• Archiv
  • Alle Ausgaben
  • 1988/2
  • Artikel: Bundesforschungsbericht 1988: Wehrforschung "deutlich ausgeweitet"
W&F 1988/2

Bundesforschungsbericht 1988: Wehrforschung "deutlich ausgeweitet"

von Redaktion

Im Unterschied zum BBF8 (1986) muß der neue Bundesbericht Forschung konzedieren, daß die FuT-Förderung des Bundesministeriums der Verteidigung „deutlich ausgeweitet“ wurde (II/13). Auch die Profilerläuterung kommentiert immerhin: „Durchgängige Zuwächse im gesamten betrachteten Zeitraum verzeichnet das Profil „Wehrforschung und Wehrtechnik“.“ (II/13)

Die Tabelle zeigt, wie spektakulär dieser Zuwachs ist: Während die zivilen Forschungsausgaben 1988 gerade um 11 % höher liegen als am Ende der sozialliberalen Koalition 1982, wurden die Ausgaben für Rüstungsforschung auf 166 % gesteigert. Sie liegen jetzt bei 2,8 Mrd. DM (hier bleibt unberücksichtigt, daß das FuE-Budget des BMVg tatsächlich gut 1 Mrd. DM, das Gesamtbudget Rüstungsforschung der BRD ca. 3,2 Mrd. DM höher liegt (vgl. Informationsdienst Wissenschaft und Frieden 4/1987, S. 31). Das bedeutet, daß von den insgesamt rund 13,9 Mrd. DM, die in dieser Zeitspanne von der konservativ-liberalen Bundesregierung über den Ansatz des Jahres 1982 hinaus zusätzlich für Zwecke der Forschung und Entwicklung investiert wurden, 31 % (4,36 Mrd. DM) in die militärische Forschung und 60 % in den zivilen Bereich gingen (da die Bundesregierung zugleich 4,9 Mrd. einsparte, liegt der wirkliche Zuwachs nur bei knapp 9 Mrd. DM).

Im Ergebnis ist der Anteil der militärischen Forschung am Forschungsbudget des Bundes von 14,5 % (1982) auf 20,2 % (1988) angestiegen. Die Rüstungsforschung wurde unter der gegenwärtigen Regierung das wichtigste einzelne Förderungsgebiet. Das BMVg hat zwischen 1982 und 1988 als einziges Ressort seinen Anteil am Forschungsbudget des Bundes ausgeweitet (vgl. BBF9 II/9a); der Anteil des BMFT sank von 59,5 % auf 55,5 %. Der BBF9 erwähnt diese dramatische Veränderung der Prioritätenstruktur im Berichtszeitraum nicht.

Dieser Bedeutungszuwachs der Rüstungsforschung ist auch noch in anderer Hinsicht bedeutungsvoll. Die rasche Expansion der Rüstungsforschung läuft dem vom BBF9 vielfältig betonten Rückzug des Staates aus der Förderung der Industrieforschung und dem Abbau der „direkten Projektförderung“ konträr. Während die direkte Projektförderung im zivilen Forschungssektor 1987 gegenüber 1982 auf 86,2 % abgenommen hat, ist die Projektförderung des BMVg auf 168,4 % gestiegen. Daß die Projektförderung damit immer noch rund 50 % der FuE-Ausgaben des Bundes ausmacht und zwischen 1982 und 1987 auf 107 % gestiegen ist, geht auf die Ausweitung der Rüstungsforschung zurück. Auch der Betrag, der als staatliche FuE-Subvention in der Wirtschaft verbraucht wird, hat sich seit 1982 kaum verändert (98,9 % in 1987) – dies, weil die staatlichen Forschungsmittel des BMVg, die in die Industrie fließen, stark gewachsen sind (1987 = 181 %). Er hat sich fast verdoppelt!

Angaben des BBF9 (Tab. Il/32a) über die FuE-Förderung der gewerblichen Wirtschaft durch den Bund zeigen, daß der Anteil des BMFT an der Gesamtförderung der Wirtschaft zwischen 1982 und 1986 von 58 % auf 41 % rapide zurückgegangen ist, wogegen der Anteil des BMWi von 14 % auf 16 % anwuchs und der Anteil des BMVg von 26 % auf 41 % förmlich .emporschnellte. 1986 übertraf das BMVg erstmals das BMFT (2,237 Mrd. vs. 2,230 Mrd.) und wurde damit wichtigster staatlicher Forschungsfinanzier der Industrie der Bundesrepublik. Spätestens seit der Entscheidung der Bundesregierung, zur Entwicklung des „Jäger 90“ jährlich mindestens 500 Mio. DM an zusätzlichen FuE-Mitteln auszugeben, ist deutlich geworden, daß in den nächsten Jahren ein weiterer starker Zuwachs der Ausgaben für Rüstungsforschung zu erwarten ist.

Im übrigen bleibt der BBF9 in der Darstellungskontinuität seiner Vorgängerberichte. Der militärischen Forschung widmet er nicht einmal halb so viel Zeilen, wie der Gesamtbericht Seiten hat. Forschungsaufträge für die Bundeswehr werden in staatlichen Forschungsinstituten (FGAN, FHG, DFVLR), in der Industrie „und an den Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland bearbeitet“ (III/78). Der Anteil der Wirtschaft am Verbrauch der Mittel für Rüstungsforschung liegt seit Jahren bei 92-93 % und verändert sich kaum. Einzig bemerkenswert an der knappen Darstellung des BBF9 noch der längere Hinweis auf die Nutzung der zivilen FuE: „Die Nutzung der Forschungsergebnisse des zivilen Bereiches für verteidigungsbezogene Aufgaben erfolgt auf mehreren Wegen. Einmal wird sie sichergestellt durch gemeinsam abgestimmte, sich ergänzende Programme mit dem BMFT (z.B. bei der Mikroelektronik); zum anderen ergibt sie sich aus den organisierten oder allgemeinen wissenschaftlichen Kontakten, z.B. über die Zugehörigkeit zu Sachverständigenausschüssen oder die Arbeit in Forschungseinrichtungen, die zivile und militärische Komponenten enthalten, wie die Fraunhofer-Gesellschaft und die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt.

Sie wird ferner im nationalen Bereich durch die Zusammenarbeit von Forschungsinstituten mit der einschlägigen Industrie und, wo erforderlich, durch eine geeignete Steuerung durch die Amtsseite gewährleistet." (III/78-9) Hier deutet sich eine gewisse Verstärkung der bislang eher geringen industriepolitischen Rolle der Rüstungsforschung an. Sie ist bisher kaum erkennbar in der Biotechnologie, existiert in Ansätzen in der Informationstechnologie bzw. Elektronik und ist stärker ausgeprägt in der Materialforschung. Versuche, sie rasch zu entwickeln, sind (zumindest vorläufig) gescheitert (vgl. Programm Mikroelektronik des BMVg). Dual-use-Strategien werden jedoch, wie der BBF9 zeigt, zunehmend diskutiert und – soweit erkennbar vor allem in der Elektronik auch praktiziert. Ihre bislang eher kompromißbildende Anlage könnte sich im internationalen Spannungsfeld zwischen vorrangig rüstungsindustriell dominiertet Entwicklungsstrategie (USA, England) und wissenschaftlich bzw. zivilindustriell ausgerichteter Strategie (Japan, bislang auch noch BRD) zu einem eigenen forschungspolitischen Entwicklungsmuster verdichten, falls sich die momentan eher abgeschwächte Dynamik der (die Weltmarktposition der BRD eher schwächende) rüstungsindustriellen Variante der Entwicklung des Forschungspotentials erneut beschleunigen sollte.

DGB fragt: Nehmen militärische Interessen in der Forschungspolitik zu?

Hinter dem Schlagwort „Weniger Staat in der Forschungs- und Technologiepolitik“ verbirgt sich nach Meinung von DGB-Vorstandsmitglied Jochen Richert eine schleichende Umorientierung der Förderungspolitik der Bundesregierung vom zivilen zum militärischen Bereich. Während die Gesamtausgaben der Bundesregierung für zivile Forschung im Zeitraum von 1982 bis 1986 lediglich um 4,35 Prozent von 10,21 Milliarden DM auf 10,65 Milliarden DM gestiegen seien, hätten sich die Ausgaben für die Wehrforschung explosionsartig um fast 57 Prozent auf 2,65 Milliarden DM erhöht, sagte Richert am Montag in Düsseldorf. Bezeichnenderweise sei im gleichen Zeitraum die Förderung von Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeit um mehr als 13 Prozent zurückgegangen. Der vermeintliche Rückzug des Staates verdecke lediglich den Bedeutungsverlust des Bundesforschungsministeriums auf dem Feld der Forschungs- und Technologiepolitik zu Lasten der notwendigen sozialen Gestaltung dieses Politikfeldes.

Dieser Bedeutungsverlust findet laut Richert seine Entsprechung bei einem Vergleich der Gesamtaufwendungen des Bundes für die Grundlagenforschung. Die verstärkte Ausweitung des Anteils der Grundlagenforschung am Haushalt des Forschungsministeriums werde von Bundesforschungsminister Riesenhuber zu Unrecht als Erfolg einer Neuausrichtung der Forschungs und Technologiepolitik gewertet. Seinen Angaben zufolge seien die Fördermittel des Ministeriums für die Grundlagenforschung in der Zeit von 1982 bis 1986 von 1,8 Milliarden DM) angewachsen. Dementsprechend sei ihr Anteil am BMFT-Etat im gleichen Zeitraum von 26 Prozent auf 38 Prozent angestiegen.

„Eine vergleichbare Entwicklung“, so sagte Richert, „läßt sich jedoch bei den Gesamtaufwendungen des Bundes für Forschung und Entwicklung nicht beobachten.“ Hier erreiche der Anteil der Fördermittel für die Grundlagenforschung im Jahre 1986 nur knapp 28 Prozent (gegenüber 23 Prozent in 1982). Dies entspreche keineswegs einem rückläufigen Staatseinfluß auf Forschung und Entwicklung, sondern dokumentiere, daß die Förderung zukunftsträchtiger Technologien lediglich vom BMFT auf das Wirtschafts- und Verteidigungsministerium verlagert wurde.

(DGB Nachrichtendienst v. 21.3.1988)

Der Bedeutungszuwachs der militärischen Forschung seit 1982
Jahr/Bereich 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988
BRD 100 104 109 122 127 135
Staat 100 99 102 110 111 119
Bund 100 98 101 110 111 119 119
Bund: zivil 100 96 98 103 104 111 111
Bund: militärisch 100 110 118 148 150 168 166
Eigene Berechnung nach BBF9, Tab. VII/2; Tab. VII/3; Tab. VII/8
erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1988/2 Einblicke: Ist SDI tot? Plant die NATO neue Aufrüstung?, Seite