W&F 1999/1

Bonner Notizen 1/99

von Jürgen Nieth

1998: Mehr Wehrdienstverweigerer als je zuvor

Nach einer Mitteilung des Bundesverteidigungsministeriums haben im vergangenen Jahr 171.657 Männer einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt. Damit wurde der bisherige Höchststand aus dem Jahr 1995 um über 10.000 übertroffen. Seit der Einführung der Wehrpflicht haben damit nach Schätzungen über 2 Millionen Wehrpflichtige von ihrem Grundrecht auf Verweigerung Gebrauch gemacht. Seit 1990 liegt die Zahl jeweils über 100.000.

Verteidigungsminister Scharping bezeichnete laut FAZ (12.01.99) die hohe Zahl der Verweigerer als unproblematisch. Die Nachwuchslage der Bundeswehr sei gut. Auch 1998 seien 163.000 Wehrpflichtige zum zehnmonatigen Grundwehrdienst einberufen worden.

Augen zu und rechts um

Der CDU-MdB Breuer hat eine Initiative zur Stärkung der Wehrpflicht gefordert. Es sei nicht hinzunehmen, dass mehr junge Männer die Wehrpflicht verweigerten als leisteten. Gleichzeitig machte der CDU-Bundestagsabgeordnete SPD und Bündnisgrüne für die hohe Zahl der Kriegsdienstverweigerer verantwortlich. Der von den damaligen Oppositionsparteien „ohne Not geforderte Untersuchungsausschuss zum angeblichen Rechtsradikalismus in der Bundeswehr hat viele junge Menschen vom Dienst in den Streitkräften abgeschreckt.“ (FAZ 13.01.99)

Offensichtlich erschrecken nicht die rechtsradikalen Vorfälle den CDU-Mann, nicht die Kontakte von Bundeswehroffizieren und -einrichtungen zu prominenten Neonazis, sondern die kritische Befassung mit dem Rechtsradikalismus.

IFSH-Ratschläge zur Außenpolitik

Das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg hat Empfehlungen zur Außen- und Sicherheitspolitik formuliert, die sich an den 20 wichtigsten Zielsetzungen in der Koalitionsvereinbarung orientieren. Die Empfehlungen stehen zum Teil in deutlichem Kontrast zu den bisherigen rot-grünen Worten und Taten. So kritisiert das IFSH, dass die neue Bundesregierung mit dem Kososvo-Beschluss bereits „gegen das Gewaltmonopol der UNO“ verstoßen habe, ehe sie überhaupt ihr Amt angetreten habe. Für das IFSH steht die Entscheidung im klaren Widerspruch zum Völkerrecht. Das Institut rät der Bundesregierung zum klaren Widerspruch gegen alle Bestrebungen der USA und anderer Bündnispartner, die „Begrenzung des Vertragsgebietes aufzuheben und die NATO zu einem weltweit operationsfähigen Interventionsinstrument auszubauen.“

Mehr Selbstbewusstsein sei auch in Bezug auf die NATO-Nukleardoktrin angebracht, auch wenn die USA mit Unmut reagierten. Die Regierung solle den Verzicht auf den atomaren Ersteinsatz fordern. Als souveränes Bündnismitglied entscheide sie mit darüber, ob die alte NATO-Nukleardoktrin auch in das neue (mit Konsens zu beschließende) Strategiedokument übernommen werde.

Kanadas Premier gegen A-Waffen-Ersteinsatz

Für eine Diskussion über die A-Waffen-Erstschlagsoption der NATO hat sich auch der kanadische Premierminister Chrétien ausgesprochen. Bei seinem Treffen mit Bundeskanzler Schröder unterstützte er eine entsprechende Initiative von Außenminister Fischer (FAZ, 27.01.99).

Experten-Gremium zu FRM-II in Garching

Eine unabhängige Expertenkommission soll prüfen, ob der umstrittene Forschungsreaktor FRM-II in Garching auf niedrig angereichertes Uran umgerüstet werden kann. Der FRM-II ist im Rohbau bereits fertig und soll 2001 das Garchinger Atom-Ei ablösen. Nach den bisherigen Plänen wäre er seit 1980 der erste Reaktor weltweit, der wieder mit hochangereichertem Uran bestückt würde. In die unter der Leitung von Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen arbeitende Kommission wurden u.a. die KritikerInnen des bisherigen Garching-Konzepts Wolfgang Liebert von IANUS an der TU Darmstadt und Annette Schaper von der HSFK berufen (FR, 27.01.99).

OSZE-Einsatz in der Türkei prüfen

Die grüne Bundestagsabgeordnete Angelika Beer hat die Bundesregierung aufgefordert, zur Lösung des Kurdenproblems einen humanitären Einsatz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Südosten der Türkei zu prüfen. Die europäischen Staaten sollten versuchen, eine OSZE-Beobachterdelegation in die Regionen zu schicken, in denen sich das türkische Militär und die kurdische PKK bekämpfen, sagte Beer der Berliner Zeitung (03.02.99).

Göttinger Friedenspreis an Dieter Senghaas

Prof. Dr. Dieter Senghaas ist der erste Träger des Göttinger Friedenspreises. Mit dem mit DM 10.000 dotierten Preis der Stiftung Roland Röhl, der in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen wird, würdigt die Jury die international herausragenden Leistungen von Senghaas in der Friedens- und Konfliktforschung.

Das Letzte

GB als 51. Staat der USA

Großbritannien hat nach den Worten des ehemaligen Regierungssprechers Sir Trevor Lloyd-Hughes Ende der sechziger Jahre erwogen, der 51. Staat der USA zu werden. In einem Rundfunkinterview mit der BBC erklärte er am 23.01.99 (zitiert nach TAZ, 25.01.99), dass Premierminister Harold Wilson 1966 und 1967 darüber mit Präsident Lyndon B. Johnson gesprochen habe. Kurz vor den Gesprächen war Großbritanniens Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft am Veto Frankreichs gescheitert.

Ob die britische »New Model Army« davon Kenntnis hatte, als sie in den achtziger Jahren in ihrem Song »The fifty-first state of America« textete:

„Our star-sprangled Union Jack flouders so proud
over the dancin' heads of the merry patriotic crowd

Yeah tip your hat
to the Yankee conqueror
We got no »Reds« under the beds
with guns under our pillows
Cause we're the 51st state of America
yeah we're the 51st state of America
this is the 51st of America“

Sieht man die Vassallentreue, mit der Großbritannien sich bis heute an militärischen Übergriffen der USA beteiligt, möchte man der Aussage von Lloyd-Hughes, nach der es damals nicht zu konkreten Verhandlungen über eine Vereinigung mit den USA gekommen sei, ein »Wer weiß?« nachsenden.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1999/1 Risiko Kapital, Seite