Bilder im Zeitalter des Drohnenkriegs
Tim Holert im Interview mit Felix Koltermann
von Tim Holert und Felix Koltermann
Am Rande der Tagung »Image Operations«, die im April 2014 in Berlin stattfand, führte Felix Koltermann ein Gespräch mit Tim Holert über »operative Bilder und die Funktion von Bildern in Kriegen.
FK: Die Tagung trägt den Titel »Image Operations«. Was verbinden Sie mit dem Begriff?
TH: Zum einen ist natürlich der Bezug zu Harun Farockis Begriff der »operativen Bilder« offensichtlich und auch gesucht. Farocki beobachtet seit Jahrzehnten mit den Mitteln des Dokumentarfilms unterschiedliche Kontexte der Bildgebung und der Transformation unseres weiterhin stark an Repräsentation und Abbildung orientierten Bildbegriffs. So ist ihm etwa bei den Simulationen, die in der Ausbildung von Piloten zum Einsatz kommen, aufgefallen, dass solche Bilder zu Bestandteilen einer funktionalen, technischen Umgebung geworden sind, die ein mehr oder weniger automatisches Handeln und Verhalten bedingen. Eine solche determinierende oder programmierende Funktion von Bildern bezeichnet Farocki als operativ.
Der Begriff der »Image Operations«, wie ihn die Organisatoren dieser Tagung verstehen, ist allerdings noch etwas weiter gefasst. Es geht hier nicht nur um die erwähnten, Handlungen und Entscheidungen konditionierenden Funktionen von Bildern in technisch kontrollierten Umgebungen, sondern um jene Bildoperationen, die beispielsweise Feindvorstellungen formen, zur Identifizierung mit Opfern oder Tätern auffordern und generell auf Meinungsbildung aus sind. Diese Operationen finden im Raum der Öffentlichkeit, der Zivilgesellschaft und der Medien statt; sie zeigen sich an den Bildpolitiken von Medienkonzernen oder Nichtregierungsorganisationen oder daran, wie Bilder von Staaten und der Wirtschaft zur Propagierung ihrer Ziele und zur Bewerbung ihrer Produkte eingesetzt werden.
Darüber hinaus wird in der Tagung an einen anderen, doch wieder näher an Farocki liegenden Begriff von Operativität oder Operationalität angeknüpft, der sich auf bildgebende Verfahren und deren Handlungen auslösende und steuernde Funktionen in den diagnostischen und therapeutischen Bereichen der modernen, in vieler Hinsicht digitalisierten Medizin bezieht. Also kann man von einer gewissen Öffnung und Erweiterung des Farockischen Begriffs sprechen.
FK: Muss man bei der determinierenden Funktion, die Bilder nach dieser Logik einnehmen können, verschiedene Kontexte unterscheiden, in denen Bilder operieren oder eingesetzt werden?
TH: Unbedingt. Ich würde davon abraten, einen Bildbegriff anzustreben, der wie ein Passepartout auf alle Kontexte passt. Das wäre vollkommen unangemessen. Dafür sind die spezifischen operativen Einsatzgebiete von Bildern tatsächlich zu unterschiedlich und bedingen auch jeweils die Wirkung, die Bilder haben können. Wenn man sich etwa klarmacht, wie das Militär die Zirkulation von Bildern kontrolliert und ganze Bildräume dem öffentlichen Blick beispielsweise durch Zensur verwehrt, dann ist offensichtlich, dass es weniger um Bilder als um asymmetrische Sichtbarkeiten geht, und die Verfügbarkeit visueller Daten immer auch deren Abwesenheit bedeuten kann. Für die einen sind sie entscheidende Hilfsmittel bei der Definition und Destruktion so genannter Zielpersonen (oder allgemeiner: »targets«), für die anderen bleiben sie mehr oder weniger »Bildgerüchte«, um welche sich Vorstellungen von militärischem Handeln ranken, die aber wiederum dort wirkmächtig werden können, wo diese Bildgerüchte öffentlich diskutiert werden.
FK: Gerade im Zusammenhang mit Bildern und Krieg ist immer wieder der Begriff des »Bilderkriegs« in Gebrauch. Meiner Wahrnehmung nach steckt hinter diesem Begriff auch eine Form der Versicherheitlichung des Bilddiskurses. Wie schätzen Sie das ein? Halten Sie es für produktiv, diese Rahmung »Bilderkrieg« zu benutzen?
TH: Ich halte ehrlich gesagt nicht allzu viel von dieser Formulierung. Natürlich erscheint die Metapher sehr griffig, jeder kann sich darunter irgendetwas vorstellen. Zugleich ist »Bilderkrieg« aber eine der ungenauesten Begriffsprägungen. Man muss bei der Verwendung des Begriffs »Krieg« sehr vorsichtig sein. Aufgrund seiner Kombination aus imaginativer Wucht und semantischer Vagheit lässt er sich ideologisch allzu leicht aufladen. Er wandert dann in unterschiedliche Bereiche, die als kriegerisch zu bezeichnen ihren wahren Charakter, etwa als Polizeiaktionen oder der immer umfassenderen Prägung des Alltags durch Aspekte von Sicherheit und Versicherheitlichung, verkennen. Wenn zwischen dem »War on Drugs« und dem »War on Terror« die Grenzen fließend werden, muss unterschieden werden zwischen der Militarisierung von polizeilichen Formen des Regierens und jener Rhetorik, die diese Militarisierung legitimiert und ihr eine – durchaus brisante – Evidenz und Plausibilität verleiht. So lädt auch die Verwendung der Formel »Bilderkriege« letztlich dazu ein, beide Bestandteile der Metapher, die jeweils für sich schon höchst vieldeutig sind, weiter zu verunklären.
FK: Heißt dies, dass in der Diskussion um die Funktion von Bildern in Kriegen auch eine Art von Ideologisierung des Diskurses stattfindet, die die Verschiebung der Auseinandersetzung vom eigentlichen Kriegsgeschehen zur Bildebene zum Ziel hat?
TH: Das wird mit Prägungen wie »image wars« oder »cyber wars« durchaus angestrebt. Man will damit die Vorstellung etablieren, dass sich das Kriegsgeschehen von den physischen Körpern und den Landschaften in die Virtualität von Bildern und Informationen verlagern lässt. Wie gesagt, ich halte nicht allzu viel davon, den Begriff Krieg in dieser oder anderer Weise zu dehnen.
Andererseits ist beispielsweise nicht zu leugnen, dass Datenverarbeitung und Kampfgeschehen unauflöslich miteinander verwoben sind. Die Realität militärischer Ereignisse ist nicht mehr ohne Bezug auf ihre kybernetische Dimension zu begreifen. Zwischen den computerisierten Plattformen militärischer Aufklärung, Überwachung und strategischer Planung und den handelnden (und leidenden) Personen in den physischen »Theatern« des Krieges besteht längst viel mehr als der gute alte Funkkontakt. Die Ebenen oder Räume des Bildlichen sind hier auf unterschiedliche Weise aktiviert. Das reicht von der Krypto-Propaganda des »embedded journalism« oder den neuen, in den sozialen Medien ausgeübten Formen verallgemeinerter Berichterstattung durch Bildreporter und Blogger, die sich außerhalb oder am Rand der Sphären des professionell organisierten Journalismus bewegen, bis hin zu per Satellit oder Drohne erhobenen Datenpaketen, die als Bilder auf den Monitoren der Kontrollräume und tragbarer Kommunikationsgeräte im Kampfgebiet ausgegeben werden.
FK: In ihrem Vortrag auf der Konferenz »Image Operations« haben Sie vor allem über den Drohnenkrieg referiert. Wie ist denn dort das Verhältnis? Spielen digitale Bildtechniken dort nicht eine entscheidende Rolle, weil sie diese Form der Kriegführung erst möglich gemacht haben?
TH: Ja. Aber es sind ja nicht nur Techniken der Bildgebung, sondern hoch entwickelte digitale Steuerungssysteme, die von satellitengestützten Verfahren bis zu eher traditionellen Radar- und Infrarotanwendungen reichen. Insofern wird man sich da sehr genau überlegen müssen, wie man den Bildbegriff in diesem Kontext kalibriert. Sicherlich ist es so, dass im Bereich der IRS (intelligence, reconnaissance, surveillance) nach wie vor auch die repräsentierenden Bilder eine große Rolle spielen, also beispielsweise die Full-Motion-Video-Feeds, welche die Drohnenpiloten und Bildanalysten am Boden auswerten und in Abstimmung mit den geheimdienstlichen und Regierungsstellen zur Definition bestimmter Missionen verwenden. Aber mit den traditionellen Konzepten und Performanzen des Bildes, die bis in die Renaissance und weiter zurück reichen, sind heute unauflöslich oftmals Bildlichkeiten verbunden, die sich weniger »visuell« als in mathematischen Formeln ausdrücken lassen.
Wenn das, was wir gemeinhin als »Bild« erkennen und begreifen, auch in seiner algorithmischen, vermeintlich nicht-ästhetischen Dimension theoretisch reflektiert wird, rückt ein angemessenes Verständnis des aktuellen Visuellen näher. Schlicht gesagt: Bilder sind ein Rohstoff, den Computerprogramme in eine Form bringen, die wiederum operativ »lesbar« ist. Nur in diesem Sinne lässt sich auch von einer Bildgestütztheit der Drohnenkriege sprechen. Noch einmal anders: Bilder in dem unmittelbaren Verständnis, das wir von ihnen haben mögen, »operieren« weiterhin in den neuen militärtechnologischen Assemblagen, aber man muss sie als Schnittstellen der Mensch-Maschine-Interaktionen, als komplexe Interfaces begreifen lernen, um von ihnen nicht länger eine Wahrheit über die Wirklichkeit zu erwarten. Andererseits könnte man auch sagen, dass Bilder letztlich immer schon, spätestens seit Erfindung der Fotografie, in dieser Weise – als auszuwertende Datensätze und Anlässe zur Mustererkennung und Feinbestimmung – verwendet wurden, zum Zwecke der Sichtbarmachung des Verborgenen und zur Produktion eines Ziels.
Ob eine Unterscheidung von unmittelbarer Bildevidenz und der Sprache der Codes und Algorithmen weiterhin sinnvoll ist, wo es um, wie es im Militärjargon heißt, tödliche »find, fix, and finish«-Missionen geht, berührt Fragen der Ontologie des Sichtbaren.
FK: Wenn wir nochmal zurückgehen zur visuellen Darstellung von Krieg: Was sind aus Ihrer Wahrnehmung die zentralen Veränderungen der letzten beiden Jahrzehnte?
TH: Eine immer wieder und zurecht zitierte Zäsur war der Zweite Golfkrieg von 1990/91, der die Fadenkreuz-Bilder aus den Köpfen der amerikanischen Marschflugkörper einführte. Diese Bilder haben die Vorstellung von Krieg und Kriegführung, von Sichtbarkeit und Sichtbarmachung militärischer Gewalt immens verändert.
Natürlich gab es auch schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg Luftaufnahmen für Aufklärungszwecke, die auf militärische Entscheidungen direkten Einfluss nahmen. Oder man denke an den Vietnamkrieg und die spektakulären Bilder, die aus der Warte des Flugzeugs die Bombenteppiche und damit die (vermeintliche) Überlegenheit der amerikanischen Luftmacht dokumentierten. Aber mit den Entwicklungen seit den 1990er Jahren, zu denen auch satellitengestützte kartografisch-fotografische Erfassungen der Erde aus dem Orbit und die Einführung von Lokalisierungstechnologien wie GPS gehören, wurde die neoimperiale Vertikalität zu einem prägenden Element der Machtausübung.
Je mehr die dominante Visualität »top-down« organisiert ist, desto prekärer, aber auch wichtiger wird das Bildgeschehen am Boden. Der Bildjournalismus, ob nun von professionellen Reportern oder von »citizen journalists« betrieben, schildert und dokumentiert ja unter anderem jene Realitäten der Zerstörung, die von einer vertikalen Bild- und Kriegführung verursacht wurden. Die von Leuten am Boden gemachten Bilder sind auch deshalb von so großer Bedeutung, weil wir es heute vermehrt mit Bildern zu tun haben, die sich vom menschlichen Eingriff, vom menschlichen Auge und der Hand, die die Kamera hält, vollkommen befreit haben. Sie werden von Kameras produziert, die auf eine Rakete oder eine Drohne montiert sind. Das verändert auch die Vorstellungen darüber, wer der Agent oder die Agentin der Bildproduktion (nicht nur) in Kriegssituationen ist. Die Drohnen liefern Bilder genau diesen Typs und vermitteln damit das Gefühl, dass die Bildproduktion letztlich automatisiert und autonomisiert worden ist, also nur noch bis zu einem gewissen Grad menschlicher Kontrolle unterliegt.
Dazu kommen andere Veränderungen, wie die schon erwähnte »Einbettung« des Journalismus durch die USA, die zu Bildern des Krieges führte, die man so noch nicht kannte. Vieles, was nach »9/11« an neuen Bildsituationen durch die Krieg führenden Parteien angeregt und dirigiert wurde, ist relativ neu.
FK: Was bedeuten die von Ihnen geschilderten Veränderungen über Bildpraktiken im Krieg für den Konsumenten oder Rezipienten? Braucht es eine neue Bildkompetenz, oder was ist nötig, um diese Bilder überhaupt entschlüsseln und kontextualisieren zu können?
TH: Die erforderliche Bild- und Medienkompetenz ist schon eine andere geworden, weil man Bilder heute unter den Generalverdacht stellt, weitgehend manipulierbar zu sein. Dahinter steht das Wissen darüber, wie Bildbearbeitungsprogramme und die Digitalisierung auch zu einer Formbarkeit und zu einer Manipulierbarkeit des Bildes geführt haben.
Damit zusammen hängt auch die Frage, die beispielsweise von den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten immer wieder gestellt wird, inwieweit etwa Handyvideos aus Kriegs- und Krisengebieten, die in die Nachrichten geraten, authentisch sind und inwieweit man von ihnen als dokumentarische oder journalistische Bilder im traditionellen Sinne der Profession sprechen kann. Immer mehr Akteure sehen sich ermächtigt, in die Rolle des Bildjournalisten zu schlüpfen. Das heißt, dass die Kompetenzen oder die Legitimitäten nicht mehr in der Weise festgezurrt sind, wie das traditionellerweise mit einem sehr strengen journalistischen Kodex der Fall gewesen ist, wo immer auch eine gewisse Professionalität der Ausgangspunkt war, um Bilder in den etablierten Medien überhaupt für satisfaktionsfähig zu halten.
Das heißt, auf der einen Seite braucht es zur Rezeption der Bilder eine veränderte, ausgeweitete Kompetenz, die vor allem die Überprüfung von Authentizität betrifft. Aber auf der Bildproduktionsseite zeigt sich eine veränderte Landschaft der Zuständigkeit und der Kompetenz.
FK: Bleibt damit dem Rezipienten letztlich nichts anderes übrig, als diese Kompetenz den Institutionen, die diese Bilder verbreiten, wie den klassischen Medieninstitutionen, zu überlassen, weil die Bildkompetenz so speziell ist, dass sie ein normaler Medienkonsument, der in Deutschland sozialisiert ist und kein spezielles Interesse an diesem Thema hat, eigentlich kaum haben kann?
TH: Ja, einerseits stimmt das. Weiterhin wird die Verantwortung für die Beurteilung von Bildern an die betreffenden Institutionen mit Deutungsautorität delegiert, oft auch sehr bereitwillig. Anderseits gibt es heute unendlich viel mehr Möglichkeiten, sich auch innerhalb kürzester Zeit gewisse Grundvoraussetzungen der Bild- und Medienkompetenz anzueignen. Das Internet und seine Infrastruktur der Suchmaschinen und Veröffentlichungsplattformen treibt einen förmlich in – natürlich stark formatierte – Praktiken der Produktion und Rezeption von »Bildern«. Gefordert (manchmal auch: gefördert) wird der angeblich selbstständige Umgang mit Bildern, die man in den sozialen Medien zirkulieren lassen soll. Das heißt, die Bereitschaft wird permanent geweckt und gesteigert, sich selbst ins Bild zu setzen und dabei auch als bildnerisch kreativ zu verstehen, was einhergeht mit einer erhöhten Laxheit oder Naivität im Umgang mit den besagten Plattformen, auf denen Bilder archiviert und verbreitet werden.
FK: Wenn wir abschließend nochmal auf den Zusammenhang von Bildern und Krieg schauen: Sind aus Ihrer Perspektive Strategien des Widerstands erforderlich, um Bilder aus dem militärischen Zusammenhang herauszulösen, und wie könnten diese aussehen? Braucht es vielleicht so etwas wie eine zivile Wiederaneignung des Bildes oder des Bildbegriffs?
TH: Ja, diese Notwendigkeit gibt es. Mir gefällt sehr gut, was die israelische Philosophin und Fototheoretikerin Ariella Azoulay dazu sagt. In Anlehnung an Rousseau, Benjamin, Arendt, Deleuze, Lyotard und andere schlägt sie – im konkreten Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts – den Begriff eines »fotografischen Sozialvertrags« vor. Damit verbunden ist der Gedanke, die Fotografie sei eine Praxis, bei der die verschiedenen an ihr beteiligten Akteure – die Kameras; diejenigen, die mit ihnen Fotos machen; diejenigen, von denen Fotos gemacht werden; diejenigen, die Fotos betrachten – in eine vertragsähnliche Beziehung zueinander treten, welche eine spezifische Form von Zivilität und Bürger_innenschaft sowohl herstellt wie bedingt.
Die Anerkennung des Anderen, die Verantwortung für das fotografisch Aufgenommene und für die je eigene Rolle in den Prozessen, die zu einer Fotografie führen, stören auf verunsichernde, politische Weise die Gewissheit über Eigentumsverhältnisse und Autorschaft. Einzelne Fotografien und »die Fotografie« als kooperatives oder konflikthaftes Ereignis werden in diesem Sinne zu einer geteilten, interaktiven und damit ethischen Angelegenheit. Die Betrachtung einer Fotografie erschöpft sich dann nicht in ihrer Interpretation entlang ästhetischer Kriterien, sondern involviert eine Verpflichtung, die Herrschaftsverhältnisse, die sich in ihr zeigen, mit den Kompetenzen einer Bild-Bürgerin oder eines Bild-Bürgers zu analysieren und zu kritisieren – und damit den Funktionen militärischer Kontrolle oder politischer Manipulation zu entwinden.
Zwischen den verschiedenen Seiten einer fotografischen Handlung entsteht also eine verpflichtende Bürgerschaft des fotografischen Bildes, die ich als Objekt, als Rezipient oder als Produzent annehmen kann. Dabei geht es nicht nur um Verantwortung im ethisch-moralischen Sinn, sondern um politisches Handeln in der Auseinandersetzung mit Bildern und mit Infrastrukturen der Bildlichkeit. Das betrifft auch und vor allem widerständige Bildpraktiken. Auf jeden Fall erscheint mir geboten, die Strategien des eigenen Bildhandelns diskursiv zu erfassen und sie gegebenenfalls zu verändern, um nicht in die Fallen einer bestimmten, abgelebten Vorstellung von Gegenpropaganda zu tappen, sondern ein aufgeklärtes Verständnis davon zu entwickeln, was es heißt, zu einem Akteur in Bildfragen zu werden – gerade dort, wo Bilder hochgradig militarisiert sind.
Ernste Spiele
Die Beziehung von Bildern, sowohl fotografischen wie computergenerierten, zum Krieg ist so vielschichtig und komplex, wie es das Geschehen des Krieges selbst ist. Bildgebende Verfahren haben eine immer größere Bedeutung in der zeitgenössischen Kriegstechnologie (siehe nebenstehendes Interview mit Tim Holert). Wie computergenerierte Bilder für das Training von Soldaten eingesetzt werden, ist noch bis Jahresende in der vierteiligen Werkreihe »Ernste Spiele« von Harun Farocki zu sehen, die in der gleichnamigen Ausstellung im Berliner Museum für Gegenwartskunst (Hamburger Bahnhof) gezeigt wird.
Das Simulieren von Krieg ist heute nicht nur ein elementarer Teil von Computerspielen, sondern auch zentraler Bestandteil der Einsatzvorbereitung von Soldaten, insbesondere in der US Army. Farockis Werkzyklus »Ernste Spiele« greift dieses Thema auf und zeigt verschiedene Möglichkeiten der Nutzung computergenerierter Bilder. Mit dem Titel der Arbeit greift er den Begriff der »Serious Games« auf, mit dem digitale Spiele bezeichnet werden, die nicht der Unterhaltung, sondern dem Training bestimmter Gruppen – in diesem Fall Soldaten – dienen.
Der Videozyklus »Ernste Spiele« hat dokumentarischen Charakter und wurde auf US-amerikanischen Militärbasen gedreht. Er umfasst vier Teile, die unterschiedliche Aspekte der Nutzung von Videospiel-Simulationen für das militärische Training der US-Armee zeigen. Im ersten Film, »Ernste Spiele I: Watson ist tot«, sind amerikanische Rekruten zu sehen, die in der digitalen Simulation einer Übung mit Militärjeeps durch eine Wüstenlandschaft fahren und dabei verschiedene Aufgaben bewältigen. Das Video »Ernste Spiele II: Drei tot« zeigt junge Rekruten bei einem simulierten Antiterroreinsatz gegen arabische Statisten auf einer Militärbasis in Kalifornien. In »Ernste Spiele III: Immersion« ist eine Testperson beim Einsatz einer Videosimulation zur Behandlung von Soldaten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung zu sehen. Im letzten Teil des Werkkomplexes, »Ernste Spiele IV: Eine Sonne ohne Schatten«, wird ein Ausbilder gezeigt, wie er die technische Beschaffenheit der Software vorführt, um die Computersimulationen für die Soldaten so realitätsnah wie möglich zu gestalten.
Auf anschauliche Art und Weise zeigt »Ernste Spiele«, welche sozialen und medialen Praktiken das Training für den Krieg mit sich bringt und welche mediale Hilfsmittel dabei zum Einsatz kommen. Die Grenze zwischen Videospiel und Simulation des Ernstfalls scheinen dabei fließend zu sein und orientieren sich allein am Ziel der in Farockis Arbeiten gezeigten Verfahren und Praktiken: der Perfektionierung des militärischen Handelns der Soldaten.
Die Ausstellung »Ernste Spiele« ist noch bis Anfang 2015 im »Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst« in Berlin zu sehen. Die Ausstellung ist Dienstag, Mittwoch und Freitag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag von 10 bis 20 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Weitere Informationen sind unter smb.museum/hbf zu finden . Eine Übersicht über Farockis Arbeiten findet sich auf der Webseite des Künstlers, farocki-film.de.
Felix Koltermann
Tim Holert ist ein in Berlin lebender deutscher Kunsthistoriker. Zusammen mit Mark Terkessidis gründete er das »Institute for Studies in Visual Culture«. Seit vielen Jahren forscht Holert zu bildwissenschaftlichen Fragestellungen, unter anderem zum Verhältnis von Bildern und Krieg. Holert veröffentlichte zahlreiche Monographien und Sammelbände, darunter das 2008 erschienene Buch »Regieren im Bildraum«.
Felix Koltermann ist Friedens- und Konfliktforscher, Trainer und Journalist. Er promoviert an der Universität Erfurt über die fotojournalistische Produktion in Israel und den palästinensischen Gebieten. Auf fotografieundkonflikt.blogspot.com bloggt er zum Thema.