W&F 2024/4

Aus Anlass des Krieges

Die Aufgabe, in einem Heft auf 40 Seiten einen Konflikt so zu thematisieren, dass es der Komplexität seiner Geschichte gerecht wird, stellt sich uns in der Redaktion von W&F immer wieder aufs Neue. Gerade im Angesicht extremer Gewalteskalation Einordnungen bieten zu können, ist wichtig. Wie kann dies sinnstiftend gelingen in einem Konflikt wie dem israelisch-palästinensischen, der vom Lokalen über transnationale Beziehungen bis hin zum Globalen von so vielen Akteuren bearbeitet, genutzt, analysiert und interpretiert wird? Wie einen Konflikt besprechen, der eine solche Eskalationsmacht entfalten kann und der gleichzeitig so lang schon einer Lösung zu harren scheint?

Es liegt nicht zuletzt an der historischen und globalen Verstrickung der israelisch-palästinensischen Tragödie, dass die Eskalationen seit dem 7. Oktober 2023 bis in die deutsche Gesellschaft hinein mit solcher Macht ihre Furchen ziehen und zwischenmenschliche Beziehungen zerreißen. Wir aus der Redaktion schauen mit Ohnmacht und mit Entsetzen auf die Gewalt, den Krieg, die Toten – liegt ein Ursprung doch in der deutschen Geschichte.

Anlässlich des ersten Jahrestages des Angriffs vom 7. Oktober auf Israel blickt das letzte W&F-Heft 2024 daher auf dieses vergangene Jahr der aufeinanderfolgenden massiven Eskalationen in der Region zurück. Maßgebliche Ursachen, Konflikttreiber und Auswirkungen des aktuellen Krieges reichen weit über die Grenzen Israel-Palästinas hinaus. Es tut Not, den Krieg und die Eskalationen regional einzuordnen.

Zum Zeitpunkt der Heftplanung hatten wir bereits befürchtet, dass das Thema an Dringlichkeit nicht verlieren, die Konfliktsituation eher unübersichtlicher, umfassender und verschärft sein würde. Daher versucht der Beitrag aus der Redaktion, die übergreifenden Trends und Entwicklungen für einen regionalen Blick aufzureißen. Unser Mitredakteur Paul Schäfer stellt in seinem Kommentar die Notwendigkeit für einen sofortigen Waffenstillstand dar und plädiert für eine Friedensdiplomatie, die sich nicht allein auf militärische Maßnahmen stützt, sondern politische Lösungen für die Konfliktparteien sucht.

Die Militarisierung einzelner Staaten der Region wird für uns von Jari Bertolini et al. vom bicc analysiert. Sie kontextualisieren die massive Aufrüstung im Nahen Osten, den Beitrag externer Waffenlieferungen und die destabilisierende Wirkung dieser Militarisierung. Darauf aufbauend beschreibt Hanna Pfeifer in ihrem Beitrag die Rolle und das Agieren der »Achse des Widerstands«. Pfeifers Beitrag verdeutlicht, dass die Konflikte im Nahen Osten nicht voneinander isoliert betrachtet werden können, da sie intensiv miteinander verwoben sind. Wie sich inmitten dieser Kräfteverhältnisse die Diktatur des syrischen Präsidenten Assad innenpolitisch zu festigen und in der Region zu rehabilitieren versucht, analysieren Mustafa Karahamad und Regine Schwab. Astrid Juckenack untersucht inwiefern der Vergleich zwischen der Hamas und dem Islamischen Staat gezogen wurde und welche politischen, ideologischen sowie strukturellen Konsequenzen dieser Vergleich für die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft hat.

Zentral auch für mögliche Lösungsperspektiven sind rechtliche Fragen. Einen Blick auf das israelische Rechtssystem werfen Riad Othman und Alexander Schwarz: Sie problematisieren die Straflosigkeit bei Menschenrechtsverbrechen, die zu einer Erosion des Vertrauens in die Justiz führt. Diese Situation habe langfristig negative Auswirkungen auf Versöhnung, sozialen Frieden und führe zu zivilgesellschaftlicher Resignation. Kai Ambos blickt auf den Konflikt aus der Warte des internationalen Rechts. Er betont dabei das Potenzial des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs als friedenssichernde Projekte.

Nada Majdalani und Jürgen Scheffran widmen sich schließlich der Möglichkeit transregionaler Kooperationen im Umwelt- und Energiebereich als einer »Friedensachse«. Diese Art von Zusammenarbeit, so die Autor*innen, bietet langfristig Chancen, denn sie behebt unterliegende Konfliktthemen, ermöglicht kooperativen Austausch und zeigt Wege auf, wie der Klimaschutz zur Friedensförderung beitragen kann. Eine Friedensmediation könnte laut Wilfried Graf und Werner Wintersteiner durch eine interaktive Konflikttransformation und den Aufbau nachhaltiger Netzwerke von Insider-Mediator*innen erreicht werden, die eine Vielzahl einander widersprechender Perspektiven integrieren können.

Allerdings wird auch an anderer Stelle an Eskalationsdynamiken kräftig geschraubt. Daher setzen wir uns in einem weiteren kleineren Schwerpunkt mit den sicherheitspolitischen Folgen der angekündigten Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland auseinander. Moritz Kütt warnt vor Eskalationsrisiken, da diese Waffen das nukleare Gleichgewicht destabilisieren könnten. Lukas Mengelkamp zieht Parallelen zum NATO-Doppelbeschluss von 1979 und betont das Risiko einer neuen Aufrüstung ohne diplomatische Absicherung. Jürgen Wagner schließlich fordert, dass Deutschland eine eigenständigere, friedensorientierte Rolle in der internationalen Sicherheitsordnung anstreben sollte.

Eine kritische anregende Lektüre ­wünschen

Maria Hartmann und Marius Pletsch

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/4 Eskalationen im Nahen Osten, Seite 2