Brennpunkt Mittelmeer: Zwischen Klimawandel und Geopolitik
Im Meer der Mitte kommen Verbindendes und Trennendes zusammen. Drei Kontinente – Europa, Asien, Afrika – treffen hier aufeinander und beeinflussen sich wechselseitig. Von Ägypten und Mesopotamien breiteten sich Schrift, Recht, Stadtentwicklung, Kultur- und Technikgeschichte über den gesamten Raum bis nach Europa und in die westliche Kultur aus. Drei der fünf »Weltreligionen« fanden hier ihre Ursprünge und Widersprüche, die in den Kreuzzügen kulminierten.
Das Mittelmeer erlebte seit antiken Zeiten zahlreiche Kriege, in den Weltkriegen wurde es zu einem Schlachtfeld und während des Kalten Krieges zu einer Konfliktzone zwischen den Supermächten und ihren Verbündeten. Dies setzt sich bis heute fort. Hierzu gehören Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland (besonders auf Zypern), Gewalt zwischen Israel und Palästina, (Bürger-)Kriege in arabischen und islamischen Ländern und in den Balkanstaaten, Terroranschläge von Al-Qaida und dem Islamischen Staat. In geopolitischen Kämpfen interagieren staatliche und nichtstaatliche Akteure, Rivalen um die regionale Hegemonie (Iran, Katar und Saudi-Arabien, NATO und Europäische Union) und externe Mächte wie die USA, China oder Russland.
Dabei spielt der Nord-Süd-Konflikt eine große Rolle. Das enorme Wohlstandsgefälle, die demographische Entwicklung, autoritäre Regierungen und bewaffnete Konfliktaustragung verursachen heute beträchtliche Flucht- und Migrationsbewegungen zwischen Nordafrika, Nahost und Südeuropa. Der Klimawandel wirkt als Multiplikator komplexer Risiken, durch Umweltzerstörung, Wetterextreme und Ressourcenprobleme, insbesondere für die Wasser- und Nahrungsversorgung. Dass diese Region auch heute noch ein Feld geopolitischer Spannungen ist, verwundert nicht. Sie ist reich an fossilen Ressourcen und verfügt zugleich über umfangreiche erneuerbare Energieressourcen. Dazu erhöht die Nutzung von Kernenergie in einigen Ländern das Risiko der Verbreitung von Kernwaffen.
Wie sich die Spannungen über die Mittelmeerregion ausbreiten können, zeigte der »Arabische Frühling«, ausgelöst durch die Selbstverbrennung von Mohamed Bouazizi in Tunesien am 17. Dezember 2010. Einige Publikationen begründen einen Zusammenhang mit dem Anstieg der Getreidepreise zum Jahreswechsel 2010-2011, teils als Folge von Wetterextremen in Russland und China sowie anderen Faktoren, was die von Lebensmittelimporten abhängige arabische Welt besonders traf. Dies verstärkte die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit ihren Regierungen und löste politische Proteste aus, vervielfacht durch Internet und soziale Medien. Auch wenn der Widerstand zunächst friedlich blieb, eskalierte durch staatliche Repression die Gewalt. In Tunesien, Libyen und Ägypten kippten die Regierungen, während in Syrien und im Jemen Bürgerkriege ausbrachen.
In Syrien kamen, neben dem Arabischen Frühling und einer schweren Dürre in der Region, weitere konfliktverstärkende Faktoren hinzu (neoliberale Reform und schlechte Regierungsführung des Assad-Regimes, Folgen des Irak-Kriegs, Militäreinsätze und Zwangsvertreibungen). Dies setzte eine Eskalationskaskade in Gang, die auf andere Regionen übergriff. Terrorismus und Flüchtlingsbewegungen erreichten Europa und verstärkten hier Rechtspopulismus und Nationalismus, die weiter zu einer Polykrise beitrugen. Der Klimawandel war und ist hier einer unter vielen Stressfaktoren. Die Umwälzungen wirken sich bis heute auf die Stabilität der Mittelmeerregion aus und vermischen sich mit aktuellen Konflikten. Zuletzt hat der Gaza-Krieg gezeigt, welches Maß an materieller Zerstörung und Vernichtung menschlichen Lebens militärische Gewalt anrichten kann. Eine dauerhafte Lösung der Konflikte ist auf diesem Wege nicht zu erreichen – auch nicht durch überlegene Streitkräfte.
Um den negativen Nexus der Probleme zu überwinden, ist es wichtig, nachhaltige Friedenslösungen zu suchen. Synergieeffekte zwischen den verschiedenen Handlungsfeldern können dabei genutzt werden. Besonders geeignet ist die gemeinsame Schaffung von Infrastrukturen für Wasser und erneuerbare Energien in der trockenen und sonnenreichen Region und über das Mittelmeer hinweg. Stromnetze können Nordafrika und Nahost mit Europa verbinden, ohne dabei neue Ausbeutungsstrukturen aufzubauen, die primär dem Norden zugutekommen. Da solche Ideen durch die Konflikte nach 2011 blockiert wurden, braucht es für die Bewältigung der Klimakrise und die Energiewende ein kooperatives Umfeld. So lassen sich zugleich Fluchtursachen vermeiden und davon potentiell betroffene Menschen und ihre Netzwerke in Problemlösungen einbeziehen, ebenso staatliche und transnationale Institutionen oder Nichtregierungs-Organisationen. Hierzu gehören beispielsweise »EcoPeace«, die seit drei Jahrzehnten die Wasserkooperation zwischen Jordanien, Israel und Palästina als Beitrag zum Frieden betreiben, und die Teams der »Mediterranean Experts on Climate and environmental Change« (MedECC), die derzeit an verschiedenen Berichten über die Analyse und Bewältigung der verschiedenen Risiken im Mittelmeerraum arbeiten.
Ihr Jürgen Scheffran