W&F 2014/4

Behandlungsziele vorgegeben?

Psychotherapie für Soldaten

von Neue Gesellschaft für Psychologie

Im März 2014 fand an der Freien Universität Berlin das Symposium »Trommeln für den Krieg« der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP, ngfp.de) statt. Auf dem Symposium wurde vom NGfP-Vorstand eine Stellungnahme zu einem Kooperationsvertrag über die psychotherapeutische Betreuung von Soldaten zwischen der Bundespsychotherapeutenkammer und der Bundeswehr abgegeben. Der Präsident der Psychotherapeutenkammer reagierte mit einem Gesprächsangebot, um offensichtlich entstandene „Missverständnisse“ auszuräumen. Die NGfP entschied sich aber, die Diskussion lieber öffentlich fortzusetzen und konkretisierte ihre Haltung zum Thema daher in einem Offenen Brief. W&F dokumentiert die beiden Texte.

Stellungnahme zur Psychotherapie von Soldaten

Am 16. September 2013 trat eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und der Bundespsychotherapeutenkammer in Kraft, nach der zivile Psychotherapeuten in Privatpraxen Soldaten nach Verfahren behandeln, die von der Bundeswehr geregelt sind. Der Vereinbarung ging eine gleichartige Übereinkunft des Bundesministeriums der Verteidigung mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung [über die ärztliche Versorgung von Soldaten; d.Red.] voraus. Die Bundeswehr und die Psychotherapeutenkammer veranstalten zudem am 13. März 2014 in Berlin im Offiziersheim der Blücher-Kaserne eine erste gemeinsame Fortbildungsveranstaltung, die Therapeuten auf die Behandlung von Soldaten vorbereiten soll.

Aus der Vereinbarung, dem Programm der Fortbildungsveranstaltung und aus Äußerungen des Präsidenten der Bundespsychotherapeutenkammer, Professor Rainer Richter, am 26. November 2013 geht eindeutig hervor, dass es sich um psychotherapeutische Behandlungen durch zivile Therapeuten unter der Regie und im Interesse der Bundeswehr handelt. Richter ließ erklären, dass bei zunächst psychisch erkrankten und dann „erfolgreich behandelten“ Soldaten nichts gegen eine Teilnahme an Auslandseinsätzen spreche.

Psychisch belastete oder traumatisierte Soldaten bedürfen selbstverständlich einer psychotherapeutischen Behandlung, aber psychotherapeutische Behandlung von Soldaten muss unabhängig von der Bundeswehr sein. Das Bundesverteidigungsministerium oder die Truppe dürfen weder die Behandlungsmethoden noch Behandlungsziele vorgeben. Es kann nicht Aufgabe von Psychologen sein, Reaktionen von Soldaten auf Kriegshandlungen - wie Entsetzen, Abscheu und Angst vor erneutem Erleben - wegzutherapieren, um Soldaten für den nächsten Einsatz fit zu machen. Therapien mit solchen Zielsetzungen dienen der Unterstützung und Fortsetzung von kriegerischen Einsätzen der Bundeswehr.

Im Mittelpunkt jeder Therapie haben allein Wohl und Gesundheit des Klienten zu stehen.

Es ist Pflicht des Therapeuten dafür zu sorgen, dass Dritte mit anderen Interessen keinen Einfluss auf die Behandlung nehmen können. Daher lehnen wir solche psychotherapeutische Behandlungen unter der Regie der Bundeswehr ebenso wie die von der Bundeswehr organisierten Fortbildungen ab.

Berlin, 9. März 2014 Der Vorstand: Prof. Dr. Klaus-Jürgen Bruder, Dr. Christoph Bialluch, Dipl.-Psych. Jörg Hein

Offener Brief an den Präsidenten der Bundespsychotherapeutenkammer

An den Präsidenten der Bundespsychotherapeutenkammer, Prof. Dr. Rainer Richter

Sehr geehrter Herr Richter, die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) hat sich am 9. März 2014 in einer Stellungnahme gegen die Zusammenarbeit der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) mit der Bundeswehr und dem Bundesverteidigungsministerium gewandt. In Ihrer Antwort auf unsere Erklärung haben Sie von Missverständnissen unsererseits gesprochen und ein Gespräch angeboten, um diese Missverständnisse über Ihre Kooperation mit der Bundeswehr auszuräumen. Wir möchten aber stattdessen weiter öffentlich über diese Kooperation debattieren und wollen Ihnen hier unseren Standpunkt vertiefend erläutern. Inzwischen hat auch die Ärzteorganisation IPPNW eine kritische Stellungnahme zur Ihrer Zusammenarbeit mit der Bundeswehr abgegeben, der wir voll zustimmen.

Ihre Bemühungen, zivilen PsychotherapeutInnen ohne Kassensitz in Privatpraxen die Behandlung von SoldatInnen zu ermöglichen, hatten einen längeren Vorlauf. Noch im Juni 2013 klagte Ihre Kammer, die deutschen Streitkräfte blockierten die „schnelle psychotherapeutische Versorgung traumatisierter Soldaten“, indem sie diesen die Nutzung von Privatpraxen untersagten. Im September vergangenen Jahres unterzeichnete die Kammer dann eine Vereinbarung mit dem Verteidigungsministerium, die Hindernisse für Behandlungen in Privatpraxen aus dem Weg räumte.

Am 13. März fand in Berlin im Offiziersheim der Blücher-Kaserne eine erste Fortbildung der Bundeswehr für privat abrechnende PsychotherapeutInnen statt. Die Veranstaltung eröffnete der Beauftragte des Verteidigungsministeriums für posttraumatische Belastungsstörungen, Brigadegeneral Klaus von Heimendahl. DozentInnen waren ausschließlich PsychologInnen und ÄrztInnen im Bundeswehrdienst. Die TeilnehmerInnen wurden unter anderem informiert über „Besonderheiten des Soldatenberufs“, über Spezifika einer „Heilbehandlung für die Bundeswehr“, über „aktuelle Einsatzgebiete und Einsatzsituationen“ und über das Thema „Truppenpsychologen im Einsatz - mit Soldaten auf Patrouille/auf Wache/im Feldlager“.

Dieses thematisch erstaunliche Fortbildungsprogramm war zuletzt der Anlass für unsere Erklärung. Hinzu kam Ihre Äußerung als Kammerpräsident, dass bei traumatisierten psychisch erkrankten Soldaten nach erfolgreicher Behandlung nichts gegen einen erneuten Auslandseinsatz spreche. Als NGfP sind wir zum einen aus politischen Gründen gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Davon unabhängig lehnen wir auch eine Psychotherapie ab, für die das Wohl der Klientin/des Klienten nicht höchster Maßstab ist, die sich vielmehr in den Dienst der Bundeswehr und ihrer Ziele stellt.

Die psychischen Störungen von BundeswehrsoldatInnen, die sich seit einigen Jahren häufen und um deren Behandlung es geht, sind meist Folge traumatisierender Kriegserlebnisse im Ausland, etwa von Erlebnissen, bei denen Kameraden der Betroffenen getötet oder schwer verletzt wurden oder bei denen die betroffenen Soldaten selbst Menschen getötet oder verletzt haben.

Die traumatisierten Soldaten haben ein Recht auf therapeutische Hilfe. Es kann aber nicht Aufgabe von PsychologInnen sein, Reaktionen von SoldatInnen auf Kriegshandlungen, wie Entsetzen, Abscheu und Angst vor erneutem Erleben, wegzutherapieren, um diese schnell für den nächsten Einsatz fit zu machen. Dies haben wir bereits in unserer Erklärung betont.

In Ihrer Antwort auf diese Erklärung widersprechen Sie unserer Kritik und schreiben, es sei „absurd und entbehrt jeder Grundlage, die Bundeswehr würde Behandlungsziele vorgeben“. Die Vereinbarung, die Sie im vergangenem September mit der Bundeswehr abgeschlossen haben, gliedert aber die Behandlung von Soldaten durch privat abrechnende TherapeutInnen in die truppenärztliche Versorgung ein. TruppenärztInnen sind rechtlich verpflichtet, vor allem für die Einsatzfähigkeit von SoldatInnen zu sorgen. Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit ist das ihnen vorgegebene Behandlungsziel.

BundeswehrsoldatInnen sind nicht krankenversichert. Sie haben keine freie Arztwahl. „Vielmehr erfolgt die Versorgung der Soldaten über den Truppenarzt. Dieser entscheidet, ob ein Soldat auf weitere Fachärzte zugreifen könne“, so sagte es auch eine Psychologin der Bundeswehr bei der oben erwähnten Fortbildung. Allein der Truppenarzt kann psychisch erkrankte Soldaten an freie Therapeuten überweisen. Der Therapeut habe dem überweisenden Truppenarzt Diagnose sowie Indikation und Therapieziel mitzuteilen, heißt es in den Informationen Ihrer Kammer zur »Behandlung von Soldaten in Privatpraxen«. Der Truppenarzt genehmige die Therapie und entscheide später auf Grundlage eines ausführlichen Berichts über Verlängerungen.

Die rechtlichen Regeln der truppenärztlichen Versorgung finden sich in einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesbesoldungsgesetz. „Die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung dient [...] der Erhaltung und Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten. Sie umfasst alle damit im Zusammenhang stehenden notwendigen und angemessenen Maßnahmen zur Gesunderhaltung, Verhütung und frühzeitigen Erkennung von gesundheitlichen Schäden sowie die zur Behandlung einer Erkrankung spezifisch erforderlichen medizinischen Leistungen“, heißt es einleitend in Paragraf 2 der Vorschrift.

Das übergeordnete Ziel der truppenärztlichen Versorgung ist somit die „Erhaltung und Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit“. Die „Maßnahmen zur Gesunderhaltung“ dienen diesem Zweck. Nur zum Vergleich: Die Behandlung ziviler KassenpatientInnen hat nach dem Sozialgesetzbuch V „die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern“. Hier steht die Gesundheit und nicht berufliche Einsatzfähigkeit im Vordergrund. Anders als Soldaten können Kassenpatienten den Arzt ihres Vertrauens wählen und müssen nicht immer zuerst einen bei ihrem Arbeitgeber angestellten Mediziner aufsuchen.

Bei den meisten körperlichen Leiden gibt es zwischen den Zielen „Gesunderhaltung“ von SoldatInnen und deren „Einsatzfähigkeit“ sicher keinen Konflikt: Je körperlich fitter der Soldat/die Soldatin, desto einsatzfähiger ist er/sie. Anders sieht es auf dem Felde der psychischen Gesundheit aus. Vor allem bei SoldatInnen, die durch Kriegseinsätze im Ausland erkrankt sind, ist ein Zielkonflikt zwischen psychischer Gesundung und „Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit“ ohne weiteres denkbar. Für eine Therapie, die von vornherein dem rechtlich von der Bundeswehr vorgegebenen Ziel „Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit“ folgt, ist das Wohl der KlientInnen daher nicht mehr oberster Maßstab.

Die Bundespsychotherapeutenkammer hat in den Veröffentlichungen zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr an keiner Stelle berufsethische Probleme angesprochen, die mit dem vorgegebenen Therapieziel „Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit“ verbunden sind. Stattdessen stand das Bestreben im Vordergrund, die Bundeswehr als neuen Auftraggeber für TherapeutInnen zu gewinnen.

Zudem hat die Kammer oder haben Sie, Herr Richter, auch die Probleme unerwähnt gelassen, die sich aus der Verschwiegenheitspflicht von SoldatInnen für eine Therapie ergeben. Erst auf der erwähnten Fortbildungsveranstaltung waren dann die Grundrechtsbeschränkungen im Wehrbereich und das Soldatengesetz Thema. Dieses Gesetz verlangt in Paragraf 14 vom Bundeswehrangehörigen, „über die ihm bei oder bei Gelegenheit seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren“. Aufgehoben ist die Verschwiegenheitspflicht nur für innerdienstliche Mitteilungen und für Tatsachen, „die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen“.

Selbst für Aussagen über dienstliche Begebenheiten vor Gericht oder in Ermittlungsverfahren brauchen SoldatInnen stets eine Genehmigung. Anders als das Gespräch mit dem Truppenarzt/der Truppenärztin, zählt die Sitzung bei externen TherapeutInnen kaum zum innerdienstlichen Verkehr. Damit dürfen SoldatInnen den TherapeutInnen nur offenkundige oder bedeutungslose Erlebnisse im Auslandseinsatz schildern. In den Mitteilungen der Kammer ist an keiner Stelle davon die Rede, dass SoldatInnen vor der ersten Sitzung beim externen Therapeuten von der Verschwiegenheitspflicht entbunden würden. Eine Therapie aber, in der der Traumatisierte/die Traumatisierte nicht offen und über alles sprechen kann, ist schlechterdings eine Absurdität.

Eine Psychotherapie traumatisierter SoldatInnen, die dem truppenärztlichen Ziel Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit folgt, lehnen wir aus ethischen und politischen Gründen ab. Therapie muss offen sein, auch gerade offen für die Erkenntnis der Klientin/des Klienten, dass Kriegseinsätze und Gewalt gegen Mitmenschen auch SoldatInnen krank machen können und künftig zu meiden sind. Politisch fügt sich die Vereinbarung Ihrer Kammer mit der Bundeswehr für uns in die Bestrebungen ein, mehr Akzeptanz für deutsche Kriegseinsätze im Ausland zu schaffen. Obwohl der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr, 1999 im Kosovo-Krieg gegen Jugoslawien, nunmehr 15 Jahre zurückliegt, obwohl Politiker verschiedenster Couleur, wie zuletzt Bundespräsident Joachim Gauck, immer wieder offensiv für Einsätze werben, lehnen die Bundesbürger diese weiter mehrheitlich ab.

Die Vereinbarung der Bundespsychotherapeutenkammer mit der Bundeswehr wurde im Namen der Kammermitglieder abgeschlossen. PsychotherapeutInnen sind Zwangsmitglieder der Kammer. Eine öffentliche Diskussion unter den Mitgliedern über die Vereinbarung gab es aber nicht. Wie viele andere PsychotherapeutInnen sehen wir in der Vereinbarung ein Bekenntnis der Kammer zu einer kriegerischen deutschen Außenpolitik. Wir fühlen uns in diesem Punkt von der Kammer nicht vertreten.

Wir fordern Sie daher auf, die ohne Zustimmung der Kammermitglieder abgeschlossene Vereinbarung aufzukündigen sowie die dieser zugrundeliegenden Verträge und Absprachen zu veröffentlichen und sich einer Diskussion mit den Mitgliedern über Ihre Kooperation mit der Bundeswehr zu stellen.

Berlin, Ostern 2014 Mit freundlichen Grüßen Vorstand: Prof. Dr. K.-J. Bruder, Dr. Ch. Bialluch, Jörg Hein

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2014/4 Soldat sein, Seite 27–29