Anti-Terrorstrategien und Schutz der Menschenrechte
von Wolfgang S. Heinz
Der transnationale Terrorismus wird heute bi- und multilateral bekämpft. Zwei große Handlungsbereiche sind zu unterscheiden, (1) den der Vereinten Nationen, den von ihnen entwickelten Abkommen gegen spezifische Straftaten mit dem UN-Sicherheitsrates mit seinem Anti-Terrorism Committee in der Führungsrolle und (2) die Maßnahmen der USA in der Perspektive eines Global War against Terrorismus. Zwar sind staatliche Reaktionen auf den Terroranschlag vom 11. September 2001 entsprechend der Wahrnehmung transnationaler terroristischen Bedrohung ähnlich ausgefallen, etwa wenn man an den Haushaltszuwachs für Polizei und Nachrichtendienste, an eine bessere Vernetzung untereinander und das wachsende Interesse an Islam und Islamismus denkt. In ihrer strategischen Ausrichtung sind die Reaktionen von Staaten auf terroristische Bedrohungen aber von Land zu Land durchaus unterschiedlich ausgefallen (Leeuwen 2003, Brysk/Shafir i.V.).
Für die internationale Zusammenarbeit zwischen den Staaten ist eine Übereinstimmung über den Begriff des Terrorismus’ von zentraler Bedeutung, weil bei der Kooperation zwischen Polizei Justiz, Geheimdiensten und bis hin zu Militäreinsätzen klar sein muss, gegen wen sich staatliche Maßnahmen richten.
Bis heute gibt es keine international akzeptierte Definition von Terrorismus. Vielfach ist es ein politischer Begriff, der gegen den jeweiligen Gegner und Feind gerichtet wird, besonders bei Diktaturen und autoritären, nicht-demokratischen Regierungen.
Vereinte Nationen und internationales Strafrecht
Grundlage für die Ahndung und Überwindung des Terrorismus ist im Rahmen der Vereinten Nationen die zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit dem Ziel gemeinsamer Strafverfolgung.
Seit 1963 wurden dreizehn Abkommen von vielen Staaten akzeptiert, in denen terroristische Straftaten definiert wurden, z.B. widerrechtliche Inbesitznahme von Luftfahrzeugen (1971), Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen, einschließlich Diplomaten (1979), Geiselnahme (1980), Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (1999) und Nuklearterrorismus (2005).
Ein umfassendes Abkommen gegen Terrorismus wird seit 2001 in der VN-Generalversammlung diskutiert. Jedoch ist man damit nicht weitergekommen, weil sich Meinungsunterschiede über die juristische Bewertung des Kampfes gegen ausländische Besetzung – vor allem zwischen westlichen Ländern und Mitgliedstaaten der Islamischen Konferenzorganisation (OIC) – nicht überbrückt werden konnten. Im Hintergrund steht das Beispiel palästinensischer Kampf gegen die israelische Besetzung und die Frage seiner Einordnung als Terrorismus. Eine Überwindung der Meinungsverschiedenheiten erscheint kurzfristig als wenig wahrscheinlich.
Unter Menschenrechte werden im Folgenden die völkerrechtlich verbindlichen internationalen und regionalen Abkommen verstanden, in denen Menschenrechte definiert werden. Besonders wichtig für unser Thema sind Menschenrechtsnormen, die auch nicht im Notstand oder Kriegsfall außer Kraft gesetzt werden dürfen (vgl. UN-Antifolterkonvention von 1994, UN-Zivilpakt von 1966).
Nach dem UN-Zivilpakt ist die zeitweilige Außerkraftsetzung von Rechten möglich, wenn „das Leben der Nation (des Staates) bedroht“ und der Notstand amtlich verkündet ist jedoch nur „in dem Umfang, den die Lage unbedingt erfordert“ (Zivilpakt Art. 4) (ähnlich Art. 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention/EMRK Art. 15). Als notstandsfeste Menschenrechte gelten im UN-Zivilpakt das Verbot von Diskriminierung und Sklaverei, der Folter und bestimmte Rechte beim Gerichtsverfahren sowie das Recht auf Gedanken-, Gewissen- und Religionsfreiheit, bei der EMRK nach Art. 15 das Recht auf Leben, das Folterverbot, das Verbot der Sklaverei und Leibeigenschaft, das Rückwirkungsverbot und die Anerkennung der Rechtsperson. Von den westlichen Staaten hat bisher nur Großbritannien 2001 eine entsprechende Erklärung abgegeben, man befände sich im Ausnahmezustand.
USA: Global War on Terrorism and Operation Enduring Freedom
Die Rolle der USA ist global von zentraler Bedeutung, da ihre politisch-militärische Dominanz sowie die enormen eingesetzten Ressourcen eine Sogwirkung auf viele, besonders kleinere Länder ausübt.
Am 14. September 2001 gab der Kongress mit Resolution »Authorization for Use of Military Force« dem Präsidenten den Auftrag, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Die Regierung Bush konzeptionalisierte die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als Krieg und schloss gleichwohl die Anwendung völkerrechtlicher Rechtsnormen des Kriegsvölkerrechts, besonders der III. und IV. Genfer Konvention auf Terrorismusverdächtige in Afghanistan aus. Die USA haben nicht die Möglichkeit nach Art. 4 UN-Zivilpakt in Anspruch genommen, der UN die Einschränkung bestimmter Menschenrechts anzuzeigen, weil ein Ausnahmezustand vorläge.
Zum weiteren politischen Kontext der Präsidentschaft Bush gehörte die Überzeugung starker Kräfte in der Republikanischen Partei, die sog. Imperiale Präsidentschaft, ein in den US-Geschichte seit langem diskutierter Begriff, müsse wieder hergestellt werden. Hier wird die Präsidentschaft als Institution verstanden, der in der Außenpolitik über die Verfassung hinaus »inhärente Rechte« (Machtbefugnisse) i.S. einer effektiven Exekutive zukommen. In diesem Verständnis kam es besonders nach dem erzwungenen Rücktritt von Präsident Richard Nixon, dem Musterfall einer solchen Präsidentschaft, zum »Sündenfall«, als der Kongress unzulässig präsidentielle Macht eingeschränkt hätte. Nun sei es an der Zeit, die Institution der Präsidentschaft in ihrer wahren Bedeutung wieder herzustellen (vgl. Schlesinger 2004a, b). Dies bedeutet, eine Einflussnahme von Kongress und Justiz möglichst zu unterbinden.
Die Strategie der Regierung Bush hat vier zentrale Bestandteile, die von Regierungen anderer Länder, besonders ihren Geheimdiensten, in erheblichem, gleichwohl noch nicht völlig bekanntem Umfang unterstützt wurden und werden:
- Identifizierung, Festnahme oder Entführung von Terrorverdächtigen und deren Verbringung an geheime Haftorte, zu denen die US-Justiz, Rechtsanwälte, Familienangehörige, Menschenrechtsorganisationen u.a. keinen Zugang haben (und auch an bekannte Haftorte mit stark eingeschränktem Zugang).
- Eine Umdefinierung des Verständnisses von Folter: Eine regierungsinterne Diskussion über die anzuwendende Definition von Folter und anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen oder Strafen führte 2002 bis Ende 2005 zu einem besonderen US-amerikanischen Verständnis, das radikal und völkerrechtswidrig Folter auf Handlungen an der Grenze zum Organkollaps und Tod verkürzte (Ende Dezember 2005 hat das Justizministerium diese Interpretation offiziell zurückgenommen) (Die Dokumente finden sich in Greenberg/Dratel 2005, zur Debatte in den USA Greenberg 2006).
- Die Entführung von Terrorverdächtigen in Drittstaaten und deren Rückführung in ihre arabischen Heimatländer (extraordinary renditions), sollte den Einsatz von Foltermethoden und damit schnelle Ergebnisse möglich machen (hierzu umfassend mit Bezug zu CIA-Flügen in Europa Grey 2006). Zwar erklärt(e) die Regierung Bush immer wieder, sie foltere nicht und lasse nicht in Drittländern foltern, dem stehen aber Hunderte von Fällen entgegen (hierzu gibt es keine Statistiken oder auch nur Teilstatistiken der US-Regierung; für eine Untersuchung dreier US-Institutionen siehe Human Rights Watch/ Human Rights First/Center for Human Rights and Global Justice 2006).
- All diese Maßnahmen würden strikt geheimgehalten so dass eine Zuordnung zur Regierung der USA, dem Militär oder Geheimdienst CIA nicht möglich sein sollte (Woodward 2004, S.114).
Nicht behandelt werden kann hier der große Komplex Krieg in Afghanistan und Irak, Fehler der Kriegsführung und Verluste der Zivilbevölkerung, die mindestens in die Zehntausende in Afghanistan und dem Irak gehen (zur Diskussion siehe Heinz/Arendt 2004, S.73f.).
Am 6.09.2006 gestand Präsident George W. Bush öffentlich ein, dass die CIA nach dem 11.09.2001 ein System von Geheimgefängnissen aufgebaut habe, um die USA durch Gewinnung von Informationen vor weiteren Anschlägen zu schützen. Dieses System habe sich bewährt, sei einer rechtlichen Prüfung des US-Justizministeriums unterzogen und für legal befunden worden. Auch würden die USA nicht foltern. In Guantánamo hätten sich ursprünglich 770 Gefangene in Gewahrsam der USA befunden, von denen noch 455 in Haft seien. In den geheimen Gefängnissen der CIA befinde sich jetzt niemand mehr. Das System würde aber für zukünftige Aufgaben beibehalten werden (White House 2006).
Mit Blick auf die Praxis der Entführungen/Überstellungen von Terrorismusverdächtigen (extraordinary renditions) hat das State Department erklärt, dass diese Praxis der US-Regierung fortgesetzt werde (Bellinger 2006). In Deutschland hat nach einem Fernsehbericht das US-Hauptquartier in Europa in Stuttgart im Dezember 2006 bestätigt, dass es die Verbringung von Häftlingen nach Guantánamo organisiert hat (der Fall der sechs Algerier aus Bosnien-Herzegowina).
Menschenrechtsverletzungen während der Terrorismusbekämpfung
Seit 2001 ist es zu zahlreichen, zum Teil systematischen Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung gekommen, vor allem in autoritären Staaten und Diktaturen, wo die Opposition schnell mit Terrorismus in Verbindung gebracht wurde, um sie zu schwächen. Die Themenberichterstatter der Vereinten Nationen, besonders zu Folter und Terrorismus, haben hierüber berichtet, ebenso die großen internationalen Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international und Human Right Watch, nationale Menschenrechts-NGOs, vor allem aber kritische investigative Medien wie die Washington Post und New York Times in den USA.
Aber auch Demokratien haben zu menschenrechtlich bedenklichen oder offen menschenrechtswidrigen Maßnahmen gegriffen. Gegenwärtig lassen sich vorrangig folgende Menschenrechtsprobleme identifizieren (mit dem Schwerpunkt auf Demokratien):
- Internierung von Terrorismusverdächtigen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren, besonders von Ausländern (USA, vorübergehend: Großbritannien).
- Überprüfungsverfahren für internierte Verdächtige, die nicht im Ansatz einem fairen Verfahren entsprechen (Folge: Jahrelange Haft für die Betroffenen, ohne dass ein Ende abzusehen ist, z.B. für die Gefangenen in Guantánamo).
- Anwendung von Folter und Misshandlungen durch Militär und Geheimdienste (in vielen Staaten).
- Entführung von Terrorismusverdächtigen in Drittstaaten und Überstellungen an Staaten, die die Folter praktizieren (USA, mit Unterstützung einiger europäischer Staaten).
- Zulassung von Beweismitteln bei Gerichtsverfahren, die unter der Folter erpresst wurden (vorübergehend in Großbritannien).
- Vorenthaltung von Beweismitteln, die aus Geheimdienstquellen stammen gegenüber angeklagten Terrorismusverdächtigen in Strafverfahren (Guantánamogefangene USA; vorübergehend in Großbritannien).
Schlußfolgerungen und Ausblick
Seit 2005/06 zeigen sich zunehmend unterschiedliche Bewertungen zwischen Regierungen und Justiz und auch in der Öffentlichkeit über angemessene rechtsstaatliche Methoden der Bekämpfung des Terrorismus, besonders zwischen den USA und Europa. Hohe Gerichte haben in den USA, Großbritannien und Deutschland Gesetze für verfassungswidrig erklärt, was dazu führte, dass Regierungen und Parlament neue eher rechtsstaatliche Lösungen suchen mussten.
Rechtsverletzungen bei der Terrorismusbekämpfung, besonders die Misshandlung und Folter von Gefangenen, fügen einer erfolgreichen Terrorismusbekämpfung massiven Schaden zu. Eine solche Vorgehensweise fördert Sympathie- und Solidarisierungseffekte – natürlich neben dem Schaden für die Opfer selbst. In der Sicherheitspolitik wird dies besonders nach dem Gefängnisskandal von Abu Ghraib 2004 auch ganz offen eingeräumt, sowohl in Europa als auch in den USA.
Demokratische Staaten müssen für die verschiedenen Gebiete der Zusammenarbeit – Geheimdienste, Polizei, Justiz, Militär – genau prüfen, welche Rechtsnormen gelten und wie deren Einhaltung wirkungsvoll kontrolliert werden kann, damit Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung nicht direkt oder indirekt zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Dies gilt besonders für die geheimdienstliche und militärische Zusammenarbeit.
Antiterrorismusgesetzgebung sollte kontinuierlich auf ihre Wirksamkeit, intendierte und nicht intendierte Wirkungen überprüft werden. Nur diejenigen Maßnahmen, die wirkungsvoll sind, können auch dann gerechtfertigt werden, wenn ihre Umsetzung klar abgrenzbare Nachteile im Bereich der Menschenrechte, z.B. Einschränkungen der Wahrung der Privatsphäre, nach sich zieht. Jede Anti-Terrorismus-Maßnahme steht zunächst unter diesem Rechtfertigungszwang. Sie muss, so verlangt es auch das deutsche Recht, geeignet, erforderlich und verhältnismäßigsein.
Die Evaluierung von Sicherheitsgesetzen, wie sie zum Beispiel im Terrorismusbekämpfungsgesetz vorgesehen ist, dient dazu, die Auswirkungen von Sicherheitsgesetzen auf die Menschenrechte zu überprüfen. Das Instrument der Evaluierung soll es dem Gesetzgeber ermöglichen, rechtspolitische Entscheidungen strukturell und zukunftsorientiert unter dem Aspekt der Vereinbarkeit mit den Menschenrechten und dem Rechtstaatsprinzip zu überprüfen und gegebenenfalls nachzubessern – und zwar auf der Grundlage konkreter und verlässlicher Informationen (Weinzierl 2006).
Literatur
Bellinger, John B. III (2006): U.S. Renditions of Terrorists Are Legal Vital. Letters to the Editor, in: The Wall Street Journal, 05.07.2006.
Brysk, Alison/ Shafir, Gershon (Hrsg.) (i.V.): Counter-Terror and Human Rights: International Perspectives on National Insecurity, Berkeley: University of California Press.
Greenberg, Karen J. (2006): The Torture Debate in America. Cambridge u.a.: Cambridge University Press.
Greenberg, Karen J./Dratel, Joshua L. (Hrsg.) (2005): The Torture Papers. The Road to Abu Ghraib, Cambridge u.a.: Cambridge University Press.
Grey, Stephen (2006): Das Schattenreich der CIA. Amerikas schmutziger Krieg gegen den Terror. Stuttgart: DVA.
Human Rights Watch / Human Rights First / Center for Human Rights and Global Justice (2006): By the Numbers. Findings of the Detainee Abuse and Accountability Project, April 2006, http://hrw.org/reports/2006/ct0406/.
Heinz, Wolfgang S./Arend, Jan-Michael (2004): Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte. Entwicklungen 2003/2004, Berlin 2004. http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/webcom/show_shop.php/_c-488/_lkm-616/_cat-4/i.html
Leeuwen, Marianne van (Hrsg.) (2003): Confronting terrorism. European experiences, threat perceptions, and policies. Den Haag: Kluwer Law International.
Schneckener, Ulrich (2006): Transnationaler Terrorismus, Frankfurt/M: Suhrkamp.
Weinzierl, Ruth (2006): Die Evaluierung von Sicherheitsgesetzen – Anregungen aus menschenrechtlicher Perspektive, Berlin: Institut für Menschenrechte.
Schlesinger, Arthur M. (2004a): The Imperial Presidency, Boston/New York: Mariner (Erstveröff. 1973). (2004b): War and the American Presidency, New York/London: W. W. Norton
White House (2006): President Discusses Creation of Military Commissions to Try Suspected Terrorists. Press Release. 06.09.2006. http://www.whitehouse.gov/news/releases/2006/09/20060906-3.html (abgerufen am 17.12.2006)
Woodward, Bob (2004): Der Angriff. Plan of attack. München: DVA.
Wolfgang S. Heinz, Dr. phil. habil. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Menschenrechte. Privatdozent für Politische Wissenschaft an der Freien Universität Berlin. Mitglied des Europarat-Ausschusses zur Verhütung der Folter (CPT). Veröffentlichungen vor allem zu Innen- und Sicherheitspolitik in Lateinamerika und Asien, Vereinte Nationen, internationaler Menschenrechtspolitik, zum Verhältnis zwischen internationaler Terrorismusbekämpfung und Menschenrechtsschutz.