W&F 1987/3

Biowissenschaftliche Militärforschung in der BRD

von Manuel Kiper

B-Waffenforschung in der BRD

Mit Urteil vom 16.6.87 beendete das Landgericht in Hannover eine seit bald zwei Jahren laufende erbitterte Auseinandersetzung Forschungsvorhaben an der Tierärztlichen Hochschule Hannover.

Das Gericht erkannte als zulässig an, daß die Forschungen am Institut für Virologie der TiHo als Militärforschung an potentiellen Biowaffen und biologischen Kampfstoffen gewertet werden dürfen, die dieses Institut betreibe und plane. Das Gericht hob damit eine einstweilige Verfügung gegen den Autor und den Landesverband der Grünen in Niedersachsen auf, die am 26.9.86 unter Androhung eines Ordnungsgeldes von 50000 DM, oder 6 Monate Gefängnis vom Land Niedersachsen erwirkt worden war. Gleichzeitig lehnte das Gericht die Verhängung einer von der Klägerin, dem Land Niedersachsen, beantragten Ordnungsstrafe gegen mich in Höhe von 15000 DM wegen zwischenzeitlichen Verstoßes gegen die Verfügung ab, bürdete den Beklagten allerdings der Verfahrenskosten auf. Das Gericht erkannte in seiner Urteilsbegründung an, daß die militärische Initiierung und Finanzierung von Forschungsprojekten am Institut für Virologie der TiHo Hannover, deren Absprache innerhalb der NATO sowie die einschlägige Klassifizierung der verwendeten Erreger als potentielle Biowaffen aus den vorgelegten Dokumenten abgeleitet werden könne und von den Forschern der TiHo nicht mehr bestritten würde. Demgemäß sei die obige Wertung nicht ehrenrührig und im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung zulässig.

Wehrmedizin in der Bundesrepublik

Der Einzelplan 1420 des Bundesministeriums der Verteidigung befaßt sich mit Wehrforschung, wehrtechnischer und sonstiger militärischer Entwicklung und Erprobung. Hier befinden sich die Haushaltstitel für Wehrmedizin und Sanitätswesen. Gentechnik fürs Militär wird aus diesen Haushaltstiteln finanziert. Im Rahmen der Abwehrkonzeption vom 12.7.78 hat die Bundeswehr den Auftrag bekommen, auch Schutzmaßnahmen gegen potentielle B-Kampfstoffe zu entwickeln. Das Verteidigungsministerium wäre „froh, wenn andere Ressorts solche Kampfstoffe entwickelten. Wir würden diese Aufgabe gern z.B. an den Entwicklungsminister oder den Forschungsminister abgeben“, wie Oberstveterinär Salier vom BMVg es ausdrückte.1 „Der entwickelt für uns den Impfstoff. Er kann in Südamerika eingesetzt werden. Wir können partizipieren. Dann sparen wir unser Geld. Das können wir dann für etwas anderes einsetzen.“ (ibido). Vor der Enquetekommission Gentechnologie des Deutschen Bundestages in geheimer Runde wurde Sailer aber auch deutlich: „Wenn für den Verteidigungsminister eine Priorität besteht, einen Impfstoff zu entwickeln, und alle anderen das nicht machen, entwickeln wir ihn halt, wenn die wissenschaftlichen Voraussetzungen da sind.“ (ibido, S. 29).

Die Anstöße für solche Entwicklungsarbeiten kommen offensichtlich von außen. „Wir haben eine NATO-Abstimmung“, so Sailer. (ibido, S. 29). „Wir haben bei der Abwicklung von Forschungsvorhaben einen etwas umständlichen Weg, das ist aber verständlich, weil wir diese nicht nur national, sondern auch international abklären müssen. (…) Wir haben den Schwerpunkt bisher nicht auf die Entwicklung von Impfstoffen oder die Nachentwicklung von Impfstoffen gelegt, die Impfstoffe gibt es Grunde schon -, sondern auf Nachweisverfahren. Das war unser Schwerpunkt, während unsere Bündnispartner mehr den Schwerpunkt auf die Impfstoffentwicklung legten.“ (ibido, S. 44).

Die Leistungsbilanz des Verteidigungsministeriums hört sich so an: Wir haben den Tetanus-Impfstoff zur lokalen Anwendung entwickelt. Das spielt in Mitteleuropa keine Rolle, spielt aber eine erhebliche Rolle in den Entwicklungsländern (…). Dann haben wir im Modell einen Impfstoff nachempfunden, den die Amerikaner auf lokalem Wege gegen Botulismus anwenden wollen, also intranasal. Der eignet sich natürlich gut für die Nerzfarmen, aber deshalb haben wir ihn nicht entwickelt, (…) den Pocken/Tetanus-Impfstoff (…).Wir haben noch ein bißchen mehr gemacht, wir haben Toxogonien entwickelt, Toxogonien gegen den Nervenkampfstoff Tabun, Sarin und VX (…). Wir haben DMA 4 entwickelt, ein Blausäureantidot, natürlich aus unserer Sicht gegen Blausäurekampfstoffe.“ (ibido, S. 45)

Gentechnische Militärprojekte in der BRD

Seit dem 1. 10.85 ist das Verteidigungsministerium in die gentechnische Forschung eingestiegen. Im Dezember 1985 hieß es von Seiten des Ministeriums: „Zukünftig werden wir natürlich diagnostische Verfahren entwickeln, soweit das notwendig sein sollte, auch mit der Gentechnologie, um die Erreger noch schneller, spezifischer nachweisen zu können.“ Ziel des Arbovirenprojekts des BMVg, des ersten gentechnischen Projekts, ist es, „mit einer amerikanischen Arbeitsgruppe zusammen ein Antigen zu finden, das protektiv ist gegen die Alphaviren der Arboviren.“ (ibid., S. 21) Als nächstes gentechnologisches Projekt war ein Pockenimpfstoff geplant. Die Projekte laufen in enger Kooperation mit den USA.

Das erste Projekt des BMVg auf dem Gentechniksektor heißt: Immunprophylaxe bei Arbovireninfektion. Das Projekt wird abgewickelt an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Arboviren sind durch Insekten übertragene Viren. Die Finanzierung durch das BMVg wurde bei diesem Projekt von Seiten der beteiligten Forscher anfänglich bestritten.2 In Hannover kam es über dieses Projekt zum Rechtsstreit. Im Kern ging es der Gegenseite darum, juristisch fixiert zu sehen, „daß diese Forschungen überhaupt keinen militärischen Hintergrund oder Charakter haben.“3

Der Projektverantwortliche Prof. Dr. Kaaden kabelte auf Anfrage am 10.11.86 noch einmal an das BMVg, was die Herren in Hannover machen: „ALPHA-Viren, früher auch als Arboviren bezeichnet, sind eine Gruppe von Viren, die weltweit vorkommen und durch Insekten übertragen werden. Dieser Gruppe gehören über 400 unterschiedliche Arten an, wobei einige dieser Viren bei Menschen und Tier Krankheiten verursachen können, der Großteil aber nicht krankmachend ist. Eine in der Bundesrepublik auftretende Alphaviruserkrankung ist die Frühsommermeningoencephalitis, auch Zeckenencephalitis genannt. Die im Rahmen des Forschungsprojekts, Immunprophylaxe von Arbovirus-Infektionen am Institut für Virologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover durchgeführten Untersuchungen haben das Ziel, mit nicht krankmachenden Vertretern dieser Virusgruppe Methoden zu entwickeln, die zu einer verbesserten Früherkennung und im weiteren zu wirksameren Impfmaßnahmen für möglichst viele Alphaviren führen sollen.“ Nun gibt es in der Bundesrepublik tatsächlich einige Arbovireninfektionen pro Jahr, nämlich solche Zeckenencephalitisfälle. Allerdings gibt es seit Jahren auch einen Impfstoff. In Ländern der Dritten Welt spielen allerdings Arboviren teilweise eine nicht unerhebliche Rolle.

Die Militärs rechnen zu dieser Gruppe eine Reihe der interessantesten B-Waffen, wie Koreanisches Hemorrhagisches Fieber, Venezolanische Pferdeencephalitis, Chikungunay u.a. Zu den Arboviren gehören fatale Tierseuchen und eine Fülle von Erregern, die auf den Menschen nicht tödlich, sondern lediglich kampfunfähig machend wirken. Abgesehen davon, daß das Pentagon bereits Studien bezüglich Insektenkrieg auch in Europa hat anfertigen lassen, scheinen die Arboviren das besondere Interesse der Militärs gefunden zu haben, lassen sich doch mit arbovirusinfizierten Insekten begrenzte B-Waffen-Operationen ausführen. In der Zeitschrift SCIENCE wurde am 3.8.84 ein Aufruf der US-Dienststelle für medizinische Forschung und Entwicklung der US-Armee veröffentlichte 4. Das Schreiben rief dazu auf, Vorschläge für Forschungen über Viruskrankheiten von militärischer Bedeutung einzureichen. Als Programmschwerpunkt wurden Arboviren aufgeführt, sicher nicht grundlos.

Die Fort Detrick-Connection

In den anwaltlichen Schriftsätzen der Wehrforscher wird uns die Absurdität unseres Vorwurfs bescheinigt, die an der TiHo Hannover durchgeführten oder geplanten Forschungsvorhaben hätten militärisch relevanten Charakter. Prof. Moennig von der TiHo Hannover, einer der maßgeblich für BMVg engagierten Forscher, fährt allerdings gelegentlich nach Fort Detrick in die USA. Fort Detrick war und ist die B-Waffenschmiede der USA. Fort Detrick firmiert inzwischen unter dem Namen US Army Medical Institute for Infectious Diseases (USAMRIID). Beispielsweise hielt Prof. Moennig sich vom 7.-9.10.1985 dort auf. Bezeichnung des Dienstgeschäftes (aus dem Dienstreiseantrag): „Erarbeitung eines Konzeptes zur gruppenspezifischen Diagnose von Alphaviren“. Dieses Thema bezeichnet nun zufälligerweise das erste gentechnische Projekt, das vom BMVg gefördert wird. Adressat der Förderung: Prof. Moennig und Prof. Kaaden; Beginn der Projektförderung 1.10.85; Abreise von Moennig nach Fort Detrick 4.10.85.

Dankenswerterweise berichtet Prof. Moennig am 20.11.85 dem BMVg (wozu er durch den Förderungskontrakt verpflichtet ist): „Dr. Leduc und Dr. Meegan sind für die Schnelldiagnostik im USAMRIID zuständig. Beide Wissenschaftler arbeiten an einem Alphavirusspezifischen Schnellnachweissystem. Im Gegensatz zu meinem ersten Besuch im Oktober 1984 stehen sie heute der Verwendung monoklonaler Antikörper in einem solchen System sehr positiv gegenüber und sind an einem gegenseitigen Austausch von Reagenzien sehr interessiert.

Im Jahresbericht des Pentagon bezüglich des Forschungsprogramms chemische Kriegsführung/biologische Verteidigung für den Zeitraum 1.10.84 bis 30.9.85 5 heißt es unter dem Projektwort „Industrielle Grundlagen für biologische Verteidigungssysteme“ S. 51/52: „Ziel des Programms ist es, Laborprozesse zur Impfstoffherstellung zu Pilotverfahren zu steigern und die industriemigen Verfahren zur schnellen Identifizierung und Diagnose von drohenden B-Kampfstoffen zu entwickeln.“ Als Einzelmaßnahme wird dazu aufgeführt: „Entwicklung von Schnelltests zum Aufspüren von Antigenen in klinischen oder Umweltproben für: Riff Valley Fieber, Sandfliegenfieber, Venezolanische Pferdeencephalitis, Crimean-Congo, Hemorrhagisches Fieber, West Nile, Chikungunya und Sinbis Viren (alles Arboviren). Bestritten wird der militärische Hintergrund der hannoverschen Forschungen. Doch Prof. Kaaden kabelte am 10.11.86 ans Bundesverteidigungsministerium: „Die am Institut für Virologie der TiHo Hannover durchgeführten Untersuchungen haben das Ziel, Methoden zu entwickeln, die zu einer verbesserten Früherkennung und im weiteren zu wirksameren Impfmaßnahmen für möglichst viele Alphaviren führen sollen.“ Dies ist demnach identisch mit Forschungszielen im B-Waffenverteidigungsprogramm des Pentagon. Abgesprochen wurde es innerhalb der NATO, 6 finanziert wird es vom BMVg. Als Forschungsvorhaben wurde es von Moennig in Absprache mit Pentagondienststellen in Fort Detrick vor Ort konzipiert, wobei Zusammenarbeit vereinbart wird. In Hannover soll das Ganze nunmehr als medizinische Forschung verstanden werden dürfen. Aber es ist Militärforschung.

Das militärische Spiel mit dem Gen-Feuer

Vertieft man sich etwas stärker in die gentechnischen Militärforschungen, dann kommt einem eher das Gruseln. Ende 1984 wurde zufällig im US-Senat bekannt, daß das Militär in Dugway ein Hochsicherheitslabor zum Testen von geotechnisch veränderten potentiellen B-Waffen errichten wollte. Präziser ausgedrückt: zum Testen der Abwehrsysteme (sprich Analytika und Impfstoffe) gegen gentechnisch manipulierte B-Waffen; dies tritt nicht in Konflikt mit dem 72er B-Waffenübereinkommen. Es zeigt aber konkret, wie eng die Verteidigung gegen neue gentechnisch manipulierte B-Waffen mit einer Weiterentwicklung dieser B-Agenzien selber verknüpft ist.7 Am USAMRIID werden dann schon mal solche Forschungen durchgeführt wie „Klonen von Schlangengiftgenen, um neue Impfstoffe zu produzieren“.8 Was nichts anderes bedeutet, als daß auch neuartige Toxine in den Griff der Militärs genommen werden.

„Forschung für Soldaten“ ist das Emblem des US Army Medical Research und Development Command. Im 83er Bericht der Koordinationsgruppe zu medizinischer B-Waffenverteidigung wird als Hauptarbeitsgebiet auf dem Virensektor angegeben:

Ebola, Chikungunya, Lassafieber, Argentinisches Hemorrhagisches Fieber, bei Bakterien: Milzbrand und Botulismus. Forschungen an Marburg-Virus, Legionärskrankheit u.a. finden auch statt. B-Waffenforschung zu Verteidigungszwecken ist erlaubt. Wie weit diese Verteidigungsforschung geht, hat C. Weinberger, amerikanischer Verteidigungsminister, 1984 im Schreiben an Senator Jim Sasser deutlich gemacht: „(…) Wir beziehen laufend neue Erkenntnisse, daß die Sowjetunion ihr offensives B-Waffenprogramm fortführt und Gentechnologie einsetzt, um die Reichweite ihres Programms zu vergrößern. Es ist daher wesentlich und dringend, daß wir angemessenen Schutz gegen biologische Toxinwaffen entwickeln und einsatzbereit machen. Unsere Entwicklungsanstrengungen in diesem Sektor werden von der sowjetischen Bedrohung getrieben. Um zu gewährleisten, daß unsere Abwehrsysteme funktionieren, müssen wir sie mit bekannten bzw. vermuteten sowjetischen Wirkstoffen testen (…).“9

Damit wird in der Tat die Weiterentwicklung der B-Waffen gerechtfertigt. Im Finanzjahr 1986 wurden die Ausgaben für das medizinische B-Waffenverteidigungsforschungsprogramm des Pentagons auf über 90 Millionen Dollar hochgeschraubt10 Für das Jahr 1987 sind vom Pentagon 1,437 Milliarden Dollar für das Chemical Modernization Program vorgesehen, in das das B-Waffenforschungsprogramm eingebettet ist.

Bei Verabschiedung des B-Waffenabkommens 1972 gab es noch keine Gentechnik. Inzwischen haben die Militärs allerdings die neuen Möglichkeiten entdeckt, die die Gentechnik auf dem B-Waffensektor bietet. Am 8.8.86 machte Douglas Feith für das Pentagon vor dem Geheimdienstausschuß des amerikanischen Kongresses deutlich, daß inzwischen die Militärs die B-Waffen mit ihren großartigen Entwicklungsmöglichkeiten dank der Gentechnik neu entdeckt haben. „Die neue Art biologischer Produktion arbeitet schnell. Als B-Waffen geeignete Substanzen können innerhalb von Stunden, einem Tag oder höchstens zwei synthetisiert werden. Eine Stammkultur an B-Waffenausgangsmaterial, d.h. Reagenzglasmenge, kann innerhalb von drei bis fünf Wochen zur Massenproduktion fermentiert werden. Nach der Produktion würde sich die Ausrüstung – quasi wie ein selbstreinigender Herd – innerhalb von ein oder zwei Stunden selber zerstören, wodurch eine Kontamination des nächsten Produktionszyklus vermieden würde und gleichzeitig verunmöglicht wird, daß jemand nachweisen könnte, daß eine bestimmte Substanz produziert worden ist.“11

Das Botulinum-Toxin-Projekt

Nicht nur bezüglich Arboviren klappt die Kooperation zwischen deutschen Hochschulforschern und Pentagonforschern in Fort Detrick. Am 8.10.85 hatte Prof. Moennig aus Hannover eine Besprechung mit den Herren Leduc, Middlebrook und Crumrine am USAMRIID. Thema: Schnellnachweis für Botulinum Toxin. „Zu Beginn wies Dr. Leduc“, wie Moennig schrieb, „auf die außerordentliche Bedeutung eines Schnellnachweises für Botulinum Toxin hin. Insbesondere im zivilen Bereich besteht in den USA ein Bedarf dafür.“ Besonders im zivilen Bereich.(…) Und darüber hinaus? Am USAMRIID, so der Bericht weiter, „besteht die Absicht, die Toxingene der Typen C und D zu klonieren. (…) In diesem Zusammenhang sind die amerikanischen Kollegen an deutschen Vorräten von gereinigtem Toxin interessiert. Ich bin beauftragt worden, entsprechende Informationen bezüglich Toxintyp und Reinheitsgrad zu beschaffen.(…)“ Weiterhin wird darauf hingewiesen, daß „die amerikanischen Wissenschaftler an einer engen Zusammenarbeit mit deutschen Instituten, insbesondere der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle interessiert sind. Das zu entwickelnde Testsystem sollte gemeinsam auf Spezifität und Sensivität geprüft werden.“12 Mit der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle der Bundeswehr für ABC-Schutz arbeitet Prof. Moennig aus Hannover schon länger zusammen. Inzwischen hat das Verteidigungsministerium zugegeben, daß die hannoverschen Forscher an den Botulinustoxinforschungen beteiligt sind.13 Botulinustosin ist sechzigmal giftiger als Sevesodioxin. Bekanntlich ist es eine der für das Militär interessantesten B-Waffen.

Schlußfolgerungen

Die B-Waffenforschungen in Hannover und anderswo werfen zwei grundsätzliche Probleme auf. Erstens entwickelt sich international seit ca. 1980 ein gentechnisch ermöglichter Rüstungswettlauf an potentiellen B-Waffen, der auch durch das allseits ratifizierte CBW-Abkommen von 1972 nicht eingedämmt werden kann, da dieses Abkommen Entwicklung, Herstellung und Lagerung von B-Waffen zu Schutzzwecken erlaubt. Weltweit wird die gentechnische Bearbeitung der B-Waffen nur zu Schutzzwecken betrieben, was unterm Strich aber den Namen Aufrüstung verdient. Zweitens bringen die gentechnischen Arbeiten an den potentiellen Biowaffen gesundheitliche und gesellschaftliche Risiken auch in Friedenzeiten mit sich.

SIPRI, das renommierte schwedische Friedensforschungsinstitut, kommt 1986 zum Ergebnis: „B-Waffen gewinnen wachsende militärische Bedeutung, weil neue wirkungsvolle Mittel heranreifen, die Truppen eines Aggressors zu schützen.(…) Die Möglichkeit eines neuen Rüstungswettiaufs muß ernsthaft in Betracht gezogen werden, da es zu gegenseitigen Beschuldigungen bezüglich des Einsatzes der Gentechnologie zur Entwicklung neuer B-Waffen kommt. Es sei vermerkt, daß der Verdacht nicht ausgeräumt werden kann, daß nicht geheimgehaltene Arbeiten zur Entwicklung von Impfstoffen gegen B-Waffen zur heimlichen Konstruktion neuer B-Waffen genutzt werden könnte, da es keine Grenze zwischen Defensiv- und Offensivforschung in diesem Bereich gibt.“14

Um die Risiken dieses neuen Rüstungswettlaufs zu stoppen, sind international politische Anstrengungen vonnöten, militärische Forschungen an Krankheitserregern auch unter dem Vorzeichen „friedliche Absicht“ zu unterbinden: Medizinisch notwendige Forschungen an Krankheitserregern müßten international koordiniert und zivilen Institutionen unterstellt werden. Den Militärs müßte durch internationale Abkommen die gesamte B-Waffenforschung verboten werden.

Anmerkungen

1 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, AZ 2540, Protokoll der 24. Sitzung/Teil 1, Fachgespräche über die mögliche militärische Nutzung der Gentechnologie, S. 22.Zurück

2 TiHo-Anzeiger, Oktober 1985, S. 84/85.Zurück

3 Schriftsatz RAe Schäfers/Fischer-Lange vom 22.1.1987 Zurück

4 The US-Army Medical Research and Development Command is Accepting Proposals for Research in Viral and Rickensial Diseases of Military Importance, SCIENCE, 3.8.1984, S. 523.Zurück

5 Department of Defense, Annual Report on Chemical Warfare - Biological Defense Research Program Obligations,1. October 1984 through 30. September 1985, RCS: DD-USDRE (A) 1065.Zurück

6 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission, Fachgespräch, a.a.O., S. 19.Zurück

7 Biological and Toxin Weapons Today. Hrsg. E. Geißler, SIPRI, Oxford University Press, 1986.Zurück

8 Department of Defense, Project cloning of snake venom genes to produce novel vaccines, Dr. L.A. Smith and Dr. J. Middlebrook at USAMRIID.Zurück

9 Brief von Weinberger an Senator Jim Sasser, 20.11.1984.Zurück

10 Department of Defense, Annual Report on Chemical Warfare - Biological Defense Research Program Obligations,1. October 1985 through 30. September 1986, RCS: DD-USDRE (A) 1065.Zurück

11 Testimony on Biological and Toxin Weapons before the Subcommittee on Oversight and Evaluation of the House Permanent Select Committee on Intelligence by Douglas J. Feith, 8.8.1986; s.a. Biological Weapons Reweighed, The Washington Post, 17.8.1986.Zurück

12 V. Moennig, Bericht über einen Besuch des „United States Army Medical Research Institute for Infectious Diseases“ (USAMRIID) in Frederick, Maryland, vom 7.-9.10.1985.Zurück

13 Viren in der Grauzone, SPIEGEL, 11/1987, S. 221-227.Zurück

14 Biological and Toxin Weapons, a.a.O., S. 36.Zurück

Dr. Manuel Kiper ist Molekularbiologe und Landesgeschäftsführer der GRÜNEN in Niedersachsen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1987/3 Der mühsame Weg zur Abrüstung ..., Seite