W&F 2016/2

Bundeswehreinsatz gegen den IS

Eine völker- und verfassungsrechtliche Bewertung

von Bernd Hahnfeld

Nach den von der Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) begangenen Angriffen auf Paris vom 13. November 2015 erging auf Antrag der Bundesregierung (Drucksache 18/6866) am 4. Dezember 2015 mit 445 Ja-Stimmen gegen 145 Nein-Stimmen bei sieben Enthaltungen der Beschluss des Bundestages über den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch den IS. Der Bundestagsbeschluss enthält eine Begründung für den deutschen Beitrag, der im Rahmen der internationalen Allianz gegen den IS geleistet wird. Der Einsatz dient der Unterstützung Frankreichs, des Irak und der internationalen Allianz gegen den IS durch Bereitstellung von „Luftbetankung, Aufklärung […], seegehenden Schutz und Stabspersonal; die Personalstärke des Einsatzes darf bis zu 1.200 Soldatinnen und Soldaten betragen. Der Beschluss ist entgegen der Darstellung im Antragstext nicht durch das Völkerrecht und das Grundgesetz gedeckt.

Völkerrechtlich ist Deutschland wie alle anderen Staaten nach Artikel 2 Absatz 3 UN-Charta verpflichtet, internationale Streitigkeiten durch friedliche Mittel so beizulegen, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Artikel 2 Absatz 4 UN-Charta verbietet dementsprechend die Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt in den internationalen Beziehungen. Verboten ist nach Artikel 2 Absatz 7 UN-Charta auch das Eingreifen in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Militärische Gewalt darf nur in zwei Ausnahmefällen eingesetzt werden: entweder mit Autorisierung durch einen entsprechenden Beschluss des UN-Sicherheitsrates nach Artikel 39 und 42 UN-Charta oder als individuelle oder kollektive Selbstverteidigung in den Grenzen von Artikel 51 UN-Charta. Daran ist Deutschland völkerrechtlich gebunden. Das gibt auch die deutsche Verfassung, das Grundgesetz, zwingend vor (Artikel 20 Absatz 3 und Artikel 25 GG).

EU als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit?

Die Bundesregierung beruft sich in ihrem Antrag zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung auf Artikel 24 Absatz 2 GG.1 Die Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte solle im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolgen. Darauf kann sich die Bundesregierung aber nur berufen, wenn der Militäreinsatz tatsächlich im Rahmen und nach den Regeln eines solchen Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Artikel 24 Absatz 2 GG stattfindet. Weder die Europäische Union (EU) noch die ad hoc von mehreren Staaten gebildete internationale Allianz gegen den IS sind aber als Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Artikel 24 Absatz 2 GG anzusehen.

Das hat für den Fall der EU das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Lissabon-Urteil vom 30. Juni 2009 bereits entschieden (Randnummer-RdNr 390). Nach dieser Rechtsprechung des BVerfG verdeutlicht der Ratifikationsvorbehalt des Lissabon-Vertrages der EU, dass der Schritt der EU zu einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit (noch) nicht gegangen worden ist. Das BVerfG hält den späteren Ausbau der EU zu einem derartigen System zwar nicht für von vornherein unzulässig. Als Hindernis könnte sich allerdings erweisen, dass Entscheidungen nach Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag2 durch Artikel 24 Absatz 2 EU-Vertrag ausdrücklich der gerichtlichen Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof entzogen sind. Denn anders als ein Verteidigungsbündnis muss ein Bündnis kollektiver Sicherheit für den Fall von Aggressionsakten von Bündnispartnern verbindliche interne Konfliktregelungsmechanismen enthalten.

Soweit im Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags (WD2-3000-203/15) behauptet wird, Artikel 24 Absatz 2 GG biete auch der „Einbindung von kollektiven Verteidigungsstrukturen“ nach Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag eine Rechtsgrundlage, wird der Wortlaut und Sinn der Verfassungsnorm in sein Gegenteil verkehrt. Nicht ohne Grund ist in Artikel 24 Absatz 2 GG nur die „Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ zur Wahrung des Friedens vorgesehen und nicht auch ein Verteidigungsbündnis. Verteidigungsbündnisse sind gegen einen oder mehrere potenzielle Gegner gerichtet. Sie setzen auf die relative Stärke der Bündnispartner, nicht jedoch auf die gemeinsame (kollektive) Sicherheit der potenziellen Gegner.

Auch bei der internationalen Allianz gegen den IS spricht alles dagegen, dass diese ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Artikel 24 Absatz 2 GG ist. Dieser «Allianz« mehrerer Staaten geht es nur um die politische und militärische Abwehr der vom IS ausgehenden internationalen Bedrohung. Es fehlen für ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit alle konstitutiven Elemente. Stattdessen handelt es sich bei der internationalen Allianz gegen den IS um ein informelles Beistandsbündnis.3

Die Regierungen Frankreichs und Deutschlands haben es unterlassen, sich für ihren Militäreinsatz gegen den IS durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats autorisieren zu lassen. Die Bundesregierung beruft sich lediglich darauf, dass der UN-Sicherheitsrat in den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015) und 2249 (2015) wiederholt festgestellt hat, von der Terrororganisation IS gehe eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit aus. Zudem forderte der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 2249 (2015) die Mitgliedsstaaten, „die dazu in der Lage sind“, auf, unter Einhaltung des Völkerrechts in dem unter der Kontrolle des IS stehenden Gebiet in Syrien und Irak „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden“. Diese Formulierung dient der Bundesregierung zur Rechtfertigung des Militäreinsatzes, obwohl der UN-Sicherheitsrat im operativen Teil seiner Resolutionen keine Ermächtigung zu Militäreinsätzen nach Artikel 42 UN-Charta ausgesprochen hat und die Entstehungsgeschichte der Resolution eindeutig beweist, dass der Sicherheitsrat das auch keinesfalls wollte.

Eine Ermächtigung zur Anwendung militärischer Gewalt durch den Sicherheitsrat erfordert die ausdrückliche Bezugnahme auf Artikel 42 UN-Charta. Das ergibt sich aus Artikel 53 Satz 2 UN-Charta. Diese Bestimmung schreibt vor, dass ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats Zwangsmaßnahmen nicht ergriffen werden dürfen. Diese Ermächtigung muss eindeutig und zweifelsfrei sein. Es entspricht der ständigen Praxis des Sicherheitsrats, dass in den operativen Teilen der Resolutionen die Rechtsgrundlage ausdrücklich genannt wird. Erhellend sind dabei die bisherigen Resolutionen des Sicherheitsrats zum internationalen Terrorismus, den der Sicherheitsrat regelmäßig als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bezeichnet hat. Dabei hat der Sicherheitsrat in den letzten Jahrzehnten immer wieder seine Zuständigkeit für das Einschreiten bei Terroranschlägen erklärt und eine Vielzahl nichtmilitärischer Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus angeordnet. Die folgenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrates belegen das:

UN-Sicherheitsrat: Polizeiliche Maßnahmen statt Militäreinsätze

  • 1992 ist der Sicherheitsrat mit der Resolution 748 wegen der Nichtauslieferung der mutmaßlichen Attentäter von Lockerbie gegen Libyen vorgegangen. Er hat sich auf Kapitel VII UN-Charta berufen und die Verhinderung von Handlungen des internationalen Terrorismus als essentiell für die Wahrung des Friedens und der Sicherheit bezeichnet. Zu militärischen Maßnahmen nach Artikel 42 UN-Charta hat er nicht ermächtigt.
  • 1999 hat er mit der Resolution 1267 nach Kapitel VII UN-Charta weit reichende Sanktionen gegen das Taliban-Regime in Afghanistan beschlossen. Als Begründung wurde angeführt, dass die Taliban die Ausbildung von Terroristen und die Vorbereitung terroristischer Anschläge ermöglichten. Die Verhinderung des Terrorismus sei essentiell für die Wahrung des Friedens und der Sicherheit. Angeordnet wurden Flugverbotszonen für die Flugzeuge und das Einfrieren von Bankkonten und Vermögen der Taliban. Ein Sanktionskomitee sollte die Durchführung kontrollieren. Die Sanktionen wurden später um Reiseverbote, Waffenembargos und den Personenkreis erweitert. Die Sanktionsausschüsse des Sicherheitsrats führen seither umstrittene Listen von Verdächtigen, gegen die alle UN-Mitgliedsstaaten einzuschreiten verpflichtet sind.
  • Ebenfalls im Jahre 1999 forderte der Sicherheitsrat mit der Resolution 1269 die Staaten allgemein zur Bekämpfung des Terrorismus und zum Abschluss einer internationalen Anti-Terrorismus-Konvention auf. Dasselbe wiederholte er am 12.9.2001 – einen Tag nach 9/11, dem Anschlag auf die Twin-Towers, das Pentagon und andere Einrichtungen der USA –, wobei er die Terroranschläge als kriminell und als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bezeichnete.
  • Mit der Resolution 1373 vom 28.9.2001 ging der UN-Sicherheitsrat in seiner Reaktion auf 9/11 noch weiter. Erneut bezeichnete er sich als allgemein zuständig für Akte des internationalen Terrorismus und erklärte, dass er jeden Akt des internationalen Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit betrachtet. Seine Maßnahmen nach Kapitel VII UN-Charta richten sich an alle Staaten. Nach Art einer Rahmengesetzgebung gebietet er, die Finanzierung terroristischer Handlungen zu verhindern und das Geldsammeln zu bestrafen, Vermögen einzufrieren, Geldtransfer zu verbieten, vor Anschlägen zu warnen, Zufluchtsorte zu verweigern, die Nutzung der Hoheitsgebiete zu verhindern, Unterstützer vor Gericht zu stellen, die Bewegung von Terroristen durch Grenzkontrollen zu verhindern, relevante Informationen auszutauschen, den Missbrauch der Asylgewährung und des Flüchtlingsstatus zu verhindern und binnen 90 Tagen über die eingeleiteten Schritte Bericht zu erstatten. Die Maßnahmen sind zeitlich, räumlich und sachlich nicht begrenzt. Zur Überwachung wurde ein »Counter Terrorism Commmittee« geschaffen.
  • Noch einen Schritt weiter ging der Sicherheitsrat nach den Bombenattentaten von Madrid 2004. Obwohl er ebenso wie die spanische Regierung die Verantwortlichkeit der baskischen Untergrundorganisation ETA unterstellte – und damit keinen internationalen Terrorismus –, sah er sich als zuständig an und ging nach Kapitel VII UN-Charta vor, indem er in Resolution 1530 die terroristischen Anschläge als Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit bezeichnete. Er postulierte die Verpflichtung aller Staaten, im Rahmen ihrer Verpflichtungen aus der Resolution 1373 die Drahtzieher der Anschläge zu überführen und vor Gericht zu stellen.

In allen diesen Fällen hat der Sicherheitsrat deutlich hervorgehoben, dass die angeordneten Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (nichtmilitärische) Sanktionen nach Artikel 41 UN-Charta sind. Militärische Sanktionen nach Artikel 42 UN-Charta hat er vermieden, offensichtlich, weil die Terrorakte keinem Staat zuzurechnen waren. Dasselbe gilt für die von der Bundesregierung zitierten Resolutionen des Sicherheitsrats von 2014 und 2015, die sich mit dem IS befassen.

Die Beteiligung Deutschlands an dem in Syrien und im Irak durchgeführten Militäreinsatz nach Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz hätte eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrats nach Artikel 42 UN-Charta oder (nach der Rechtsprechung des BVerfG) zumindest die Erklärung des Beistandsfalles der NATO erfordert, die beide nicht vorliegen. Dem Einsatz fehlt damit die Rechtsgrundlage.

Militäreinsatz als kollektive Selbstverteidigung?

Die Bundesregierung beruft sich bei dem Bundeswehreinsatz nicht nur auf Artikel 24 Absatz 2 GG, sondern auch auf das Recht auf kollektive Selbstverteidigung zugunsten von Frankreich und Irak gemäß Artikel 51 UN-Charta. Damit stützt sie den Einsatz auch auf Artikel 87a Absatz 2 GG4 und vermengt unzulässig die beiden eigenständigen Rechtsgrundlagen.

Das BVerfG legt in ständiger Rechtsprechung Artikel 87a Absatz 2 GG dahingehend aus, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr außer „zur Verteidigung“ nur im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erlaubt sind. Das hat das BVerfG zuletzt im Urteil vom 30. Juni 2009 zum Vertrag von Lissabon entschieden (RdNr. 254).

Der Verteidigungsfall ist in Artikel 115a GG geregelt. Er setzt voraus, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Die Feststellung des Verteidigungsfalles erfolgt in einem förmlichen Verfahren durch den Bundestag und den Bundesrat. Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Einsatzes gegen den IS nicht vor.

Folgt man jedoch der gut begründeten Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), so umfasst der Begriff Verteidigung in Artikel 87a Absatz 2 GG im Wortsinn mehr als die »Verteidigung« der eigenen Staatsgrenzen. Das ist laut BVerwG aus dem begrifflichen Gegensatz im Grundgesetz zwischen »Landesverteidigung« in Artikel 115 Absatz 1 und »Verteidigung« in Artikel 87a Absatz 2 sowie aus dem Entstehungszusammenhang der Regelung zu schließen. Die im Jahre 1968 in das Grundgesetz eingefügte Regelung sollte einen militärischen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des Verteidigungsbündnisses der NATO nicht ausschließen. Das BVerwG ging in dem Urteil vom 21.6.2005 (RdNr. 93) allerdings davon aus, dass »Verteidigung« äußerstenfalls das umfasst, was nach dem geltenden Völkerrecht nach Artikel 51 UN-Charta das Selbstverteidigungsrecht zulässt: „Artikel 51 UN-Charta gewährleistet und begrenzt in diesem Artikel für jeden Staat das – auch völkergewohnheitsrechtlich allgemein anerkannte – Recht zur »individuellen« und zur »kollektiven Selbstverteidigung« gegen einen »bewaffneten Angriff«, wobei das Recht zur »kollektiven Selbstverteidigung« den Einsatz von militärischer Gewalt – über den Verteidigungsbegriff des Artikel 115a GG hinausgehend – auch im Wege einer erbetenen Nothilfe zugunsten eines von einem Dritten angegriffenen Staates zulässt (z.B. »Bündnisfall«).“ Dass Artikel 87a Absatz 2 GG damit auch weltweit jeden militärischen Einsatz der Bundeswehr zugunsten jedes beliebigen Staates zulässt, ist im Rahmen des NATO-Vertrages nicht auszuschließen. Jedoch hat das BVerwG damit nicht die ständige Rechtsprechung des BVerfG in Frage gestellt, dass Verteidigung auf den Rahmen des NATO-Verteidigungsbündnisses beschränkt ist. Ein »NATO-Bündnisfall« liegt jedoch nicht vor, so dass der Bundeswehreinsatz gegen den »Islamischen Staat« in Syrien und Irak unter keinerlei Gesichtspunkten zu rechtfertigen ist. Er ist verfassungswidrig.

Die Bundesregierung rechtfertigt den Bundeswehreinsatz rechtsfehlerhaft als kollektive Verteidigung nach Artikel 87a Absatz 2 GG in Verbindung mit Artikel 51 UN-Charta. Dabei sind folgende Überlegungen zu berücksichtigen:

1. Nach Artikel 87a Absatz 2 GG in Verbindung mit Artikel 51 UN-Charta ist jeder Staat zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung gegen den bewaffneten Angriff eines anderen Staates berechtigt. Angreifer ist beim aktuellen Bundeswehreinsatz aber der IS, also eine nichtstaatliche Terroristengruppe, denn der IS ist kein Staat im völkerrechtlichen Sinn. Er verfügt nicht über ein gesichertes Staatsgebiet und über ein dauerhaft zuzuordnendes Staatsvolk. Der IS ist nicht fähig, mit anderen Staaten in Beziehung zu treten und ist durch die Staatengemeinschaft auch nicht anerkannt.

Bei der Gründung der Vereinten Nationen im Jahre 1945 war ein nichtstaatlicher Angreifer kaum vorstellbar. Aufgrund der Resolutionen 1368 und 1373 des UN-Sicherheitsrats, die dieser anlässlich der nichtstaatlichen Terrorangriffe gegen die USA vom 11.9.2001 erlassen hatte und in denen er das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 UN-Charta anerkannt hat, sowie aufgrund der Erklärung der kollektiven Selbstverteidigung der NATO (Beistandsfall) und der Anerkennung des Selbstverteidigungsrechtes durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Organisation Afrikanischer Staaten kann es als gesichertes Völkerrecht angesehen werden, dass das Selbstverteidigungsrecht auch auf bewaffnete Angriffe durch nichtstaatliche Akteure Anwendung findet. Das hat der Internationale Gerichtshof 2014 im Fall zur Mauer in den von Israel besetzten Gebieten jedenfalls für den Fall anerkannt, dass der Angriff grenzüberschreitender Natur ist.

2. Bei den Attentaten in Paris handelt es sich um einen Angriff des in Gebieten Iraks und Syriens operierenden IS gegen Frankreich. Zwar stammen die Attentäter aus Frankreich und Belgien, der IS hat aber in einer schriftlichen Erklärung die Verantwortung für die Anschläge übernommen und erklärt, er habe die Anschlagsorte ausgewählt. Gleichzeitig hat der IS Frankreich mit weiteren Anschlägen gedroht.

Die Angriffe des IS gegen Irak und Syrien erfolgen unmittelbar auf deren Staatsgebieten. Alle diese Angriffe sind in Umfang und Ausmaß zwischenstaatlichen Militäroperationen vergleichbar. Während das bei den mit militärischen Mitteln geführten Angriffen gegen Syrien und Irak auf der Hand liegt, ergibt sich das für den Angriff des IS gegen Frankreich aus der geplanten und koordinierten Vorgehensweise, die zwar nicht in den Folgen, jedoch in der Tendenz mit den Angriffen des 11.September 2001 gegen die USA vergleichbar ist. In beiden Fällen ging es dem Angreifer darum, mit Waffengewalt den größtmöglichen Schaden anzurichten, um den angegriffenen Staat zu destabilisieren.

3. Die internationale Allianz gegen den IS will ihre Verteidigungsmaßnahmen vor allem auf syrischem und irakischem Staatsgebiet durchführen. Bei einem Angriff eines nichtstaatlichen Aggressors ist die Selbstverteidigung mit militärischen Mitteln auf dem Staatsgebiet eines anderen Staates nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs nur dann gerechtfertigt, wenn dieser Staat sich das Handeln des nichtstaatlichen Angreifers zurechnen lassen muss. Diese Einschränkung hat im Falle des militärischen Vorgehens von Frankreich im Irak keine Bedeutung, weil die Regierung des Irak die internationale Allianz gegen den IS ausdrücklich um militärische Hilfe bei der eigenen Selbstverteidigung gegen die Angriffe des IS gebeten hat und die Allianz dem Ersuchen nachgekommen ist. Diese Abwehr des IS im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung ist jedoch auf das Staatsgebiet des Irak beschränkt. Zur Begründung wird auf die nachfolgenden Ausführungen verwiesen.

4. Anders ist die Lage in Syrien, wo die syrische Regierung lediglich das verbündete Russland um Beistand gegen den IS gebeten hat. Die Selbstverteidigung Frankreichs auf ihrem Staatsgebiet muss die Regierung Syriens nur hinnehmen, wenn ihr die Angriffsaktivitäten des IS zugerechnet werden müssen. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Vielmehr befindet sich auch die syrische Regierung im Abwehrkampf gegen den IS, der Teile des syrischen Staatsgebiets völkerrechtswidrig okkupiert hat.

Die internationale Allianz gegen den IS hat kein Recht zur Ausübung der kollektiven Selbstverteidigung auf dem Staatsgebiet Syriens. Die Tatsache, dass der UN-Sicherheitsrat im nicht-operativen Teil seiner anlässlich 9/11 beschlossenen Resolutionen 1368 und 1373 das Selbstverteidigungsrecht erwähnt hat, bedeutet nicht, dass er dessen Anwendung auch in Fällen anerkannt hätte, in denen der Staat noch nicht einmal mit den Terroristen kollaboriert oder ihnen willentlich ein sicheres Rückzugsgebiet (strittige »Safe-haven-Doktrin«) gewährt. Der Sicherheitsrat hat nur allgemein auf Artikel 51 UN-Charta hingewiesen. Er stellt keine Kriterien für ein etwaiges Selbstverteidigungsrecht in diesen Fällen auf und ermächtigt nicht zu dessen Ausübung. Für die Auslegung der beiden Resolutionen ist auch von Bedeutung, dass der Sicherheitsrat im operativen Teil wie oben beschrieben lediglich politische, finanzielle und polizeiliche Abwehrmaßnahmen nach Artikel 41 UN-Charta fordert.

Der gleichfalls umstrittene Ansatz, dass ein Staat militärische Maßnahmen gegen terroristische Gruppen, die von seinem Territorium aus agieren, dulden muss, wenn er »weder bereit noch fähig« ist, diese zu bekämpfen und grenzüberschreitende Angriffe zu verhindern, könnte allenfalls durch Völkergewohnheitsrecht gerechtfertigt sein. Der Umstand, dass außer Frankreich auch die USA, Großbritannien und die Türkei ungeachtet der fehlenden Zustimmung Syriens sich bei ihrem Vorgehen auf syrischem Boden auf diese Argumentation berufen, schafft noch kein Völkergewohnheitsrecht. Es fehlt an der allgemeinen Staatenpraxis und an einer übereinstimmenden Rechtsüberzeugung der Staaten. Das Gewaltverbot nach Artikel 2 Absatz 2 UN-Charta verbietet militärische Maßnahmen auf syrischem Staatsgebiet, außer die syrische Regierung stimmt diesen ausdrücklich zu.

Vereinzelte Überlegungen, die Zurechnung zu einem Staat zu lockern und Terrorakte nicht-staatlicher Organisationen oder Einzelner auch dann als bewaffnete Angriffe des Staates anzusehen, wenn diese keine Schutzverbindung oder Duldung durch den Staat aufweisen, auf dessen Staatsgebiet sie handeln, widersprechen dem geltenden Völkerrecht. Zwar trifft es zu, dass inzwischen das Ausmaß der Gewalt und Zerstörungskraft internationaler Terrorgruppen den zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen durchaus vergleichbar ist. Richtig ist auch, dass diese Entwicklung bei der Gründung der Vereinten Nationen 1945 unvorhersehbar war. Dennoch hat sich bislang kein die UN-Charta erweiterndes Völkergewohnheitsrecht herausgebildet. Vor allem hat der UN-Sicherheitsrat zwar immer wieder Terrororganisationen als „ernsteste Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit“ bezeichnet, aber in den operativen Teilen aller Resolutionen bewusst vermieden, militärische Maßnahmen nach Artikel 42 UN-Charta anzuordnen. Stattdessen hat der Sicherheitsrat sich darauf beschränkt, ökonomische, politische und polizeiliche Maßnahmen anzuordnen oder zu fordern.

Auch die gelegentlich gehörte Argumentation, die Bombardierung des IS liege im Interesse Syriens, weshalb von einer stillschweigenden Zustimmung Syriens auszugehen sei, trägt nicht. Die USA haben öffentlich und wiederholt verkündet, das Regime Assad beseitigen zu wollen, so dass sich die Allianz nicht auf eine stillschweigende Zustimmung der syrischen Regierung berufen kann.

Gleichermaßen ist der militärische Angriff Frankreichs gegen den IS auf syrischem Staatsgebiet wegen des fehlenden Einverständnisses der syrischen Regierung völkerrechtswidrig. Frankreich bleibt nach Lage des Rechts, will es dieses nicht brechen, nur die Alternative übrig, die Anschläge von Paris mit den Mitteln der Polizei und der nationalen Strafverfolgung zu bekämpfen. Damit entfällt auch das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung (Nothilfe) zugunsten Frankreichs, soweit diese auf syrischem Staatsgebiet stattfindet. Dasselbe gilt, soweit Staaten Nothilfe zugunsten Syriens durch Unterstützung der internationalen Allianz gegen den IS leisten wollen.

Letztlich missachtet die Bundesregierung, dass das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 UN-Charta nur so lange gilt, als der abzuwehrende Angriff gegenwärtig ist. Ist dieser abgeschlossen, sind militärische Abwehrmaßnahmen unzulässig. Die – die Verteidigung auslösenden – Attentate von Paris sind abgeschlossen. Die meisten Attentäter sind tot. Konkrete Drohungen der auf der Flucht befindlichen Personen sind nicht bekannt geworden. Zwar hat der IS in seinem Bekennerschreiben weitere Anschläge angedroht. Diese gegen Frankreich gerichtete Drohung ist jedoch vage und allgemein. Sie rechtfertigt nur polizeiliche Vorsorge, aber keine militärischen Verteidigungsmaßnahmen.

In Betracht kommt lediglich eine kollektive Selbstverteidigung zugunsten der durch den IS im Irak in Bedrängnis geratenen irakischen Regierung, die um entsprechende Unterstützung gebeten hat. Die kollektive Verteidigung in Form der Nothilfe hat sich jedoch aus den genannten Gründen auf das Staatsgebiet des Irak zu beschränken. Und Deutschland ist auch dazu außerhalb des NATO-Bündnisfalles nicht berechtigt, weil die Voraussetzungen von Artikel 87a Absatz 2 GG nicht vorliegen.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Bundeswehreinsatz gegen den IS in Syrien und Irak ist verfassungs- und völkerrechtswidrig.

Anmerkungen

1) Artikel 24 Absatz 3 GG lautet: „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.“

2) Artikel 42 Absatz 7 des Lissabon-Vertrages lautet: „(7) Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. […]“

3) Die Allianz wurde am 5.9.2014 beim NATO-Gipfel in Wales von den Vereinigten Staaten ausgerufen. Ihr traten seither mehrere Dutzend Staaten bei.

4) Artikel 87a Absatz 2 GG lautet: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.“

Bernd Hahnfeld, Richter i.R., ist Mitglied der Deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) und war viele Jahre im Vorstand von W&F.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/2 Stadt im Konflikt – Urbane Gewalträume, Seite 38–42