter Absichten auch Fehlschläge gegeben hat.

Ein Projekt, das Aufmerksamkeit verdient, ist die alternative Presseagentur Aim, gegründet im Mai dieses Jahres durch die F.E.R.L. und das Europäische Bürgerforum. Finanziert von der Europäischen Gemeinschaft, ist dies das erste alternative Informationsnetz, das nach dem Zerfall Jugoslawiens den gesamten südslawischen Informationsraum verknüpft und objektive, von den Machthabern unabhängige Informationen sichert. Die Agentur hat Zentren in Belgrad, Zagreb, Podgorica, Skopje und Slowenien und schart unabhängige Reporter und Mitarbeiter aus allen diesen Gebieten um sich. Dieses Netz hat die Ambition, bald auch Bosnien informativ abzudecken; es verwendet dabei Berichte, die per Fax geschickt werden – denn für ein Computer-Center bestehen keine Voraussetzungen – sowie Beiträge von Funkamateuren und stützt sich auf die Zusammenarbeit mit Journalisten anderer Medien. Informationen und Autorenbeiträge dieser Agentur haben sich auch schon den Weg zu bedeutenden ausländischen Zeitungen – der Süddeutschen Zeitung, Le Monde usw. – gebahnt.

Ein Projekt, das jedoch bis heute nicht die erwarteten Resultate zeigt, ist Radio-Brod (Das Rundfunk-Schiff). Die Absicht war gut: Von einem Rundfunksender auf einem Schiff, das in den internationalen Gewässern der Adria ankert, soll die Bevölkerung des ehemaligen Jugoslawien objektiv informiert werden, wobei die Berichterstattung aus allen seinen ehemaligen Republiken kommen und auf diese Weise die nationalistische Medienblockade des serbischen und des kroatischen Regimes durchbrochen werden soll. Zu diesem Zweck hat die Europäische Gemeinschaft der Organisation Droit De Parole (Recht auf das Wort) in Paris Mittel zur Finanzierung dieses Projekts übertragen. Es hat zwei oder – laut einigen Quellen – sogar drei Millionen Ecu gekostet. Dies wäre gerechtfertigt, wenn das Radio-Schiff auch in Belgrad und Zagreb zu empfangen wäre. Doch es hat sich gezeigt, daß das teure Projekt uneffektiv ist, weil man es nicht dort hört, wo es am nötigsten wäre. Solche Konkurrenten können sich die Medien der Regimes nur wünschen. So begreiflich es ist, daß Belgrad und Zagreb mit einem solchen »Gegenschlag« im Informationsbereich zufrieden sind, so unbegreiflich ist es, daß die Initiatoren von Brod beschlossen haben, ihr mißglücktes Projekt nicht aufzugeben. Trotz umsonst vergeudeter Millionen Mark, Dollar oder Ecu.

Es besteht Grund zu der Hoffnung, daß die Eröffnung der Balkanredaktion von Radio Free Europe, die im Oktober erwartet wird, die erste ernsthafte Intervention elektronischer Medien und eine ernstzunehmende Drohung gegen das Monopol von Radio-televizija Serbien bzw. Radio-televizija Kroatien sein wird. Das kann man zumindest aus den Angriffen der regimetreuen Medien in Serbien (Tanjug, Televizija Novi Sad) auf das bevorstehende Programm schließen. Diese Redaktion würde Berichterstatter aus allen ehemaligen jugoslawischen Republiken zur Mitarbeit gewinnen und ein dichtes Informationsnetz in den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien aufbauen.

Wenn auch der Westen eine effektive Medienintervention in Jugoslawien vor dem Krieg versäumt hat, ist es womöglich noch immer nicht zu spät. Vielleicht werden solche und ähnliche Informationsinterventionen erreichen, daß in dieser ernsthaft erkrankten Gesellschaft allmählich der Vernunft zum Durchbruch verholfen wird.

Anmerkung

*Im Folgenden konzentriert sich die Autorin auf die beiden Republiken Kroatien und Serbien. Die Republik Bosnien-Herzegowina wird weitestgehend ausgeklammert, da der dort zur Zeit tobende Krieg das unabhängige Arbeiten von alternativen Medien nahezu unmöglich macht.

Branka Trivic kommt aus Belgrad und arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
Übersetzerin aus dem serbokroatischen: Astrid Philippsen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1993/3 Medien und Gewalt, Seite