W&F 2016/2

Bundeswehr im Innern

von Jürgen Nieth

„Charakter und Dynamik gegenwärtiger und zukünftiger sicherheitspolitischer Bedrohungen machen […] Weiterentwicklungen erforderlich, um einen wirkungsvollen Beitrag der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr an der Grenze von innerer und äußerer Sicherheit auf einer klaren Grundlage zu ermöglichen“, heißt es im Entwurf für das »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« (zitiert nach süddeutsche-online, 12.4.16).

Im Klartext: Es geht um einen erweiterten Einsatz der Bundeswehr in Deutschland selbst. Ein Thema, das CDU/CSU seit Jahren am Herzen liegt und das jetzt offensichtlich ohne Konsultation des Regierungspartners SPD nachträglich in den Entwurf des »Weißbuchs« eingefügt wurde: „Im Auswärtigen Amt erzeugte dieser Satz auch deswegen abwehrendes Staunen, weil er in der Rohfassung des Weißbuch-Entwurfs, den von der Leyen eine Woche vor Ostern an Steinmeier weitergab, noch nicht enthalten war.“ (Johannes Leithäuser und Majid Sattar in FAZ, 13.4.16, S.2)

Die Verärgerung auf SPD-Seite ist offensichtlich: „Weißbuch hin oder her – eine Grundgesetzänderung für den Einsatz der Bundeswehr im Innern wird es mit der SPD nicht geben“, so der Außenminister (zitiert nach Spiegel-Online, 12.4.16). „Ähnlich äußern sich Genossen aus beiden Parteiflügeln.“ (Tobias Schulze in taz, 14.4.16, S.6) Als Fazit zieht ein AutorInnenteam der WELT: „Von der Leyen hat mit ihrer Taktik das Klima für die Schlussverhandlungen über das Weißbuch vergiftet.“ (13.4.16, S.5)

Terrorabwehr als Vorwand

Die Bundeswehr könne „im Fall eines Terroranschlags in Deutschland eine wertvolle Unterstützung auch im Inneren sein, heißt es im Verteidigungsministerium“, schreibt die Hannoversche Allgemeine (12.4.16, S.2). Und die FAZ schildert als CDU-Position: „[…] falls es in Deutschland einmal zu einer ähnlichen Serie von Terrorakten komme wie jüngst in Paris, dann würden Polizeikräfte die Hilfe der Bundeswehr benötigen.“ (FAZ, 13.4.16, S.2) Genau dafür ist sie aber nach Meinung mehrerer Kommentatoren nicht geeignet. Die BZ (14.4.16, S.8) titelt ihre Zusammenfassung: „Kein Ersatz für die Polizei.“ Im Kommentar des neuen deutschland (13.4.16, S.4) heißt es: „Nach den Anschlägen von Paris im Januar 2015 wurden dort Tausende Soldaten mobilisiert, um Menschen vor Attacken durch Islamisten zu schützen. Vollständige Sicherheit konnten aber auch sie nicht bieten, wie die erneuten tödlichen Anschläge auf Zivilisten gezeigt haben.“ Lorenz von Stackelberg schreibt im Münchner Merkur (13.4.16): „Auf einem anderen Blatt steht allerdings die Effektivität von Militäreinsätzen im Inneren, wenn es um Terror geht. Islamistische Attentäter mögen sich als eine Art von Soldaten sehen, sie agieren aber wie Schwerkriminelle. Für deren Bekämpfung ist die Polizei mit ihren Spezialkommandos und Sondereinheiten gerüstet – besser als jene Soldaten, die […] wenig mehr als Objektschutz leisten könnten.“ Und für Joachim Käppner (SZ, 13.4.16, S.4) hat sich auch bei den Auslandseinsätzen gezeigt, „dass Soldaten schnell überfordert sind, wenn sie die Ersatzpolizei geben müssen, wie bei den März-Unruhen im Kosovo 2003“.

Für Daniela Vates ist Terrorbekämpfung der Vorwand. „Tatsächlich handelt es sich um etwas anderes: um die Suggestion von Sicherheit zum Preis der Militarisierung des Alltags […] Es wäre eine Ausweitung der Kampfzone. Umso eindrucksvoller ist dies, als das Verteidigungsministerium den Schritt gerne flankieren würde durch eine Lockerung der Bedingungen für Auslandseinsätze und durch einen Verzicht auf die Obergrenze für die Truppenzahl.“ (BZ, 13.4.16, S.8)

Dauerthema der Union

Die Union versucht seit Jahrzehnten, die Fesseln zu lösen, die die Verfassung dem Militäreinsatz jenseits der Katastrophenhilfe anlegt.“ (Tagesspiegel, 13.4.16, S.4) Und für den Fall, dass sie die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht bekommt, droht sie, „ihre Forderung im Falle eines Wahlsieges bei der Bundestagswahl 2017 in Koalitionsverhandlungen ein[zu]bringen“ (BZ, 12.4.16, S.4).

Dass die „völlig überflüssige Debatte über Bundeswehreinsätze im Innern hierzulande fortgesetzt [wird]. Das liegt auch an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter sprachen diesbezüglich vor rund vier Jahren von Ausnahmefällen als letztes Mittel. Sie ließen somit Raum für Interpretationen. Dabei wäre es im Sinne des Grundgesetzes gewesen, der Militarisierung der Innenpolitik einen Riegel vorzuschieben. Allein aus der deutschen Geschichte lassen sich hierfür viele gute Gründe ableiten“, schreibt Aert von Riel (ND, 13.4.16, S.4).

Die Geschichte beschäftigt auch Joachim Käppner (SZ, 13.4.16, S.4): „Deutschland hat eine lange Tradition des Einsatzes von Militär im Inland. Leider ist dies eine Tradition, auf die man gerne verzichten würde: Soldaten schossen 1848/49 die freiheitliche Revolution zusammen; von den Soldaten verlangte Kaiser Wilhelm II, auf ihre eigenen Familien zu schießen; Soldaten putschten 1920 gegen die demokratische Reichsregierung, während die Führung der Reichswehr sich weigerte einzuschreiten, denn »Truppe schießt nicht auf Truppe«. Weite Teile der Zivilgesellschaft galten den Generälen als innerer Feind, dem wahren Feind warfen sie sich dann 1933 an den Hals. Das ist der Hintergrund, vor dem das Grundgesetz den Einsatz von Streitkräften im Inneren untersagt, mit eng begrenzten Ausnahmen wie Katastrophen oder anderen Notfällen.“

Blick in die Zukunft

Lassen Sie uns vom Schlimmsten ausgehen: In Deutschland wird eine Partei mit diktatorischen Tendenzen an die Regierung gewählt, beispielsweise rechtsnational. Sie könnte, wäre die Verfassung bereits geändert, die Soldaten auf die Straße schicken, weil irgendwas ja immer droht oder bedroht. Man kann argumentieren, dass sich anti-demokratische militaristische Kräfte von einer Verfassung nicht aufhalten lassen würden. Aber allzu leicht sollte man es ihnen nicht machen.“ (Daniela Vates in BZ, 13.4.16, S.8)

Zitierte Tageszeitungen: Berliner Zeitung (BZ), DIE WELT, Frankfurter Allgemeine (FAZ), Hannoversche Allgemeine, Münchner Merkur, neues deutschland (ND), Süddeutsche Zeitung (SZ), Der Tagespiegel, tageszeitung (taz).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/2 Stadt im Konflikt – Urbane Gewalträume, Seite 4