W&F 2000/1

Arbeitslos: Mut finden sich zu wehren

Johannes M. Becker im Gespräch mit Michael Aroff

von Johannes M. Becker und Michael Aroff

Ich treffe Michael Aroff in einem Internet-Café in Marburg. Wir kommen ins Gespräch.

Becker: Was treibt dich ins Internet-Café?

Aroff: Ich surfe im Internet, halte Kontakt mit ehemaligen Studienkollegen in Montpellier, suche Jobs, bewerbe mich, vertreibe mir halt die Zeit.

Was hast du studiert?

In Marburg zunächst Sozialwissenschaften, dann habe ich einen Abschluss in Frankreich an der Uni Montpellier gemacht, später in Gießen ein Lehramtsstudium beendet; Höheres Lehramt für Sozialkunde, Geographie und Französisch. Ende der 80er-Jahre habe ich in Frankreich als Soziologe promoviert. Damals war der universitäre Arbeitsmarkt schon weitgehend geschlossen. In Frankreich hatte ich dann eine auf zwei Jahre befristete Stelle in einem Forschungsprojekt. Als die auslief und nichts anderes in Aussicht stand, habe ich mich entschieden, es als »Freier« zu versuchen.

Was kann ich mir unter der Arbeit als »Freier« vorstellen?

Zuerst habe ich mich bei einigen hessischen Universitäten um Lehraufträge bemüht. Ja, lehren lassen wollten die mich – aber ohne Bezahlung! Wobei 55,30 DM für eine gelehrte Stunde auch mehr ein symbolischer Akt sind bei dem Aufwand, den man hat. Heute leite ich Sportstunden für ältere Menschen in Sportvereinen der Umgebung, gebe Französisch-Kurse an der Volkshochschule, mache manchmal (schlecht bezahlte) Übersetzungen – tja, was man halt ohne festen Job so macht. Gerade habe ich gehört, dass die neue, konservative Landesregierung von Hessen die Landeszuschüsse für die VHS um 30 Prozent kürzen will; dann wird mir vielleicht auch dieses Standbein wegfallen. So wird der Druck immer größer, eine Umschulung zu beginnen.

Was macht dir den Gedanken an eine Umschulung so schwer?

Ich habe nicht – u.a. im Ausland – studiert, zwei Diplome gemacht und drei Staatsexamen – und nicht die schlechtesten – und dann noch promoviert, damit ich jetzt das stupide Füttern von Computern lerne. Meine Ideen vom Leben waren eigentlich ganz andere. Wie meine älteren Geschwister, dachte ich, würde ich einmal einen lebenslangen Job haben, würde Wissenschaftler oder Lehrer werden, vielleicht mal ein Jahr ins Ausland gehen, vielleicht mal etwas Neues dazulernen, aber im Prinzip mit einer festen Anstellung leben. Die gegenwärtige Lage gibt mir nicht die geringste Möglichkeit mein Leben zu planen. Ich kann mich gerade selbst über Wasser halten.

Welche Perspektive siehst du denn für dich?

Ich habe mich, wenn ich das wirklich Mal zusammen zähle, wohl auf 100 Stellen beworben. Manchmal bekomme ich nicht mal eine Antwort. Ich habe mich auch bei den Entwicklungsdiensten erkundigt wegen Auslandsarbeit. Aber mit meinen Fächern kann niemand etwas anfangen. Um im Ausland unter halbwegs annehmbaren materiellen Bedingungen als Lehrer zu arbeiten, muss man im Schuldienst sein. Die Verlage sind völlig zu. Tja, manchmal kann man schon mutlos werden. Außerdem bin ich jetzt 33 Jahre alt. Das wird mir auch schon mal vorgehalten…

Und etwas ganz Neues ins Auge zu fassen?

Einige meiner Ex-KommilitonInnen, denen es ähnlich wie mir geht, haben Verlage gegründet, schreiben für Zeitungen und Zeitschriften, versuchen einen Fuß in den Rundfunk zu bekommen, haben Kneipen gekauft oder gepachtet. Doch nur Wenigen gelingt es mit der Situation klarzukommen, dass man alles, oder zumindest vieles von dem, was man sechs oder acht Jahre studiert hat, vergebens studiert hat. Und über die Bedingungen bspw. als Honorarkraft bei Zeitungen mit Zeilenhonoraren weit unter einer DM machen sich Außenstehende keine Vorstellung! Außerdem ist man völlig rechtlos als freier Mitarbeiter, nicht der Schimmer von sozialer Absicherung!

Einige wenige meiner Bekannten haben sich auch ganz zurück gezogen. Viele leben von den Einkünften ihrer LebenspartnerInnen. Ich könnte meine »Alten Herrschaften« anbaggern. Aber die haben mir schon das Studium finanziert. Zum Sozialamt könnte ich auch gehen. aber die würden sich das Geld von meinen Eltern zurückholen.

Hast du gehört von den Bemühungen anderer europäischer Regierungen, die Arbeitslosigkeit zu senken?

Ja, aus Frankreich vor allem. Aber das Hauptprogramm dort gilt wohl auch nur für Jugendliche unter 25 Jahren. Doch immerhin! Unsere rosa-grüne Regierung zählt heute zu den inaktivsten in der Frage der Arbeitsmarktpolitik. Überall werden die Möglichkeiten des zweiten Arbeitsmarktes eingeschränkt, die Bedingungen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind für die meisten potenziellen Träger unrealisierbar geworden, wirklich sinnvolle Fortbildungsmaßnahmen werden nicht mehr finanziert usw.

Die Unis klagen auch nur über ihre Überlastung. Aber dass die mal was Wirksames tun würden! Heute lese ich in der Zeitung einen neuen Protest gegen die unzumutbare Situation bei den Marburger Politologen. Aber mit Zeitungsappellen wird man den Konservativen keine neuen Stellen abringen! Und die Studierenden, die einen Studienplatz ergattert haben, halten still. Anstatt den Lehrbetrieb lahmzulegen und ihre Studienbedingungen wirksam zu verbessern!

Auch die Arbeitslosen sind nicht in der Lage sich zu wehren. Hier in Marburg hat im vergangenen Jahr eine Initiative zusammen mit dem DGB zu Aktionen gegen die Kohl-Politik aufgerufen. Was meinst du, wie viele der 4.000 Arbeitslosen sind auf die Aufrufe gekommen? Nicht einmal drei Dutzend! Und kein Wissenschaftler unter ihnen. Die, die Arbeit haben, haben Angst sie zu verlieren. Und die, die keine haben, haben keinen Mut sich zu wehren, wohl auch häufig keinen Mut zu ihrer Lage zu stehen. Auch das ist übrigens in Frankreich ganz anders!

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2000/1 Der schwierige Weg zum Frieden, Seite