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Weizenbaum-Medaille 2018 für Wolfgang Coy
Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) verlieh am 29. September im Rahmen der FIfF-Konferenz in Berlin die Weizenbaum-Medaille 2018 an Prof. Dr. Wolfgang Coy für seine außerordentlichen Verdienste um das Themengebiet Informatik und Gesellschaft.
Das FIfF stiftet den Weizenbaum-Preis in Erinnerung an den Wissenschaftler und Informatik-Pionier Professor Dr. Joseph Weizenbaum, der über Jahrzehnte hinweg einen kritischen Blick auf die Entwicklungen und Auswirkungen der Informatik geworfen und seine Standpunkte streitbar vorgetragen hat. „Mit der Vergabe des Preises wollen wir auch die Bedeutung der Informatik für die gesellschaftliche Entwicklung betonen und auf die kritische, öffentliche Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen und Artefakten der Informatik dringen“, erläutert der FIfF-Vorsitzende Stefan Hügel.
Der diesjährige Preisträger Wolfgang Coy ist Professor (i. R.) für Informatik in Bildung und Gesellschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er hat das Fach Informatik und Gesellschaft in Forschung und Lehre einzigartig, beispielhaft und maßgeblich ausgestaltet unter Einbeziehung wissenschaftstheoretischer, sozial- und kulturgeschichtlicher, medientheoretischer, fachdidaktischer, ethischer und philosophischer Gesichtspunkte.
Seit Jahrzehnten findet durch massiven Computereinsatz, weltweite digitale Vernetzung und Algorithmisierung nahezu aller Informationsverarbeitungsprozesse eine allmähliche, aber umfassende Umwälzung in Wirtschaft, Verwaltung und Verkehr, in Bildung, Wissenschaft und Militär, in Staat und Gesellschaft statt, die inzwischen nicht nur die Arbeit vieler Menschen, sondern auch das alltägliche Leben gewaltig verändert hat. Staat und Wirtschaft investieren Unsummen, um diese so genannte Digitalisierung voranzutreiben. Dieses Vorgehen ist in aller Regel interessengesteuert, wird als alternativlos hingestellt und wird von einer häufig völlig unkritischen Technologiegläubigkeit getragen.
Wolfgang Coy ist einer der wenigen aus dem Kreis der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit einem fundierten technischen Verständnis die damit verbundenen gesellschaftlichen Prozesse kritisch analysieren. Er kommt in seinen Werken zu dem Schluss, dass es sich nicht allein um eine weitere Phase der industriellen Revolution handelt, sondern um einen allumfassenden kulturellen Wandel, den er mit der Ablösung der Gutenberg-Galaxis durch die Turing-Galaxis beschreibt. Das FIfF-Vorstandsmitglied Professor Kreowski ergänzt: „Wolfgang Coy ist ein Gelehrter und Aufklärer im wahrsten Sinne des Wortes und gehört zu der kleinen Schar von Denkerinnen und Denkern, die Wissenschaftlichkeit, kritische und tiefgreifende Analyse und das Streben nach Erkenntnisgewinn wesentlich höher bewerten als das im akademischen Bereich heute weit verbreitete Forschungsmanagement, die ungezügelte Jagd nach Drittmitteln und das Sammeln seichter Erfolge.“
Zur Person des Preisträgers
Nach dem Studium der Elektrotechnik, Mathematik und Philosophie an der Technischen Hochschule Darmstadt mit dem 1972 seltenen Abschluss als Diplomingenieur der Mathematik (Dipl.-Ing. math.) promovierte Wolfgang Coy 1975 zum Dr. rer. nat. mit einer Dissertation über die Komplexität von Hardwaretests. Außerdem war er wissenschaftlich an den Universitäten Dortmund, Kaiserslautern und Paris VI tätig, wobei er sich in dieser Zeit vor allem mit Themen der Theoretischen Informatik befasst hat.
Wolfgang Coy hat 1979 einen Ruf an die Universität Bremen angenommen, wo er sich zusammen mit den anfangs sehr wenigen Kollegen maßgeblich am Aufbau des Studiengangs Informatik beteiligt hat. In dieser Zeit sind neben vielen weiteren Veröffentlichungen einige Bücher entstanden, die seinen fachlichen Wandel hin zu Rechnerarchitektur, Softwaretechnik und Künstliche Intelligenz verdeutlichen, der insbesondere dem Lehrbedarf an der Universität Bremen geschuldet war, aber auch bereits seine Hinwendung zu Fragen von Informatik und Gesellschaft sowie der Theorie der Informatik aus wissenschaftstheoretischer Sicht bezeugen.
1996 folgte er einem Ruf an die Humboldt-Universität in Berlin. Er hat das Fach Informatik und Gesellschaft in vorbildlicher Weise vertreten, wobei er in Forschung und Lehre wissenschaftstheoretische, sozial- und kulturgeschichtliche, medientheoretische, fachdidaktische, ethische und philosophische Aspekte einbezogen hat. Die Publikationen einschließlich mehrerer Bücher, die in den Berliner Jahren entstanden sind, spiegeln seine Arbeit wider.
Dass ein Hochschullehrer Bücher schreibt, ist normal. Dass ein Buch für ihn geschrieben wird, ist schon viel seltener. Viele Weggefährtinnen und Weggefährten von Wolfgang Coy haben Beiträge für den Sammelband »Per Anhalter durch die Turing-Galaxis« (2012, Münster: Monsenstein & Vannerdat; siehe auch turing-galaxis.de/) verfasst, der von Christian Kühne, Rainer Rehak, Andrea Knaut, Stefan Ullrich, Constanze Kurz und Jörg Pohle herausgegeben wurde. Sie sind Mitglieder der Schule der Coyanerinnen und Coyaner, die in Zukunft noch viele Zeichen setzen werden – wie hoffentlich auch er selbst. All das erweist Wolfgang Coy als einen Gelehrten der besonderen Art mit immenser Strahlkraft und richtungsweisenden Einsichten.
Zum Namensgeber des Preises
Joseph Weizenbaum wurde 1923 in Berlin geboren, verstorben ist er 2008 in Gröben. 1935 musste er mit seiner Familie das nationalsozialistische Deutschland verlassen, studierte in den USA Mathematik und arbeitete ab 1955 bei General Electric an einem frühen Computersystem für die Bank of America mit. 1963 wurde Joseph Weizenbaum Visiting Professor, 1964 Associate Professor und 1970 ordentlicher Professor für Computer Science (Informatik) am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo sowohl seine Arbeiten zu ELIZA entstanden als auch sein wegweisendes Buch »Computer Power and Human Reason – From Judgement to Calculation« (Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. 1978, Frankfurt: suhrkamp).
Lange vor der Gründung von CPSR (Computer Professionals for Social Responsibility) in den USA und vom FIfF nahm er deutlich Stellung gegen den Vietnamkrieg und den Bau von Raketenabwehrystemen. Als in den 1980er Jahren die Kritik an SDI (Strategic Defense Initiative) laut wurde, war er einer der Protagonisten dieser Kritik. Zur Gründung des FIfF 1984 brachte er hierzulande nur schwer zugängliche Strategiepapiere des Pentagon mit. 1996 verlegte er seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Berlin. Auf Vorschlag des Bundesministers des Auswärtigen wurde Joseph Weizenbaum am 25. Juli 2001 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Er war Ehrendoktor der Universitäten Bremen und Hamburg, Doctor of Humane Literature des US-amerikanischen Webster College sowie Ehrenmitglied der Gesellschaft für Informatik (GI). Ihm wurden der Norbert Wiener Prize der Computer Professionals for Social Responsibility und der Lebensleistungs-Preis des FifF verliehen. Seit 2017 ist er Namenspate für das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft.