W&F 1989/1

Aus der Innenwelt der Waffenlabors

von Josephine Anne Stein

Auf dem 2. Internationalen Naturwissenschaftler-Kongreß, der vom 2.-4.12.1988 in London stattfand, beschäftigte sich die amerikanische Wissenschaftlerin Josephine Stein mit der exklusiven Welt der Waffenforscher. Welche Mechanismen wirken hier? Von welchen Motiven sind die Wissenschaftler getrieben? Wie müssten verantwortungsbewußte Wissenschaftler einzuwirken versuchen? Der Beitrag wurde von der Redaktion übersetzt, leicht gekürzt und bearbeitet.

Heute möchte ich über die Welt der Erforschung und Entwicklung von Atomwaffen reden. Ich möchte denjenigen, die hinter dem Stacheldraht und dem elektromagnetischen Zaun arbeiten, ein menschliches Gesicht verleihen. Ich möchte vorweg versichern, daß ich niemals mit Absicht an Waffen gearbeitet habe.

Es gab ein paar dicht dabei liegende Anforderungen, es gab einen Nachmittag der Messungen an einem Wärmetauscher, der ausgelegt war, große Mengen an Wasserstoff und Fluor freizusetzen. Als ich begriff, daß meine Kalkulationen in die Auslegung einer chemischen Laserwaffe hineinreichten, geriet ich aus der Fassung, wurde physisch krank und weigerte mich, weiter an dem Projekt zu arbeiten. Bei einer anderen Anforderung arbeitete ich an einem »In-House«-Zielerfassungs- und Bahnverfolgungssystem (closed-loop pointing and tracking system), das für die Benutzung im Weltraum konstruiert war. Die Aufgabe war, eine Fernerkundungskamera mit hoher Auflösung auf den Kern des Kometen Halley im Vorbeiflug zu richten. Die relative Geschwindigkeit des Raumfahrzeugs und des Kometen betrug dort zig Kilometer pro Sekunde. Die Vereinigten Staaten jedoch verzichteten darauf, ein Raumfahrzeug zum Kometen Halley zu senden. Mein Ziel- und Verfolgungssystem wurde in die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) übergeleitet. Ich hatte allerdings zu dieser Zeit bereits das Projekt verlassen, um in die Lehre zurückzukehren.

Was ich über die Waffenwelt weiß, basiert zu großen Teilen auf Diskussionen mit Freunden und Kollegen aus den Waffenlabors; überwiegend aus dem Lawrence Livermore Laboratorium in Kalifornien. Einige dieser Wissenschaftler sagten ihre Meinung frei heraus, andere nur auf vertraulicher Basis. Ich werde daher – mit wenigen Ausnahmen – keine Namen nennen. Sie mögen einige Individuen wiedererkennen, oder denken, Sie würden es tun, aber ich lege Ihnen nahe, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Ich zehre von den Erfahrungen von etwa drei Dutzend Wissenschaftlern.

Meine Freunde aus der 0-Gruppe

Meine Begegnung mit der Welt der Rüstungsforschung und -entwicklung begann vor zehn Jahren, als einige meiner Freunde und Kollegen vom MIT nach Livermore gingen, um in einer Elitegruppe für »spezielle Projekte« zu arbeiten. Diese Gruppe, die von Livermore mit dem Buchstaben »O« gekennzeichnet wurde, hat seitdem traurige Berühmtheit erlangt: als eine Quelle von Erfindungen auf dem Feld der Nuklearwaffen, die half, SDI zu befördern.1

Wir waren 22 Jahre alt oder jünger, als wir nach Kalifornien gingen. Ich traf die Zimmergenossen und Freunde meiner MIT-Freunde, von denen die meisten gleichfalls in der O-Gruppe waren. Ich war eingeschrieben in der Fakultät für Mechanical Engineering an der Universität von Kalifornien in Berkeley; meine Livermore-Freunde arbeiteten entweder im Labor während der Sommer- oder anderer Semesterferien oder arrangierten, ihre Forschungen als Graduierte dort durchzuführen. Weder meine Freunde noch ich selber wußten viel über Livermore und seine Geschichte. Auch hatten wir keine Ahnung von der Natur der Beziehungen zwischen der Rüstungsforscher-Gemeinschaft und den politischen Entscheidungsstrukturen in Washington. Es war in der Nach-Vietnam-Ära, als Livermore sich nicht sonderlich anstrengte, die eigene Verwicklung in die atomare Waffenwelt an die große Glocke zu hängen. Ich hatte nie gehört von Edward Teller, der treibenden Kraft hinter der Gründung des Labors 1952, seinem Direktor von 1958-1960 und dem Miterfinder der Wasserstoffbombe.

Sicher, es gab Filter zwischen meinen Diskussionen mit den Freunden und der Arbeitswirklichkeit im Waffenlabor, besonders wegen der Geheimhaltungsbarriere. Ich wußte nicht in jedem Detail, woran meine Freunde arbeiteten. Meine Freunde betonten, daß ihre Arbeit in keiner Beziehung zur Entwicklung von Waffen stünde und sie auch nicht vorhätten, an Waffen zu arbeiten. Diese Arbeit, erklärten sie, würde von den alten Käuzen in den A- und B-Abteilungen getan. Was sie dagegen tun würden, sei nur Grundlagenphysik; daß ihnen verboten war, mir die Spezifika dieser Physik zu beschreiben, betrachteten sie als eine ärgerliche Marotte der Regierung. Wenn es ihnen gelänge, den Finanziers der Waffen Gelder für harmlose Physik zu entlocken, umso besser: Sie wären smarter als ihre Sponsoren. Ich war nie zufrieden mit den verdrehten Erklärungen meiner Freunde aus der O-Gruppe. Wie konnte es „nur Physik“ sein, wenn es diesen schwarzen Humor über Tod und Zerstörung und über russische Spione gab und wenn ihr Chef verglichen wurde mit dem bösen Charakter „Darth Vader“ aus dem Film „Star Wars“? „Darth Vader“ war Lowell Wood, eine der zerstörerischsten Personen, der ich je begegnet bin. Er konnte große wissenschaftliche Herausforderungen vorgeben, sie als »trivial« beschreiben und die jungen Wissenschaftler unter Druck setzen, diese Aufgaben gefälligst in unrealistischer Zeit zu lösen. Fehlende Resultate brachte den Wissenschaftlern brutale, sarkastische Beleidigungen und erneute Pressionen ein. Es kann kein Zweifel bestehen, daß Wood in der Lage war, einen mächtigen Corpsgeist unter den O-Gruppenmitgliedern zu erzeugen. Doch dieser Geist hatte einen grausamen Beigeschmack. Die jungen Männer der O-Gruppe wurden in eine Art konkurrenzhafte Kameraderie hineingezogen, bei der sie ständig versuchten, sich gegenseitig auszutricksen und einander Streiche zu spielen. Z. B. sabotierten sie gegenseitig ihre Computerprogramme. Meine Livermore-Freunde schienen furchtbar sensibel bei der Frage nach der Moral der (nuklearen) Waffenforschung. Als Freundin spürte ich Kümmernis und in einigen Fällen tiefes Unglücklich-Sein, das über die normalen Ängste in der Hochleistungsforschung hinausging.

Der nukleare Kreuzzug des Mr.Teller

Im nachhinein ist es nur zu leicht zu sehen, wie Livermore, noch besser als Los Alamos, den Funken der Kreativität in der Kernforschung nach dem Manhattan-Projekt, das im Kriege die Atombombe hervorgebracht hatte, weitertrug. Nach dem Krieg waren die meisten brillanten Wissenschaftler von Los Alamos zu mehr traditionellen akademischen, wissenschaftlichen Beschäftigungen zurückgekehrt. Diejenigen, die in Los Alamos blieben, sahen sich mehr als Hüter des Atomtempels denn als nukleare Kreuzzügler. Edward Teller jedoch war zurückgeblieben mit einem unerledigten Job – die thermonukleare Bombe zu schaffen. Teller schlug die Warnungen von Oppenheimer und anderen Wissenschaftlern in den Wind. Er arbeitete an der Errichtung eines Konkurrenzlabors in Livermore und rekrutierte die Leute, die den nuklearen Kreuzzug ausführen sollten. Der Feind der Livermore-Wissenschaftler wandelte sich von den besiegten Deutschen und Japanern zum sowjetischen Bären. Wie ein stolzer Großvater war Edward Teller für meine Freunde aus der O-Gruppe. Teller hatte eine ganze Gruppe von »Protegees« in Livermore aufgebaut und gepflegt, die er mit seiner besonderen Mission betraute, der sowjetischen Bedrohung mit Nuklearwaffenforschung zu begegnen. Einer von Teller`s hingebungsvollsten Jüngern ist Lowell Wood, der seinerseits das Teller-Dogma an meine Freunde weitergab. Die »Livermorons«, wie sie sich selber nennen, stürzten sich in die Arbeit, viele Stunden lang – rund um die Uhr. Ein Wissenschaftler geriet in einen Arbeitsrhythmus von 20 Stunden am Stück, nach Hause kam er nur zu einer zehnstündigen Unterbrechung, um zu schlafen und zu essen. Die Wochenenden verloren jegliche Bedeutung. Sein Dreißig-Stunden-Tag brachte ihn völlig aus der Synchronisation mit der Umdrehung der Erde – und der meisten ihrer menschlichen Bewohner. Die Mitglieder der O-Gruppe zeigten Verachtung für ihre Kollegen in Los Alamos, die die Kapazitäten ihrer Supercomputer für die Nacht verkauften. (...) Als der Kontakt mit der Außenwelt zurückging, begannen die Wissenschaftler der O-Gruppe ein gemeinsames Weltbild zu entwickeln, das bemerkenswert der Weltsicht von Teller glich. In dieser Weltanschauung war der technologische Rückstand der Sowjetunion Beleg für das Scheitern des repressiven Sowjetsystems. Die Motivation hinter der »O-Gruppe« war der Kampf für Wahrheit, Gerechtigkeit und den »american way« durch die Erlangung technologischer Überlegenheit. Es ist eine Motivation, die merkwürdigerweise mit der US-Politik zur Aufrechterhaltung der technologischen Vorreiterrolle gegenüber der UdSSR gleichläuft.

Die O-Leute scherzten, daß sie niemals Teller und Wood in den Film „Star Wars“ mitnehmen würden, weil sonst Teller sich in „Death Star“ verlieben würde, ein Maschinenungetüm, das die Planeten mit einem einzigen Energiestrahl zerstört. Ich begann zu argwöhnen, daß diese jungen Männer, so brillante Köpfe sie auch sein mochten, einfach benutzt wurden. Ich fühlte, daß, früher oder später, einige oder alle von ihnen zur Entwicklung der Technologien nuklearer Zerstörung beitragen würden – ob gewollt oder nicht. Vielleicht war ich als Außenstehende besser in der Lage zu verstehen, was meine Freunde sich selber nicht zugeben konnten.

Trotz der unterschwelligen Konkurrenz mit dem bedrohlichen sowjetischen Feind betrachteten die Livermore-Wissenschaftler ihre sowjetischen Gegenspieler merkwürdigerweise als Kollegen. Viele der Arbeiten in Livermore über den Röntgenlaser und die Kernfusion gründeten letztlich auf der theoretischen Arbeit sowjetischer Wissenschaftler. Wissenschaftler von Livermore besuchten die sowjetischen Laboratorien und empfingen sowjetische Besucher in geheimen Bezirken des Labors. Die »O-Leute« fanden es höchst amüsant, daß die US-Regierung versuchte, ein Gespräch über Kernfusion an einem amerikanischen Waffenlabor mit L.I.Rudakov, einem sowjetischen Wissenschaftler, als geheim einzustufen.2

Eine noch befremdlichere Einstellung in der O-Gruppe war ihre äußerste Verachtung für ihre Forschungsförderer in Washington. Für sie waren ihre Vertragspartner in der Administration und im Kongreß unfähig, Physik zu verstehen und daher wertlose Menschen. Stories wie folgende wurden erzählt: als ein Finanzantrag für einen hochentwickelten Computer mit der Begründung abgelehnt wurde, daß zu viel Geld für Computer ausgegeben würde, benannte Wood das Projekt in „programmierbare digitale Filter“ um, unterbreitete den Antrag erneut und bekam die Geldmittel.

Die Wahrheit über Livermore zu erkennen, war für uns alle ein schmerzlicher Prozeß. Als eine Erfindung der »O-Gruppe«, ein Röntgenlaser, in einer Nuklearexplosion im November 1980 getestet wurde, war es unmöglich geworden, den Vorwand länger aufrechtzuerhalten, es ginge um „reine Physik“...

Die Livermore-Lüge

Als Präsident Reagan seine Strategische Verteidigungs-Initiative im März 1983 ankündigte, hatte ich ein heikles Gefühl im Magen, das durch die Nennung des Namens Teller in Verbindung mit dieser Rede ein paar Tage später verstärkt wurde. Ich konnte nur vermuten, was passiert war.

Seitdem ist es ja eine gesicherte Tatsache, daß Teller mit dem Präsidenten einige Male vor der »Star-Wars-Rede« zusammengetroffen war. Diese Meetings waren Teil einer massiven Kampagne von Teller und Wood, um die Röntgenlaserwaffe an die höchsten Stellen in Washington zu verkaufen. Die Details dessen, was Teller dem Präsidenten sagte, sind nicht bekannt, aber es ist wahrscheinlich, daß Teller den Eindruck erweckte, der Röntgenlaser könnte benutzt werden, um sowjetische Raketen zu zerstören. Damit würde eine »Strategische Verteidigung« technisch erreichbar. In einem Brief an George A. Keyworth, dem wissenschaftlichen Berater des Präsidenten, vom 22. Dezember 1983, schrieb Teller: „wir treten nun in die Entwicklungs- und Konstruktionsphase des Röntgenlasers ein“, und implizierte damit, daß die wissenschaftlichen Fragen komplett gelöst seien und die militärische Brauchbarkeit demonstriert worden sei. In einem Brief an Botschafter Paul Nitze, Leiter des U.S. Rüstungskontroll-Verhandlungsteams, schrieb Teller ein Jahr später, daß „es möglich sein könnte, mehr als 100.000 unabhängig steuerbare Strahlen von einem einzigen Röntgenlasermodul zu generieren, jede von ihnen könnte ziemlich tödlich sein, sogar für ein weit entferntes, gehärtetes Flugobjekt“ und „daß ein einziges Röntgenlasermodul in Schreibtischgröße...in der Lage sein könnte, die gesamte, landgestützte Raketenstreitmacht der Sowjetunion zu zerstören, soweit es im Blickfeld des Moduls gestartet würde.“

Wie nimmt sich nun das Teller`sche Statement aus, verglichen mit dem aktuellen Stand des nukleargepumpten Röntgenlaser-Programms? Bis jetzt hat es nur eine Handvoll Tests des Röntgenlasers in Nevada gegeben. Es gab ernste Probleme mit der diagnostischen Instrumentierung, bei zwei Tests versagte die Laserdiagnostik völlig. Es gab Kontaminationen, die starke röntgenfluoreszierende Linien produzierten, die die Aussendung des Lasers verschleierten und zu übertriebenen Schätzungen über die Helligkeit des Lasers führten. Ein anderer Testkanister wurde so arg aus der Form gebracht, als Arbeiter an der Nevada Teststätte Kies in die Testhöhle schütteten, daß es fast keine Laserdaten gab.

Die Livermore-Wissenschaftler haben etwa 10 Jahre und 1 Milliarde Dollar in den nuklear gepumpten Röntgenlaser investiert. Ich vermute, daß sie – um Erfolge vorweisen zu können – wenig mehr erreicht haben als den Nachweis des Lasers, einiger Spektren und einige grobe und bloß temporäre Messungen. Die Messungen der experimentellen Helligkeit sind um einige Größenordnungen von denjenigen entfernt, die nach Schätzungen benötigt würden, um sowjetische Raketen zu zerstören; Schätzungen, die, wie ich hinzufügen möchte, ihrerseits suspekt sind. In Begriffen des Fortschritts in der experimentellen Physik ist der nicht-nukleare Labor-Laser, mit mächtigen Lasern gepumpt, viel weiter fortgeschritten. Offizielle in Livermore schätzen, daß noch mindestens zehn Jahre des Experimentierens erforderlich wären, um die Funktionsfähigkeit einer Röntgenlaser-Waffe zu bestimmen. Was die Waffe anbetrifft, die fähig wäre, die gesamte, landgestützte sowjetische Raketenkapazität zu zerstören, so konnte sich Tellers Erklärung auf keinerlei experimentelle Daten stützen. Dies wurde enthüllt durch niemand anderes als den Direktor des Laboratoriums, Roger Batzel, in einer Erklärung vor dem Kongreß.3

Die Wissenschaftler von Livermore waren sich der irreführenden Krämertätigkeit von Teller und Wood völlig bewußt, aber die meisten behielten ihre Bedenken für sich. In privaten Gesprächen sagte ein Physiker, „die wenigen wissenschaftlichen Ergebnisse, die wir erzielt hatten, wurden grob verfälscht dargestellt, um den phantastischen Ansprüchen an den Röntgenlaser gerecht zu werden, die außerhalb des Labors aufgestellt wurden“. Ein anderer Wissenschaftler nannte zentrale Erklärungen von Teller und Wood in Washington „total falsch“. Ein anderer Physiker beschrieb, wie theoretische Schätzungen der Laser-Helligkeit kalkuliert wurden, ohne Verluste in Rechnung zu stellen, was zu Annahmen führte, die um Größenordnungen zu hoch waren.

Die Story des Röntgenlasers ist nurmehr ein weiteres Kapitel in einer langen Geschichte der Täuschungen durch die Rüstungsforscher. Edward Teller und sein Clan haben seit fast vier Jahrzehnten – verkleidet als Beratung der politischen Führung – einen steten Strom der Propaganda für Waffen, gegen die Sowjets, gegen einen nuklearen Teststopp ins Werk gesetzt. Seit Livermore auch geheimdienstliche Einschätzungen der sowjetischen Waffenprogramme vornimmt, sind die Rüstungsforscher in der einzigartigen Position, die konservativsten Bedrohungsanalysen abliefern und gleichzeitig Ratschläge erteilen zu können, wie der Bedrohung mit neuen Waffen zu begegnen ist. Immer wieder waren ihre Argumente irreführend, obskur und beugten die Wahrheit – nur um Teller`s nuklearen Kreuzzug fortzuführen. Die Taktiken von Teller, Wood und der Pro-Waffen-Forscher werden in der scientific community so gut verstanden, daß mir ein Physiker sagte, das Phänomen sei bekannt als „Die Livermore-Lüge“. Sogar Leute im Militär wissen Bescheid. Generalmajor Thomas Brandt von der US-Luftwaffe sagte: „Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, große Lügen und Aussagen, die von Laser-Entwicklern gemacht werden.“4

Methoden der Unterdrückung: der Fall Woodruff

Probleme in einem Nuklearwaffen-Forschungs- und Entwicklungsprogramm und gescheiterte Experimente sind hinter dem Schleier der offiziellen Geheimhaltung leicht zu verbergen. Die Spezifika eines Livermore Waffenprojekts könnten durch Los Alamos-Gutachter nachdrücklich angefochten werden, nicht aber die zugrundeliegende Begründung für die Entwicklung der Waffe. Ein Physiker bezeichnete es als „Ehre unter Gaunern“. Es gibt nur sehr begrenzte Möglichkeiten für unabhängige technische Bewertung, und die Gutachter sind an sehr strenge Sicherheitsprüfungen gebunden. Ein erfahrener Waffenforscher schrieb,„wenn technische Information zur Geheimsache erklärt wird, wird die Technikkritik unweigerlich zu einem Streit zwischen konkurrierenden Autoritäten degradiert.“5 Wenn die Dispute bis Washington reichen, wissen die Advokaten der Atomwaffen, daß sie an konservative politische Instinkte appellieren können, die ihnen im Zweifelsfalle immer recht geben werden.

Gewöhnlich reichen die internen Mechanismen aus, um Dispute innerhalb des Waffenforschungsestablishments niederzuhalten. Ein Wissenschaftler demonstrierte, sowohl theoretisch als auch experimentell, daß den Zerstörungswirkungen des nuklearen Röntgenlasers physikalische Grenzen gesetzt seien. Der Effekt eines Röntgenlaserimpulses wird begrenzt durch Verdampfungsvorgänge. Ein Röntgenlaser kann womöglich Teilchen der Raketenhaut absprengen, die Grundstruktur würde jedoch unbeschädigt bleiben. Der Report, der darüber verfasst wurde, wurde unterdrückt und erreichte niemals unabhängige technische Gutachter.

Livermore hat seine Wege, um Wissenschaftler, die von der Linie der Teller-Partei abweichen, zu bestrafen.

Ein Wissenschaftler wurde gebeten, bestimmte strategische Aspekte von SDI zu präsentieren. Er unterbreitete eine ehrliche Analyse und bot eine extrem kritische Darstellung. Es war sein Pech. Er wurde in eine Arbeit im »Feindaufklärungsbereich« (intelligence area) verbannt. Die neue Arbeitszuweisung hielt ihn von seinen Kollegen fern und verhinderte Diskussionen über seine Arbeit, die strengster Geheimhaltung unterlag.

Ein anderer Wissenschaftler, der an der exzessiven Röntgenlaser-Kampagne von Teller und Wood Anstoß nahm, unternahm den Versuch, den irreführenden Angaben, mit denen die beiden in Washington hausieren gingen, entgegenzutreten. Er schrieb an Keyworth und Nitze, um die Teller-Briefe richtigzustellen und ein Gegengewicht zu schaffen. Dieser Wissenschaftler, Roy Woodruff, war niemand anderes als der Associate Laboratory Director in Livermore, der für das ganze Waffenprogramm einschließlich des Röntgenlasers verantwortlich war. Er wurde von der Versendung der Briefe durch den Laboratoriumsdirektor Roger Batzel abgehalten. Woodruff verließ schließlich seinen Posten; er formulierte es so: „aus Prinzip ...hatte ich keine andere ethische Wahl“. Woodruff wechselte zu der »Aufklärungs"sektion und dann begannen die finanziellen Repressalien. Seine Arbeitsbereiche wurden beschnitten und er wurde auf die Eingangsstufe als »Analytiker« abgruppiert.

Wie die anderen Wissenschaftler, die in ihrer Kritik vom Pfad abgewichen waren, wurde Woodruff von seinen früheren Kollegen abgeschnitten – durch seine Isolation und die hochgradig geheime Tätigkeit in der »intelligence area«. Weil Woodruff in Ungnade gefallen war und verbannt wurde, drehten ihm andere Wissenschaftler den Rücken zu und sprachen nicht mehr mit ihm. (...)

Die Waffenentwickler schließen die Reihen gegen Einen, der in Mißgunst gefallen ist. Für das Verbrechen, Washington die Wahrheit gesagt zu haben, wurde Woodruff in die innere Emigration geschickt. Einer seiner Kollegen hängte ein Schild mit der Aufschrift „Gorki West“ an seine Bürotür. Woodruff begann ein internes Beschwerdeverfahren, um für seine berufliche Existenz zu kämpfen und damit auch für seinen Standpunkt gegen die nuklearen Exzesse von Teller und Wood. Die Auseinandersetzung kam in die Öffentlichkeit, als Dokumente aus diesem Verfahren zur Southern California Federation of Scientists, einer Friedensgruppe in Los Angeles, durchsickerten. Damals arbeitete ich als Beraterin des Kongreßabgeordneten George E. Brown, Jr. und die Gruppe, die mein Interesse kannte, übermittelte mir diese Dokumente. Zwei Kongreßuntersuchungen wurden in Gang gesetzt, eines davon durch die oberste Rechnungsbehörde; das andere durch den Streitkräfteausschuß. Als der Kongreß eingeschaltet und Öffentlichkeit über den Fall hergestellt war, wuchs die Einsicht, daß Woodruffs Besorgnisse berechtigt waren. Woodruff wurde sogar wieder als Leiter des Verifizierungsprogramms des Laboratoriums eingesetzt. Als es danach aussah, daß er »rehabilitiert« werden würde, ging interessanterweise so etwas wie eine frische Brise durch das Laboratorium. Waffenforscher, die mit Woodruffs Position sympathisierten, begannen sich aus der Deckung zu begeben. Wissenschaftler begannen, an das Büro des Kongressmannes Brown zu schreiben oder dort anzurufen, um Woodruff zu unterstützen. Unglücklicherweise hat Livermore einen neuen Direktor, John Nuckolls, dessen Verbindungen zu Teller am besten durch das Faktum illustriert werden können, daß er Tellers 80. Geburtstagsparty organisierte. Das Klima von Repression und Furcht ist zurückgekehrt. Woodruff fand es schwierig, mit Nuckolls zu reden und hatte keine institutionelle Unterstützung für seine Verifikationsprogramme. Tatsächlich ist das Verifikationsprogramm im gegenwärtigen Livermore-Laboratoriums-Report nicht einmal erwähnt.6

Die repressive Atmosphäre in Livermore erinnert an zwei Gesellschaften, die wir mit massivem Töten verbinden. Eine davon waren die Nazi-Todeslager, als Wissenschaft und Medizin in eine geheimbündlerische, ausgeklügelte Maschinerie für den Massenmord pervertiert wurden. Die Zeit erlaubt es mir nicht, eine Anzahl von verblüffenden Übereinstimmungen herauszuarbeiten. Ich möchte nur einen Manager des Atomwaffenentwicklungsprogramms in Livermore zitieren, der sagte:

„Es gibt nicht viele Leute, die glücklich über diesen Job waren – bis sie total eingetaucht waren und von der Technik hypnotisiert wurden, so völlig verzaubert von der Physik, daß sie nicht mehr ihre Köpfe erhoben, um sich umzuschauen.“

Er zitierte Albert Speer, den Nazi-Rüstungsminister:

„Im Grunde beutete ich das Phänomen aus, daß Techniker oft ihrer Aufgabe blind ergeben sind. Wegen der scheinbaren moralischen Neutralität der Technik hatten diese Leute keine Skrupel wegen ihrer Aktivitäten.“

Ein anderer Livermore-Wissenschaftler, der über die Verhaltensweisen in Teller`s Klüngel sprach, sagte:

„Diese Leute würden großartige Nazis abgeben. Sie glauben nicht an die Freiheit der Rede. Sie glauben nicht an die Freiheit der Presse.“

Die andere Gesellschaft, mit der wir massives, brutales Töten verbinden, ist natürlich Stalin`s Rußland, das, bis zur Führerschaft Gorbatschows, das gängige Image des Sowjetregimes prägte.

Es ist fürwahr Ironie, daß das Bild der grausamen, repressiven Sowjetgesellschaft, das die Rüstungsforscher inspiriert, ihrem tödlichen Geschäft nachzugehen, so feinsäuberlich in den Waffenlabors selbst widergespiegelt wird.

Die Atomwaffenforscher gehören einer kleinen, abgekapselten Gemeinschaft an, in der grimmige Konkurrenz herrscht. Das Wort „Hai“ ist oft gebraucht worden, um gegeneinander kämpfende Wissenschaftler zu beschreiben. In den vergangenen zwei Jahren wurde die Gemeinschaft durch Korruptions- und Drogenskandale erschüttert. Wissenschaftler wurden mit einigen sehr interessanten Dingen zum persönlichen Gebrauch aus dem Modelladen in Rocky Flats (Colorado) erwischt. Man vermutet, daß dort praktische Studienmodelle für das Atomwaffendesign erstellt werden. Unter diesen Gegenständen waren Medallions, Krüge, Weinpressen etc.. Das »General Accounting Office» (Bundesrechnungshof) fand heraus, daß Waffenforscher einer Gesetzesverletzung sehr nahe gekommen waren, als sie den Kongreß mit unerbetenen »Informationen« über den vollständigen Teststopp direkt vor einer Schlüsselabstimmung versahen. Und Livermore, Los Alamos und Sandia, ein privates Waffenlabor, haben alle ihre Drogenprobleme. In Livermore benutzten Beschäftigte die Laborausrüstung, um illegale Drogen herzustellen. Es gab eine große Untersuchung, die zu sechs Festnahmen und zehn Entlassungen führte.7

Warum arbeiten Wissenschaftler in einer Bombenfabrik?

Viele von ihnen, wie meine Freunde aus der O-Gruppe, realisierten nicht, auf was sie sich eingelassen hatten. Ich habe zahllose andere Wissenschaftler und Ingenieure getroffen, die Jobs in staatlichen Laboratorien und in der Industrie angenommen hatten und denen nicht bewußt war, daß sie an nuklearen Waffen arbeiteten. Ein Wissenschaftler in Livermore bestand – das Laboratorium verteidigend – darauf, daß die O-Gruppe eine Abweichung von der Regel sei. Die O-Gruppe mag ein Extremfall sein, aber viele meiner Freunde in Livermore machten ähnliche Erfahrungen mit der Arbeit an Waffen. Andere begeben sich hinein, wohl wissend, daß die Labors an Nuklearwaffen arbeiten, aber im Glauben, daß sie erfolgreich „ihre Hände sauber halten“ können. In den meisten Fällen sind sie nicht erfolgreich und bleiben zurück wie Lady MacBeth mit ewig befleckten Händen.

Warum finden sich die Livermore Wissenschaftler mit den Lügen, den Gaunereien und dem repressiven Charakter der Waffenarbeit ab? Warum kündigen sie nicht auf der Stelle? Es ist keine leichte Sache, eine hochbezahlte Arbeit in einem üppig ausgestatteten Labor zu verlassen und den Weg für einen neuen Job zu bahnen. Wie es ein Wissenschaftler ausdrückte: `Nuklearwaffen-Wissenschaftler`, die an geheimen Programmen gearbeitet haben, haben für ihre gesamte Karriere nur wenige „Wiederaufnahmemöglichkeiten“.

Andere Gründe sind eher persönlicher Art. Teller und Wood sind auf ihre Art Mentoren, die von ihren Schülern verehrt werden. Einer von Teller`s früheren Studenten, der glaubt, daß er seine Karriere Teller verdankt, weigerte sich, an nuklearen Waffen zu forschen als Teller versuchte, ihn dafür zu rekrutieren. Der Bruch mit Teller war so schmerzlich, daß der Physiker noch zwanzig Jahre später nur unter Schwierigkeiten darüber reden kann. Drei andere, viel jüngere Wissenschaftler gingen nach Livermore, um als »undergraduates« in Sommerferienjobs zu arbeiten. Als ihre Sicherheitsprüfung abgeschlossen war und sie mitbekamen, wie ihre Arbeit in Waffenforschungsprogramme eingepasst war, versuchten sie auszusteigen. Nachdem alle Versuche des Lab-Managements, sie umzustimmen, gescheitert waren, gab man dem Personalbüro die Schuld („Sie meinen, sie haben es Ihnen nicht gesagt?“) und die Wissenschaftler wurden in der nicht-waffenbezogenen Entwicklung eingesetzt. Sie gingen an die Universität zurück – verbittert und erschüttert. Es war eine solch schwere Prüfung, daß sie auch Jahre danach lieber nicht darüber reden.

Einige Wissenschaftler hatten niemals vorgehabt, an Waffen zu forschen, aber wurden hineingezogen, wie meine Freunde von der O-Gruppe. Einige blieben dabei, weil sie sich nun überzeugt glaubten, nur ein politisches Mandat auszuführen, das aus einem demokratischen Prozeß hervorgegangen sei.

Dean Judd, ein Wissenschaftler in Los Alamos, der zu einem führenden Wissenschaftler bei SDI wurde, sagte: „Wir sind keine Fänger mit Netzen und Ketten. Menschen kommen hierher, um für ihr wissenschaftliches Ansehen zu arbeiten. Und sie kommen, weil Waffen zu konstruieren ein Dienst an unserem Land ist. Deshalb tun wir es.“8

Der Direktor des Los Alamos Lab, Siegfried S. Hecker, beschrieb die Rolle der Waffenlaboratorien so:

„Das Los Alamos Laboratorium dient der Nation als wissenschaftliche und technische Quelle zur Lösung komplexer Probleme von großer nationaler Bedeutung. Wir werden fortfahren,...schnell und effektiv auf nationale Erfordernisse zu antworten.“9

Teller hatte über eine lange Zeit und mit viel Einfluß die Fäden gezogen, mit deren Hilfe er zu manipulieren verstand, was „nationale Erfordernisse“ in puncto Waffenentwicklung sind.

Unglücklicherweise wird das Wettrüsten nicht mit dem Abgang von Dr. Teller verschwinden. Teller hat sorgfältig Wood, Nuckolls und andere gefördert und eingesetzt, um seinen nuklearen Kreuzzug fortzusetzen. Und dann gibt es noch viele andere Wissenschaftler, die, obgleich weniger berühmt als Teller, dieselbe Taktik einsetzen.

Es gibt hunderttausende Wissenschaftler und Ingenieure im Waffengeschäft und sie sind nicht notwendigerweise Amerikaner. Es gibt 14.000 Beschäftigte in den Einrichtungen der britischen Verteidigungsforschung.10 Auch sind nicht alle Wettrüster im Bereich der Atomwaffen tätig. Sie arbeiten an »Durchbrüchen« bei den biologischen und chemischen Waffen gleichermaßen.

Was können wir, besorgte Wissenschaftler und Ingenieure, die sich außerhalb befinden, tun?

Wissenschaftler und Ingenieure, die an diesem Kongreß teilnehmen, sind sich dessen bewußt, daß wir eine Menge für die Beendigung des Wettrüstens tun können, durch öffentliche Debatten und Teilhabe am demokratischen Prozeß. Wir können und sollen die Politik der Bewahrung „technologischer Überlegenheit“ über die Sowjets herausfordern, wenn die Konsequenzen der Waffenentwicklung und -stationierung der Sicherheit zum Schaden gereichen. Wir können unseren Beitrag leisten in der Zusammenarbeit mit sowjetischen Kollegen, um das Bild des sowjetischen Feindes weiter aufzulösen. Es ist ja merkwürdig genug, daß ja diese Zusammenarbeit durch die Waffenentwickler selber betrieben wird: in der Form des Joint Verification Experiment, bei dem US-amerikanische und sowjetische Wissenschaftler die Detonationsstärken der jeweils anderen Nukleartests mit hydrodynamischen Experimenten vor Ort messen.

Eine Basis der Verständigung schaffen

Vielleicht ist es noch wichtiger, die Kollegen in den Gulags der Waffenlabors zu erreichen. Die erste Herausforderung besteht darin, eine Basis der Verständigung zu schaffen. Die Isolation und die Vorbehalte der Waffengemeinschaft zu durchbrechen und einen Dialog zu beginnen, ist kein einfacher Prozeß. Die Wissenschaftler »drinnen« müssen erst überzeugt sein, daß du von der Sache, über die du sprichst, etwas verstehst – sonst bist du gleich abgeschrieben. Du musst bereit sein, unbefangen in das Gespräch zu gehen, genau und respektvoll zuzuhören. Du musst bereit sein zuzugestehen, daß die Rüstungsforscher auch in bestimmten Punkten recht haben können.

Die Quäker haben ein Sprichwort, wonach der einzige Weg, um einen Feind dauerhaft loszuwerden, darin liegt, ihn oder sie zu deinem Freund zu machen. Verhandlungen mit der Sowjetunion, Austausch, die Gelegenheiten, die glasnost und perestroika bieten, haben einen bedeutenden Fortschritt bei der Verwandlung der Feinde in Freunde möglich gemacht. Wir mögen unsere Differenzen mit dem sowjetischen Volk haben, aber wir alle nennen uns menschliche Wesen. Das gilt auch für die Waffenentwickler.

Wir müssen die Prinzipien von glasnost und perestroika auf die Waffenlabors selber anwenden. Die Öffnung der Laboratorien würde es den Rüstungsenthusiasten schwieriger machen, von fiktiven Waffen zu künden und die politischen Entscheidungsträger zu beeinflussen; es würde ebenso die soziale Isolation durchbrechen, die für organisiertes Massentöten so charakteristisch ist.

Perestroika, angewandt auf die Waffenlabors, braucht sowohl Zuckerbrot als auch die Peitsche, um das Wettrüsten zu stoppen. Ein vollständiger nuklearer Teststopp ist der beste Weg, um die Entwicklung der Atomwaffen zu stoppen. Diese »Peitsche« ist durch den politischen Prozeß erreichbar, aber sie muß begleitet sein von wissenschaftlicher Transparenz (glasnost), um zu verhindern, daß die Rüstungsforscher mit falschen Ausreden einen Teststopp verhindern.

Geradlinige technische Analyse ist nützlich, aber sie kann zu Kompromissen führen, die den Punkt verfehlen. Die Seismologen in der Waffengemeinschaft wissen sehr gut, daß die gegenwärtige 150 Kilotonnen-Grenze bei den Tests gesenkt und dies mit hoher Verläßlichkeit verifiziert werden könnte. Die Forscher außerhalb der Waffenlabors denken, daß sie das Wettrüsten stoppen können durch den Aufbau eines seismischen Netzwerks, das fähig sei, Explosionen bis herunter zu einer Kilotonne festzustellen. Dieses Limit würde die Entwicklung der Zünder für thermonukleare Bomben verhindern. Die Waffenforscher reden über 50, 30 oder sogar 15 Kilotonnen als neuem Grenzwert. Aus politischen wie technischen Gründen mag diese oder jene Konvergenz der Standpunkte erreicht werden – aber das würde das Wettrüsten nicht stoppen. Wie auch immer die Schwelle festgelegt würde, Nukleartests würden den Wissenschaftlern erlauben, weiterzumachen und »Durchbrüche« zum Vorschein zu bringen. So lange wie geheime, isolierte Waffenforschung weitergeht, werden wir noch erfolgreicheren Versuchen der »Livermore-Lüge« ausgesetzt sein.

Die »Zuckerbrot«-Seite der Perestroika ist es, alternative Forschungstätigkeiten für die Waffenlabors zu finden. Ich habe z.B. an einem Gesetz des US-Kongresses zur Unterstützung des Internationalen Thermonuklearen Reaktor-Programmes gearbeitet, eines nicht-waffenbezogenen Projekts der Nuklearfusion, für das Livermore die Führung innerhalb der USA übernehmen sollte. Ich habe auch vorgeschlagen, daß der Bundesstaat Kalifornien, dessen Universitätssystem nominell Livermore und Los Alamos für das Energieministerium managt, Umweltforschung an den Laboratorien finanzieren soll...

Es gibt positive Anzeichen, daß Los Alamos sich um Geld für die Energieforschung bemüht, da SDI und Nuklearwaffenforschung gestrafft werden. Aber es gibt auch eine negative Seite der Budgetkürzungen. Los Alamos hat bereits hunderte von Beschäftigten entlassen. Livermore hat Möglichkeiten des frühzeitigen Ruhestandes angeboten; Entlassungen liegen in der Luft. Die Waffenhändler könnten ihre Washingtoner Lobby-Tätigkeit mit noch weniger glaubhaften Waffenkonzepten intensivieren. Unter den gegebenen Umständen werden die Rüstungsforscher wahrscheinlich ihre Differenzen mit der Teller-Crew nicht öffentlich artikulieren, weil sie Angst haben, ihre Jobs zu verlieren.

Es ist eine besondere Herausforderung, den Waffenwissenschaftlern mit persönlicher Unterstützung beizustehen, damit sie mit dem Verlust des Feindbildes und den veränderten nationalen Prioritäten fertig werden können. Ich möchte Sie alle bitten, an dem Aufbau von Partnerschaften mit den Kollegen in den Gulags der Waffenlabors mitzuarbeiten, damit wir eine alternative Forschung entwickeln können, die auf echte Erfordernisse der internationalen Sicherheit gerichtet ist. Wir können den Terror des nuklearen Wettrüstens nur eliminieren in der Kooperation mit jenen, die am meisten in die nukleare Waffenentwicklung involviert sind. Falls Sie sich in diesem Sinne in dem Dialog mit den Rüstungswissenschaftlern engagieren, werden Sie meiner Meinung nach herausfinden, daß Sympathie, Verantwortungsgefühl und gegenseitige Unterstützung entwaffnender sein werden als konfrontative Taktiken des Protests.

Anmerkungen

1 Star Warriors: A Penetrating Look Into The Lives of the Young Scientists Behind Our Space Age Weaponry, William J. Broad, Simon and Schuster, New York 1985 Zurück

2 Claiming the Heavens: The New York Times Complete Guide to the Star Wars Debate, Philip M. Boffey, William J. Broad, Leslie H.Gelb, Charles Mohr, and Holcomb B. Noble, New York, 1988 Zurück

3 Roger Batzel, Testimony before the U.S. House Armed Services Comitee, February 1986 Zurück

4 Mission Control, Military Space, April 25, 1988 Zurück

5 Strengthening the Weapon of Openness, Arthur Kantorowitz, unpublished paper, Dartmouth College, March 31, 1986 Zurück

6 The State of the Laboratory, Energy and Technology Review, Lawrence Livermore National Laboratory, July-August 1988 Zurück

7 Congress Probes Drug Abuses at Weapon Labs, Vincent Kiernan, The Scientist, September 19, 1988 Zurück

8 Bomb Makers See Duty in Job, Deborah Blum, The Sacramento Bee, August 2, 1987 Zurück

9 Siegfried S. Hecker, Director`s Statement, Research Highlights 1986, Los Alamos National Laboratory, 1986 Zurück

10 New Scientist, November 1988 Zurück

Dr. Josephine Stein ist Physikerin und arbeitet z.Zt. in der Science and Engeneering Policy Studies Unit, Royal Society, London.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1989/1 1989-1, Seite