W&F 2022/3

Atomwaffen sind patriarchale Gewalt!

Feministischer Essay zur nuklearen Bedrohung im Kontext des Ukraine-Kriegs

von Magdalena Fackler

Eine Generation junger Menschen übt feministische Kritik an Atomwaffen, ruft nach dem politischen Ende der atomaren Bewaffnung und schafft sogar international bindende Verträge. Dennoch ist die Gefahr nuklearer Kriegsführung aktueller denn je: im Kontext des Ukraine-Krieges und als Folge seiner Eskalation werden alte Narrative und Sicherheitsvorstellungen gegenseitiger Abschreckung erneut platziert, die in langer Tradition patriarchaler »Sicherheit« stehen. Wie funktioniert diese patriarchale Gewalt, wodurch zeigt sie sich und welche Möglichkeiten der Überwindung bleiben?

Geboren Ende der 90er Jahre, bin ich nach dem Kalten Krieg aufgewachsen. Das Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion kenne ich nur aus den Geschichtsbüchern und das Versprechen von »Frieden in Europa« hat mich über Jahre hinweg begleitet. Plötzlich stehe ich vor dem Bundestag und halte Protestschilder gegen die Neuanschaffung atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge in die Höhe. Eine ganze Generation, die mit dem romantisierten Bild von »Frieden in Europa« aufgewachsen ist, wurde am 24. Februar eines Besseren belehrt. Denn die Invasion Russlands in die Ukraine hat gezeigt, dass Krieg in Europa sehr wohl möglich ist und dass dieser Krieg im Kontext der letzten Jahrzehnte und patriarchaler Machtstrukturen betrachtet werden muss. Vor allem aber wurde sichtbar: die nukleare Bedrohung ist real und nie weg gewesen.

Von Sicherheit und dem Risiko eines Atomkrieges

Die Erzählung um Sicherheit nicht nur in Europa, sondern auch in der Welt, stützt sich auf die Doktrin der nuklearen Abschreckung, die in ihrer eigenen Logik Kriege verhindern soll. Den Krieg in der Ukraine hat sie nicht verhindert. Und doch dominieren nun Stimmen den Diskurs, die eben gerade unter Verweis auf den Krieg gegen die Ukraine und damit als direkte Folge ein Festhalten an Atomwaffen zu legitimieren versuchen: Dass es für das internationale Machtgleichgewicht notwendig sei, an der nuklearen Strategie der NATO festzuhalten, besonders jetzt mit dem Gegner Putin. Dass Deutschland seinen Teil dazu beizutragen habe und deswegen die US-Atomwaffen in Büchel auch die nächsten Jahrzehnte stationiert bleiben sollten. Es wurden gar Stimmen laut, die erneut für die Idee von eigenen Atomwaffen in der EU warben und über eine Ausweitung des Atomwaffenprogramms in Frankreich diskutierten.

Diese Erzählung von Sicherheit scheint zu wirken. Nach einer Umfrage sprach sich zum ersten Mal eine knappe Mehrheit der Deutschen für den Verbleib der US-Atomwaffen in Deutschland aus. 40 Prozent der Befragten befürworteten die Stationierung, zwölf Prozent sprachen sich gar für eine Modernisierung und Aufstockung aus. 39 Prozent gaben an, für einen Abzug der Atomwaffen zu sein (Bongen, Rausch und Schreijäg 2022). Es ist beängstigend, dass die Mehrheit der Deutschen die Gefahr, die von Atomwaffen ausgeht, scheinbar zu akzeptieren bereit ist. Friedensforscher*innen warnten erst kürzlich erneut vor dem Risiko einer nuklearen Eskalation vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine. Im Friedensgutachten 2022 mit dem Titel »Friedensfähig in Kriegszeiten« äußerten sie sich besorgt über die Tatsache, dass alle neun Staaten, die Atomwaffen besitzen, auch neue Trägersysteme für nukleare Waffen entwickeln. In ihrem Gutachten machten die Wissenschaftler*innen sehr deutlich, wie massiv sich die Gefahr eines Atomkrieges erhöht hat. Dies hängt eng mit dem Krieg in der Ukraine und dem Einsatz von Nuklearwaffen als Druckmittel zusammen sowie dem Fehlen von vertrauenswürdigen Verpflichtungen gegenüber Abrüstungsverträgen (BICC et al. 2022, S. 94f.).

Zudem beruht das »nukleare Gleichgewicht« auf einem fragilen Vertrauen: Die »Sicherheit« der Abschreckung ist kein Automatismus, sondern zutiefst von menschlichen Entscheidungen und Emotionen abhängig. Gerade der derzeitige Krieg in der Ukraine zeigt auf, wie schwer die nukleare Abschreckung das Eingreifen in den Krieg macht, da sorgfältig abgewogen werden muss, welche Schritte eine atomare Reaktion hervorrufen könnten. Auch durch die auf ein Minimum heruntergesetzte Kommunikation zwischen Russland und den USA kann es schnell zu fatalen Missverständnissen kommen, die einen Atomschlag auslösen könnten. Die globalen humanitären und ökologischen Konsequenzen eines solchen Einsatzes und eskalierenden Nuklearkrieges sind offensichtlich. Kein Gesundheitssystem und keine Infrastruktur dieser Welt wäre auf die Folgen vorbereitet.

Trotzdem, so zeigt die oben genannte Umfrage, wird diese enorme Gefahr nicht auf die Existenz von Atomwaffen zurückgeführt, sondern im Gegenteil die nukleare Bedrohungssituation als eine Form »letzter Sicherheit« wahrgenommen, die stabilisiert werden muss. Dies legt nahe, dass diese Überzeugung nicht aus einer akuten Situation heraus entwickelt wird, sondern die Wurzeln dafür gesellschaftlich tiefer liegen: Die Überzeugung, nukleare Waffen gehörten zur letztlichen Sicherheit der Menschheit, ist eng mit Machtsystemen verknüpft, die immer noch die internationale Staatengemeinschaft und unsere Gesellschaften dominieren. Es braucht daher eine machtkritische Analyse, um aufzuzeigen, inwiefern die Erneuerung der globalen nuklearen Bedrohung im Rahmen des Ukraine-Kriegs mit dem Fortbestand patriarchaler Machttraditionen und Unterdrückungsformen zusammenhängt.

Atomwaffen und das Patriarchat

Feministische Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen analysieren seit Jahren den Zusammenhang zwischen Patriarchat und Atomwaffen (vgl. für eine ausführliche Kritik Acheson 2021). Die Maskulinität, die im Patriarchat zu Macht führt, zeichnet sich durch »mannhafte Stärke« aus, die sich vorwiegend in Form von Gewalt, Militarisierung und bewaffneten Konflikten ausdrückt – oder in der Bereitschaft, diese anzuwenden bzw. zu eskalieren. Damit sichert sie die Macht derjenigen, die Zugang zu diesen Mitteln haben. In der extremsten Form potentiell möglicher Gewaltausübung sind also, der feministischen Kritik nach, Atomwaffen Ausdruck wahnhaft übersteigerter »männlicher« Machtphantasmen. Die Entscheidungsträger einiger weniger Staaten halten gemäß dieser Analyse an Massenvernichtungswaffen fest, um damit ihre (individuell sehr geringe, immer bedrohte) Macht zu sichern basierend auf dem (totalen, dauerhaft etablierten) Risiko der vollständigen Zerstörung ganzer Erdteile (am konkretesten in der Abschreckungsdoktrin der »gegenseitig versicherten Zerstörung«).

Diese Dimensionen zeigen sich auch gerade wieder im Krieg gegen die Ukraine. Viele feministischen Denker*innen sehen in der Person Putin einen Akteur, der eben diese ständig bedrohte Macht durch eine Demonstration »männlicher« Stärke zu sichern sucht. Dem folgt der gesamte militärische und administrative Apparat des Staates sowie viele der kulturellen und religiösen Institutionen – das Patriarchat ist gesellschaftlich tief sedimentiert. Anhand seiner medialen Inszenierungen und seiner Drohungen, Nuklearwaffen einzusetzen, zeigt Putin, wie er mit Hilfe einer letztlich fatalen Lösung – denn in einem Atomkrieg kann es keine Gewinner*innen geben – den eigenen prekären Willen, nämlich die Eroberung der Ukraine, erreichen will. Doch nicht nur Putin führt die Erzählung weiter, auch andere Staatschefs fügen sich in dieses Narrativ ein – gerade dadurch geht diese Taktik auf. So geht es darum, sich gegenseitig »Stärke« zu beweisen, nicht nachzugeben und mit dem Festhalten an Nuklearwaffen ebenfalls patriarchale Macht zu demonstrieren, die auch bereit ist, die gesamte Menschheit in »Geiselhaft« zu halten.

Dabei kommen verschiedene Instrumente des Patriarchats zum Einsatz, die die Existenz von Atomwaffen sichern sollen und auch im Kontext des Krieges sichtbar werden. Ein Werkzeug stellt das »Gaslighting« dar. Der Begriff beschreibt üblicherweise die psychische Manipulation jemandes Wahrnehmung der Realität, die zum Machterhalt über die Person bzw. zur Fortführung der Ausübung von Gewalt dienen soll (Acheson 2018). Das fehlende Eingehen des US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden auf die Drohgebärden von Putin kann zwar so gedeutet werden, dass er die Gefahr eines Angriffs mit Nuklearwaffen für hoch einschätzt und eine weitere Eskalation vermeiden möchte, was natürlich zu begrüßen ist. Gleichzeitig wird durch die Regierungen der NATO-Staaten ein Bild an die Öffentlichkeit vermittelt, das das Potential eines Atomschlages verschleiert und es als nicht diskussionswürdig verkennt. Als Olaf ­Scholz sein langes Zögern schwere Waffen in die Ukraine zu liefern damit begründete, dass er keinen Atomkrieg riskieren möchte, wurde er politisch und medial heftig für seine Kommunikation kritisiert. »Der Angstmach-Kanzler« (Reitz 2022) und ähnlich titelten daraufhin deutsche Zeitungen. Dies zeigt, wie das Risiko heruntergespielt, als Panikmache denunziert und die Realität, in der das Risiko für den Einsatz tatsächlich gestiegen ist, verzerrt wird.

Dies deutet auf ein weiteres tief verankertes patriarchales Machtinstrument hin, das im Diskurs um Atomwaffen wirkt, nämlich die »Verweiblichung« jeglicher Bemühungen dagegen. Noch im November 2021 titelte beispielsweise The Economist: »Verbündete fürchten, dass die neugewählte Bundesregierung bei Atomwaffen weich wird«, um die Besorgnis gegenüber möglichen Abrüstungsbestrebungen auszudrücken (The Economist 2021). Dieses Beispiel reiht sich in eine Tradition von Situationen und Aussagen, in denen die Bemühungen von Diplomat*innen und Aktivist*innen zur Abrüstung von ihren Gegenspieler*innen auf Seiten der Nuklearstaaten neben »schwach« auch als »emotional«, »naiv« oder »unrealistisch« bezeichnet wurden. Diese in der Globalgeschichte staatlicher Gewalt geschlechtsspezifisch zugeordneten Adjektive stützen die Aufrechterhaltung der konstruiert maskulinen Dominanz in den Diskursen um Atomwaffen.

Dafür wird auch eine weitere patriarchale Technik genutzt, die »Opferbeschuldigung«. In einer perfiden sicherheitslogischen Drehung der historischen Ereignisse wird nicht selten darauf hingewiesen, dass die Ukraine ja einmal Atomwaffen besaß bzw. lagerte und die Abgabe dieser Arsenale womöglich ein Fehler war, da sich die Ukraine dieser Argumentation zufolge dadurch angreifbar gemacht hätte.

Über die Ukraine hinausblicken

Kriege und Krisen, die die bestehende Ordnung durcheinanderschütteln, schaffen ein Momentum in der Geschichte, in dem wir uns entscheiden müssen: machen wir so weiter wie bisher oder schlagen wir eine andere Richtung ein? Wenn wir es ernst meinen mit Frieden und Sicherheit, dann ist es jetzt an der Zeit neue Normen zu setzen. Diese Entscheidung reicht weit über den Krieg gegen die Ukraine hinaus. Es geht dabei um das internationale System und wie darin »Sicherheit« verstanden und diskutiert wird, und darum, wie die bisherige Staatenordnung mit ihren patriarchalen Strukturen Aufrüstung und die nukleare Bedrohung als Reaktion auf Konflikte ermöglicht und zementiert.

Eine feministische Perspektive stellt demgegenüber den Menschen bzw. die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt und weniger die Sicherheit des Staates. Sie verschiebt damit das traditionelle Sicherheitsverständnis der realistischen Denkschule der Internationalen Beziehungen (das gerade wieder einen massiven Aufwind erfährt) und betrachtet die Sicherheit von Menschen in ihren unterschiedlichen Dimensionen (Centre for Feminist Foreign Policy 2021). Dieses Verständnis stellt eine Alternative zum traditionellen Sicherheitsbegriff dar. Die derzeitigen Entwicklungen und der hegemoniale Diskurs laufen allerdings Gefahr, die Errungenschaften von Friedensaktivist*innen und Feminist*innen sowie die Erfolge von Abrüstungsbestrebungen der vergangenen Jahre vollständig zu untergraben.

Der Krieg in der Ukraine sowie sein kriegsökonomisches System im Umfeld funktionieren wie ein Brennglas, das das Zusammenwirken verschiedener Machtsysteme, Ungleichheiten und Unterdrückungen aufzeigt. So müssen wir die nukleare Bedrohungsrhetorik im Ukraine-Krieg in ihren Zusammenhängen mit anderen Unterdrückungs- und Gewaltmechanismen verstehen. Die diskriminierenden Übergriffe an den Grenzen gegenüber nicht-weißen Geflüchteten aus der Ukraine, der rassistisch-sexistische Diskurs über Schutzsuchende aus Ländern des Globalen Südens im Vergleich zu Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und das Fehlen von klimagerechten Alternativen sowie die Duldung von Menschenrechtsverletzungen aufgrund der Priorisierung ökonomischer Handelsbeziehungen – all das ist Ausdruck von jahrhundertealten Machtstrukturen, die auf Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt entlang von ethnischen, geschlechtlichen und sozialen Linien beruhen. Feministischer Kritik an atomarer Bewaffnung geht es also nicht alleinig um die Beseitigung der Nuklearwaffen, sondern um eine umfassende Kritik patriarchaler Gewaltverhältnisse, ihre Zusammenhänge mit Rassismus und Kapitalismus und um ihre Überwindung.

Doch diese bündeln sich im Kampf gegen Atomwaffen: Durch die Bemühungen feministischer Aktivist*innen, der Friedensbewegungen und einiger Diplomat*innen und Regierungen, allen voran aus dem Globalen Süden, ist es gelungen, mit dem Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) eine Möglichkeit für ein Ende der nuklearen Gewalt zu schaffen. Eine überwältigende Mehrheit der Staaten ist für die Abrüstung von Atomwaffen. Den ratifizierenden Staaten des Abkommens ist klar, dass Atomwaffen nicht von heute auf morgen abzuschaffen sind. Es geht vielmehr darum, Stück für Stück glaubwürdige Schritte in der Abrüstung zu gehen und Nuklearwaffen derart zu ächten, dass ein Einsatz undenkbar und daher auch eine Abrüstung unabdingbar wird. Der AVV ist aber gleichzeitig auch der erste Versuch einer systematischen Aufarbeitung und des Ausgleichs gegenüber den von kolonialen Atomwaffenversuchen betroffenen Gesellschaften im Globalen Süden. Der AVV geht also über die reine Abrüstung deutlich hinaus.

Die derzeitigen Entwicklungen durch den Krieg in der Ukraine machen von Neuem deutlich, was nach 1990 schnell in den Hintergrund geriet: das nukleare Risiko ist real und es bedroht uns alle. Anstatt dieses Risiko kleinzureden und schweigend in Kauf zu nehmen, müssen wir jetzt die Lehren aus dem Krieg in der Ukraine ziehen und das historische Momentum nutzen, um auf langfristige und nachhaltige Sicherheit und Frieden hinzuwirken. Die Analyse hat gezeigt, wie das patriarchale System wirkt und welche Machtstrukturen wir abbauen müssen, um unsere Gesellschaft und die Staatengemeinschaft zu transformieren. Wir müssen unsere Kämpfe gegen die Klimakrise, patriarchale und rassistische Strukturen sowie ausbeuterische ökonomische Verhältnisse mit dem Einsatz gegen Massenvernichtungswaffen verbinden. Im selben Atemzug, in dem wir uns um eine klimagerechte, antirassistische, antisexistische und gleichberechtigte Gesellschaft bemühen, müssen wir die Abrüstung von Atomwaffen, als höchstem Mittel patriarchaler Gewalt, einfordern.

Literatur

Acheson, R. (2018): Eine feministische Kritik der Atombombe. Heinrich-Böll-Stiftung, 19.10.2018.

Acheson, R. (2021): Banning the bomb, smashing the patriarchy. Maryland: Rowman & Littlefield.

BICC, HSFK, IFSH, INEF (2022): Friedensgutachten 2022. Friedensfähig in Kriegszeiten. Bielefeld: transcript Verlag.

Bongen, R.; Rausch, H.-J.; Schreijäg, J. (2022): Umfrage in Deutschland: Erstmals Mehrheit für Atomwaffen-Verbleib. Tagesschau, 02.06.2022.

Centre for Feminist Foreign Policy (2021): The CFFP Glossary. März 2021.

Reitz, U. (2022): Der Angstmach-Kanzler: Scholz muss den Deutschen endlich Mut machen. Focus Online, 04.05.2022.

The Economist (2021): Allies fear Germany’s incoming government will go soft on nukes. What will happen to the nuclear bombs deployed there? Homepage, 20.11.2021.

Magdalena Fackler hat Politikwissenschaft und Nahoststudien in Erlangen und Kairo studiert. Seit einem Praktikum bei ICAN Deutschland engagiert sie sich als ICAN-Botschafterin.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/3 Krieg gegen die Ukraine, Seite 33–35