W&F 2020/4

Bedrohlicher denn je

Die Nutzung von Wasser als Waffe in Zeiten des Klimawandels

von Christina Kohler

Um ihre Macht zu festigen, Gegner zu schwächen oder territoriale Gewinne zu erzielen, bedienten sich staatliche und nicht staatliche Gewaltakteure im Verlauf der Geschichte immer wieder der Kontrolle über Wasser und Wasserinfrastrukturen. Angesichts des globalen Klimawandels und der damit verbundenen Wasserknappheit gewinnen die Manipulation und Kontrol­le über Wasser an Bedeutung und werden noch wirksamer und gefährlicher. Die Nutzung von Wasser und Wasserinfrastruktur als Waffe wird jedoch sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaft weiterhin vernachlässigt. Für Entscheidungsträger*innen und Wissenschaftler*innen ist es längst überfällig, das Bewusstsein für dieses Phänomen zu schärfen und Maßnahmen zu dessen Bekämpfung anzustoßen.

Seit der Ära des alten Mesopotamiens ist die gewaltförmige Nutzung von Wasser und Wasserinfrastrukturen Teil der Kriegsführung. Bei dieser Taktik greifen die Gewaltakteure Brunnen, Dämme, Reservoirs, Kläranlagen oder Wasserleitungen direkt an und zerstören sie, oder sie manipulieren Wasserressourcen, indem sie diese z.B. mit Krankheitserregern verseuchen. So kam es beispielsweise im Zweiten Weltkrieg in Europa und Asien wiederholt zu Vorfällen, bei denen verschiedene kriegsführende Parteien Wasserinfrastrukturen, wie Staudämme, als strategische Angriffsziele auswählten. Nichtsdestotrotz galt die Verwendung von Wasser als Waffe in bewaffneten Konflikten lange Zeit eher als sporadisches Ereignis (von Lassow 2020). Heute ist der Einsatz von Wasser als Waffe für Gewaltakteure jedoch effektiver und damit attraktiver, da der globale Klimawandel und die damit verbundene Wasserknappheit die strategische Bedeutung von Wasserressourcen und Wassersystemen zunehmend verstärken.

Der Nahe und Mittlere Osten ist besonders stark von regional variierender Wasserknappheit geprägt. Seit 2011, als es dort zu Massenaufständen kam, nimmt die Anzahl von Berichten über die Verwendung von Wasser und Wasserinfrastruktur als Waffe zu. Dabei handelt es sich sowohl um staatliche als auch um nicht-staatliche Gewaltakteure, insbesondere im Irak, in Syrien und im Jemen. Die Medien berichteten beispielsweise über Bombenangriffe auf Wasserressourcen durch die syrische Regierung im Jahr 2017, in deren Folge 5,5 Millionen Menschen den Zugang zur Wasserversorgung verloren. Zur Monopolisierung von Macht und zur Errichtung eines Kalifats bediente sich der »Islamische Staat« (IS) ebenfalls dieser Strategie und verwendete im Irak und in Syrien Dämme, Kanäle und Reservoirs, um den Regionen außerhalb seiner Herrschaftsgebiete Wasser und Energie zu entziehen und die Fahrwege feindlicher Truppen zu zerstören.

Die Verwendung von Wasser und Wasserinfrastruktur als Waffe reicht jedoch weit über den Nahen und Mittleren Osten hinaus. So starben 2017 in Somalia 32 Zivilist*innen, die aus einem vergifteten Brunnen tranken, den die al-Shabaab-Miliz angeblich vergiftet hatte, um Mitgliedern der somalischen Regierung den Zugang zu Wasser zu verwehren. Die Nutzung von Wasser als Waffe wurde kürzlich auch von der umstrittenen Halbinsel Krim gemeldet.

Zahlreiche Beispiele, die das Pacific Institute (Pacific Institute 2020) sammelt, zeigen, dass sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure Wasser als Waffe nutzen und diese Strategie bei verschiedenen Arten von Konflikten zum Einsatz kommt, einschließlich bei bewaffneten Konflikten, Bürgerkriegen, interkommunaler Gewalt und sozialen Konflikten. Weitere Forschungsergebnisse (Kohler et al. 2019; Gleick 2014) zeigen deutlich, dass diese Strategie besonders in von Dürre geplagten Regionen in Syrien katastrophale Konsequenzen für vulnerable Gesellschaften hatte und Migrationsbewegungen innerhalb des Landes und nach Europa auslöste.

Die Rolle des Wassers als Auslöser von Konflikten oder Kooperationen wird zwar schon seit einiger Zeit thematisiert, die gezielte Verwendung von Wasser als Waffe wird bislang jedoch vernachlässigt. Politische Entscheidungsträger*innen, Wissenschaftler*innen und Medien fokussierten sich vor allem auf »Wasserkriege«, bei denen Wasser den Auslöser für Konflikte oder Kooperationen darstellt, wie im Falle der regionalen Streitigkeiten zwischen Äthiopien, Sudan und Ägypten über Infrastrukturprojekte, wie Staudämme, Bewässerungsnetze und Pipelines am Nil. Dass grenzüberschreitende Wasserressourcen zu Konflikten führen, scheint auf der Hand zu liegen. So sind beispielsweise die Länder im Einzugsgebiet des Nils in hohem Maße von diesem abhängig, da er die einzige bedeutsame erneuerbare Wasserquelle in der Region ist und somit die Grundlage für die Nahrungsmittel- und Wassersicherheit sowie für die Erzeugung hydroelektrischer Energie darstellt. Allerdings hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass die Anzahl und Intensität kooperativer Aktionen in der grenzüberschreitenden Wassernutzung die der Konflikte deutlich übertraf (Wolf et al. 2020)

Im Gegensatz dazu geht es hier darum, dass Gewaltakteure Wasser und Wasserinfrastruktur als Waffe nutzen und dabei das Ziel verfolgen, Personen Schaden zuzufügen oder Teilen der Bevölkerung den Zugang zu Wasser zu verweigern. Hinter dieser Strategie steckt mehr, als sich auf den ersten Blick erkennen lässt: Da alles menschliche Leben auf Wasserressourcen und damit verbundenen Systemen beruht, kann die Verwendung von Wasser und Wasserin­frastruktur als Waffe ganze Gesellschaften destabilisieren. Zusätzlich entsteht durch Synergien zwischen dieser Praxis und dem sich entwickelnden Klimawandel sowie der damit zusammenhängenden Wasserknappheit ein neuer Wirkmechanismus.

Der Missbrauch klimabedingter Wasserknappheit

Wasserknappheit ist bereits heute ein gravierendes Problem in vielen Regionen, das die Lebensgrundlage ganzer Gesellschaften beeinträchtigt und die Bevölkerung besonders vulnerabel für die Verwendung von Wasser und Wasserinfrastruktur als Waffe macht. Die Prognosen des Intergovernmental Panel on Climate Change besagen, ein Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius bis 2050 werde dazu führen, dass 243,3 Millionen Menschen, also vier Prozent der Weltbevölkerung, unter einer neuen oder verstärkten Wasserknappheit leiden werden. Somit ist der Klimawandel – neben einer wachsenden Bevölkerung, schwachen Institutionen und einer ineffektiven Verwaltung und Verteilung der Wasserressourcen – ein wesentlicher Faktor, der die Verknappung von Wasser ankurbelt. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass die Zahl der Menschen, die potenziell von der Nutzung von Wasser und Wasserinfrastruktur als Waffe betroffen sein können, zunimmt. Parallel dazu verschärfen sich durch den Klimawandel die Auswirkungen dieser Strategie und nehmen so noch gefährlichere und wirksamere Dimensionen an.

Unter Wissenschaftler*innen besteht bereits ein breiter Konsens, dass der Klimawandel in Gestalt von beispielsweise Dürre, Hochwasser oder Knappheit natürlicher Ressourcen schon heute in vielen Regionen die Lebensgrundlagen der Menschen beeinträchtigt, das Konfliktrisiko steigert und eine nachhaltige Friedenssicherung erschwert (Benner et al. 2020). Es bleibt jedoch umstritten, inwiefern der Klimawandel mit verschiedenen Arten von Konflikten in Verbindung gebracht werden kann. Die empirische Forschung identifizierte aber bereits vor einiger Zeit klimabedingte Veränderungen der Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen als einen wichtigen Faktor, der den Klimawandel mit dem Thema der Sicherheit verbindet.

Aktuell werden in der Literatur zwei mögliche Zusammenhänge diskutiert: Einerseits weist ein Teil der Literatur darauf hin, dass die Beschleunigung des Klimawandels über physiologische und/oder psychologische Faktoren sowie Ressourcenknappheit direkt die Wahrscheinlichkeit von Konflikten beeinflusst. So können Wetterereignisse, wie Stürme, Überschwemmungen und Erdrutsche, eine Wasserknappheit direkt verursachen oder verstärken, indem z.B. die öffentliche und private Wasserinfrastruktur beschädigt, die Ernte zerstört oder Vieh getötet wird, was zu Konflikten führen kann.

Andererseits zeigen Forschungsergebnisse, dass sich der Klimawandel über die Verringerung der Wirtschaftsleistung und der agrarwirtschaftlichen Einkommen, steigende Nahrungsmittelpreise und zunehmende Migrationsströme auch indirekt auf verschiedene Arten von Konflikten auswirkt (Koubi 2019). So sind Länder mit einem hohen Maß an Armut und einer hohen Abhängigkeit von der Wasserverfügbarkeit für landwirtschaftliche Aktivitäten sehr anfällig für klimabedingte Auswirkungen und weisen häufig eine höhere Konfliktwahrscheinlichkeit auf (Ide et al. 2014).

Beide in der Literatur diskutierten Zusammenhänge zwischen Klima und Konflikt müssen jedoch auch die kontextspezifischen sozioökonomischen und politischen Faktoren berücksichtigen, die die Auswirkungen zusätzlich verstärken oder abmildern.

Die Nutzung von Wasser und Wasser­infrastruktur als Waffe könnte also auf einen besonderen Wirkmechanismus hinweisen, der – losgelöst von dem direkten oder indirekten Ansatz – Klima­wandel und Konflikt miteinander ver­bindet. Gewaltakteure nutzen die klimabedingte Wasserknappheit zu ihrem Vorteil und integrieren die gesteigerte Vulnerabilität der Bevölkerung in Strategien zur Schädigung oder Kontrolle von Menschen. Infolgedessen beeinflusst das Klima die taktischen Überlegungen der Gewaltakteure und damit den Konflikt.

Ein drängendes Sicherheits­risiko, das es anzugehen gilt

In Anbetracht dieser Aussichten ist es dringend notwendig, sich dieses Phänomens, der Nutzung von Wasser und Wasserinfrastruktur als Waffe, bewusst zu werden, Entscheidungsträger*innen zu Maßnahmen zu bewegen und die wissenschaftliche Forschung diesbezüglich zu unterstützen.

Als Erstes muss ein globales Bewusstsein bei den multilateralen Institutionen und den nationalen Regierungen über die Verwendung dieser Taktik gefördert werden.

Entscheidungsträger*innen erkennen zunehmend, dass klimabedingte Sicherheitsrisiken eine große Herausforderung für den Frieden der kommenden Jahrzehnte darstellen. Das Thema »Klima und Sicherheit« wurde bereits bei hochrangigen Tagungen, wie der Berliner Klima- und Sicherheitskonferenz, dem informellen und interaktiven Sitzungsformat der »Arria-Formel«1 der Vereinten Nationen (VN) und offenen Sitzungen des Sicherheitsrates diskutiert. Darüber hinaus ist die Ressourcensicherheit seit jeher ein zentrales Ziel zahlreicher lokaler, nationaler und internationaler Initiativen, wie die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) verdeutlichen.

Dennoch wird der Einsatz von Wasser als Waffe im SDG 6 (Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen) kaum erwähnt sowie bei Tagungen vernachlässigt. Folglich könnte das Thema auch innerhalb des »Klima-Sicherheit-Mechanismus« behandelt werden, einer im Oktober 2018 neu gegründeten Einrichtung im VN-System, die einen ersten Ansatz darstellt, klimabedingte Sicherheitsrisiken umfassend anzugehen.

So wie in Deutschland klimabedingte Sicherheitsbedrohungen zum wiederkehrenden Thema auf der politischen Agenda wurden, sollte auch der Einsatz von Wasser als Waffe in der nationalen, der Außen- und der Sicherheitspolitik verstärkt berücksichtigt und in den bestehenden Diskurs über Klimasicherheit integriert werden. Als Sicherheitsratsmitglied hat Deutschland jetzt und auch schon in der Vergangenheit die Diskussion über Klima und Sicherheit maßgeblich vorangetrieben und weltweit das Bewusstsein für das Thema geschärft. Der Einsatz von Wasser und Wasserin­frastruktur als strategische Waffe in Konflikten wurde bislang aber vernachlässigt.

Im akademischen Bereich ist dringend mehr Forschung über den Zusammenhang zwischen klimabedingter Wasserknappheit und dem Einsatz von Wasser als Waffe erforderlich. Künftige Forschung sollte sich verstärkt den komplexen Risiken widmen, die sich aus dem Nexus zwischen Klimawandel und Sicherheit ergeben, inklusive der Nutzung von Wasser und Wasserinfrastruktur als Waffe. Zudem müssen Gewaltakteure ebenso wie Opfer dieser Strategie identifiziert und kartiert werden, um die sicherheitspolitischen Implikationen sowie deren globale Dimension nachvollziehen zu können. Damit Erkenntnisse darüber gewonnen werden können, wo der Klimawandel und die damit verbundene Wasserknappheit die Vulnerabilität von Gesellschaften erhöht und in der Folge das Risiko des Einsatzes von Wasser als Waffe verstärkt, sind interdisziplinäre Studien von entscheidender Bedeutung. Um die betroffene Bevölkerung zu unterstützen und diesem Phänomen entgegenzusteuern, muss die Entwicklung von Gegenstrategien angestoßen werden.

Es ist höchste Zeit, das Thema auf die politische Agenda zu setzen, denn durch die Verknappung infolge des sich beschleunigenden Klimawandels ist Wasser bereits jetzt ein Sicherheitsrisiko, das dringendes Handeln erfordert.

Anmerkung

1) An den informellen und vertraulichen Treffen nach der Arria-Formel nehmen außer den im Sicherheitsrat vertretenen Staaten je nach Thema auch nicht im Sicherheitsrat vertretene Staaten, nationale Politiker*innen, Fachexpert*innen und Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen teil.

Literatur

Benner, A.-K.; Brzoska, M.; Kohler, Ch.; Kroll, S.; Rothe, D.; Scheffran, J.; Schetter, C.; Schröder, U.; Wirkus, L. (2020): Fokus – Friedenspolitik in Zeiten des Klimawandels. In: Bonn International Center for Conversion (BICC); Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK); Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)/Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) (Hrsg.): 2020 – Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa. Friedensgutachten. Bielefeld: transcript, S. 24-43.

Gleick, P. H. (2014): Water, Drought, Climate Change, and Conflict in Syria. Weather, Cli­mate, and Society, Vol. 6, Nr. 3, S. 331-340.

Ide T.; Schilling J.; Link J.S.A.; Scheffran J.; ­Ngaruiya G.; Weinzierl T. (2014): On exposure, vulnerability and violence – Spatial distribution of risk factors for climate change and violent conflict across Kenya and Uganda. Political Geography, Vol. 43, S. 68-81.

Koubi, V. (2019): Climate Change and Conflict. Annual Review Political Science, Vol. 22, Nr. 1, S. 343-360.

Kohler, Ch; Denner dos Santos, C.; Bursztyn, M. (2019): Understanding environmental terrorism in times of climate change – Implications for asylum seekers in Germany. Research in Glob­alization, Vol. 1.

Pacific Institute (2020): The World’s Water – Information on the World’s Freshwater Resources: Water Conflict. worldwater.org/water-conflict.

von Lassow, T. (2020): The Role of Water in the Syrian and Iraqi Civil Wars. Italian Institute for International Political Studies.

Wolf, A.T. et al. (2020): International Water Event Database. Oregon State University; ­transboundarywaters.science.oregonstate.edu/content/international-water-event-database.

Dr. Christina Kohler ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in den Programmbereichen »Glokale Verflechtungen« und »Internationale Institutionen«. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf den Wechselwirkungen zwischen globalen Umweltveränderungen und Frieden, Konflikt und Sicherheit. Dazu gehört ihre Forschung zu den Zusammenhängen zwischen klimabedingter Knappheit natürlicher Ressourcen und Konflikt und Sicherheit; grenzüberschreitende Wasserressourcen und kooperative Aktionen und Konflikt; klimabedingte Migration.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/4 Umwelt, Klima, Konflikt – Krieg oder Frieden mit der Natur?, Seite 10–12