W&F 1996/2

Bonner Notizen

von Jürgen Nieth

UN-Beschlüsse ignoriert

Die USA wußten seit Mai 1994 von Waffenlieferungen des Iran nach Bosnien, unternahmen jedoch trotz des geltenden UN-ts dagegen. Dazu Peter Tarnoff vom US-Außenministerium: „Wir haben uns entschieden, der Verschiffung von Waffen weder zuzustimmen noch sie abzulehnen.“ (FR 25.04.96)

China und das Teststopp-Abkommen

Mit dem Verzicht auf »friedliche Atomexplosionen« hat China einem erfolgreichen Abschluß der Genfer Verhandlungen über einen Stopp für A-Waffen-Tests grundsätzlich den Weg geebnet. Doch ein sofortiges Ende der chinesischen Tests ist damit nicht verbunden. Die chinesische Führung argumentiert, sich erst an den Vertrag halten zu wollen, wenn er auch ratifiziert und damit in Kraft getreten sei (TAZ 07.06.96). Das bedeutet, daß die chinesischen Atomwaffentests erst enden müssen, wenn die Parlamente der anderen Staaten den internationalen Vertrag nach langwierigen Abstimmungsprozessen auch angenommen haben. Das kann mehrere Jahre dauern.

35 Jahre Zivildienst

340 anerkannte Kriegsdienstverweigerer traten am 10. April 1961 als erste ihren damals 12monatigen Ersatzdienst an. Bis heute haben je nach Lesart rund 1,5 Millionen (Bundesamt für Zivildienst) bis 2 Millionen (DFG-Vereinigte Kriegsdienstgegner) Wehrpflichtige den Kriegsdienst verweigert. (Die DFG-VK rechnet auch die Bausoldaten der ehemaligen DDR und die Totalverweigerer dazu.) Lag die Zahl der Kriegsdienstverweigerer vor Beginn des Golfkrieges bei rund 70.000 jährlich, verdoppelte sie sich im darauffolgenden Jahr auf über 150.000, mit seitdem weiter steigender Tendenz. Für das laufende Jahr wird mit einem neuen Rekord von 180.000 – 200.000 Verweigerer gerechnet. CDU-Wehrpolitiker gehen davon aus, daß die »Sollstärke« der Bundeswehr von insgesamt 340.000 Soldaten dann nur noch durch den Rückgriff auf Ungediente früherer Jahrgänge gesichert werden kann. Für den CDU-MdB Reichhardt Grund genug, eine Werbekampagne der Bundeswehr in den Schulen zu fordern (KStA 23.05.96).

Wehr- und Zivildienst=ökonomische Verschwendung

„Auf rund 13,2 Milliarden Mark summiert sich im vergangenen Jahr der »Produktionsausfall« durch die Zwangsrekrutierung für Wehr- und Zivildienst, kalkuliert der Hamburger Diplomvolkswirt Michael Schleicher in einer noch unveröffentlichten Dissertation“ (Spiegel 03.06.96). Die Berechnung der „tatsächlichen volkswirtschaftlichen Kosten“ der Wehrpflicht geht davon aus, daß die jungen Männer sonst einen durchsschnittlich bezahlten Job hätten. Auch Prof. Wolf Schäfer von der Bundeswehrhochschule in Hamburg meint, daß Produktionsausfall, entgangene Steuern und Sozialabgaben eingerechnet werden müssen,„wenn man die Kosten einer Wehrpflichtarmee mit denen einer Freiwilligenarmee vergleicht.“ Da nach einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr „besser bezahlte und höher motivierte Längerdiener die doppelte Kampfkraft produzieren“, legt der Spiegelartikel den Schluß nahe, daß die Abschaffung der Wehrpflicht und eine entsprechende Verkleinerung der Bundeswehr auch ökonomisch sinnvoll ist.

Rühe weiter für Wehrpflicht

Zum erstenmal seit vier Jahren hat das Bonner Kabinett wieder im Verteidigungsministerium auf der Hardthöhe getagt. Im Mittelpunkt standen die Bildung von »Krisenreaktionskräften«, die »Würdigung« des Bosnien-Einsatzes, Sparmaßnahmen und die Wehrpflicht. Drei Gründe nannte Verteidigungsminister Rühe für die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht: sie sei sicherheitspolitisch notwendig als Garant der »Aufwuchsfähigkeit« der Streitkräfte von 340.000 auf 680.000 Mann durch Mobilmachung, militärisch notwendig wegen der Tatsache, daß die Bundeswehr ihren Nachwuchs zur Hälfte aus Wehrpflichtigen rekrutiere und gesellschaftspolitisch notwendig als Mittel optimaler Motivation der Streitkräfte (NZZ 30.05.96).

Wehretat-Kürzungen

Um 1.425 Milliarden DM soll der laufende Wehretat gekürzt werden. Außerdem sollen weitere 300 Millionen für den Bundeswehreinsatz in Bosnien (insgesamt 700 Mill. DM) aus dem Rüstungsetat bezahlt werden. „Dem Vernehmen nach will Rühe vor allem bei Bauvorhaben der Bundeswehr in den alten Bundesländern sparen sowie bei der Flugbereitschaft, die überwiegend von den Mitgliedern der Bundesregierung genutzt wird und militärisch nicht von Bedeutung ist“ (FAZ 22.05.96). Kürzungen bei den „großen Beschaffungsvorhaben“ sind danach „wenig wahrscheinlich“. Das betrifft den Kauf von drei Fregatten des Typs »F-124« (1996 mit 230 Mill. DM etatisiert) und den Einstieg in den Bau des »Eurofighters 2.000« (Jäger 90).

Rolle der WEU stärken

„In unserem jetzigen neuen strategischen Umfeld werden die Streitkräfte der NATO wahrscheinlich immer häufiger für Friedensmissionen und humanitäre Operationen wie in Bosnien eingesetzt. Auch wenn dem Bündnis weiterhin eine Schlüsselrolle zukommt, kann man jedoch nicht erwarten, daß es bei allen Aufgaben die Führung übernimmt.In manchen Fällen könnte Europa die Lasten direkter tragen, und bei Operationen wie in Bosnien wäre die WEU bestens dazu geeignet, die politische Leitung sicherzustellen (NATO-Brief Nr.3 /Mai 1996).

Zur »neuen« NATO

„Die Frage ist, was der politische Kern der neuen NATO sein soll. Der Auftrag der alten war es, die mit militärischen Mitteln oder politischer Erpressung vorangetriebene Expansion des Kommunismus nach Westen zu verhindern. Diese Zeiten sind passé. Doch die einmal hitzig, dann wieder kompromißbereit klingenden Töne aus Moskau zur Ost-Erweiterung des Bündnisses zeigen, daß die Frage nach Hegemonialräumen und Einflußsphären in Europa nicht erledigt ist. Da gilt der alte Auftrag, auch wenn neue Mittel erforderlich sind.“ (FAZ 04.06.96)

(Es wurde aus folgenden Zeitungen/Zeitschriften zitiert: Kölner Stadt-Anzeiger, Frankfurter Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Neue Züricher Zeitung, Spiegel, NATO-Brief)

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1996/2 Größer – Stärker – Lauter, Seite