cbw-Chronologie Januar – Juni 1991
von cbw-infodienst
Die folgende Chronologie beruht auf der »Rolling Chronology« der »Sussex-Harvard Information Bank«, die von Dr. Julian P. Perry Robinson (Universität Sussex) erstellt wird, und auf Informationen des »Internationalen Netzwerkes für die Abrüstung chemischer und biologischer Waffen« (Großbritannien) sowie Recherche- und Archivarbeit des »Informationsdienstes zur Abrüstung chemischer und biologischer Waffen« (cbw infodienst) am Berghof-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, Berlin.
17. Januar 1991
Nach Beginn des Golfkrieges erklärt US-Präsident Bush, die US-Streitkräfte hätten den Auftrag, sämtliche Einrichtungen des Irak für chemische Waffen zu zerstören. (FR, 18.1.1991)
18. Januar 1991
Irak beginnt mit Raketenangriffen auf israelische Städte. Da ein Angriff mit chemischen Waffen befürchtet wird, legt die israelische Bevölkerung Schutzmasken an. Drei Frauen und ein Kind ersticken in der ersten Nacht unter ihren Masken; dreizehn Personen werden wegen Vergiftungserscheinungen behandelt, nachdem sie sich das Antidot (Gegengift) Atropin injiziert haben. (Taz, 19.1.1991)
22. Januar 1991
Nach mehr als einem Jahr Ermittlungen stellt die Staatsanwaltschaft Köln ein Verfahren gegen den Chemiekonzern Bayer AG wegen einer in den Jahren 1987/88 erfolgten Lieferung einer Chemieanlage an Iran ein. Nach Angaben der Justizbehörde habe das Unternehmen mit der Lieferung einer Anlage zur Produktion von Pflanzenschutzmitteln nicht in „strafrechtlich relevanter Weise“ gegen Gesetze verstoßen. (FAZ, 22.1.1991)
22. Januar 1991
Die Frühjahrsitzung der Genfer Abrüstungskonferenz beginnt. Hauptverhandlungsgegenstand ist die Abrüstung chemischer Waffen.
23. Januar 1991
US-Bomber zerstören eine Fabrik in Bagdad, in der nach Angaben irakischer Behörden Babymilch hergestellt wurde. US-Militärs behaupteten dagegen, es habe sich um eine Anlage zur Herstellung biologischer Waffen gehandelt. Diese Angaben werden von der französischen Herstellerfirma der Anlage, Pierre Guerin, bezweifelt. Auch neuseeländische Techniker, die dort beschäftigt waren, halten eine Nutzung als B-Waffen-Fabrik für ausgeschlossen. (Washington Post, 24.1. und 8.2.1991, Taz, 11.2.991)
23. Januar 1991
Das britische Verteidigungsministerium gibt bekannt, daß die irakischen CW-Produktionsstätten in Salaman Pak und Samarra weitgehend zerstört seien. Kurdische Quellen nannten außerdem die CW-Fabriken in Falludscha und Al-Quaim. (Financial Times, 24.1.1991)
25. Januar 1991
Aus US-Regierungskreisen wird bekannt, das Verteidigungsministerium habe die Kommandeure in der Golf-Region ermächtigt, Reizgase (»nonlethal riot-control gases«) gegen irakische Truppen einzusetzen. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Williams, bestätigt die Meldungen und erklärt, der Gebrauch von Reizgasen stelle keinen Einsatz von chemischen Waffen dar. (New York Times, 26.1.1991; Tagesspiegel, 27.1.1991)
25. Januar 1991
Der Präsident des Verbandes der chemischen Industrie (VCI), Strenger, unterstreicht in einer Erklärung, die deutsche Industrie beteilige sich weltweit „weder an der Produktion von chemischen Kampfstoffen, noch liefert sie Ausgangsstoffe für die Giftgasherstellung “. Wie für die Giftgasproduktion notwendige Materialien in den Irak gelangen konnten, kann sich der VCI-Präsident nicht erklären. (FR, 25.1.1991)
26. Januar 1991
Nach Berichten der türkischen Zeitung Milliyet besitzt der Irak eine große, unterirdische CW-Fabrik im Norden des Landes. (Milliyet, 26.1.1991)
30. Januar 1991
US-General Schwarzkopf gibt bekannt, daß die US-Luftwaffe über die Hälfte der chemischen, biologischen und atomaren Anlagen des Irak zerstört oder schwer beschädigt habe. Elf Lagerstätten für chemische und biologische Waffen seien mit Sicherheit zerstört, außerdem drei Produktionsstätten für chemische und biologische Waffen. Von den angegriffenen 31 Zielen seien 18 chemische, 10 biologische und 3 atomare Anlagen gewesen. (CWC Bulletin, Nr. 11 (März 1991), S.13)
6. Februar 1991
Als Folge massiver Angriffe, vor allem aus den USA und Israel, wegen der Hilfe bundesdeutscher Unternehmen beschließt das Bundeskabinett Änderungen des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung. Danach ist der Nachweis des Auswärtigen Amtes nicht mehr nötig, daß die auswärtigen Beziehungen gefährdet werden, um eine Verurteilung zu erreichen; das rechtswidrige Erlangen einer Ausfuhrgenehmigung soll regelmäßig als Straftat und nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeit geahndet werden; der gesamte Erlös aus illegalen Geschäften soll beschlagnahmt werden können; bei unzulässigen Geschäften droht Unternehmern neben schärferen Strafen auch eine vollständige oder teilweise Gewerbeuntersagung; die Ausfuhrlisten sollen erweitert werden; es soll eine Genehmigungspflicht bei der Ausfuhr von dual-use-Waren eingeführt werden, wenn der Exporteur von einer militärischen Verwendung Kenntnis hat; es soll ein selbständiges Ausfuhramt mit einer besseren Stellenausstattung geschaffen werden; dem Zollkriminalinstitut soll die Möglichkeit eingeräumt werden, Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis vorzunehmen; außerdem soll die internationale Zusammenarbeit verstärkt werden. (FAZ, 7.2.1991)
6. Februar 1991
Wie die Hamburger Illustrierte Stern berichtet, soll das Düsseldorfer Unternehmen Thyssen Rheinstahl Technik (TRT) und mindestens acht weitere deutsche Firmen an der Errichtung eines geheimen Chemielabors im Irak beteiligt gewesen sein. (Stern, 6.2.1991) Der Thyssen-Konzern weist diese Anschuldigungen als unwahr zurück. (FAZ, 21.2.1991)
13. Februar 1991
Nach einem Bericht des »US General Accounting Office« hat der Abzug der US-amerikanischen C-Waffen aus der Bundesrepublik etwa 62 Mio. US-Dollar gekostet. Etwa 10% der Kosten wurden von bundesdeutscher Seite getragen. (GAO/NSIAD-91-105)
14. Februar 1991
Die Bundesregierung hat Ägypten (bis zu 30) und Israel (bis zu 50) ABC-Spürpanzer aus Beständen der Nationalen Volksarmee (NVA) angeboten. (FR, 14.2.1991)
26. Februar 1991
Experten des Verteidigungsministeriums in Großbritannien erklären, daß alle Produktions- und Lagerstätten für chemische und biologische Waffen im Irak zerstört seien. (Financial Times, 27.2.1991)
1. März 1991
Nach Angaben der Fraktion der Grünen im baden-württembergischen Landtag sind zwischen 1978 und 1982 im Auftrag der Bundeswehr insgesamt zwanzig Freilandversuche mit Milzbranderregern auf dem Gelände des Instituts für Tiermedizin und Tierhygiene der Universität Hohenheim durchgeführt worden. Dies habe das Stuttgarter Wissenschaftsministerium auf Anfrage der Grünen bestätigt. (FR, 2.3.1991)
4. März 1991
Die Bundesregierung hat den Verkauf von Spürpanzern des Typs Fuchs nach Israel (acht) und Saudi Arabien (zehn) genehmigt. (FAZ, 5.3.1991)
4. März 1991
Nach einem Bericht des Spiegel soll die Preussag AG in Hannover in illegale Giftgasexporte nach dem Irak verwickelt sein. Laut Spiegel sollen über die Preussag Millionengeschäfte mit Ausrüstung für die Giftgasanlagen im irakischen Samarra abgewickelt worden sein. (Der Spiegel, Nr.10, 4.3.1991)
6. März 1991
US-Militärs teilen in Riad mit, daß trotz intensiver Suche keine irakischen C-Waffen in Kuwait oder dem südöstlichen Irak gefunden wurden. US-Geheimdienstexperten würden inzwischen davon ausgehen, daß diese Waffen niemals in diese Regionen gebracht wurden, sondern in den Lagerstätten nördlich des Euphrat blieben. (Washington Post, 7.3.1991)
6. März 1991
Nach verschiedenen Berichten sollen die Republikanischen Garden während der Bürgerkriegskämpfe bei Basra Senfgas gegen Aufständische und die Zivilbevölkerung eingesetzt haben. (Daily Telegraph, 7.3.1991) (In den folgenden Tagen und Wochen gibt es zahlreiche weitere Berichte über Einsätze von chemischen Waffen durch die Regierungstruppen im Irak.)
12. März 1991
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt erhebt Anklage gegen zwölf Mitarbeiter der Firmen Pilot Plant GmbH, Karl Kolb GmbH und Water Engineering Trading (W.E.T.). Den Beschuldigten wird vorgeworfen, mehrfach gegen das Außenwirtschaftsrecht verstoßen zu haben. Irak sei dadurch in die Lage versetzt worden, chemische Waffen herzustellen. (FR, 13.3.1991)
19. März 1991
Die israelische Staatskontrolleurin Potrat erklärte in einem Schreiben an Verteidigungsminister Arens, daß 1,4 Millionen der insgesamt 4,5 Millionen an die israelische Bevölkerung verteilten Gasmasken für den Fall eines chemischen Angriffs keinen ausreichenden Schutz geboten hätten, da sie defekt oder unzureichend gewesen seien. (Taz, 19.3.1991)
22. März 1991
Mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP verabschiedet der deutsche Bundestag die Gesetzesnovelle zum Außenwirtschaftsrecht. Gegenüber den am 6. Februar 1991 vorgestellten Maßnahmen wurden nur unwesentliche Änderungen vorgenommen. Die ungewöhnlich rasche Verabschiedung des Gesetzespakets wird von Bundeswirtschaftminister Möllemann mit dem Druck durch befreundete Regierungen begründet. (Vgl. 6. Februar 1991) (FR, 23.3.1991)
3. April 1991
Nach einem Beschluß des UN-Sicherheitsrats (Resolution 687) wird der Irak aufgefordert, alle chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen sowie seine ballistischen Raketen unter UN-Aufsicht zu vernichten und auf den Erwerb von Massenvernichtungswaffen zu verzichten.
7. April 1991
Nach einem Geheimbericht von Bundeswirtschaftsminister Möllemann hat das Bundesamt für Wirtschaft (BAW) in den letzten zehn Jahren unwissentlich Rüstungsexporte im Wert von 1,3 Milliarden DM genehmigt. Noch 1990 seien Chemieanlagen und Chemikalien, die zur Erzeugung oder Entsorgung chemischer Kampfstoffe geeignet sind, vom BAW für den Irak freigegeben worden. (Der Spiegel, Nr. 15, 8.4.1991)
12. April 1991
Nach einem Bericht der Berliner Tageszeitung wurden die Pläne für die Chemiewaffenanlage Rabta von Libyen an ein unbekanntes Drittland (vermutlich Ägypten oder Nord-Korea) weiterverkauft. (Taz, 12.4.1991)
15. April 1991
Nach einem Bericht des Spiegel enthielten die in der Bundeswehr seit Jahrzehnten verwendeten Gasmasken krebserregendes Asbest. Deshalb wurden sie Anfang Januar in einer bundesweiten Aktion ausgetauscht. (Der Spiegel, Nr. 16, 15.4.1991)
19. April 1991
Vertreter der irakischen Regierung übergeben den Vereinten Nationen in New York eine Liste der Waffen und Materialien, auf die der Irak aufgrund der Waffenstillstandsbedingungen verzichten muß. Hinsichtlich der chemischen Waffen werden folgende Zahlen genannt: 30 CW-Sprengköpfe für Scud-Raketen, 650 Tonnen des Nervengases Tabun und 280 Tonnen Senfgas. Außerdem 1.145 Bomben oder Artilleriegeschosse mit Senfgas. 6.920 Sprengköpfe für 120-Millimeter-Geschosse und 2.500 Sprengköpfe für Raketen des Typs Sakr-30, beide gefüllt mit dem Nervengas Sarin. Außerdem 200 Sarin-Bomben des Typs BD-2 und weitere 75 Tonnen dieses Nervenkampfstoffes. 150 Tonnen des Nervenkampfstoffes Tabun in einem Zwischenstadium, 500 Tonnen Tabun und 280 Tonnen Senfgas. In dem Schreiben wird jeglicher Besitz biologischer oder atomarer Waffen bestritten. US-amerikanische Stellen bezeichneten die genannten Zahlen als zu niedrig. (FR, 20.4.1991)
19. April 1991
Der Bundesrat verweigert seine Zustimmung zu den vom Bundestag verabschiedeten Gesetzen zur Novellierung des Außenwirtschaftsrechts und verweist sie an den Vermittlungsausschuß. Die Mehrheit der SPD-regierten Länder wollte die weitgehenden Befugnisse zur Telefon- und Postüberwachung nicht akzeptieren, die das Zollkriminalinstitut erhalten sollte. (Taz, 20.4.1991)
27. April 1991
Die Behälter der chemischen Waffen, die in den 50er und 60er Jahren im Weißen Meer (UdSSR) versenkt wurden, rosten durch und verseuchen das Wasser. In der gesamten Küstenregion ist die Sterblichkeitsrate binnen eines Jahres um 10%, die Zahl der Mißbildungen bei Neugeborenen um 24% gestiegen. (Welt am Sonntag, 28.4.1991)
13. Mai 1991
Das Weiße Haus in Washington veröffentlicht eine Übersicht über eine »Initiative« Präsident Bushs zur Abrüstung chemischer Waffen. Im Rahmen dieser Initiative sollen u.a. folgende Maßnahmen ergriffen werden: (1) Abschluß der Konvention binnen zwölf Monaten; (2) die USA verzichten darauf C-Waffen „aus welchem Grund auch immer “ einzusetzen; (3) die USA geben ihre Position auf, Sicherheitsbestände von 2% aufrechtzuerhalten, bis alle C-waffenfähigen Staaten dem Vertrag beigetreten sind; (4) sie werden anderen Staaten praktische und wirksame Hilfe zur Verfügung stellen, um zur raschen, sicheren und umweltverträglichen Zerstörung von chemischen Waffen beizutragen.
22. Mai 1991
Die Opposition im Bundestag kritisiert den soeben veröffentlichten Bericht des Wirtschaftsministeriums über deutsche Rüstungsexporte in den Irak. Der SPD-Abgeordnete Bachmaier nannte den Bericht „ein trauriges Beispiel dafür, daß die Regierung freiwillig nicht dazu bereit ist, die Öffentlichkeit umfassend über die Verstrickungen deutscher Firmen “ in solche Geschäfte zu informieren. Der Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Feige, weist darauf hin, daß die Bundesregierung Einzelheiten über die Verwicklung bundesdeutscher Firmen in Giftgasgeschäfte in der öffentlich zugänglichen Kurzfassung des Geheimberichts verschweige. (FR, 23.5.1991, Dokumentation des Bundesministeriums für Wirtschaft, Nr. 311)
7. Juni 1991
Bundesrat verweigert erneut seine Zustimmung zum neuen Außenwirtschaftsrecht, nachdem im Vermittlungsausschuß zwischen Bundesregierung und Bundesrat keine Einigung erzielt werden konnte. Strittig sind nach wie vor die Eingriffsbefugnisse des Zollkriminalinstituts in das Post- und Fernmeldegeheimnis. (FAZ, 8.6.1991)
17. Juni 1991
Der UN-Sicherheitsrat beschließt, daß der Irak die Kosten für die Vernichtung seiner chemischen Waffen selbst zu tragen habe.
18. Juni 1991
Bundeswirtschaftsminister Möllemann erklärt, er wolle das vom Bundesrat abgelehnte Gesetzespaket zum Außenwirtschaftsrecht in „modifizierter Form“ einbringen. Durch die „Herausnahme einer Teilregelung“ soll die Zuständigkeit des Bundesrat umgangen werden. (FR, 19.6.1991)
18. Juni 1991
Unter Berufung auf einen irakischen Wissenschaftler haben Diplomaten der Vereinten Nationen in New York den Verdacht geäußert, daß der Irak weit mehr chemische Waffen und Scud-Raketen besitzt als angegeben. (FR, 19.6.1991)
24. Juni 1991
Die UN-Kommission veröffentlicht einen Bericht über das Ergebnis ihrer Reise in den Irak vom 9. bis 14. Juni. Darin wird u.a. die Auffassung vertreten, daß die staatseigene Muthana-Fabrik zur Vernichtung des irakischen CW-Arsenals geeignet sei. (FR, 26.6.1991)
Die Chronologie wurde zusammengestellt von Joachim Badelt, Berghof-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, Berlin.