W&F 2024/3

PPF: Persönliches Erinnern an Prof. Dr. Wolfgang Popp

Drei Anlässe des Erinnerns an meinen 2017 verstorbenen Partner Wolfgang Popp standen Anfang Juni 2024 in Siegen an. Eindrücke dieser Erinnerung mögen für die Leser*innen inspirierende Impulse für unser Friedensdenken und die Nachwirkung exzellenter Wissenschaftler*innen sein.

Im Friedhofswald Siegen

Zunächst ein Besuch an seiner letzten Ruhestätte im Friedhofswald Siegen. Am 3. Juni wäre er 89 Jahre alt geworden. Dort setzte ich mich auf eine Bank und dachte an eine in der Zeitschrift »kultuRRevolution« erschienene Besprechung zur Autobiografie Wolfgang Popps, die ich im letzten Jahr herausgegeben hatte. Die Buchbesprechung, verfasst von Ulla Link-Heer und Jürgen Link, endet mit dem Satz: „Sein Leben bleibt das exemplarische Leben eines deutschen Intellektuellen, der aus der deutschen Geschichte gelernt hat.“

An der Universität Siegen

Am 6. Juni stand eine Preisverleihung in Wolfgang Popps Namen auf dem Programm. Die Gender Studies Siegen (Gestu_S) verliehen den Wolfgang-Popp-Preis für Geschlechterforschung 2023. Geehrt wurde Lehramtsstudentin Chiara Weiß für ihre Masterarbeit mit dem Titel: »‚Unnatürliche Hexen‘ oder eigensinnige Frauen? Neu-Bewertung von Goneril und Regan in King Lear«. Die Arbeit postuliert mit Blick auf zwei Frauen in Shakespeares Tragödie King Lear: Indem sie sich genauso wie die Männer verhalten, werden die beiden Frauen von der Gesellschaft als unnatürlich und eigenwillig angesehen und bleiben unverstanden.

In meinem Grußwort für die August-­von-Platen-Stiftung der Universität Siegen, die die Preisverleihung unterstützt, brachte ich zum Ausdruck, dass Wolfgang Popp die preisgekrönte Arbeit besonders zu schätzen gewusst hätte. Als Professor für deutsche Sprache und Literatur bildete er 28 Jahre lang Lehramtsstudierende aus. Mit der Gründung des Forschungsbereiches »Homosexualität und Literatur« hat er im Bereich der Geschlechterforschung an der Universität Siegen Pionierarbeit geleistet.

Dass überkommene Rollenerwartungen und herkömmliche Familienbilder auch heute noch in der sozialen Arbeit mit Eltern von großer Bedeutung sind, hatte Michelle Buller zuvor in einem interessanten Vortrag gezeigt, mit dem die gut besuchte Veranstaltung eingeleitet worden war.

Im Kreishaus in Siegen

Die Eröffnung der Ausstellung »Rosa Winkel« am 10. Juni im Kreishaus des Kreises Siegen-Wittgenstein wollte ich ganz persönlich auf keinen Fall versäumen. Sie beschäftigt sich mit dem Schicksal homosexueller KZ-Häftlinge, die einen rosa Winkel als Erkennungszeichen tragen mussten.

Die Gedenkstättenarbeit war für Wolfgang Popp bei seinem Engagement in der Schwulenbewegung ebenso wie in der Friedensbewegung immer ein wichtiges Anliegen. In dem von Wolfgang Popp und mir herausgegebenen Band »Erinnerungsarbeit. Grundlage einer Kultur des Friedens« (Münster 2000) geben wir unserer Überzeugung Ausdruck, dass eine aktive Erinnerungsarbeit eine notwendige Voraussetzung für Versöhnung ist. Bei meiner Vorbereitung auf den Ausstellungsbesuch fand ich in einer Schwulen-Zeitschrift aus dem Jahr 1982 einen bemerkenswerten Satz von Wolfgang Popp, der auf das Schwulsein gemünzt war, aber zugleich einen deutlichen Hinweis darauf gibt, wie wir im Jahr 2024 den Frieden nach innen und nach außen finden können: „Die Andersartigkeit akzeptieren heißt, wir müssen einander ernst nehmen in unserer unterschiedlichen Auffassung von der Welt.

Bernhard Nolz

IMI-Analysen zur Stationierung von Mittelstreckenraketen

Bei der voranschreitenden Militarisierung sind zeitnahe Analysen immer willkommen. Das gilt auch für die frei erhältliche IMI-Analyse 2024/33 »Das ist lange her, dass es das gab«, die unmittelbar nach der überraschenden Mitteilung einer erneuten Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland ab 2026 erschien. IMI betont, dass eine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen besonders für Deutschland ein erhebliches Risiko für eine weitere Eskalation mit Russland darstellt.

„Mit der Entscheidung, ab 2026 US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren, kam es am Rande des NATO-Gipfels zum sicherheitspolitischen Paukenschlag“, sagt Jürgen Wagner, Geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI). „Diese Entscheidung birgt erhebliche Risiken für eine Eskalation der Spannungen mit Russland und stellt Deutschland vor neue sicherheitspolitische Herausforderungen“. Zudem stelle sich die Frage, ob die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen von langer Hand geplant worden sei.

Hinweise darauf finden sich in der Vorgeschichte der Entscheidung zu einer Stationierung: Der russisch-amerikanische INF-Vertrag, der die Herstellung und Stationierung landgestützter Mittelstreckenraketen seit 1987 verhindert hatte, war 2019 von den USA gekündigt worden. Jedoch hatten die Vereinigten Staaten nach offiziellen Informationen aus Militärkreisen schon vor dem Ende des INF-Vertrags mit der Entwicklung neuer Mittelstreckenraketen begonnen. Eine erste »Multi Domain Task Force« wurde zu Testzwecken bereits 2017 in Wiesbaden aufgestellt und 2021 das 56. Artilleriekommando wieder in Dienst gestellt, das früher für die »Pershing«-Raketen zuständig war und künftig die Einsätze der neuen Mittelstreckenraketen in Deutschland verantworten soll.

Dennoch stritten die Regierungen der USA und Deutschlands lange vehement ab, dass eine Stationierung von Mittelstreckenwaffen geplant sei. Am 10. Juli 2024 kündigten die USA und Deutschland gemeinsam die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen ab 2026 an. Dies erfolgte ohne jede parlamentarische oder öffentliche Debatte und irritierte viele Beobachter*innen. Waffensysteme wie »Dark Eagle«, »Tomahawk« oder »Taurus« werden von Russland nicht ohne Grund als massive Bedrohung wahrgenommen.

Die Analyse und weitere Studien zur Stationierung finden sich online unter: imi-online.de

Friedenswissen praktisch – Neu bei »Peace Science Digest«


Sonderausgabe zu »Environmental Peacebuilding« aus dekolonialer Perspektive

Das »Environmental Peacebuilding« entstand aus der Konvergenz verschiedener Fachgebiete der Politikwissenschaft, Umweltwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung sowie der Ökologie, die sich mit der Frage befassen, wie die natürliche Umwelt die Bedingungen für Frieden und Konflikte beeinflusst. In einer Zeit, in der sich die Umweltbedingungen aufgrund des Klimawandels rapide verändern, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Friedensstifter*innen besser verstehen, wie Umweltgegebenheiten neue Möglichkeiten für friedliche Ergebnisse in von Konflikten betroffenen Kontexten eröffnen – oder diese negativ beeinflussen – können. Ebenso müssen Umweltwissenschaftler*innen die Prinzipien und Strategien der Friedensförderung besser verstehen, damit ihre Arbeit die Gewalt nicht verstärkt sondern aktiv zum Frieden beiträgt. Daher zielt Environmental Peacebuilding darauf ab, Expert*innen aus verschiedenen Disziplinen mit dem gemeinsamen Ziel zusammenzubringen, die natürliche Umwelt so zu nutzen, dass sie zum Peacebuilding beiträgt.

Der Klimawandel stellt eine der größten existenziellen Bedrohungen für das Leben auf unserem Planeten dar. Eine Außen- und Sicherheitspolitik, die sich auf die größten Bedrohungen für die Sicherheit der Menschen konzentriert, würde daher eigentlich die Bemühungen um die Eindämmung des Klimawandels in den Mittelpunkt stellen, Umweltgerechtigkeit anstreben und einen sinnvollen Beitrag zur weltweiten Friedenskonsolidierung leisten. Die derzeitige Außen- und Sicherheitspolitik der USA stützt sich dagegen weiterhin stark auf das US-Militär, das selbst zu massiven Kohlenstoffemissionen in der Atmosphäre beiträgt und durch Waffentests, den Betrieb seiner Militärbasen und natürlich die Kriegsführung Ökosysteme schädigt (ganz zu schweigen von Menschenleben). Die Anwendung eines ökologischen Blickwinkels auf Fragen des Friedens und der Sicherheit fügt der Kritik an der Vorrangstellung militärischer Lösungen in der Außen- und Sicherheitspolitik eine neue Ebene hinzu, indem sie sowohl die Beiträge des Militärs zum Klimawandel und zur Umweltzerstörung als auch seine Unfähigkeit, die kritischsten Sicherheitsfragen wirklich anzugehen, ins Rampenlicht rückt.

Wenn wir ein neues Sicherheitsparadigma entwerfen wollen – eines, das militärische Lösungen ablehnt und behauptet, dass Sicherheit durch die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und die Erhaltung des Lebens auf dem Planeten erreicht wird –, dann sollten wir nach Alternativen zu den westlichen bzw. europäischen Regierungssystemen suchen, die die globale Ordnung in den letzten Jahrhunderten strukturiert haben.

Die einzelnen Beiträge

Diese Sonderausgabe, die sich mit dekolonialen und indigenen Ansätzen des Environmental Peacebuilding befasst, untersucht indigene (und Bottom-up-) Perspektiven zu Umwelt, Frieden und Konflikten in einer Vielzahl von Kontexten.

  • Im Beitrag »Exploring Bottom-Up Environmental Peacebuilding in Timor-Leste« wird die ortsübliche Streitbeilegungspraxis der Tara bandu als ein System zur Verwaltung natürlicher Ressourcen und zur Bewältigung kommunaler oder zwischenmenschlicher Gewalt untersucht.
  • In »Decolonial Environmental Peacebuilding in Colombia« werden indigenes Wissen und Praktiken im Zusammenhang mit dem Kokablatt, das als Hauptbestandteil von Kokain weithin bekannt ist und mit illegalen Märkten und Gewalt in Verbindung gebracht wird, auf Möglichkeiten der ökologischen Friedensförderung untersucht.
  • »Genuine Security as an Alternative to U.S. Militarization of Oceania« diskutiert das Konzept der »echten« Sicherheit als einen alternativen Ansatz zur staatszentrierten Sicherheit, in dem das kollektive Wohlergehen, der Umweltschutz und die Selbstbestimmung der indigenen Völker Ozeaniens betont werden.

Mit dem Fokus auf dekoloniale und indigene Friedensförderung ist die Erkenntnis verbunden, wie Machtverhältnisse die Ergebnisse für Umwelt, Frieden und Konflikte beeinflussen.

  • In »Assessing Transitional Justice as a Response to Conservation Violence against Indigenous Peoples« wird die Gewalt gegen indigene Völker als ein eigenes Anliegen von Transitional Justice eingefordert.
  • Die Autor*innen von »Water Cooperation as ‚Imperfect Peace‘ amid Conflict and Insecurity« zeigen einen umfassenden Überblick über Wasserabkommen im Euphrat-Tigris-Flussgebiet und machen sichtbar, dass ökologische Friedenskonsolidierung selbst unter den Bedingungen eines anhaltenden bewaffneten Konflikts sowie zwischen mehreren staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren möglich ist.

In der Sonderausgabe werden außerdem konkrete Beispiele für dekoloniale und indigene Ansätze des Environmental Peace­building vorgestellt und Expert*innen geben ihre Einblicke in die aktuellen Entwicklungen dieses Forschungs- und Praxisbereichs.

  • In »Environmental Peacebuilding in the Columbia and Snake River Basin« werden von Indigenen geführte Bemühungen zur Wiederherstellung gesunder Flussläufe vorgestellt.
  • Drei Expert*inneninterviews mit Dr. Elaine (Lan Yin) Hsiao, Dr. Theresa »Isa« Arriola und Dr. Diana Arbelaez-Ruiz ermöglichen tiefere Einblicke in dekoloniale und indigene Ansätze des Environmental Peacebuilding.

Die »War Prevention Initiative« und »Peace Science Digest« möchten mit dieser Sonderausgabe zu neuen Überlegungen, Gesprächen und Praktiken im Bereich Environmental Peacebuilding anregen, die durch das Wissen und die Erfahrung der indigenen Völker gestärkt werden. Wir bedanken uns bei der »Environmental Peacebuilding Association« für ihre Unterstützung und Partnerschaft bei dieser Sonderausgabe.

Die Sonderausgabe finden Sie unter: warpreventioninitiative.org/peace-science-digest

Kelsey Coolidge, Direktorin der »War Prevention Initiative« und verantwortende Redakteurin von »Peace Science Digest«

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/3 Widerstehen – Widersetzen, Seite 49–51