W&F 2009/1

Bomben-Politik

von Jürgen Nieth

Die TAZ titelte am 29. Dezember 2008: „Hamas provoziert, Israel bombardiert.“ Und weiter heißt es: „Als Reaktion auf die anhaltenden Raketenangriffe aus dem Gazastreifen hat Israel am Wochenende eine der massivsten Militäraktionen seit Jahrzehnten gegen die Palästinenser begonnen.“ Mit dieser eindeutigen Schuldzuweisung lag die TAZ im Trend. Für den Zentralrat der Juden Deutschlands trägt die Hamas „die alleinige Verantwortung für die zivilen Opfer auf beiden Seiten.“ (FAZ-Anzeige, 10.01.09), Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht die „Verantwortung für die Eskalation… eindeutig und ausschließlich bei der Hamas“, die Bild-Zeitung titelt (29.12.08): „Israel schlägt zurück“ und »Die Welt« meint, Israel konnte „nicht länger zusehen, wie seine Bürger Opfer des Raketenhagels wurden.“ (30.12.08). Die Frankfurter Rundschau (02.01.09) lässt Ari Sharon zu Wort kommen, der die israelische Operation »Gegossenes Blei« „eine gerechte Kriegskampagne“ nennt und der die israelischen Kritiker des Krieges als „Israelis, die Israel hassen“ beschimpft.

Unzweifelhaft, die Hamas ist eine islamistische Organisation, die Hamas hat am 19. Dezember die Feuerpause aufgekündigt und wieder begonnen Raketen auf israelische Städte abzuschießen. Aber trägt sie wirklich die alleinige Schuld an der Eskalation?

Kriegsursachen

Carsten Kühntopp, ARD-Korrespondent in Amman, sieht das differenzierter: „Im Sommer war es in Südisrael so friedlich wie lange nicht. … Anfang November begann Israels Armee dann, die Waffenruhe immer häufiger zu brechen und die Lage systematisch zu eskalieren. Deshalb hielt Hamas nicht mehr still.“ Für Kühntopp sind die „Bomben auf Gaza und die Raketen auf Israel“ auch Folge einer falschen EU-Politik: „Der Tiefpunkt war die Entscheidung, die Blockade des Gaza-Streifens mitzumachen. Anderthalb Millionen Menschen immer tiefer ins Elend zu drücken, war nicht nur unmoralisch und kriminell – es war dumm.“ (ARD-Tagesthemen 05.01.09).

Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery sieht das ähnlich: „Was den Zusammenbruch der Feuerpause betrifft, so gab es nie eine wirkliche Feuerpause. Das Wichtigste an der Feuerpause im Gazastreifen hätte die Öffnung der Grenzübergänge sein müssen. Die Blockade des Landes… ist ein Kriegsakt.“ (TAZ, 05.01.09)

Die Neue Zürcher Zeitung verweist darauf, dass „Israel seine Zusagen zur Räumung von Dutzenden von widerrechtlichen Siedlungsvorposten, zum Abbau von Hunderten von Straßensperren und zur Freigabe der Übergänge zum Gazastreifen ganz einfach nicht einhielt.“ (05.01.09)

Israels Kriegsziele

In allen durchgesehenen Zeitungen wird das Recht Israels auf Selbstverteidigung betont. Für H. U. Jörges (Stern 08.01.09, S.42) sind die Kriegsziele Israels aber weiter gesteckt: „Dies ist ein politischer Krieg, kein Feldzug zur Selbstverteidigung, …. Keineswegs beschränkt auf die Abwehr von Raketenangriffen der Hamas… Das ist nur die moralische und völkerrechtliche Legitimation der Invasion… Begründet wird diese Invasion nur durch ihr politisches Ziel: die Zerstörung der Hamas, die Beendigung ihrer Herrschaft über den Gazastreifen.“

Das bestätigt indirekt auch Dan Harel, Israels-Vize-Generalstabschef: „Am Ende der Operation… werde kein Gebäude der Islamisten mehr stehen.“ (FR 30.12.08)

Mit dem Krieg wächst die Kritik

Israels Überraschungsangriff „am helllichten Samstag, als Kinder in der Schule, Frauen auf dem Markt und Hamas-Polizisten auf einer Vereidigungszeremonie getroffen wurden, endete mit der höchsten Opferzahl an einzigen Tag seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967.“ (SZ 29.12.08) „Die hohen Opferzahlen waren gewollt, um den Islamisten einen Schock zu versetzen. Dass es auch Kinder und Zivilisten traf, wurde nach amerikanischen Muster im Irak in Kauf genommen,“ schreibt Inge Günther (Berliner Zeitung, 29.12.08) Aber die hohen Opferzahlen werfen auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit auf. „Wir mögen Zahlenbeispiele mit Opfern verabscheuen, doch solche Fragen werden gestellt: 16 Tote in Israel durch Hamas-Raketen in sieben Jahren. Rechtfertigt das 300 Tote an nur einem Tag durch Israels Luftwaffe?“ (Ulrich Leidholt aus Amman im SWR am 29.12.08)

Nach 13 Tagen Krieg stoppen die Vereinten Nationen „wegen der (israelischen) Angriffe auf ihre Mitarbeiter und Einrichtungen… ihre Hifslieferungen.“ Das Rote Kreuz kritisiert u.a., dass Israel tagelang Ambulanzen den Zugang zu ganzen Stadtvierteln verwehrt habe. Amnesty International wirft Israel vor, Palästinenser als menschliche Schutzschilde einzusetzen. Für den Präsidenten des päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden, Kardinal Martino, verfügt Israel über Technologien, „die es erlauben, sogar eine Ameise zu erkennen“. Was soll man da sagen, „wenn so viele Kinder getötet und Schulen der Vereinten Nationen bombardiert werden.“ (TAZ 09.01.09)

Unnütz vergossenes Blut?

Bereits zu Beginn des Krieges hatte David Grossmann in der FAZ (31.12.08) Besonnenheit eingefordert: „Wir dürfen keinen Moment vergessen, dass die Bewohner des Gazastreifens weiterhin auf der anderen Seite der Grenze leben werden und wir, früher oder später, nachbarliche Beziehungen zu ihnen herstellen müssen… Unsere Parole muss lauten: Zurückhaltung. Wir haben die Pflicht, die Zivilbevölkerung zu schützen, eben weil Israel viel stärker ist als die Hamas.“

Gleichfalls zu Beginn des Krieges bezweifelte Tomas Avenarius in der SZ (30.12.008), dass Israel seine Kriegsziele erreichen wird: „Operation »Gegossenes Blei« hat die israelische Armee ihre Offensive gegen die Hamas getauft. »Unnütz vergossenes Blut« wäre passender… So ist das Hamas-Problem nicht zu lösen. Mit Bomben und Raketen lässt sich kein Keil zwischen die Islamisten und die Bevölkerung im Gaza-Streifen treiben. Die Erwartung, wonach mehr palästinensisches Leid zu größerer Sicherheit für Israel führen wird, ist unbegründet… wer Bruder, Schwester oder Sohn im Bombenhagel verliert, wird seine Stimme keinem Israel-freundlichen Politiker geben.“

Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses (10.01.09) stehen israelische Truppen im Gazastreifen und die Hamas verschießt trotzdem ihre Raketen, ein Waffenstillstand wird immer noch von beiden Seiten abgelehnt, auch eine entsprechende Resolution des UN-Sicherheitsrates – die bei Enthaltung der USA zustande kam – wird negiert. Dabei entspräche ein Waffenstillstand nur einer humanitären Notwendigkeit, er wäre Voraussetzung aber nicht einmal ein Schritt in Richtung Lösung der Probleme.

So bestätigt auch dieser Krieg, dass Kriege keine Probleme lösen!

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2009/1 60 Jahre Nato, Seite