W&F 2003/3

Biowaffen in Bagdad oder Baltimore?

von Jan van Aken

Der Irak besitze und produziere Massenvernichtungswaffen, behauptete die Bush-Regierung, und in der möglichen Weitergabe an Terroristen sah sie eine Gefahr für die gesamte »zivilisierte Welt«. Eine Kriegsbegründung, für die von den UN-Inspekteuren keine Beweise vorgelegt werden konnten. Die Suche nach ABC-Waffen im Irak verläuft auch weiterhin erfolglos, gleichzeitig gibt es aber aus den USA neue Nachrichten über eine aktive Biowaffenforschung und die Patentierung einer Granate, die auch für den Einsatz biologischer Kampfstoffe geeignet ist und damit gegen das Biowaffen-Übereinkommen verstößt.
Während wir aufgrund der Arbeit der UN-Inspektoren in den 1990er Jahren heute mit Sicherheit wissen, dass der Irak bis 1991 ein aktives Programm zur Entwicklung und Produktion von atomaren, chemischen und biologischen Waffen betrieben hat, lässt sich nach wie vor nicht sagen, ob diese Programme nach 1991 weitergeführt worden sind. Der Irak hat dies immer bestritten, der Überläufer Hussein Kamal, ein Schwiegersohn Saddam Husseins, hat nach seiner Flucht aus dem Irak 1995 den Waffeninspektoren versichert, dass die Programme alle 1991 auf Befehl von ganz oben eingestampft worden seien, und auch die jetzt von der US-Armee gefangen genommenen irakischen Waffenspezialisten scheinen unisono zu versichern, dass es dort nichts mehr zu finden gibt. Bislang jedenfalls haben die US-Suchtrupps keine signifikanten Ergebnisse vorgelegt.

Im Gegenteil, die 75th Exploitation Task Force, die für die Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak zuständige Spezialtruppe des US-Militärs, wird bis Ende Mai ihre Arbeit einstellen. Die bislang erfolglose Suche nach Massenvernichtungswaffen wird dann von der Iraq Survey Group, übernommen. Diese hat jedoch eine Vielfalt von Aufgaben im Irak, neben den Massenvernichtungswaffen sollen unter anderem auch Angehörige und Verbündete des Ex Regimes, Terroristen, Kriegsverbrecher oder Kriegsgefangene aufgespürt werden.

Einem Artikel der Washington Post (11.05.03) zufolge herrscht unter den Mitgliedern der Einheit 75 Frustration. Sie hätten die Worte von Colin Powell vor dem Sicherheitsrat und die Behauptungen des US-Geheimdienstes ernst genommen und erwartet, Hunderte von Tonnen biologischer und chemischer Kampfstoffe, die dazugehörigen Raketen und ein Atomwaffenprogramm zu finden. Dafür seien sie jedem Hinweis nachgegangen, um am Ende jedes Mal wieder mit leeren Händen dazustehen.

Das Powell Mobil

Das bislang einzige greifbare Ergebnis der Biowaffensuche im Irak wurde am 7. Mai vom Pentagon präsentiert: Bilder und Details eines angeblichen mobilen Biowaffen Labors, das am 19. April im kurdischen Teil Iraks bei einer Straßenkontrolle den Alliierten in die Hände gefallen sein soll. Nach Pentagon-Angaben hat ein Team US-amerikanischer und britischer Experten das Fahrzeug geprüft und ist zu dem Schluss gekommen, dass es keinen anderen Zweck erfüllen kann als die Produktion von biologischen Agenzien. Das Fahrzeug sei äußerlich komplett dekontaminiert und frisch gestrichen gewesen, Proben von der Oberfläche hätten bislang keinen Hinweis auf Biowaffen Agenzien ergeben. Es werde jetzt auseinander genommen und Proben aus dem Inneren würden dann von mehreren Labors unabhängig voneinander analysiert werden.

Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel an der Geschichte, und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich hier um eine gezielte Fälschung handelt. Offen bleibt beispielsweise, warum am 19. April – zu einem Zeitpunkt, als bereits der gesamte Irak einschließlich Bagdad und Tikrit unter Kontrolle der Alliierten war – ein derart sensibles Objekt durch Kurdistan gefahren sein soll, und wer es mit welchem Ziel dort gefahren haben soll. Wenn das Fahrzeug wirklich einzig und allein für die Produktion von Biowaffen geeignet ist, dann wäre dies auch seinen früheren irakischen Betreibern klar gewesen. Sie hätten sich wohl kaum damit begnügt, es zu desinfizieren und überzulackieren, wenn sie Spuren hätten verwischen wollen.

Der neue Anstrich könnte genauso gut ein Hinweis darauf sein, dass das Gerät frisch zusammengesetzt worden ist, um dann von den Amerikanern gefunden zu werden. Stephen Cambone vom Pentagon machte deutlich, dass das gefundene Fahrzeug bis ins Detail den von Colin Powell am 5.2.03. im Sicherheitsrat präsentierten Plänen für mobile Biowaffenlabors entspricht. Offen bleibt nur die Frage, was zuerst da war: Powells Pläne oder das jetzt gefundene Mobil.

Der Fund des Fahrzeugs wurde 18 Tage lang geheim gehalten, während bei allen anderen vermeintlichen Funden von biologischen oder chemischen Waffen die US-Militärs oft noch am gleichen Tage Eilmeldungen veröffentlicht haben (die sich dann allesamt meist schon am nächsten Tag als falsch herausstellten). Es bleibt unklar, warum das Fahrzeug erst nach fast drei Wochen für eine intensivere Untersuchung nach Bagdad gebracht werden soll. Angesichts der Dringlichkeit, mit der das Pentagon derzeit nach nachträglichen Kriegsgründen im Irak sucht, hätte der Fund und die weitere Auswertung dieses Fahrzeugs sicherlich allerhöchste Priorität bei den US-Militärs gehabt.

Ohne eine detaillierte Analyse aller Funde lässt sich der Wahrheitsgehalt der amerikanischen Behauptungen nicht glaubhaft bestätigen. Das macht deutlich, wie wichtig jetzt eine Rückkehr der UN-Inspektoren in den Irak wäre. Angesichts der Dringlichkeit, mit der die USA jetzt nachträglich einen Kriegsgrund konstruieren müssen, kann eine gezielte Falschinformation durch die Amerikaner nicht ausgeschlossen werden.

Biowaffen made in USA

Während die Fragezeichen hinter den vermeintlichen Massenvernichtungswaffen im Irak täglich größer werden, erhärtet sich andererseits der Verdacht, dass die US-Regierung wieder aktiv in der Biowaffenforschung tätig ist. Die US-Armee hat eine neue Granate entwickelt und sie sich unter anderem für den Einsatz von biologischen Waffen patentieren lassen. Damit liegt eine klare Verletzung des Biowaffen-Übereinkommens vor, das ausdrücklich und ausnahmslos die Entwicklung von Methoden für den Einsatz biologischer Waffen verbietet.

Dieses Patent steht in einer Reihe mit anderen zwielichtigen Projekten in den USA, die in eindeutigem Widerspruch zu internationalen Rüstungskontrollabkommen stehen. Bereits im letzten Jahr wurde aufgedeckt, dass das Pentagon ein Entwicklungsprogramm für so genannte nicht-tödliche Chemiewaffen aufgelegt hat und zudem mit gentechnischen Methoden an Material zerstörenden Mikroorganismen für offensive Zwecke forscht. Auch im Bereich der biologischen Abwehrforschung finden in den USA verschiedene äußerst fragwürdige Projekte statt, die einen starken offensiven Charakter haben. Unter dem Deckmantel der Defensivforschung wurden dort Biobomben und Produktionsanlagen für Biowaffen gebaut oder Milzbrandbakterien gentechnisch so verändert, dass sie herkömmliche Impfungen unterlaufen können.1

Der jüngste Hinweis auf eine aktive Biowaffenforschung in den USA lieferte das Patent Nr. 6,523,478 über einen »rifle launched non lethal cargo dispenser«. Es wurde am 25. Februar 2003 erteilt und betrifft eine Granate, die von herkömmlichen Gewehren abgefeuert wird und »nicht-tödliche« Stoffe ausbringen kann. Mit der Granate können feine Nebel, so genannte Aerosole, verschiedener Substanzen erzeugt werden. Das Patent wurde der US-Armee erteilt, zwei der im Patent genannten Erfinder arbeiten im Edgewood Arsenal der US-Armee nördlich von Baltimore, Maryland. In Anspruch Nummer 5 des Patentes heißt es wörtlich: „The projectile of claim 4, wherein the aerosol composition is further selected from the group consisting of smoke, crowd control agents, {u}biological agents{/u}, chemical agents, obscurants, marking agents, dyes and inks, chaffs and flakes.“ (Hervorhebung nicht im Original)

Damit besitzt die US-Armee ein Patent, dass es nach Artikel I des Biowaffen-Übereinkommens (BWÜ) eigentlich gar nicht geben dürfte, denn dieser verbietet die Entwicklung von Ausbringungsmethoden für biologische Waffen. Während es in der BWÜ für die biologischen Agenzien eine Ausnahme für Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gibt, gelten diese Ausnahmen ausdrücklich nicht für Waffensysteme. Wörtlich heißt es in Artikel I BWÜ: „Jeder Vertragsstaat dieses Übereinkommens verpflichtet sich, (…) 2. Waffen, Ausrüstungen oder Einsatzmittel, die für die Verwendung solcher Agenzien oder Toxine für feindselige Zwecke oder in einem bewaffneten Konflikt gestaltet sind, niemals und unter keinen Umständen zu entwickeln, herzustellen, zu lagern oder in anderer Weise zu erwerben oder zu behalten.“2

Das patentierte Projektil wurde sicherlich nicht gezielt oder ausschließlich für biologische Agenzien entwickelt. In einem Patent sind jedoch die so genannten Ansprüche der entscheidende – weil rechtsrelevante – Abschnitt, der in der Regel mit besonderer Sorgfalt im Detail ausgearbeitet wird. Die Tatsache, dass die Erfinder, ihre Vorgesetzten sowie die Patentanwälte und Rechtsabteilungen der US-Armee diesen Antrag mit einem Verweis auf biologische Agenzien entworfen und durchgewunken haben, macht deutlich, dass Entwicklungen für Biowaffen dort mittlerweile als vollkommen unproblematisch und perspektivisch einsetzbar angesehen werden. 34 Jahre, nachdem Präsident Nixon das US-amerikanische Biowaffenprogramm offiziell beendet hat, scheinen biologische Waffen in den USA wieder gesellschaftsfähig geworden zu sein.

Die ganze Doppelzüngigkeit der US-Administration in Sachen Massenvernichtungswaffen offenbarte sich ein weiteres Mal Anfang Februar, als US-Verteidigungsminister Rumsfeld vor dem US-Kongress offen angekündigte, dass bei einem Sturm auf Bagdad möglicherweise auch Chemiewaffen durch die US-Militärs eingesetzt werden könnten. Auch hier handelt es sich wieder um »nicht-tödliche« Chemiewaffen wie Tränengas oder Betäubungsmittel. Ihr Einsatz im Krieg ist durch das Chemiewaffenübereinkommen verboten – es hätte sich die absurde Situation ergeben, dass die US-Amerikaner bei ihrer Suche nach verbotenen Chemiewaffen im Irak selbst verbotene Chemiewaffen eingesetzt hätten.

Das neu erwachte Interesse der US-Administration an verschiedenen biologischen und chemischen Waffen findet auch seinen Niederschlag in der US-Diplomatie, die zunehmend alle Ansätze für eine multilaterale chemische bzw. biologische Rüstungskontrolle zu blockieren sucht. Auf amerikanischen Druck hin wurde das Verifikationsprotokoll für das Biowaffen-Übereinkommen erst verwässert, dann in seiner Gesamtheit abgelehnt und abschließend selbst eine Einigung auf der Fünften Überprüfungskonferenz des BWÜ torpediert. Auf der gerade zu Ende gegangenen Ersten Überprüfungskonferenz der Chemiewaffen-Konvention wurde jeder Versuch unterbunden, das Problem der »nicht-tödlichen« Chemikalien in Kriegssituationen zu thematisieren. Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes wurde eine Stellungnahme auf der Konferenz verwehrt, und zaghafte Versuche von schweizerischen und neuseeländischen Diplomaten, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, wurden im Keim erstickt.

Die Bio- und Chemiewaffen-Übereinkommen stehen in diesen Tagen zunehmend unter Druck – und zwar nicht durch Regimes à la Hussein, sondern durch die USA selbst. Mit welchen Argumenten können heute noch kleinere Staaten in die Einhaltung der einschlägigen Rüstungskontrollabkommen gedrängt werden, wenn die letzte verbliebene Weltmacht ebendiese permanent aushöhlt, ignoriert und nach eigenem Gusto interpretiert?

Anmerkungen

1) Für Details und Originaldokumente siehe www.sunshine-project.org

2) Im englischen Original heißt es: „Weapons, equipment or means of delivery designed to use such agents or toxins for hostile purposes or in armed conflict.“ In der – nicht UN-offiziellen – deutschen Übersetzung des BWÜ wird dies zwar übersetzt mit „Waffen (…), die für (…) bestimmt sind“. Dies ist jedoch eine unkorrekte Übersetzung aus dem englischen Original, da das Wort designed weiter gefasst ist als das deutsche bestimmt. Wir haben es hier deshalb mit gestaltet übersetzt.

Dr. Jan van Aken ist Gründer des Sunshine Project, das Informationen über Biowaffen recheriert und veröffentlicht

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2003/3 Globalisierte Gewalt, Seite