W&F 2002/4

Atomwaffenmacht Israel

von Ernst Woit

Israel verfügt inzwischen über ein Kernwaffen-Arsenal, das aus 200 bis 300 Sprengköpfen besteht.1 Als »Vater der israelischen Atombombe« gilt der Kernphysiker Yu‘ Val Ne‘man, während unter den israelischen Politikern der Sozialdemokrat Shimon Peres die treibende Kraft hinter dem israelischen Nuklearwaffenprogramm war.2 „Im Jahr 1952“, sagte Peres später einem israelischen Reporter, „stand ich ganz allein da mit meinem Ziel, die israelische Kernwaffenoption durchzusetzen.“3 Er war es, der zur Absicherung des Atomprojekts auf der Schaffung eines neuen, speziellen Nachrichtendienstes bestand, die Beschaffung von Spenden bei jüdischen Millionären im Ausland betrieb und jede internationale Kontrolle des offiziell als zivil dargestellten israelischen Nuklearprogramms ablehnte. 1966 verteidigte Peres Israels Entscheidung, der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) Kontrollen zu verweigern, mit der Begründung, „die Araber seien im konventionellen Bereich überlegen.“4 Nachdem die britische Sunday Times am 5. Oktober 1986 einen Bericht des ins Ausland geflohenen israelischen Kernphysikers Mordecai Vanunu über die israelische Kernwaffenproduktion veröffentlicht hatte, an der er bis zu seiner Flucht persönlich mitgewirkt hatte, war es Peres, der den israelischen Geheimdienst Mossad beauftragte, Vanunu zu kidnappen und in israelischen Gewahrsam zu nehmen, wo er seitdem eingekerkert ist. Schließlich hatte Shimon Peres auch maßgeblichen Anteil an der Herstellung einer engen Kooperation Israels mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime auf dem Gebiet der Waffenentwicklung und insbesondere der Nuklearrüstung.5 Diese Kooperation ermöglichte es Israel, am 22. September 1979 über dem Südatlantik einen Nuklearwaffentest durchzuführen. Auch deshalb ist es durchaus berechtigt, ja unerlässlich, den späteren Friedensnobelpreisträger Shimon Peres – wie Gush-Shalom das kürzlich getan hat – als das einzuschätzen, was er tatsächlich war und geblieben ist: „ein traditioneller zionistischer Falke“.6

Inzwischen verfügt Israel nicht nur über ein umfangreiches Arsenal unterschiedlicher Nuklearwaffen einschließlich Neutronensprengköpfen, sondern auch über die unterschiedlichsten Trägermittel bis hin zu Interkontinentalraketen. Im September 1988 schoss Israel seinen ersten Satelliten ins All und ist inzwischen neben den USA und Russland das dritte Land, das Cruise Missiles mit einer Reichweite von 1.500 Kilometern von U-Booten aus starten kann. Dabei handelt es sich übrigens um U-Boote des Typs »Delfin«, die von Deutschland finanziert und produziert wurden.7 Doch nicht nur, dass Israel sich unter Ignorierung aller völkerrechtlichen Vereinbarungen zur Kontrolle und Verminderung nuklearer Rüstungen ein Kernwaffenpotenzial von strategischer Bedeutung schuf – es schreckte auch nicht davor zurück, ähnliche Entwicklungen in anderen Ländern mit allen Mitteln, auch mit Waffengewalt zu verhindern. So bombardierte und zerstörte die israelische Luftwaffe am 7. September 1981 den in Bau befindlichen Atomreaktor in Osirak bei Bagdad. Überlegungen israelischer Politiker und Militärs, ähnlich auch gegen andere Länder vorzugehen, hat es seitdem mehrfach gegeben. So schlug der damalige israelische Verteidigungsminister Ariel Scharon während des Libanonkrieges 1982 vor, man solle Syrien mit Nuklearwaffen angreifen.8 Am 28. September 1998 votierte der gerade zum Generalstabschef ernannte Generalleutnant Schaul Mofaz mit folgender Argumentation dafür, den Iran anzugreifen: „Ein Präventivschlag war immer ein Teil von Israels strategischen Optionen. Die Ausrüstung eines extremistischen Landes wie dem Iran mit weitreichenden Raketen, die mit nicht-konventionellen Raketengefechtsköpfen ausgestattet werden können, könnte auf längere Sicht zu einer existentiellen Bedrohung Israels werden.“9

Nach Seymour M. Hersh ist es schon bemerkenswert, „dass einer der wichtigsten Verbündeten der USA … heimlich ein beachtliches Atomwaffenarsenal aufbauen konnte, während Washington einfach schwieg und die Augen geschlossen hielt.“10 Tatsächlich hat Israel auf seinem Wege zu einer Kernwaffenmacht in extremer Weise all die Eigenschaften und Praktiken entwickelt, die typisch für jene Staaten sind, die von den USA gemeinhin als »Schurkenstaaten« bezeichnet und bekämpft werden. Demgegenüber haben die US die Entwicklung Israels zur Kernwaffenmacht nicht ein einziges Mal öffentlich kritisiert, sondern vielmehr nach Kräften unterstützt. Immerhin haben die USA Israel die meisten Trägersysteme für seine Kernwaffen geliefert. Das alles hängt letztlich damit zusammen, dass die Existenz dieser Kernwaffenmacht ein wohl kalkulierter Bestandteil der Nahost-Strategie der USA gegenüber den arabischen Ländern ist.

Anmerkungen

1) Vgl.: Israels Atomstreitkräfte. In: antimilitarismus information, Berlin 31(2001) 1, S.13 ff.

2) Vgl. W. E. Burrows/R. Windrem: Critical Mass. London 1994, S.292 f.

3) S. M. Hersh: Atommacht Israel. München 1991, S.35.

4) Ebenda, S. 163.

5) Ebenda, S. 274.

6) Gush Shalom: Israel: 80 Thesen für ein neues Friedenslager. In: Marxistische Blätter. Essen 39(2001)3, S.11.

7) Nach: Wissenschaft & Frieden, Bonn, 18(2000)4, S. 4.

8) Nach: antimilitarismus information. A.a.O., S. 21

9) Nach: Ebenda, S. 22.

10) S. M. Hersh: A.a.O., S.331.

Prof. Dr. Dr. Ernst Woit, Philosophiehistoriker und Friedensforscher

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/4 Israel – kein Friede in Sicht, Seite