W&F 2013/2

Beirat der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative tagte

von Lucas Wirl

Eine naturwissenschaftliche Perspektive auf Frieden und Gesellschaft, fruchtbare Diskussionen über aktuelle Themen und neue Projekte wie »100 Jahre Erster Weltkrieg« und »Verdrängte Desaster und aktuelle Technikträume«: Am 1. und 2. März 2013 fand an der TU Berlin die Beiratstagung der »NaturwissenschaftlerInnen-Initiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit« (NatWiss) statt.

Auftakt der Beiratstagung am Freitagabend bildete die aus Anlass der internationalen Konferenz »Micro Perspectives for Decentralized Energy Supply« in Zusammenarbeit mit dem Kolleg »Mikroenergiesysteme« der TU Berlin durchgeführte öffentliche Veranstaltung »Rethinking Power: Designing an energy system for peace and sustainability« im Lichthof der TU Berlin. Diskutiert wurde eine Energieversorgung des 21. Jahrhunderts, die Anforderungen von Frieden und Nachhaltigkeit entspricht – ein spannendes Thema, gerade für eine Veranstaltung mit internationalem Publikum und Vorträgen internationaler ReferentInnen. Prof. Dr. Rademacher hob die Verantwortung jedes einzelnen Energieverbrauchers hervor, den Weg hin zu nachhaltigen, erneuerbaren Energien zu beschreiten. Dr. Christine Wörlen berichtete über internationale Anstrengungen für erneuerbare Energien, und Dr. Ibrahim Togola aus Mali beschrieb seine Arbeit als Ausbilder für Mikroenergieingenieure und die Bottom-up-Elektrifizierung in seinem Land. Es wurde auf die krisenhaften und kriegerischen Tendenzen der auf fossilen Brennstoffen basierenden Gesellschaften verwiesen, und Reiner Braun erinnerte die vielen internationalen Zuhörer an den Dual-use-Aspekt der Nuklearenergie und die Notwendigkeit der Überwindung ihrer Überwindung.

Viele Themen, konkrete Projekte

Der zweite Tag der Beiratstagung stand im Fokus des Diskurses und des Austauschs zu den Themen »100 Jahre Erster Weltkrieg«, »Verdrängte Desaster und aktuelle Technikträume« und »Zivilklauseln« sowie einer friedenspolitischen Diskussion zu Syrien und Mali.

100 Jahre Erster Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg stellte aus (natur-) wissenschaftlicher Betrachtung ein Novum dar. Es war ein Wendepunkt für Wissenschaft und Technik, denn der Glaube, beide trügen zu Frieden und Völkerverständigung bei, wurde widerlegt. Die Wissenschaft ließ sich für Krieg freiwillig oder unfreiwillig benutzen und einspannen; es fand eine Verwissenschaftlichung des Krieges statt. Der Erste Weltkrieg lieferte technologische Quantensprünge sondergleichen: Chemiewaffen, Kampfflugzeuge, Panzerfahrzeuge. Aber auch Raumplaner und Geographen wurden aktiv in die Kriegsplanungen einbezogen. Diese und viele weitere Aspekte des Ersten Weltkrieges wurden diskutiert, und es wurde das deutsche Netzwerk 2014 (www.1914-2014.eu) vorgestellt. Vor allem aber wurde in der Diskussion versucht, Brücken in die Gegenwart zu schlagen. Welche Lehren können wir heute aus dieser Zeit ziehen? Was bedeuten vor diesem Hintergrund heute Drohen, Militärforschung, Waffenhandel, etc.? NatWiss wird sich dieser Themenstellung weiter annehmen und spezifische Beiträge zu »100 Jahre Erster Weltkrieg« erarbeiten. So ist u.a. für das Frühjahr 2013 eine Konferenz an der Universität Potsdam mit dem Arbeitstitel »1914-2014: Militarisierung, Wissenschaft und Hochschule« geplant.

Verdrängte Desaster

Für jedes Menschheitsproblem gibt es eine technische Lösung – dieses Credo hat das Industriezeitalter geprägt. Zu Anfang wecken Wissenschaft und Wirtschaft stets große Erwartungen, dass sich Lebensverhältnisse verbessern oder unerwünschte Folgen früherer Techniken beseitigen lassen. Die Politik fördert solche Ansätze nach Kräften. Nicht selten nimmt das Ganze Formen religiöser Heilsversprechen an: das Ende des Hungers, unendlich viel und nahezu kostenlose Energie für alle oder die Überwindung von Krankheiten. Angesichts solch hehrer Ziele scheint kein finanzieller Aufwand zu groß. Ingenieure und Naturwissenschaftler spielen in dieser säkularen Religion die Rolle einer Art Hohepriester. Unerwünschte »Nebenwirkungen« – seien sie ökologischer oder sozialer Natur – werden meistens ausgeblendet, technische Ungewissheiten und Risiken ebenso. Desaster werden verdrängt. NatWiss will mit dem Projekt »Verdrängte Desaster« folgenden Fragen nachgehen: Welche Prognosen wurden gemacht und welche Visionen wurden als Wirklichkeit der Zukunft ausgegeben – und was ist schließlich tatsächlich dabei herausgekommen? Was hat die Umsetzung der Ideen wirklich gekostet und welche »Kollateralschäden« gab es? Wer hat davon profitiert und wer die Rechnung bezahlt? Im Mittelpunkt des Projekts steht die Erstellung eines Buches; auch öffentliche Veranstaltungen sollen vorbereitet werden.

Zivilklauseln

Das bereits seit einigen Jahren bestehende Projekt zu Zivilklauseln und Rüstungsforschung ist aus den öffentlichen Diskussionen nicht mehr wegzudenken. Ein Bericht über die letzten Ereignisse – Urabstimmung an der Uni Kassel, die Einführung einer Zivilklausel an der TU Darmstadt sowie Diskussionen im Senat der Uni Frankfurt und der Universität Göttingen – erfolgte. Vor allem wurde über die aktuellen Herausforderungen für die Zivilklauselbewegung diskutiert. Im Fokus standen die vielen Hochschulen, die eine Zivilklausel angenommen haben oder eine einführen möchten: Wie kann dort eine Zivilklausel lebendig werden und mehr sein als ein Stück Papier? Wie können sinnvolle und effektive Mechanismen zur Erkennung von Rüstungsforschung, gerade in Bezug auf Dual-use-Technologien, aussehen? Wie können weitere Argumente die Freiheit der Wissenschaft betreffend erarbeitet werden? Hier steht der Bewegung eine Menge Arbeit bevor; ein Vernetzungstreffen mit TeilnehmerInnen aller Universitäten mit Zivilklausel und eine breitere Vernetzung mit Hochschullehrern wurden angeregt.

Syrien und Mali

Syrien und Mali, zwei aktuelle Konflikte, zeigen eine Ohnmacht der Friedensbewegung auf. In einer offenen Diskussion mit einleitenden friedensbewegten Gedanken wurde vor allem deutlich, dass es wichtig ist, über diese Themen zu diskutieren und sich auszutauschen. Auch wenn es (noch) keine viel versprechenden Lösungsansätze für diese aktuellen Konflikte gibt, bestehen doch friedensbewegte Grundsätze, die in der Komplexität dieser Konflikte als Kompass dienen können: kein Waffenhandel, Hilfe für Flüchtlinge und bei menschlichem Leid, Achtung der staatlichen Souveränität oder die Stärkung ziviler Krisenprävention.

So wurden auf der NatWiss-Beiratstagung verschiedenste Themen diskutiert und besprochen, konkrete Absprachen für neue Veranstaltungen und Projekte getroffen und bis weit in das Jahr 2014 geplant. Bei Interesse an und Fragen zu den hier vorgestellten Gedanken melden Sie sich bitte beim Autor (geschaeftsfuehrung@natwiss.de).

Lucas Wirl

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2013/2 Kriegsfolgen, Seite 51–52