W&F 1993/2

Biologische Waffen

Die vergessene Gefahr

von Jo Angerer

Eine Szene wie aus einem Agentenfilm: Zwei britische Geheimdienstler betreten eine enge Stahlkammer. Es ist dunkel. Ein Feuerzeug flammt auf, die beiden Männer betrachten die Stahlwände, die Ausrüstungsgegenstände. „Machen Sie das aus und geben sie es mir“, herrscht der Begleiter, ein Beamter des russischen Außenministeriums, die beiden Männer an. „Sie haben zugestimmt: Keinerlei elektronische Gerätschaften!“.

Kein Filmdrehbuch, die Recherche, die die Zeitschrift NEWSWEEK veröffentlicht hat1, ist nachprüfbar. Der Besuch in einem geheimen B-Waffen-Forschungszentrum 60 Meilen südlich von Moskau bestätigte, was britische und US-amerikanische Geheimdienste schon seit langem vermutet hatten: Die ehemalige Sowjetunion arbeitete im Geheimen an der Herstellung biologischer Waffen. Die Stahlkammer, die die beiden Briten im Januar 1991 besuchten, diente als Testkammer für Viren und Bakterien. Die Recherchen der NEWSWEEK-Reporter werfen – wieder einmal – Schlaglichter auf die fast »vergessenen« biologischen Massenvernichtungsmittel, deren Einsatz, Lagerung, Herstellung und Entwicklung eigentlich bereits seit 1972 international geächtet ist. Die Gefahr der Proliferation dieser Waffen ist – anders als bei Atom- oder Chemiewaffen – kaum in der öffentlichen Diskussion. Und doch sind die B-Waffenprogramme nicht nur der Supermächte im vollen Gange, freilich vielfach als »Schutzforschung« getarnt.

Biologische Waffen sind Krankheitserreger, also Bakterien oder Viren, sowie von speziellen Pilzen ausgeschiedene Giftstoffe, sogenannte Toxine. Andere Gifte, die nicht lebendig sind oder von Lebewesen hergestellt werden, bezeichnet man als chemische Waffen. Die Grenzen zwischen chemischen und biologischen Waffen sind fließend. Seit Mitte der 80er Jahre wird das Spektrum dieser Waffen zusammengefaßt als CBW-Spektrum bezeichnet.2 Auf der einen Seite dieses Spektrums stehen die herkömmlichen Chemiewaffen, also etwa Nervengase oder LOST; in der Mitte die Toxine, also Giftstoffe, produziert von lebenden Organismen; auf der anderen Seite im CBW-Spektrum stehen Bakterien und Viren, also die klassischen B-Waffen.

Der entscheidende Unterschied für die Militärs: Chemiewaffen müssen industriell hergestellt und in Munition abgefüllt werden. Geheimhalten läßt sich diese Produktion nicht. Biologische Waffen, Lebewesen, die sich selbst vermehren, kann man dagegen in geringen Mengen aufbewahren. Bei Bedarf lassen sich die Viren oder Bakterien ohne großen Aufwand im Labor beliebig vermehren und verdeckt durch ins gegnerische Hinterland infiltrierte Sabotage-Trupps ausbringen.

New York, irgendwann im Jahr 1966

Aus einem fahrenden U-Bahnzug im Süden von Manhattan wirft ein Mann eine Glühbirne aus dem Fenster. Auf den Schienen zerspringt das Glas. Nicht etwa Vandalismus sondern ein offizielles Experiment des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Weder die New Yorker Stadtverwaltung noch die Polizei weiß von diesem Versuch. Die Glühbirne ist mit angeblich harmlosen Bakterien gefüllt, die vom Luftzug des fahrenden Zuges im U-Bahnschacht verwirbelt werden. Später nehmen Meßtrupps Luftproben. Fast überall in Manhattan kann man die Bakterien nachweisen.

Der New Yorker Versuch ist ein Beispiel für die Möglichkeit der biologischen Kriegführung. Er beweist: B-Waffen können unbemerkt verbreitet werden. Vor allem in den USA hat die Erforschung neuartiger B-Waffen durch gentechnologische Methoden seit den 80er-Jahren an Bedeutung gewonnen.

Diese neuartigen Waffen sind schrecklich. Herkömmliche Krankheitserreger werden in militärischen Gentechnik-Labors in ihre Bestandteile zerlegt und neu kombiniert. Biogifte, also tödliche Pilz-, Schlangen- oder Skorpiongifte, werden mit harmlosen Viren verbunden. Beispiele aus der B-Waffen-Forschung: Sogenannte »ethischen Waffen« sind gentechnologisch so konstruiert, daß nur gewisse Bevölkerungsgruppen davon betroffen werden. So kann man beispielsweise mikroskopisch kleine Pilze entwickeln, die sich nur auf ganz bestimmten Hirsesorten ansiedeln und dort ein tödliches Gift ausscheiden. Beim Einsatz dieser B-Waffe etwa in der Dritten Welt würden diejenigen Menschen sterben, die sich überwiegend von dieser Hirseart ernähren. Andere Bevölkerungsgruppen würden überleben. Es gab Versuche, Schnupfenviren mit Genen von Kobraschlangen-Gift zu kombinieren – die bislang nur unangenehme Krankheit verliefe dann tödlich. Selbst Waffen, die bei Nacht töten und bei Tag ungefährlich sind, lassen sich gentechnologisch herstellen: Kombiniert wird ein Virus mit dem Gen eines hochgiftigen Toxins. Die Eiweiß-Hülle des Virus wird dann gentechnologisch gleichsam durchlöchert, so daß der Krankheitserreger für UV-Strahlung extrem empfindlich wird. Nachts ist das eine tödliche Waffe, wenn die Sonne aufgeht wird das Virus zerstört – die Waffe ist verschwunden, nicht mehr nachweisbar. Das Stück Erbsubstanz, das dies bewirkt, hat in Wissenschaftskreisen einen Namen. Es heißt »Selbstmordgen«.

B-Waffenforschung in den USA

Das Budget der B-Waffenforschung in den USA stieg seit 1980 um etwa 550 Prozent auf 90 Millionen Dollar für das Jahr 1986. 1988 wurden immerhin noch 60 Millionen Dollar für B-Waffenforschung ausgegeben.3 Bereits 1986 finanzierte das US-Verteidigungsministerium über 70 gentechnologische Forschungsprojekte.

B-Waffenforschung – so die offizielle Begründung des Pentagon – diene ausschließlich defensiven Zwecken. Zitat aus einer 1988 vom Pentagon in Auftrag gegebenen Umweltverträglichkeitsstudie: „Der Zweck des B-Waffen-Schutzprogrammes ist es, eine starke nationale Verteidigungsposition bezüglich möglicher B-Waffen-Bedrohungen aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln.“ 4 Drei Einrichtungen der US-Army sind zuständig für B-Waffenforschung:

  • das US Army Medical Research Institute od Infectious Diseases (USAMRIID) in Fort Detrick, Maryland (Fort Detrick ist vor dem offiziellen Herstellungsstop für B-Waffen 1969 das wichtigste Forschungszentrum für B-Waffen in den USA gewesen),
  • das US Army Chemical Research, Development and Engineering Center (DRDEC) auf dem US Army Aberdeen Proving Ground, gleichfalls in Maryland, und
  • der Baker Laboratoriumskomplex auf dem US Army Dugway Proving Ground bei Salt Lake City. Hier befindet sich die Erprobungsstelle des US B-Waffen"schutz"programmes.

B-Waffenforschung ist hochgefährlich. Immer wieder kam und kommt es zu Laborunfällen. Das Virus hat den exotischen Namen »Chikungunya«. Im September 1981 verschwanden aus einem US-Militärlabor 2,352 Milliliter einer Lösung, die die Viren in hoher Konzentration enthält. Eine an sich kleine Menge, doch sie reicht theoretisch aus, die ganze Menschheit mehrfach mit tropischem Fieber anzustecken. Bis heute ist das Verschwinden des Krankheitserregers nicht aufgeklärt.

Jüngstes Beispiel des amerikanischen Engagements in Sachen biologischer Waffen: Die Zusammenarbeit zwischen den USA und Ägypten »im Randbereich der B-Waffenforschung«, so ein Bericht des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR.5 Ägyptische Wissenschaftszentren arbeiten, so der Bericht, gemeinsam mit zivilen und militärischen US-Labors an der Erforschung hochpathogener Mikroorganismen. Die US-Marine unterhält in Ägypten ein wehrmedizinisches Labor, in dem Experten an der Perfektionierung von Schutzmitteln gegen Infektionskrankheiten arbeiten. Dieses Institut gilt als „eines der führenden medizinisch-biologischen Zentren im Nahen Osten“, so der SWR.

B-Waffenforschung in der ehemaligen UdSSR

Nicht nur die USA waren – und sind es vermutlich noch – führend in Sachen biologischer Waffen. Auch in der UdSSR gab es ausgedehnte Forschungs- und Herstellungsprogramme.

Swerdlowsk, der »Militärposten Nummer 19«, das heutige Jekaterinburg im Ural. 1979 ereignete sich hier eine Milzbrandepidemie, die in westlichen Tageszeitungen Schlagzeilen machte. Mindestens 66 Menschen starben. Ausgelöst wird Milzbrand von Anthrax-Sporen. Anthrax zählt zu den »klassischen« B-Waffen. Die kleine schottische Insel Gruinard beispielsweise war damit verseucht. Zweieinhalb Kilometer lang, eineinhalb Kilometer breit, mit Heidekraut bewachsen wurde sie 1942 zum militärischen Testgebiet. Englische Wissenschaftler füllten 11-Kilogramm-Bomben mit Milzbrand-Sporen und ließen diese explodieren. Als »Versuchsobjekte« für den B-Waffentest dienten Schafe. Jahrzehntelang galt die die Insel als verseuchtes Gelände, konnte sie nur in Schutzausrüstung betreten werden.

Daß es sich bei der Epidemie von Swerdlowsk um einen Unfall einer B-Waffenforschungseinrichtung gehandelt hatte, das dementierte die UdSSR jahrelang. Erst jetzt, nach dem Zerfall der Sowjetunion, kommt die Wahrheit bruchstückhaft ans Tageslicht. Auf bohrende Fragen russischer Abgeordneter hin beauftragte Präsident Jelzin seinen späteren Umweltminister Alexej Jablokow mit der Klärung des Falles. Dieser verkündete im März 1992 auf einer IPPNW-Tagung in Moskau, eine Explosion sei die Ursache der Epidemie gewesen, also ein Unfall im B-Waffenforschungszentrum.6

Die genaue Struktur der ehemals sowjetischen B-Waffenforschung veröffentlichte schließlich die Zeitschrift NEWSWEEK.7 Biopreparat, so nannte sich nach den Recherchen der NEWSWEEK-Reporter das Netzwerk, durch das die wichtigsten Forschungseinrichtungen in der ehemalige UdSSR verknüpft waren. Biopreparat, 1973 (also ein Jahr nach dem B-Waffen-Vertrag) gegründet, diente als Tarnorganisation der nunmehr vertragswidrigen B-Waffenforschung. Biopreparat „war eines der bestgehütetsten Geheimnisse in der alten Sowjetunion“, so Grigory Berdennikov vom russischen Außenministerium. In mindestens 18 Forschungseinrichtungen, 6 Produktionsanlagen und einer Hauptlagerstätte in Sibirien arbeiteten über 25.000 Menschen. 30 bis 40 Prozent des Budgets kam vom Militär. Seit Mitte der 80er-Jahre wußten die US-Geheimdienste von der Existenz von Biopreparat. Beweisen konnte man nichts – bis schließlich 1989 der Mikrobiologe Wladimir Pasechnik in den Westen geflohen war. Pasechnik, der als Direktor eines Biopreparat-Institutes in Leningrad die genaue Struktur des Netzwerkes kannte, offenbarte, daß man in der Sowjetunion ab 1984 – also in der Ära von Präsident Gorbatschow – eine neue Generation supertoxischer B-Waffen erforschte und gentechnologisch herstellte. Erst im April 1992 ordnete Präsident Jelzin per Dekret das Ende dieses Forschungsprogrammes an. Ein Informant von NEWSWEEK behauptet allerdings, daß auch nach dem Jelzin-Dekret noch weiter an der Entwicklung der neuen B-Waffen gearbeitet wurde. Selbst wenn dies nicht der Wahrheit entspräche: Durch die Abwanderung ehemals hochprivilegierter Sowjetwissenschaftler etwa in Staaten der Dritten Welt bleibt die Proliferationsgefahr bestehen.

Die »Atombombe des kleinen Mannes«

B-Waffen, ohne allzu großen Aufwand vermehr- und einsatzbar, gelten neben den Chemiewaffen als »Atombomben des kleinen Mannes«. Bekannt ist, daß etwa der Irak ein eigenes B-Waffenprogramm hatte – zumindest bis zum zweiten Golfkrieg. 1987 wurde aus Deutschland die Mykotoxine HT-2 und T-2 nach Bagdhad geliefert, nach einem BND-Bericht wurden im Irak Forschungstätigkeiten auf dem Gebiet der B-Waffen durchgeführt.8 Auch war der Rabta-Drahtzieher Ishan Barbouti an der Lieferung von Mikroorganismen in den Irak beteiligt, so ein Fernsehfilm, den der WDR im Mai 1992 ausstrahlte.9

In der Zwischenzeit hat das US-Handelsministerium neue, verschärfte Regularien für den Export von Handelsgütern erlassen, die auch zur Erforschung und Herstellung von B-Waffen dienen könnten. »Dual Use«-Güter, bestimmt für den Export nach Bulgarien, China, Kuba, den Mittleren Osten, Burma, Nordkorea, Rumänien, Südafrika, GUS, Taiwan und Vietnam sowie Afghanistan, Indien, Iran und Pakistan, benötigen seit April dieses Jahres eine spezielle Ausfuhrlizenz.10

Doch wirksam verhindern läßt sich die Proliferation von B-Waffen nur durch den vollständigen Verzicht auch auf B-Waffen"schutz"forschung. Doch dagegen wehren sich die Militärs. „In einem B-Waffenschutzprogramm“, so ein US-Offizier, zitiert von Barbara Rosenberg, B-Waffen-Expertin des US-amerikanischen Committee on Responsible Genetics, „bekommt man eine Menge Informationen, und wie andere Erkenntnisse kann man auch diese zu unterschiedlichen Zwecken einsetzen.“11

Anmerkungen

1) John Barry, Planning a Plague?, Newsweek, 1.2.1993 Zurück

2) vgl. David Baker, Chemical and Biological Warfare Agents – A Fresh Approach, Jane's Intelligence Review, Januar 1993. Zurück

3) nach GeneWatch 4/5-1987, zit. in: Petra Jonas, B-Waffen"Schutz"Forschung in der Bundesrepublik, cbw-Infodienst, August 1990. Zurück

4) Draft Programmatic Enviromental Impact Statement, Biological Research Program, USAMRDC, Mai 1988. Zitiert nach: Manuel Kiper, Jürgen Streich, Biologische Waffen: Die geplanten Seuchen, Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbeck 1990 Zurück

5) nach: FOCUS 17/1993 Zurück

6) vgl. Tageszeitung, 14.4.92 Zurück

7) John Barry, a.a.O. Zurück

8) vgl.: Manuel Kiper, Jürgen Streich, Biologische Waffen, a.a.O., S. 91 Zurück

9) Jo Angerer, Leo A. Müller, Dr. B. und die Giftgas-Millionen, West 3, 26.5.1992, 20.15 Uhr Zurück

10) vgl. BNA Internatioanl Trade Daily, 27.4.1993 Zurück

11) in: Science, 226 (1984), S. 1178, zitiert in: Manuel Kiper, Jürgen Streich, Biologische Waffen, a.a.O. Zurück

Jo Angerer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Friedenspolitik, Weilheim.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1993/2 Das UN-System, Seite