Ausstieg aus dem Ausstieg?
von Thomas Breuer
Politiker von CDU und CSU nutzen jede Gelegenheit, um an dem von der Rot-Grünen Bundesregierung beschlossenen Atomausstieg zu rütteln. Da scheint auch keine noch so widersinnige Konstruktion von Zusammenhängen die Debatte aufhalten zu können. Edmund Stoiber (CSU), Ministerpräsident von Bayern, nutzte im letzten Jahr den Ölpreisanstieg, um für Atomkraft zu werben. Öl hat in Deutschland nichts mit Stromerzeugung zu tun. Darüber hinaus übersieht Herr Stoiber, dass der Uranpreis (U3O8 – Uranvorprodukt zur Brennstäbeherstellung) sich in den letzten fünf Jahren ebenfalls mehr als verfünffacht hat.
Bundeswirtschaftsminister Glos und einige CDU-Ministerpräsidenten um Roland Koch, den Ministerpräsidenten von Hessen, nutzten den Gas-Streit zwischen Russland und der Ukraine, um Ängste in Deutschland zu schüren und erneut Werbung für die Atomindustrie zu machen. Gas hat in Deutschland ebenfalls sehr wenig mit Stromproduktion zu tun, aber viel mit Wärme. Sicherlich brauchen wir mehr Gas, um den Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft klimaneutral zu bewerkstelligen, aber waren die Lieferungen für Deutschland aus Russland jemals in Gefahr? Ist es nicht ein Unterschied, ob sich ein Land wie Russland mit einzelnen Staaten wie der Ukraine anlegt oder mit dem mächtigen Staatenverbund der EU?
Nur Erneuerbare Energien sprudeln unendlich
In einem Punkt haben die Politiker der Union allerdings Recht: Sie fordern, Deutschland unabhängiger von internationalen Energie-Rohstofflieferungen zu machen. Die Schlussfolgerung, die sie ziehen, ist allerdings falsch. Der Rohstoff für Atomenergie, das Uran, wird ebenfalls von der EU importiert, da es keine eigenen Gewinnungsstätten gibt. Deutschland würde sich von anderen Lieferanten als bei Öl und Gas abhängig machen. Außerdem ist die Atomkraft eine energiepolitische Einbahnstrasse, da das Uran, legt man den heutigen Verbrauch zu Grunde, nur noch für etwa 50 Jahre reicht. Unabhängigkeit gewinnt man nur durch nachhaltige heimische Energien – das sind ausschließlich Erneuerbare Energien – und Anstrengungen in der Energieeffizienz.
Atomreaktoren Spitzenreiter beim Risiko
Zwanzig Jahre nach Tschernobyl sollte eigentlich Vernunft in die energiepolitischen Debatte eingekehrt sein. Die gravierensten Probleme der Atomkraft sind seit über fünfzig Jahre ungelöst. Kein einziges Atomkraftwerk ist gegen einen Super-GAU, kein einziges ist gegen einen Terrorangriff ausreichend gesichert. Es gibt weltweit kein einziges sicheres Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Die Gefahr der Proliferation, also der Weiterverbreitung von Atomtechnologie und technischem Wissen für militärische Zwecke, ist nach wie vor nicht unter Kontrolle.
An erster Stelle der ungelösten Probleme steht das Thema Sicherheit, wenn man über Atomkraftwerke redet. Die heute in Deutschland laufenden 17 Atomreaktoren wären nach dem unter der Kohl-Regierung verabschiedeten Änderungen des Atomgesetzes nicht mehr genehmigungsfähig. Das heißt, dass der Sicherheitsstand der deutschen Atomkraftwerke nicht einmal dem von der Kohlregierung geforderten Sicherheitsstandard entspricht.
Diskussionen über Laufzeitverlängerungen sind zunächst einmal Diskussionen über die Atomkraftwerke Biblis A und B von RWE, Brunsbüttel von E.ON und Vattenfall und Neckarwestheim 1 von EnBW, denn diese vier Reaktoren stehen in dieser Legislaturperiode zum Abschalten an. Diese vier Atomkraftwerke sind Spitzenreiter beim Unfallrisiko. Sie haben alle bauartbedingte Mängel. Dazu gehört ein erhöhtes Bruchrisiko durch mehr Schweißnähte an wichtigen Komponenten oder geringere Druck- und Temperaturfestigkeit des Reaktorkessels, im Vergleich zu neueren Atomkraftwerken. In allen vier Fällen ist die Notstromversorgung mangelhaft. Teilweise fehlt sogar die räumliche Trennung der Notstromsysteme. Diese Trennung ist aber überlebenswichtig, um in Falle eines Unfalls ein Versagen mehrerer Notstromstränge zu vermeiden. Darüber hinaus sind Biblis A, Biblis B und Brunsbüttel Deutschlands störanfälligste Atomkraftwerke. Greenpeace hat Indikatoren entwickeln lassen, die auf Basis öffentlich zugänglicher Informationen tatsächlich auftretende betriebliche Gefährdungen erfassen. Sie berücksichtigen Daten wie ungeplante Stillstandszeiten, Häufigkeit meldepflichtiger Ereignisse, Bedeutung meldepflichtiger Ereignisse, Strahlenbelastung der in der Anlage Beschäftigten und radioaktive Emissionen mit der Abluft und dem Abwasser. Dieser Indikator zeigt, dass kein Atomkraftwerk in Deutschland sicher ist (Siehe »Risiko Restlaufzeit« unter: http://www.greenpeace.de/themen/atomkraft/nachrichten/artikel/risiko_restlaufzeit_erhebliche_sicherheitsmaengel_bei_alten_atomkraftwerken/ansicht/bild). Bei einer Technik mit derart verheerenden Auswirkungen dürften eigentlich gar keine Probleme auftreten. Mehr Sicherheit wird nur durch ein Abschalten der Reaktoren erreicht.
Als zweites großes Risiko ist die Terrorgefahr zu nennen. Während auf der einen Seite bürgerliche Freiheiten eingeschränkt werden, biometrische Pässe eingeführt, Zigaretten von Demonstranten eingesammelt werden, um DNA-Tests vorzunehmen, ticken in Deutschland 17 Zeitbomben in Form von laufenden Atomreaktoren. Sämtliche deutschen Atomkraftwerke sind nicht ausreichend gegen Terrorangriffe geschützt und stellen damit eine erhebliche Gefahr für die Bevölkerung dar. Kein Atomkraftwerk würde den gezielten Absturz eines großen Verkehrsflugzeuges überstehen. In keinem Fall ist ein Super-GAU auszuschließen. Die Gegenmaßnahmen, wie die Vernebelung der Atomkraftwerke im Falle einer anfliegenden Maschine taugen nichts. Zum einen können sich Piloten an markanten Punkten im Gelände orientieren, zum anderen könnten Täter am Boden Hilfestellung leisten (http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/atomkraft/greenpeace_studie_gefaehrdung_akw_durch_verkehrsflugzeuge.pdf). Auch hier bleibt nur die Empfehlung, die Reaktoren abzuschalten, um mehr Sicherheit zu erreichen.
Endlagerfrage weiter weltweit unbeantwortet
Es gibt weltweit keine Endlagerstätte für hochradioaktiven Atommüll. In Deutschland, wo seit über 30 Jahren Atommüll produziert wird, ist auch keine Lösung in Sicht. Der Atommüll muss für eine Million Jahre sicher verschlossen werden. In Deutschland sind bisher fast 11.000 Tonnen hochradioaktiven Atommülls aus Atomreaktoren angefallen. Die Atomkraftwerksbetreiber und die Bundesregierung haben bislang versucht, dem aus politischen Gründen gewählten Standort Gorleben in Niedersachsen die Bürde des Atommülls aufzulegen. Sigmar Gabriel, der neue SPD-Umweltminister, scheint eine wissenschaftlich fundierte Suche nach einem Atommüll-Endlager durchführen lassen zu wollen. Dies ist auch dringend notwendig, weil der Salzstock in Gorleben nicht als Atommüllendlager geeignet ist, da er Kontakt zum Grundwasser der Region hat. Dort Atommüll einzulagern, würde bedeuten, dass dieser die Grundwasserversorgung der Region gefährden würde. Jetzt abzuschalten, würde zumindest keine neuen Atommüllberge verursachen, wenn auch die Frage der alten ungelöst bleibt.
Proliferation
Auch die Gefahr der Proliferation, dass heißt, der Weiterverbreitung von Material und Wissen, das zum Bau von Atombomben dienen kann, ist nicht unter Kontrolle zu bringen. Zum einen verschwindet regelmäßig radioaktives Material aus den verschiedensten Anlagen weltweit – Anfang 2005 konnte beispielsweise der Verbleib von 30 Kilogramm Plutonium, immerhin Stoff für fünf bis sechs Atombomben, in Sellafield in Großbritannien nicht mehr nachgewiesen werden, zum anderen hat man mit der IAEO, der Internationalen Atomenergiebehörde mit Sitz in Wien, den Bock zum Gärtner gemacht. Die Aufgabe der IAEO liegt vornehmlich in der Verbreitung der so genannten zivilen Atomtechnologie auf der Erde. Gleichzeitig, soll sie verhindern, dass Staaten in den Besitz von Atomwaffen kommen. Es lässt sich allerdings nicht verhindern, dass Staaten, die eine so genannte zivile Atomwirtschaft betreiben, natürlich auch in den Besitz von Wissen und Technologie zum Bau von Atombomben gelangen. Es ist dringend erforderlich, dass die Staaten, die Atombomben besitzen, diese abrüsten und dass die Länder, die Atomkraftwerke besitzen, diese abschalten. Denn nur politische Kräfte, die den Weitblick besitzen, aus der Atomkraft auszusteigen, können Ländern wie dem Iran glaubhaft vermitteln, dass Atomkraft einer der großen Irrtümer des zwanzigsten Jahrhunderts war. Nur solche Länder können überzeugend darstellen, dass der Iran diesen Pfad doch besser nicht beschreiten sollte, sondern eine moderne und nachhaltige Energiewirtschaft aufbaut, die durch Energieeffizienz und Erneuerbare Energien gekennzeichnet ist.
Fazit
Die von der Union angestoßene Atomdebatte ist eine Gespensterdebatte. Wer das Land energiepolitisch modernisieren will, kann nicht auf Technologien von vorgestern setzen. Die Politik sollte sich davor hüten, durch Zugeständnisse an die vier großen Energieversorger RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall, sowohl beim Atomausstieg als auch bei der Treibhausgasreduktion, das Land energiepolitisch in eine Sackgasse zu führen. Die Potenziale an Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien sind ausreichend vorhanden, um Deutschland nachhaltig zu versorgen. Das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt hat in einer Studie für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ein Energieszenario erstellt, das den Ausstieg aus der Atomenergie und aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe zur Energiegewinnung vorzeichnet.
Die vier großen Energieversorger wollen ihre Oligopolstrukturen erhalten, weil das zukünftige Gewinne sichert. Volkswirtschaftlich gesehen bringen Erneuerbare Energien und Effizienzmaßnahmen neue Arbeitsplätze, sowohl im Inlandsgeschäft, als auch im Exportgeschäft. Dies bedingt allerdings, dass die modernen Energietechnologien in Deutschland massiv ausgebaut werden, da ansonsten andere Länder die Technologieführung übernehmen.
Der Ausstieg aus der Atomwirtschaft reduziert das Risiko für die Menschen im Land und in angrenzenden Ländern und sorgt gleichzeitig für einen notwendigen Wachstumsschub.
Thomas Breuer, Diplom Betriebswirt, ist seit zwei Jahren Atom- und Wirtschaftsexperte bei Greenpeace. Vorher arbeitete er 15 Jahre für die Deutsche Bank – u.a. als Finanzanalyst und Portfolio-Mamager – in Aachen, Köln, London, Frankfurt/M. und New York.