Atomwaffen... sooo veraltet!
Wie ein partizipatives Bildungsprojekt ein Thema aus der Versenkung holt
von Julia Kramer
Atomwaffen: Thema des letzten Jahrhunderts?
Das Thema Atomwaffen wird in der Breite der Bevölkerung selten als eines der dringlichen Themen wahrgenommen. Lediglich 12% der Bundesbürger wissen mit Bestimmtheit, dass in Deutschland US-Atomwaffen lagern (StratCom 2006). Bei einer (nicht repräsentativen) Passantenbefragung der Friedenswerkstatt Mutlangen im Jahr 2004 fehlte insbesondere unter den Befragten im Schul- und Studienalter oft selbst das Wissen über den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki.
Atomwaffen in Europa: Keine Nachricht wert?
Ursachen des Nichtwissens bzw. der geringen Wahrnehmung des Themas können sowohl bei den Medien als auch in den Lehrplänen gefunden werden: Während über mögliche Atomwaffenprogramme des Irans und Nordkoreas durchaus berichtet wird, werden die in Europa existierenden Atomwaffen und die Atomwaffendoktrin der NATO ausgeblendet.
Auch in den schulischen Lehrplänen und Lehrmaterialien wird das Thema Atomwaffen seit Ende des »Kalten Krieges« im Allgemeinen nicht oder peripher behandelt - es gibt keine entsprechenden Unterrichtsmaterialien in deutscher Sprache.
Empowerment: Jugendliche schaffen Bewusstsein
Nach dem Scheitern der letzten Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags 2005 nahmen einige Jugendliche aus ganz Europa die Frage nach der atomaren Abrüstung selbst in die Hand. Sie gründeten BANg (Ban All Nukes generation), das europäische Jugendnetzwerk für atomare Abrüstung. Damit wollen sie sich und andere Jugendliche informieren und Aktionen für atomare Abrüstung organisieren. Sie agieren dabei nach dem Prinzip der »Empowerment-Spirale«:
Bewusstseinsbildung: Mit ihrer multilingualen DVD »Genie in a Bottle - Unleashed«, einem Postkarten-Set u.a. entwickeln die Jugendlichen selbst Informations-Medien, die zum Nachdenken anregen (erhältlich bei www.BANg-europe.org).
Selbstorganisation: BANg ist ein selbst organisiertes Netzwerk von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. 2008 koordinieren beispielsweise drei 17-jährige Mädchen eine Jugendaktionsreise zur Atomwaffensperrvertragskonferenz nach Genf im Mai.
Gewaltfreie Aktion: Mit Mahnwachen, Performance, Clowning, gewaltfreien Blockaden und weiteren Aktionen bringen die Jugendlichen zum Ausdruck, dass sie eine atomwaffenfreie Welt erben wollen.
Dialog mit Entscheidungsträgern: Auf Konferenzen zum Atomwaffensperrvertrag und in Gesprächen mit Regierungsvertretern suchen die Jugendlichen den direkten Dialog (www.wien. pressehuette.de/pg001.html).
Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit: Durch Workshops an Schulen, Zeitungsberichte etc. werden wiederum weitere Jugendliche in die »Empowerment-Spirale« eingeladen.
Basiswissen an die Schulen bringen
Am Jugendnetzwerk BANg beteiligten sich seit seiner Gründung 2005 etwa 150-200 junge Menschen aus 15 Ländern. Um jedoch Basiswissen in die Breite der jugendlichen Bevölkerung zu bringen, entwickelte der deutsche Trägerkreis »Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen« 2007 in Zusammenarbeit mit BANg das Projekt »Atomwaffenpolitik: lernen - erfahren - mitgestalten«. Grundgedanke ist: Ohne Wissen kein Bewusstsein, ohne Bewusstsein keine Aktion. Die Jugendlichen von heute werden über den Umgang mit der Atomwaffentechnik in der Zukunft zu entscheiden haben.
Daher entwickelt der Projektkreis (u.a. IPPNW Deutschland, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern) Materialien für Schule und Freie Jugendarbeit. Die Materialien sollen leicht zugänglich und anwendbar sein. Jugendliche und wissenschaftliche ExpertInnen wirken an ihrer Entwicklung mit.
Unterrichtsmaterial
Auf der Internetseite www.atomwaffenlernen.info ist bereits das Poster »Atomwaffen in Europa« erhältlich. Mit seinen Vertiefungsblättern zu »Technik - Naturwissenschaft«, »Geschichte - Politik«, »Kultur - Psychologie« und »Was habe ich damit zu tun?«, sowie einem Begleitblatt für LehrerInnen ist es interdisziplinär einsetzbar. Für eine DVD haben Heidelberger Jugendliche der »Aktion Völkerrecht« bereits zahlreiche Interviews mit ExpertInnen, NRO-VertreterInnen und EntscheidungsträgerInnen geführt.
Schließlich sind es die Jugendlichen selbst, die uns allen die Augen öffnen können, um was es bei der Atomwaffenfrage geht: „Wir wollen nicht, dass unsere Regierungen »unsere Sicherheit« als Vorwand für den Besitz von Atomwaffen missbrauchen. Wir fühlen uns nicht »sicher«. Wir fragen, wer die Verantwortung übernehmen kann für die Auswirkungen von radioaktiver Strahlung, eine Last die den zukünftigen Generationen aufgebürdet wird. (...)
Hör nicht auf, Dir die Welt vorzustellen von der Du als Kind geträumt hast. Arbeite daran, all das zu schützen, das Du liebst. Wir wissen dass Atomwaffen keinen Platz in der Welt haben, die wir wollen.“ (aus dem Jugendappell von BANg und Peace Boat, Nagasaki Tag 2007 bei der UNO in New York)
Julia Kramer, Conflict Resolution M.A., ist Koordinatorin von »Atomwaffenpolitik: lernen - erfahren - mitgestalten«