W&F 2020/3

Bundeswehr als Katastrophenschutz?

Corona-Pandemie verdeutlicht Missstände

von Martin Kirsch

Die Bundeswehr geriert sich in der Corona-Pandemie als besserer Katastrophenschutz und nutzt ihre Aktivitäten für eine Propaganda­offensive. Währenddessen geraten die ohnehin unterfinanzierten Institutionen der zivilen Krisenvorsorge nicht nur medial ins Hintertreffen. Das Vordringen der Bundeswehr in den zivilen Katastrophenschutz ist kein neues Phänomen in der Corona-Pandemie, wird aber wie diverse andere gesellschaftliche Schieflagen in der aktuellen Krise besonders deutlich.

Nach einer kurzen Phase, in der sich auch die Bundeswehr auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie in ihren Reihen einstellen musste, fuhren die Streitkräfte ihre Aktivitäten im Inland ab Ende März 2020 massiv hoch. Zusätzlich zu den fünf Bundeswehrkrankenhäusern, die ohnehin in die zivile Krankenversorgung in Deutschland eingebunden sind, stehen fast 32.000 Soldat*innen für Hilfsaufgaben in Bereitschaft: knapp 17.000 Sanitätssoldat*innen und 15.000 Angehörige der sonstigen Waffengattungen (BMG u. BMI 2020, S. 12). Damit handelt es sich um das größte Einsatzkontingent, dass die Bundeswehr je für Einsätze im Inland aufgestellt hat. Erst zum zweiten Mal, nach dem Hochwassereinsatz 2013, wurden Soldat*innen für Hilfeleistungen im Inland in großer Zahl präventiv in Bereitschaft versetzt. Dabei handelt es sich um die Vorbereitung für ein Worst-case-Szenario, dies zeigt sich am tatsächlich eingesetzten Personal: Die Zahl der gleichzeitig eingesetzten Soldat*innen blieb im Verlauf des gesamten Mai deutlich unter 1.000. Dennoch soll das überdimensionierte Kontingent der Streitkräftebasis bis zum Herbst aufrecht erhalten werden.

Koordiniert werden die Einsatzkontingente von den bereits etablierten Strukturen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit und einem Führungsstab des Sanitätsdienstes sowie von vier Regionalen Führungsstäben, die kurzerhand bei den Truppenkommandos von Marine, Luftwaffe und den beiden Panzerdivisionen des Heeres eingerichtet wurden. Auch diese ab April ad hoc eingerichteten Führungsstrukturen sollen bis zum Herbst bestehen bleiben (Wiegold 2020). Bis dahin plant der für Inlandseinsätze zuständige Generalleutnant Martin Schelleis, die Erfahrungen zum Aufbau neuer Koordinations- und Führungsstrukturen zu nutzen. Diese Umstrukturierung, die ohne Corona-Pandemie vermutlich Jahre gedauert hätte, soll nicht nur zur Steuerung von möglichen Corona-Einsätzen der Bundeswehr bis ins nächste Jahr genutzt werden, sondern zur Basis dauerhafter neuer Strukturen werden.

Über 600 Amtshilfeanträge

Bis Anfang Juni 2020 reagierte die Bundeswehr auf über 600 Anträge auf Amtshilfe von zivilen Behörden und Ministerien (Wiegold 2020). Knapp die Hälfte, rund 280 Anträge, wurden von der Bundeswehr wegen fehlendem Personal und Material oder wegen fehlender Rechtsgrundlage abgelehnt oder von den Antragssteller*innen zurückgezogen. Darunter waren rechtswidrige Anfragen der grün-schwarzen Landesregierung in Baden-Württemberg, die für die Soldat*innen hoheitliche Aufgaben als Ordnungskräfte in unter Quarantäne stehenden Geflüchtetenunterkünften sowie die Unterstützung der Landespolizei bei der Durchsetzung der Corona-Maßnahmen vorsahen.

Im gesamten Jahr 2019 reagierte die Bundeswehr insgesamt auf 250 Amtshilfeersuchen, was die Dimension der aktuellen Maßnahmen verdeutlicht. Die Bandbreite der durchgeführten Amtshilfemaßnahmen überschreitet den Rahmen des hier Darstellbaren. Daher werden im Folgenden einige Aufgaben-Cluster aufgeführt, die die Bundeswehr im Rahmen der Corona-Pandemie übernahm, und an einigen Beispielen erläutert (Kirsch 2020).

  • Zu Beginn des unkontrollierten Ausbruchs der Corona-Pandemie in Deutschland im März 2020 wurde die Versorgung von Krankenhäusern und weiteren medizinischen und pflegenden Einrichtungen mit Schutzausrüstung und Medizinprodukten zu einem zentralen politischen Thema. Schnell begann die Beschaffungsbehörde der Bundeswehr für das Bundesgesundheitsministerium entsprechende Kaufaufträge im dreistelligen Millionenbereich abzuwickeln. Für den Lufttransport der bestellten Produkte aus China nutzten die Streitkräfte für sie unter Vertrag stehende Großraumtransportflugzeuge des zivilen Firmenkonsortiums SALIS. Zudem wurden Soldat*innen, beispielsweise in Hessen, in die Planung – vom Einkauf über die Verteilung bis hin zur tatsächlichen Verteilung der Schutzausrüstung – eingebunden. Ende März waren Logistikeinheiten der Bundeswehr damit betraut, die gesamte Schutzausrüstung für Sachsen-Anhalt von Flughäfen abzuholen, zu rationieren und umzuverpacken sowie an zivile Stellen, wie die Gesundheitsämter, zu verteilen.
  • Ab Mitte April wurden in Brandenburg die ersten Soldat*innen in Gesundheitsämtern eingesetzt, um das Stammpersonal bei der telefonischen Kontaktverfolgung von Infizierten und an der allgemeinen Telefonhotline zu unterstützen. Im Gesundheitsamt Potsdam wurden die 25 regulären Mitarbeiter*innen um 15 weitere Soldat*innen aufgestockt. Obgleich ihnen hoheitliche Aufgaben, wie das Verhängen verpflichtender Quarantänemaßnahmen, rechtlich verboten sind, werden hier Bundeswehrangehörige in sensiblen Bereichen der Gesundheitsüberwachung eingesetzt. Anfang Juni waren knapp 200 Soldat*innen in 30 Gesundheitsämtern in acht Bundesländern im Einsatz.
  • Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt bildet der Einsatz von Soldat*innen in Alten- und Pflegeheimen. In einem Altenheim im Kreis Bamberg, in dem es zu einem Corona-Ausbruch gekommen war, wurden vorübergehend 35 Panzersoldat*innen eingesetzt. In vier Bundesländern waren Anfang Juni knapp 100 Soldat*innen in rund 20 Heimen tätig. Neben wenigen Sanitätssoldat*innen mit medizinischer Ausbildung, die auch im pflegerischen Bereich tätig werden dürfen, besteht der Großteil der Aufgaben in der Essensausgabe und weiteren nicht-pflegerischen Tätigkeiten.
  • Ebenfalls in Heimeinrichtungen werden in Deutschland, häufig zwangsweise, geflüchtete Menschen im Asylverfahren untergebracht. Dort kam es in oft überbelegten Heimen aufgrund der beengten Lebensverhältnisse und der teils katastrophalen hygienischen Bedingungen bereits gehäuft zu Corona-Ausbrüchen. Mehrfach wurden hunderte Bewohner*innen solcher Einrichtungen kollektiv unter Quarantäne gestellt. Die Bundeswehr lehnte zwar rechtswidrige Anträge aus Thüringen und Baden-Württemberg ab, Soldat*innen als Wachmannschaften für solche Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, für Hilfstätigkeiten, wie Essenszubereitung und -ausgabe, sowie medizinische Überwachung und Betreuung werden jedoch Bundeswehrangehörige eingesetzt.
  • Darüber hinaus sind Soldat*innen mit und ohne medizinische Ausbildung an Aufbau und Betrieb von Teststationen, Notkliniken und medizinischen Versorgungsstationen beteiligt. Seltener stellt die Bundeswehr zivilen Krankenhäusern Sanitätspersonal sowie mobile Beatmungsgeräte, Röntgen- und CT-Container zur Verfügung.

Unabhängig von Amtshilfeanträgen sind die fünf Bundeswehrkrankenhäuser sowie Labore der Bundeswehr, darunter ein Speziallabor für die Erkennung biologischer Waffen, in die Versorgung und Testung der Bevölkerung eingebunden.

Zivile Alternativen

Für alle Aufgaben, die die Bundeswehr im Rahmen der Corona-Pandemie bisher übernimmt, bestehen zivile Alternativen. In der medialen Berichterstattung zumeist unerwähnt, wickelt das Technische Hilfswerk (THW) die gesamte Logistik rund um Schutzausrüstungen und Medizinprodukte in Bayern ab und betreibt Logistikeinrichtungen in diversen weiteren Bundesländern. Zudem blieben Transport- und Logistikkapazitäten von zivilen Speditions- und Luftfahrtunternehmen, die aufgrund des Lockdown nicht ausgelastet waren, ungenutzt.

Für die Unterstützung der Gesundheitsämter wurde im März ein Programm des Bundesgesundheitsministeriums aufgelegt. Vermittelt über das Robert-Koch-Institut (RKI), wurden Stellen für 500 Studierende ausgeschrieben. Sie werden als »Containment Scouts« in der telefonischen Kontaktverfolgung eingesetzt. Trotz mehr als 10.000 Bewerbungen wurden bis Mitte Juni allerdings nur 380 Stellen besetzt (Fuchs 2020). Die Option, das Programm aufzustocken, wurde gar nicht erst diskutiert.

Ein Arbeitsschwerpunkt der Containment Scouts ist Nordrhein-Westfalen, wo auf den Einsatz von Soldat*innen in Gesundheitsämtern verzichtet wurde. Ein Grund für die auch unabhängig von der aktuellen Pandemie angespannte Situation in den Gesundheitsämtern ist häufig der Personalmangel. In vielen Kreisen und Städten werden Stellen für Ärzt*innen in den Ämtern aufgrund der miserablen Bezahlung nur mit Interimslösungen besetzt.

Für die medizinische, pflegerische und allgemeine Betreuung in Alten- und Pflegeheimen sowie Geflüchtetenunterkünften müssten Kapazitäten der zivilen Katastrophenschutzeinrichtungen zur Verfügung stehen. So sind bei Evakuierungen aufgrund von Bombenentschärfungen Rotes Kreuz, Johanniter, Malteser und Arbeiter-Samariter-Bund in der Lage, Tausende Menschen, darunter auch Alte und Kranke, in Turnhallen und sonstigen Notunterkünften zu betreuen. Zudem ist die Personalsituation in der Pflege, ob in Heimen oder Krankenhäusern, nicht nur, aber vor allem aufgrund der schlechten Bezahlung bereits im Normalbetrieb an der Belastungsgrenze.

Für Aufbau und Betrieb von Teststationen, Notkliniken und medizinischen Versorgungseinrichtungen ähnelt das Bild der Situation in Pflegeeinrichtungen. Diese Aufgaben fallen in den Kernbereich der zivilen Katastrophenschutzeinrichtungen für die medizinische Versorgung der Bevölkerung in Ausnahmesituationen.

Zivil-Militärische-Zusammenarbeit

Der bisher größte Wendepunkt in der Geschichte der Bundeswehr war das Ende des Kalten Krieges 1989/90. Bis dahin schien der Auftrag der Streitkräfte der Bundesrepublik klar: Landes- und Bündnisverteidigung, d.h. ein potenzieller Krieg auf deutschem Territorium gegen den Warschauer Pakt im Rahmen der NATO-Bündnisverteidigung. Alle weiteren Aufgaben der Bundeswehr mussten sich dieser Kernaufgabe unterordnen. So existieren zwar bereits seit den 1960er Jahren Strukturen der Bundeswehr für die Zivil-Militärische-Zusammenarbeit innerhalb des so genannten Territorialheeres. Sie waren allerdings für die Unterstützung der Bundeswehr durch zivile Organisationen im Kriegsfall ausgelegt.

Seit der Umstrukturierung der Bundeswehr in der ersten Hälfte der 2000er Jahre wurde dieser Auftrag um 180 Grad gewendet. Die Möglichkeit eines Krieges in der Heimat schien in weite Ferne gerückt, und die Kampftruppen der Bundeswehr wurden zunehmend in Interventionskriege und Auslandsmissionen geschickt. Der Ansatz der »Vernetzten Sicherheit« wurde mit dem »Weißbuch 2006« erstmals in einem zentralen Regierungsdokument festgeschrieben. Im In- und Ausland sollte die Bundeswehr dazu befähigt werden, im engen Verbund mit zivilen Institutionen auf gesellschaftlich, ökonomisch, ökologisch und kulturell bedingte Krisen zu reagieren. Diesem neuen Paradigma entsprechend war der Kernauftrag der neu aufgestellten Strukturen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit ab 2006, die Fähigkeiten der Bundeswehr als Teil der gesamtstaatlichen Krisenvorsoge aktiv zur Unterstützung ziviler Institutionen, zuvorderst des Katastrophenschutzes, anzubieten. Verfestigt wurden diese Strukturen bei den regelmäßig stattfindenden Länder- und Ressortübergreifenden Krisenmanagementübungen (LÜKEX), in denen die Bundeswehr als fester und dauerhafter Bestandteil des staatlichen Katastrophenschutzes etabliert wurde (BBK o.D.). Als Übungsszenarien für LÜKEX dienen u.a. extreme Schneefälle, Sturmfluten und Terroranschläge sowie Stromausfälle und Cyberattacken. Im Rahmen von LÜKEX 2007 wurden die Reaktionen auf eine weltweite Influenza-Pandemie geübt (ebenda).

Falsche Prioritätensetzung – oder: Wer bezahlt die Rechnung?

Warum werden die Institutionen des zivilen Katastrophenschutzes in der Corona-Pandemie und bei Naturkatastrophen eigentlich nicht in vollem Umfang einbezogen? Und kann der zivile Katastrophenschutz diese Aufgaben aktuell überhaupt übernehmen?

Offengelegt werden bei dieser Fragestellung zentrale Missstände finanzieller, personeller und politischer Natur, die bereits vor der Corona-Pandemie existierten, jetzt aber besonders deutlich zu Tage treten. Die Menschen, auf die der zivile Katastrophenschutz zurückgreifen kann – über zwei Millionen –, sind Mitglieder der jeweiligen Organisationen und leisten ihren Dienst größtenteils freiwillig und ehrenamtlich. Ein Extrembeispiel ist das THW: Dort stehen den rund 64.000 ehrenamtlichen Einsatzkräften nur 1.800 hauptamtliche THW-Angehörige gegenüber, die ausschließlich mit Führungs-, Verwaltungs- und Organisationsaufgaben sowie der Materialwirtschaft betraut sind (THW 2020a, S. 8-9; THW 2020b). Wie in vielen Bereichen der Zivilgesellschaft haben auch diese Organisationen in den letzten Jahren mit einem Mitgliederrückgang und Mangel an Freiwilligen zu kämpfen.

Zudem wurden auch dem zivilen Katastrophenschutz nach 1990 massiv die finanziellen Mittel gekürzt. Einrichtungen wie Notkrankenhäuser wurden geschlossen, und die Lagerhaltung von Medikamenten und Material wurde abgewickelt. Um diesem Trend entgegenzusteuern, plant das Rote Kreuz aktuell wieder Materiallager anzulegen und zehn neue Behandlungseinrichtungen für bis zu 50.000 Patient*innen aufzubauen. Dafür wird mit Kosten von rund einer Viertel Milliarde Euro gerechnet. Während der Rüstungshaushalt in den letzten Jahren kontinuierlich stieg und weiter steigen soll, ist die Finanzierung dieses Vorhaben bisher nicht gesichert.

In die bestehenden Lücken im zivilen Katastrophenschutz dringt die Bundeswehr seit rund 15 Jahren massiv vor. Dabei wird sie keineswegs bloß als vermeintlich notwendiger Lückenfüller gesehen. Als um 2006 die neuen Strukturen der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit der Bundeswehr aufgebaut wurden, gab es aktive Bestrebungen in der Bundespolitik, für die Streitkräfte neue Aufgabenfelder im Inland zu erschließen. Abgesehen von grundsätzlichen Kritikpunkten an diesem gezielten Vordringen der Armee in die Sphäre der Innenpolitik, entstanden durch dieses Vorgehen auch ganz konkrete, praktische Probleme. Einerseits ist die Bundeswehr für Teile dieser Aufgaben gar nicht entsprechend ausgebildet und ausgerüstet. Andererseits bleibt die Priorität der Bundeswehr die Fähigkeit, von der Ostflanke der NATO bis nach Mali und Afghanistan Krieg führen zu können. Sind Personal und Material also in Manövern, Eingreiftruppen und Kriegseinsätzen gebunden, stehen sie für Katastrophenschutzaufgaben in Deutschland nicht oder nur stark eingeschränkt zur Verfügung.

Ein weiterer Faktor kommt dazu: Für die Bewältigung von Naturkatastrophen, Großunfällen und Pandemien sind in Friedenszeiten die föderalen Strukturen der Bundesländer und Kommunen zuständig. Ministerpräsident*innen und Landrät*innen, die für die Hilfsanträge an die Bundeswehr verantwortlich sind, versuchen in solchen Ausnahmesituationen häufig Handlungsfähigkeit und Stärke zu beweisen. Der Ruf nach der Bundeswehr und die Mobilisierung von Soldat*innen wird auch medial als Signal der Stärke transportiert, weil martialische Bilder erzeugt werden können. Übersehen wird dabei zumeist, dass sich so zwar kurzfristig praktische und politische Erfolge erzielen lassen. Das Bild von zupackenden Soldat*innen wirkt im jeweiligen Moment stark. Mit einer alltäglichen und dauerhaften Unterstützung und Ausfinanzierung des Katastrophenschutzes hingegen – die dauerhaft Kosten erzeugt, auch wenn akut keine Katastrophe vorliegt – lassen sich kaum Sympathiewerte und Wähler*innenstimmen gewinnen. Viele Landes- und Kommunalpolitiker*innen unterliegen daher dem Reiz des militärischen, auch wenn sie damit dem zivilen, föderalen System des Katastrophenschutzes die Grundlagen entziehen.

Verstärkt wird die finanzielle Schieflage zwischen Zentralstaat und föderalen Strukturen zudem in der konkreten Krisen- oder Katastrophensituation. Die Kosten für die Einsätze des Katastrophenschutzes müssen die Kommunen und Länder tragen, die die Katastrophenschutzkräfte mobilisieren. Ein Großteil der anfallenden Kosten ergibt sich aus der Kompensation der Verdienstausfälle der ehrenamtlichen Helfer*innen, und das kann teuer werden. Die Bundeswehr hingegen stellt ihre Katastrophenschutz- und Hilfseinsätze nicht in Rechnung. Denn auch das Verteidigungsministerium, das die Kosten übernimmt, profitiert von diesen Einsätzen. In der aktuellen Corona-Pandemie sogar von einer privaten PR-Agentur mit Sonderwebsite und YouTube-Doku-Serie in Szene gesetzt, kann sich die Bundeswehr als Hilfsorganisation präsentieren, um Rekrut*innen werben, die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern und mit diesen positiven Bildern weiter steigende Rüstungsausgaben rechtfertigen.

Mit der Übernahme der Kosten für Einsätze der Bundeswehr wird damit ein weiterer Anreiz geschaffen, nicht auf einen verlässlich finanzierten und funktionierenden zivilen Katastrophenschutz, sondern selbst bei kleineren Ereignissen auf die vermeintlich kostengünstigere Akuthilfe der Bundeswehr zu setzen.

Konsequenzen

Um die aktuell vorherrschende Bevorzugung der Bundeswehr und das damit einhergehende Ausbluten des zivilen Katastrophenschutzes zu beenden, wäre es dringend nötig, Gelder aus dem Rüstungshaushalt des Bundes in die Länder- und Kommunen umzuleiten. Nur so ließe sich eine funktionsfähige Alternative zur faktischen Militarisierung der zivilen Katastrophenvorsorge sichern bzw. wieder herstellen. Im Gegensatz zu einer zentralstaatlichen und häufig militärischen Krisenreaktion würden so lokale und regionale Strukturen der Zivilgesellschaft gestärkt.

Zudem wären die Ausfinanzierung von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtung sowie eine angemessene Bezahlung der dort arbeitenden Menschen und damit ein Ende der marktförmigen Organisation der medizinischen Versorgung der Bevölkerung bitter nötig. Von einem solchen Sinneswandel würde die Bevölkerung auch im Alltag, ganz unabhängig von Naturkatastrophen oder einer Pandemie, erkennbar profitieren.

Wachsamkeit ist allerdings bei Vorstößen des Bundesinnenministeriums aus den letzten Jahren gefragt, die auf den ersten Blick wie eine Stärkung des zivilen Katastrophenschutzes aussehen. Mit der 2016 veröffentlichten »Konzeption Zivile Verteidigung« (KZV) wird erstmals seit den 1990er Jahren der Kriegsfall in Deutschland wieder zur festen Planungsgröße (BMI 2016). Hinter dem Begriff der »Zivilen Verteidigung« verbirgt sich eine Art Katastrophenschutz für den Kriegsfall. Damit reiht sich die Vorbereitung ziviler Infrastruktur für die Arbeitsfähigkeit unter Kriegsbedingungen in die allgemeine Aufrüstung von NATO und EU gegen Russland ein.

Mehr als deutlich wird angesichts der aktuellen Pandemie allerdings, dass weder machtpolitische und militärische Strategien noch zentralstaatliche Führungsstrukturen und Bunker, sondern funktionsfähige lokale und zivile Strukturen des Katastrophenschutzes und ein stabiles, ausfinanziertes Gesundheitswesen tatsächliche Verbesserung bringen würden.

Literatur

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe/BBK (o.D.): LÜKEX-Historie – von Terror bis Stromausfall. Online auf bbk.bund.de

Bundesministerium der Verteidigung/BMVg (2006): Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr. Berlin.

Bundesministerium des Inneren/BMI (2016): Konzeption Zivile Verteidigung (KZV). Berlin, 24.8.2016.

Bundesministerium für Gesundheit/BMG und Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat/BMI (2020): Lagebild Gemeinsamer Krisenstab BMI-BMG COVID-19 – Stand: 16.04.2020, 09:00 Uhr. VS – Nur für den Dienstgebrauch. Abrufbar über: Semsrott, A. (2020): Corona-Krise – Wir veröffentlichen aktuelles Lagebild des Krisenstabs. fragdenstaat.de, 18.4.2020.

Fuchs, T. (2020): Corona und die Detektive. Redaktionsnetzwerk Deutschland, 14.5.2020.

Kirsch, M. (2020): Die Bundeswehr und das Virus – Teil II: Mitte März bis Mitte Mai – Amtshilfe und Eiserne Reserve. Ausdruck – Magazin der Informationsstelle Militarisierung e.V., Vol. 18, Nr. 2, S. 34-40.

Koytek, O.; Boje, M.; Schulze, J. (2020): Kata­strophenschutz am Limit – Wie gut ist Deutschland aufgestellt? ZDF zoom, Erstausstrahlung 1.4.2020.

Technisches Hilfswerk/THW (2020a): Jahrsbericht 2019. Bonn, Mai 2020.

Technisches Hilfswerk/THW (2020b): Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk im Überblick. Bonn: Juli 2020.

Wiegold, T. (2020): Coronavirus – Bundeswehr fährt Bereitschaftszeiten zurück, bleibt aber in Reserve. augengeradeaus.net, 4.6.2020.

Martin Kirsch ist Sozialwissenschaftler und Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/3 Der kranke Planet, Seite 24–27