W&F 2003/1

Bush plant den Irak-Krieg

von Jürgen Nieth

„Die Vorbereitungen der USA für einen Krieg gegen den Irak sind weitgehend abgeschlossen“, heißt es in den Spätnachrichten des 7. Dezember, die entsprechenden Truppenkontingente seien im Aufmarschgebiet stationiert.

Zwei Tage vorher habe ich mit meinem 16jährigen Sohn telefoniert, der als Gastschüler seit dem Sommer in West-Virginia lebt. Achtzehn seiner Mitschüler haben im letzten Monat die Schule verlassen, weil sie für diesen Krieg eingezogen wurden. Der Hintergrund: In Gegenden, in denen Arbeitsplätze Mangelware sind, werden bereits während der Schulzeit viele Jungen und Mädchen von der Armee angeworben. Ab dann besteht ein wesentlicher Teil des Unterrichts aus Kampfsport und Militärunterricht. Mit dem Schulabschluss haben die Jugendlichen dann auch ihren militärischen Dienstgrad – oder wie jetzt, ohne Schulabschluss den militärischen Einsatz, u.U. den Kriegseinsatz. Emotional auf den Krieg eingestimmt werden auch die Anderen. Zum Beispiel durch ein öffentliches Bekenntnis: Wer den Präsidenten in seinem Krieg gegen Saddam unterstützt, der darf im Unterricht die Hand heben. In der Klasse meines Sohnes blieb nur eine unten, die des »Ausländers«!

Sicher, die Politik aller US-Regierungen der letzten Jahrzehnte scheute vor dem Einsatz militärischer Mittel nicht zurück, wenn es um die Sicherung politischer und ökonomischer Interessen ging. Die Palette ist breit: Verdeckte Operationen (Kuba) und vom Geheimdienst geförderte Militärputsche (Chile) gehören genauso dazu wie die militärische Einsetzung neuer Regime (Grenada) und langanhaltende Kriege mit hunderttausenden Toten (Vietnam). Der ehemalige amerikanische Justizminster Ramsey Clark spricht von 22 Kriegen, der weltweit bekannteste Friedensforscher, Johan Galtung, von 12 bis 16 Millionen Menschen, die seit dem Zweiten Weltkrieg durch die USA getötet wurden.

Sicher, nicht erst unter Bush jr., sondern bereits unter Clinton wurde – die Tatsache des Zerfalls des großen militärischen Gegenparts nutzend – die eigene Militärstrategie offensiver, man kann auch sagen aggressiver formuliert. Zwar wurde noch der Weg der »Präventiven Verteidigung« beschworen, gleichzeitig aber auch der Einsatz militärischer Mittel angekündigt, „wenn vitale Intreessen der Vereinigten Staaten auf dem Spiel stehen“ (Verteidigungsminister Cohen 1996). Und zu diesen »vitalen Interssen« zählten 1996 wie auch heute die ökonomischen Interessen der USA: In der Nationalen Sicherheitsdoktrin von 1995 gehört die „Förderung der ökonomischen Prosperität Amerikas“ zu den strategischen Kernzielen. In der neuen Sicherheitsdoktrin der Bush-Regierung heißt das, „durch freie Märkte und freien Handel eine neue Ära globalen Wirtschaftswachstums auslösen.“

Die eingangs geschilderte ganz persönliche Erfahrung – auch das Erschrecken darüber, dass es ja fast noch Kinder sind, die da in den Krieg geschickt werden – rundet das Bild ab von einer Gesellschaft, die es gewohnt ist, die eigenen Interessen über alles andere zu stellen.

Es gibt diese Kontinuität, es gibt aber auch eine neue Entwicklung unter Georg W. Bush. Diese zeigt sich in der kompromisslosen Ablehnung einer internationalen Einbindung – Aufkündigung von Rüstungsbegrenzungsverträgen, Nichtakzeptanz des Internationalen Strafgerichtshofs, Blockade der Biowaffenkonferenz usw. – und in dem arroganten Anspruch, das amerikanische Gesellschaftsmodell „Demokratie, Entwicklung, freie Märkte und freien Handel in jeden Winkel dieser Erde zu tragen“. Die Bündnispartnern sind eingeladen, dabei mitzumachen, mitbestimmen dürfen sie nicht, denn die USA „ werden nicht zögern, notfalls allein zu handeln“.

An die Stelle des Begriffs der »Präventiven Verteidigung« rückt der des »Präventiven Krieges«: Die USA reklamieren für sich nicht nur das Recht des atomaren Erstschlags, sondern jetzt auch das Recht des militärischen Erstschlags: Sie werden „die Bedrohung identifizieren und zerstören, bevor sie unsere Grenzen erreicht.“ Am Beispiel des geplanten Krieges gegen den Irak wird deutlich, dass die Bush-Administration selbst bestimmt, wer und was eine Bedrohung für die USA darstellt.

Es ist kein Trost, wenn die amerikanische Regierung in der neuen Sicherheitsdoktrin versichert „nicht in allen Fällen Gewalt anwenden (zu wollen), um aufkommenden Bedrohungen zuvorzukommen.“ Wer einen Angriffskrieg plant – und nichts anderes ist der »Präventivkrieg« – verstößt gegen das Völkerrecht und gehört vor ein Kriegsverbrechertribunal.

Diese neue Sicherheitsdoktrin ist eine Provokation für alle demokratischen Regierungen und eine Motivation für alle am Frieden Interessierten, sich zusammen zu schließen und aktiv zu werden gegen den Alleinherrschaftsanspruch der Bush-Regierung.

Jürgen Nieth

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2003/1 »Präventiv«kriege, Seite