W&F 1989/1

Chemische Waffen gibt es einen Weg zurück?

von Dieter Wöhrle

Zur Definition: Auch hier wird es schon schwierig

Seit 20 Jahren wird auf der Genfer Abrüstungskonferenz (CD) der UNO multilateral (40 Staaten) über ein weltweites und umfassendes Verbot chemischer Waffen (CW) verhandelt. Die Verhandlungen zielen auf ein Verbot der Entwicklung, der Herstellung, des sonstigen Erwerbs, der Lagerung, des Besitzes sowie der direkten und indirekten Weitergabe chemischer Waffen (bzw. die Verbindungen unmunitioniert: chemische Kampfstoffe). Eingeschlossen in die Verhandlungen ist die Erfassung vorhandener Bestände sowie deren Vernichtung.

Die derzeitige Definitionsformel in dem sogenannten »rolling text«1,2 orientiert sich am »Zweck-Kriterium« sowie am »Toxizitätskriterium«. Das Zweckkriterium besagt, daß Waffen dann unter ein Verbot fallen sollen, wenn es ihr Zweck ist, die chemischen Eigenschaften von Substanzen dazu zu nutzen, dem militärischen Gegner Schaden zuzufügen. Das Zweckkriterium reicht aber nicht aus, um ein Verbot chemischer Waffen operationell werden zu lassen, solange militärische Ziele nicht genauer definiert sind. Daher bedarf es weiterer Kriterien, die die chemischen Eigenschaften in Hinblick auf militärische Wirkungen betreffen. Dazu dient das Toxizitätskriterium: supertoxisch tödlich, tödlich, sonstwie schädigend.

Damit sind die mehr letal wirkenden chemischen Kampfstoffe erfaßt: z.B. der Hautkampfstoff S-Lost (HD, Senfgas, Yperit) und die Nervenkampfstoffe Tabun (GA), Sarin (GB), Soman (GD), VX. Zusätzlich zu den mehr letal wirkenden Kampfstoffen sind die Reizkampfstoffe (z.B. CN, CS) und die Kampfstoffe zur ökologischen Kriegsführung (z.B. 2,4-D, 2,4,5-T) zu nennen (Die Strukturformeln sind der Literatur unter den Anmerkungen: 7,8,9,12 zu entnehmen). Verbindungen dieser beiden Kampfstoffgruppen sind bisher aber nicht explizit in den Listen der zu ächtenden und kontrollierenden Chemikalien enthalten. Sie werden aber eindeutig in Dokumenten auch als chemische Kampfstoffe gekennzeichnet: das z.Z. von 105 Staaten unterzeichnete und völkerrechtlich verbindliche Genfer Giftgas Protokoll von 1925 (verbietet lediglich den Einsatz)3, das von der Bundsrepublik im Rahmen der WEU 1954 unterzeichnete Protokoll4, das Rahmenabkommen zur Schaffung einer von Chemiewaffen freien Zone in Mitteleuropa unterzeichnet auf Parteienebene (z.B. SPD, SED) von 19855 (s. auch6). Zu erwähnen sind noch die Toxine. Sie sind als Stoffwechselprodukte der lebenden Materie zunächst Biowaffen einzuorden – also durch das UNO Biowaffen-Abkommen von 1972 geächtet –, aber durch biotechnologische Entwicklungen als Syntheseprodukte im Labor immmer mehr in der Grauzone als C-Waffe zu bezeichnen.

Die zunehmend komplexe Lage bei chemischen Waffen zwingt uns als Naturwissenschaftler dazu, die Lage sachlich aufzuarbeiten (Literatur zum Überblick über CW sei exemplarisch genannt unter den Anmerkungen: 7-19).

Zum Einstieg: Die aktuelle Situation

Basierend auf großtechnisch hergestellten chemischen Verbindungen und Umwandlung in kommerziell erhältlichen Anlagen lassen sich Kampfstoffe herstellen, die eingebaut in militärisches Gerät des internationalen Waffenhandels leicht zu chemischen Waffen werden. Waren es am Ende des I. Weltkrieges vier Nationen, die chemische Waffen besaßen, 1965 sechs Nationen, so sind heute bereits ca. 20 Nationen Mitglieder im Klub der unrühmlichen C-Waffen-Besitzer. Das bezieht sich allerdings nur auf die Länder, die »mehr« letal wirkende Kampfstoffe besitzen. Die Zahl der Länder, die Reizkampfstoffe und solche zur ökologischen Kriegsführung besitzen, ist noch größer.

Der Irak hat, obwohl Signatarstaat des Genfer Vertrages von 1925, chemische Waffen im Golfkrieg und gegen die Kurden eingesetzt. Über 50.000 Todesopfer und eine unbekannte Zahl durch Spätfolgen meist lebenslang Betroffener (im Regelfall Zivilisten) sind die Folgen des ruchlosen Einsatzes von S-Lost und wahrscheinlich auch Nervenkampfstoffen. In einer Unterrichtung des Bundestages vom 5.1.89 hat die Bundesregierung jetzt bestätigt, daß nach vorliegenden Gutachten (!) chemische Anlagen, die von bundesdeutschen Firmen nach Irak geliefert wurden, zur Produktion „einschlägiger chemischer Kampfstoffe“ geeignet seien (z.B. Anlage in Samarra). Fünf Firmen und 38 Personen wird ein Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz, das die Ausfuhr bestimmter Chemikalien und Anlagen von einer staatlichen Genehmigung abhängig macht, vorgeworfen. Die Londener Zeitung Independent berichtete am 22.7.88, daß der Irak alle Chemikalien und Verarbeitungsanlagen in Westeuropa erhalten hat, die er benötigte. AFP teilte am 3.5.88 mit, daß sowohl der Irak als auch der Iran in den Jahren 1981 – 1987 in der Schweiz über 500 t Chemikalien (Phosphoroxychlorid, Thiodiglycol etc.), die zur Herstellung von S-Lost und Nervenkampfstoffen geeignet sind, gekauft hat. Aus Pressemitteilungen vom 1.2.89 (F.A.Z.) ging hervor, daß ausgehend von amerikanischen Unternehmen über viele Schleichwege in Westeuropa und Asien über 600 t Thiodiglycol (daraus kann etwa die gleiche Menge S-Lost hergestellt werden) nach Irak und Iran gekommen sind. Dieses sind mit Sicherheit nur einige der äußerst komplexen internationalen Entwicklungen im Zusammenhang mit Lieferungen in die Golfregion. Wenn es schon für die betroffenen Länder schwer ist, die Verwicklungen aufzuarbeiten bzw. darzustellen (soweit diese dazu gewillt sind), so erst recht für den Autor (der dies allerdings will, um auf den Mißbrauch seiner Wissenschaft Chemie deutlich hinzuweisen).

Um so schwerer ist es, dem Fall Libyen, der mit Sicherheit der Bundesrepublik im Ausland sehr geschadet hat, genau nachzugehen. Hier liegen noch längst nicht alle Karten betreffend des neu errichteten Chemiewerks in Rabta auf dem Tisch. Deshalb nur einige Hinweise: Libyen behauptet, Medikamente herzustellen. Die Anschuldigungen von der Gegenseite – zunächst ausgehend von den USA – besagen, daß in diesem Werk chemische Kampfstoffe hergestellt werden bzw. werden sollen. Mit diesem Werk stehe die größte Anlage zur Herstellung der Kampfstoffe im Nahen Osten zur Verfügung. Klar ist inzwischen – und dieses geht aus zahlreichen Pressemitteilungen der letzten Wochen hervor; siehe u.a. Berichte in verschiedenen Ausgaben des Spiegels und Sterns im Januar 1989 –, daß auch zahlreiche bundesdeutsche Firmen von der Planung des Werkes bis hin zur Ausrüstung führend beteiligt waren/sind. Bisher fehlt der erste notwendige Schritt der Besichtigung des Werkes unter internationaler Inspektion wegen der unverständlichen Weigerung Gaddafis. Aber das folgende sollte klar sein:

  • Technisch kann man in der Anlage alles mögliche machen von Antibiotika über Pestizide bis hin zu Giftgas (so ein Regierungssprecher in Washington Anfang Januar).
  • Für die Herstellung chemischer Kampfstoffe müssen zusätzlich entsprechende Sicherheitsausrüstungen vorhanden sein. Dieses unterscheidet grundsätzlich Anlagen für zivile oder militärische Produktion von Chemikalien und ist bei Besichtigung von Fachleuten sogleich erkennbar.
  • Wenn in Rabta Kampfstoffe produziert werden sollen, so kann es sich entsprechend dem Stand der bekannten Technologien und dem militärischen Nutzen nur um Nervenkampfstoffe oder S-Lost handeln (den alten flüchtigen Kampfstoffen aus dem I. Weltkrieg wie Chlor, Phosgen kommt heute keine militärische Bedeutung zu; die chemische Binärtechnologie – entwickelt in den USA – wird den Libyern nicht bekannt sein). Hier läßt sich anhand des Standes der chemischen Industrie und dem getätigten Import von Chemikalien für Libyen aussagen, welche Kampfstoffe nun produziert werden sollen.

Es ist also bei gutem Willen, recht leicht dahinter zukommen. Offenbar wird die entscheidende Information, was in Libyen läuft, vorenthalten.

Die dritte Aktualität , die dringend erwähnt werden muß, ist der Beginn der Produktion von chemischen Binärwaffen Ende Dezember 1987 in den USA (s. genauer weiter unten). Es ist für uns als Naturwissenschaftler oft unverständlich, wie widersprüchlich in der Politik gespielt wird: Die Amerikaner prangern den Bau der Anlage für chemische Kampfstoffe in Libyen auf das nachhaltigste an. Aber die USA haben doch selbst Produktionsanlagen für chemische Binärwaffen in der letzten Zeit aufgebaut und sind beim Aufbau weiterer Produktionseinheiten!

Die neuen C-Waffen

Die Entwicklung in den letzten Jahren ist gekennzeichnet durch das mit dem Beginn der Produktion chemischer Binärwaffen wieder wachsende Interesse der Militärs unitärer C-Waffen besitzender Staaten einerseits und durch eine zunehmende Weiterverbreitung der »Atomwaffe des armen Mannes« in den immer mehr industriell orientierten sogenannten Entwicklungsländern. Die Zahl der gelagerten und z.B. in den Entwicklungsländern produzierten Kampfstoffe ist sehr gering (im Regelfall S-Lost, Tabun, Sarin, Soman, ev. VX). Der Kenntnisstand über diese Verbindungen ist sehr hoch. Zunehmende Industrialisierung in den Entwicklungsländern resultiert in einer Weiterverbreitung der im Vergleich zu Atomwaffen billigeren und leichter herstellbaren C-Waffen. S-Lost [S(CH2-CH2-Cl)2] kann aus Ethylen – Ausgangsverbindungen für den Kunststoff Polyethylen – oder Vinylchlorid – Ausgangsverbindungen für den Kunststoff PVC – und einfachen Schwefelverbindungen bzw. dem vorher im Zusammenhang mit dem internationalen Chemikalienhandel schon erwähnten Thiodiglycol und dem leicht zugänglichen Thionylchlorid leicht hergestellt werden. Den Nervenkampfstoffen und phosphororganischen Insektiziden ist eine Grundstruktur gemeinsam: die Schrader'sche Formel. Sie lehrt uns, daß eine ähnliche Synthesechemie (und großtechnisch dann auch Technologie) auf der Basis leicht zugänglicher Chemikalien – im Falle von Sarin [((CH3)2CHO)(CH3)P(O)(F)] aus Methanphosphonsäurehalogeniden (dieses hergestellt aus dem leicht käuflichen Phosphoroxychlorid) und dem gängigen Isopropanol – zu den hoch toxischen Kampfstoffen oder den »nur« weniger toxischen Insektiziden führt. Mögliche zivile oder militärische Verwendung von Chemikalien und Anlagen überlappen sich.

Durch die Entwicklungen neuer Waffentechnologien werden Verifikationsprobleme bei einer weltweiten Ächtung von C-Waffen erheblich größer. Nach über 20 Jahren Entwicklung wurde Ende 1987 in den USA mit der Endfertigung d.h. der Produktion von chemischen Binärwaffen begonnen. Hierbei handelt es sich nicht um neue Kampfstoffe. Der letzte Schritt der Synthese einer hochtoxischen phosphororganischen Verbindung wird nun nicht mehr vor dem Abfüllen der Chemikalie in die Munition vollzogen, sondern findet nach dem Abschuß der Waffe in der Granate bzw. Bombe statt.7,17,20 Der Vorteil der Binaries ist klar: Die Produktion der weit weniger toxischen Binärkomponenten ist jetzt in gewöhnlichen Fabriken möglich. Transport, Lagerung und Handhabung der einzelnen Verbindungen birgt viel weniger Risiken. Bei Beseitigung können die Komponenten, ohne daß sie aufwendig vernichtet werden müssen, einem zivilen Verwendungszweck zugeführt werden. Insgesamt werden mindestens 9.000 t (manche Schätzungen gehen bis ca 15.000 t) neue Kampfstoffe (nach Vereinigung der Komponenten) vorhanden sein: 1987 wurde mit der Produktion von 1,2 Millionen Granaten 155 mm Kaliber mit binärem Sarin begonnen, ab 1991 ist der Produktionsbeginn von 44.000 Bigeye-Bomben mit binärem VX vorgesehen (weiterhin bis etwa 1991 Entwicklung von »long-range-delivery systems« für Binärwaffen 21).

Genaue Angaben über gelagerte Mengen chemischer Kampfstoffe sind nicht erhältlich, lassen sich aber aus Regierungsausagen indirekt angeben.22 Tab.1 gibt einen Überblick über das in den USA geplante Erneuerungsprogramm. Neben der leichten Handhabbarkeit der Binärwaffen soll mit dem Umrüstungsprogramm auch erreicht werden, die Nervenkampfstoffe in den militärischen Erfordernissen entsprechenden Munition zur Verfügung zu haben. Von der strategischen Seite ist es wenig sinnvoll, das mehr seßhafte VX in Granaten und das mehr leicht flüchtige Sarin in Bomben einzusetzen. Das CW-Modernisierungsprogramm wird also auch eindeutig aus militärisch/stategischen Gründen durchgeführt.23 Neben den Nervenkampfstoffen verfügen die USA noch über etwa 17.000 t S-Lost. Die Sowjetunion lagert nach eigenen Angaben insgesamt etwa 50.000 t chemische Kampfstoffe. Ob die Binärtechnologie entwickelt wurde, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich ist, daß entsprechend dem militärischen Modernisierungsprogramm für die 90iger Jahre auch Frankreich chemische Binärwaffen entwickelt.

Es ist wichtig, festzustellen, inwieweit Mitteleuropa von der neuen Entwicklung betroffen ist. Der Beginn der Produktion chemischer Binärwaffen war vom amerikanischen Kongress an die Zustimmung der NATO-Partner gebunden. 1986 wurde auf der Ebene der NATO-Verteidigungsminister, verhängnisvollerweise mit den Stimmen der Bundesrepublik, Großbritanniens und der Türkei (bei weiteren Stimmenenthaltungen), die notwendige Zustimmung gegeben. 1986 hieß es, daß im sogenannten Krisenfall die Stationierung in einem der Zustimmungsländer erfolgen soll. Nur heute sieht es weit schlimmer aus. In einem im Dezember 1987 unterschriebenen Gesetz für den Verteidigungshaushalt für 1988 und 1989 heißt es wörtlich: „Chemical munitions stored in Europe“ (dies ist nur in der Bundesrepublik der Fall) „on the date of the enactment of this act should not be removed from Europe unless such munitions are replaced contemporaneously with chemical munitions stationed on the soil of at least one European member nation of the NATO“. Damit ist klar, daß die binären Waffensysteme insbesondere für das Schlachtfeld Mitteleuropa bestimmt sind. Für Mitteleuropa wurde schon zu Beginn der achtziger Jahre die für die NATO verbindliche Airland Battle-Doktrin eingeführt, in der die CW voll in die Strategieplanungen einbezogen werden So lautet die gültige Heeresdienstvorschrift: „Kommandeure müssen darauf vorbereitet sein, nach Eingang der Freigabe chemischer Kampfstoffe diese in ihre atomaren und konventionellen Feuerpläne zu integrieren“. C-Waffen sind ständig mit zu transportieren. Wegen des Unfallrisikos ergibt sich aus dieser Planung die Notwendigkeit der Einführung von Binärwaffen.

Es ergibt sich jetzt zwangsläufig die Frage, welche Schutzmöglichkeiten für die Zivilbevölkerung bestehen.

Eine klare Feststellung: Betroffen ist besonders die Zivilbevölkerung

Die Tab.2 enthält toxikologische Daten einiger weniger Kampfstoffe. Mit zunehmender Jahreszahl der Erstverwendung bzw. des Produktionsbeginns hat sich der LCt50-Wert drastisch verringert (LCt heißt letale Dosis und ist eine Maßzahl für Inhalationstoxizität; LCt50 ist die Konzentration einer Substanz gemessen in mg/m3, die bei einer Einwirkungszeit von einer Minute mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% ein Individuum tötet). Der Lungenkampfstoff Phosgen (auch andere wie Cyanwasserstoff) kommt heute wohl wegen seiner hohen Flüchtigkeit und zu geringen Beständigkeit nicht mehr als Kampfstoff infrage (Phosgen ist aber heute großindustriell hergestelltes Zwischenprodukt in der Industrie; Gefahren resultieren für die Zivilbevölkerung bei Bombenangriffen auf Chemieanlagen oder Unfällen – s. Unfall Bhopal). Der Hautkampfstoff S-Lost (eigentlich Zwischengebiet zwischen letal und reizend wirkendem Kampfstoff) ist einer der wenigen Beispiele, die sich bis heute – anderes Beispiel ist Lewisit – in den militärischen Lagerbeständen gehalten hat. Den gelagerten phosphororganischen Nervenkampfstoffen Tabun, Sarin, Soman, VX kommt durch die Entwicklung der Binärtechnologie (hier z.Z. für Sarin und VX) wieder zunehmende Bedeutung zu. Die hochtoxischen Toxinen sind immer mehr den chemischen Kampfstoffen zuzurechnen.

Zwei Kampfstoffe/Gruppen sollen in Bezug auf ihre auf den Menschen verheerende Wirkung herausgegriffen werden.

S-Lost ist ein seßhafter Kampfstoff, der – und dieses ist ja gewünscht – sich nach einigen Tagen im Gelände zersetzt.11 Der LCt50-Wert von ca 1500 mg min/m³ liegt recht hoch, was von militärischer Seite einen Masseneinsatz mit großer Flächendeckung zur Folge hat. Lokale Wirkungen dieses gut lipid löslichen Kampfstoffes auf der Haut, am Auge, an den Atmungsorganen und am Verdauungstrakt sind genauer bekannt.8 Von schlimmer Konsequenz ist, daß reines S-Lost geruchlos ist – also zunächst kaum wahrgenommen wird – und nach Kontamination der Haut innerhalb einiger Minuten ohne Warnsignale eindringt. Erst nach einigen Stunden (!) treten auf der Haut je nach Kontaminationsmenge unterschiedlich schwere erythematöse und bullöse Formen auf. Der Grad der Vergiftung des Körpers ist festgelegt. Antagonisten (Gegenmittel) und Antidoten (Reaktivierungsmittel) zur medizinischen Vorbeugung oder Behandlung gibt es nicht. Außer einfachen Salbenbehandlungen ist nichts mehr möglich. Die systemischen Wirkungen führen zu Störungen am Lungentrakt, Herz-Kreislauf-System und Nervensystem. Nur der Tod kann bei diesen schweren Fällen erlösend wirken. Hinsichtlich der Spätfolgen sei gesagt, daß dieser Kampfstoff mutagen, cancerogen, hepatotoxisch, hämatotoxisch und neurotoxisch im weitesten Sinne wirken kann. Aber wie ist die Wirkung auf molekularer Ebene? S-Lost wirkt auf zahlreiche im Organismus vorhandene nukleophile N- oder S-Gruppen stark alkylierend. Der Kampfstoff greift u.a. auf einer für das Leben elementaren Stufe an: Er paßt maßgeschneidert zwischen zwei DNS-Stränge (DNS ist Träger der genetischen Information).7,8 Die Stränge sind normalerweise durch schwache Brücken verknüpft, was im Rahmen der Zellteilung eine leichte Teilung des Doppelstranges bewirkt. Durch S-Lost nun erfolgt eine irreversible kovalente Verknüpfung der Stränge. Dies hat in Geweben hoher Zellteilungsrate (Haut, Knochenmark, Keimdrüsen u.a.) fatale Folgen. Es entstehen keine funktionstüchtigen neuen Zellen. Deregulation der Gewebefunktion sind die Folgen.

Der Eintritt der geruchs- und geschmacklosen Nervenkampfstoffe Tabun, Sarin, Soman, VX durch die Haut, Schleimhäute und Augenbindehaut erfolgt zunächst systemlos. Allerdings sind die späteren Wirkungen schon nach unter einer Minute Exposition im Wesentlichen festgelegt. Der molekulare Wirkungsmechanismus der Nervenkampfstoffe ist recht gut bekannt.7-9,24,25 Im Organismus muß der chemische Reiztransmitter Acetylcholin nach Reizübermittlung durch das Enzym Acetylcholinesterase schnell abgebaut werden. Dies geschieht durch Enzyme wie Acetylcholinesterase, an dem sich das Acetylcholin anlagert und abgebaut wird. Die Reaktivierung des Enzyms – für neuen Abbau des Reizübermittlers – beträgt nur ca. eine Millisekunde (Halbwertszeit). Gelangt nun ein Nervenkampfstoff in den Körper, so lagern sich die Moleküle sehr fest an die Stellen des Enzyms, die eigentlich für den Reiztransmitter gedacht waren. Die Reaktivierung des Enzyms beträgt jetzt 108 Tage (Halbwertszeit)! Konsequenz: Der Reizübermittler Acetylcholin kann nicht mehr abgebaut werden, er überflutet den Körper. Extreme Krämpfe bis hin zum Atemstillstand sind die Folge. Es ist deprimierend anzumerken, daß das zeitlich am spätesten entwickelte VX in seiner Struktur und Größe dem Reizübermittler Acetylcholin am nächsten kommt und so im Sinne eines Schlüssel-Schloß-Mechanismus am besten in das Enzym Acetylcholinesterase paßt:

Acetylcholin: CH3-C-O-CH2-CH2-N(CH3)3

V-Kampfstoff: (X1X2)P-S-CH2-CH2-NR2

Spätfolgen bei Vergiftung (und natürlich Überleben) mit Nervenkampfstoffen sind nicht so ausgeprägt wie bei S-Lost, aber auch dokumentiert. Interessant ist die Frage, ob man sich durch medikamentöse Behandlung gegen die Nervenkampfstoffe schützen kann.9 Hierbei sind Antagonist (lediglich Gegenmittel zur Abschwächung der Wirkung) und Antidote (Reaktivierungsmittel, d.h. molekulare Reaktivierung der geschädigten Stelle) zu unterscheiden. Atropin (selbst ein starkes Gift), ein typisches Beispiel für einen Antagonisten, kann in geringer Menge (s. Tab.3) den relativen Schutz erhöhen. Allerdings ist die Wirkung beim Vergleich verschiedener Nervenkampfstoffe nicht sehr selektiv und z.B. bei VX sehr gering. Forschungen in den 50er Jahren führten zur Entwicklung von Oximen als Antidoten, von denen sich N-Methylpyridinium-2-aldoxime (P2S) als am wirksamsten erwiesen. In der kombinierten Wirkung von Atropin und P2S fällt »nur« das Soman heraus (s. Tab.3). Hier erwies sich die zusätzliche Verwendung von Carbamaten (Diazepam) als wirkungsvoller. Doch alle diese mit großem Forschungsaufwand u.a. in Porton Down (Großbritannien) durchgeführten Arbeiten sind eigentlich sinnlos: Die Therapie muß zeitlich (s. Angaben in Tab.3) und auch dosiert entsprechend der Kontamination mit Kampfstoff angepaßt werden. Zusätzlich ist bekannt, daß die »Patienten« nach der Behandlung durch Nebenwirkungen intensiver ärztlicher Kontrolle und weiterer Gegenmaßnahmen benötigen. Wie soll dies in einem chemischen Krieg stattfinden? Totale Schutzkleidung als weitere Möglichkeit des Schutzes gegen Kampfstoffe – allerdins bei der Zivilbevölkerung nicht vorhanden – schützt wirkungsvoll.9 Es wird geschätzt, daß bei einem C-Waffenkrieg in Mitteleuropa über 95 % der Betroffenen Zivilisten sind.20 Tab.3 zeigt deutlich den Prozent-Anteil der Geschädigten bei einem Angriff mit V-Kampfstoff.11 Auf den Unsinn einer gezielten Antidotgabe (letzte Reihe in Tab.3) wurde schon eingegangen.

Trotz Risiken: Beseitigung vorhandener Bestände

Die Beseitigung vorhandener Bestände ist technisch möglich.26,27 Das Verfahren der Wahl ist z.Zt. die Verbrennung bei hohen Temperaturen, wobei die dabei entstehenden Gase/Produkte wie HCl, HF, SO2, P4O10 auch entsorgt werden müssen. Ein besonderes Problem stellt natürlich der munitionierte Kampfstoff dar, aus dem der Kampfstoff erst noch entfernt werden muß. Neben der Beseitigung gelagerter Bestände, sind auch noch etliche tausend Tonnen Altlasten aus dem I. und II. Weltkrieg zu berücksichtigen. Aus einer Mitteilung des Umweltministers in Niedersachsen im Oktober 1988 geht hervor, daß allein in diesem Bundesland 67 Standorte mit gefährlichen chemischen Rüstungsaltlasten festgestellt worden sind. Der finanzielle Aufwand für die Beseitigung chemischer Waffen liegt über dem ihrer Produktionskosten. Laut Aussagen von R. Zellermann (Chef der Kampfmittelbeseitigungsanlage in Munster) im Januar 1989 entstehen bei einer alten Kampfstoffgranate für Bergen und Unschädlichmachen Kosten von etwa 8500 DM.

Das Verteidigungsministerium der USA wurde durch einen Beschluß des US-Kongresses verpflichtet, parallel zum Aufbau des Arsenals binärer CW die vorhandenen Vorräte an Kampfstoffen und chemischer Munition bis zum 30.9.94 zu vernichten. Offenbar wegen technischer Probleme wurde der Termin im Zuge der Haushaltsberatungen auf den 30.4.97 verschoben. Der damalige Präsident Reagan hatte darüberhinaus Bundeskanzler Kohl 1986 am Rande des Weltwirtschaftsgipfel in Tokio zugesagt, daß die in der Bundesrepublik gelagerten amerikanischen Vorräte (wahrscheinlich knapp 500 t Nervenkampfstoffe munitioniert in 144.000 Granaten in Fischbach 20) bis 1992 abgezogen würden, „falls die Endfertigung binärer Waffen in den USA 1987 beginnen kann“, wie die Bundesregierung erklärte.28 Am Rande der Anfang Januar in Paris stattgefundenen Konferenz über C-Waffen haben die Sowjetunion und die USA erklärt, noch in diesem Jahr mit der Vernichtung der unitären C-Waffen zu beginnen (unabhängig davon, daß die USA ihre chemische Binärproduktion weiter ausbauen).

Zu den Gefahren, die mit der Beseitigung der alten Bestände in den USA verbunden sind, wurden in den USA umfangreiche Gutachten erstellt.27,29,30

Die von den Lagerbeständen an C-Waffen ausgehenden Gefahren beziehen sich nur auf die Vorräte auf dem amerikanischen Kontinent. Von den in der Bundesrepublik gelagerten Vorräten wird gesagt, daß entsprechende Pläne zusammen mit der Bundesrepublik entwickelt und in einem getrennten, zusätzlichen NEPA-Dokument (NEPA=National Environmental Policy Act) dargestellt würden (siehe Literatur unter Anmerkung 27, Vol.1, Seite 1 - 5). Durch Vergleich der Risiken von Lagerung, Handhabung, Transport und Verbrennung ergibt sich, daß die mit dem Transport zusammenhängenden Risiken um etwa einen Faktor 3 - 4 höher liegen als wenn man an Ort und Stelle vernichten würde. Der Lufttransport wird dabei noch einmal um den Faktor 10 so gefährlich angesehen wie der Bahntransport.

Die völkerrechtliche Situation: Untragbar

Die vorherigen Abschnitte haben klar vor Augen geführt: Eine neue weltweite C-Waffenkonvention ist notwendiger denn je. Völkerrechtliche Verbindlichkeit besitzt zur Zeit lediglich das von über 100 Staaten unterzeichnete Genfer Giftgasprotokoll von 1925, welches lediglich den Einsatz verbietet.3 Insbesondere der schon erwähnte Einsatz von CW des Vertragspartners Irak zeigt die Unzulänglichkeit dieses Vertrages. In dem Vertrag wird lediglich „...die Verwendung von erstickenden, giftigen oder gleichartigen Gasen sowie allen ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffen oder Verfahrensarten im Kriege ...“ untersagt. Als Problem bleibt bestehen, daß der Einsatz von CW in nationalen Konflikten nicht berührt wird. Die Bundesrepublik hat im Rahmen der WEU 1954 erklärt4, „die ...aufgeführten Atomwaffen, chemischen und biologischen Waffen in ihrem Gebiet nicht herzustellen. ...Als chemische Waffen gelten alle Einrichtungen und Geräte, die eigens dazu bestimmt sind, die erstickenden, toxischen, reizerregenden, lähmenden, wachstumsregelnden, die Schmierwirkung zerstörenden und katalytischen Eigenschaften irgendeiner chemischen Substanz auszunutzen. ...Von dieser Definition gelten als ausgenommen die ...genannten Geräte und die Mengen von chemischen Substanzen, die nicht über den zivilen Friedensbedarf hinausgehen“. Bei der Unterzeichnung des B-Waffen-Übereinkommens 1972 hat die Bundesrepublik zusätzlich erklärt: „daß sie im Bereich chemischer Waffen solche Kampfstoffe....weder entwickeln, noch erwerben, noch unter eigener Kontrolle lagern wird“.3 Im Klartext: Dies betrifft sowohl die letal wirkenden als auch die Reizkampfstoffe und Mittel für ökologische Kriegsführung. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht Ende 1987 erklärt, daß die Lagerung von CW der USA in der Bundesrepublik nicht gegen das Grundgesetz verstößt31 (also: auch die zukünftige Stationierung chemischer Binärwaffen ist rechtmäßig).

Seit 20 Jahren wird nun auf der Genfer Abrüstungskonferenz (CD) multilateral (40 Staaten) über ein weltweites und umfassendes Verbot chemischer Waffen verhandelt.1,2 Die Stiftung Wissenschaft und Politik (ein vom Bundestag eingerichtetes Forschungsinstitut) stellt zum Stand der Genfer Verhandlungen in einer umfangreichen Studie folgendes fest2: „Die Genfer Verhandlungen über eine CW-Konvention sind außerordentlich weit fortgeschritten und lassen die Struktur einer Konvention sowie eine Vielzahl von Teilregelungen deutlich erkennen. Besonders im Verifikationsbereich kann der bisher erreichte Stand als bahnbrechend bezeichnet werden. Die Sowjetunion hat hier Zugeständnisse gemacht, die weit über das hinaus gehen, was aus Anlaß des INF-Vertrages oder der Stockholmer KVAE-Vereinbarungen erzielt werden konnte. Die wesentlichen Themenbereiche, zu denen es noch weiterer Verhandlungen bedarf, sind: Definition und Abgrenzung chemischer Waffen; die Frage der Abfolge der Vernichtung chemischer Waffen; Struktur sowie Funktionsweise der noch zu schaffenden internationalen Organisation zur Überwachung der Konvention; Kontrollregelungen für die industrielle Herstellung und Nutzung supertoxischer Verbindungen, denen bislang keine oder nur geringe militärische Bedeutung zukam; sowie abschließende Kontrollregelungen für die industrielle Herstellung und Nutzung jener auch militärisch verwendbarer Verbindungen, die in der Industrie in sehr großen Mengen anfallen. ...Die Bedenken und Bedingungen, die neuerdings auf seiten der USA und Frankreichs mit Blick auf die nach dem Abschluß der Konvention verbleibenden militärischen Risiken präsentiert wurden, stellen eine ernsthafte Herausforderung für die CW-Verhandlungen dar“. Aufgrund unterschiedlicher Verifikationsanforderungen in zu kontrollierenden Bereichen sind Verbindungen in vier Listen aufgeführt:

Liste 1: supertoxisch-tödliche, weitgehend nur für CW geeignete Substanzen sowie »Schlüsselkomponenten« von Binärwaffen,

Liste 2: Schlüsselvorprodukte der Liste 1 mit geringer ziviler Produktionshöhe,

Liste 3: Zivile Produkte, die auch als Kampfstoffe verwendet werden könnten (dual purpose agents), als auch zivil genutzte Vorkomponenten,

Liste 4 (unklar, ob diese Liste weiterhin bestehen bleibt): supertoxisch-tödliche weitere Verbindungen bisher nur ziviler Verwendung.

In der Bundesrepublik existiert eine am 15.5.84 verabschiedete Liste von fünf für die Kampfstoffherstellung geeignete Vorprodukten (Ziffer 1710 der Ausfuhrliste, Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung), deren Export genehmigungsbedürftig ist. Zusätzlich gibt es eine »Warning List« vom 24.9.86 betreffend 35 Chemikalien.32 Doch die Realität – am Anfang dieses Artikels angesprochen – verdeutlicht: Geltende Regelungen reichen bei weitem nicht aus; wir brauchen eine neue C-Waffen-Konvention! Die chemische Industrie ist in den deklarierten Bereichen durch die Verifikationsregelungen besonders angesprochen. (In der Bundesrepublik gibt es dazu bereits einschlägige Erfahrungen: Kontrollen werden seit 1956 im Rahmen des WEU-Protokolls von 1954 durchgeführt.) Für einen weltweiten Verzicht auf chemische Kampfstoffe hat sich auch der Verband der Chemischen Industrie ausgesprochen und klargestellt: „Kontrollen sollten den technischen Fortschritt nicht unnötig behindern, die Wettbewerbsfähigkeit nicht beeinträchtigen, vor allem aber technisch sinnvoll und praktikabel sein.“.32 Der Fall Libyen hat uns klar demonstiert, daß Kontrollen sehr weit und tief in die Belange der Firmen hineingehen müssen. Für die Kontrollen wurden verschiedene Möglichkeiten im Rahmen der Genfer Verhandlungen vorgeschlagen, auf die nicht weiter eingegangen werden soll.1,2,33 Eins sollte klar sein: Auch eine neue C-Waffen-Konvention wird nur durch gegenseitiges Vertrauen voll in ihren Beschlüssen umgesetzt werden können.

Der bisherige Mißerfolg in Genf war wohl auch der Anlaß dafür, daß vom 7.1. - 11.1.1989 in Paris eine von 150 Staaten besuchte Konferenz über CW stattfand. Bemerkenswert ist, daß alle Teilnehmerstaaten – einschließlich der Großmächte und auch des Irak – in einer einstimmigen Abschlußerklärung ein Abkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Anwendung aller CW sowie deren Zerstörung forderten. Die Weltöffentlichkeit erwartet nun sehnlichst, daß ausgehend von diesen Beschlüssen die Verhandlungen in Genf vorangehen. Übrigens: Eine von renommierten Wissenschaftlern, die überzeugt den Mißbrauch der Wissenschaft Chemie mit aller Konsequenz anprangern, organisierte Konferenz am Rande der CW-Tagung zum Thema „Vers L'Abolition Des Armes Chemiques“ fand leider in der Presse nicht die notwendige Resonanz.

Chemische Kampfstoffe/Waffen richten sich gegen die Würde des Menschen. Wir müssen uns als Naturwissenschaftler entschieden gegen diesen Mißbrauch unserer Wissenschaft Chemie wenden. Wir sollten alle Möglichkeiten dazu ausschöpfen. Daher hat die Naturwissenschaftler-Initiative „Verantwortung für den Frieden“ klar herausgestellt: Wenn es in Genf zu weiteren Verzögerungen kommt, brauchen wir ein von chemischen Waffen freies Mitteleuropa. Dieser logischen Konsequenz u.a. wegen der eindeutigen Bestimmung der Binärwaffen für das Schlachtfeld Europa schließt sich weder die Bundesregierung noch der VCI an. Dabei wurde bereits auf Parteienebene (SPD,SED) 1985 ein Rahmenabkommen für eine chemiewaffenfreie Zone in Mitteleuropa unterzeichnet.5

Und es geht weiter: Leider

Was noch bleibt, ist der Brückenschlag zu den biologischen Waffen. Das Schema 1 zeigt links und rechts die Stammbereiche biologischer und chemischer Kampfstoffe. Im Bereich der Bioregulatoren und Toxine wird die Grenze fließend, je nachdem, wie die Komponenten hergestellt werden. Alle Bereiche sind nicht von Neuentwicklungen verschont.

Tab. 1. US Vorräte an Nervengasen a,b)
zur Zeit gelagerte Mengen (geschätzt) Binärkampfstoffein Produktion
nicht abgefüllt 1.800 t VX 4.300t Sarin
Artilleriegranaten 950 t VX 850t Sarin 5.100 t Sarin
Bomben 630 t VX 1.300t Sarin 4.100 t VX
gesamt 3.800 t VX 6.450t Sarin 4.100 t VX 5.100 t Sarin
a) Die Angaben umfassen nur die als einsetzbar eingechätzten Kampfstoffmengen. Zur Zeit lagern außerdem noch etwa 630t VX in Sprühtanks und 750t Sarin in 105 mm-Granaten, die als nicht mehr einsetzbar angesehen werden
b) J.P.Robinson: “Chemical and Biological Warfare Developments: 1985”, SIPRI Chemical and Biological Warfare Studies 6, Oxford University Press, Oxford, England 1986
Tab. 2. Physikalische und Toxikologische Daten einiger letal wirkender Kampfstoffe
Kampfstoff Siedepunkt/ ºC Dampfdruck/ LCt50 LD50 Bestände Wirkungs-
eintritt
(Erstverwendung oder Produktionsbeginn) 20ºC/ mm Hg (ICt50)/ mg min m-3 mg/kg (15ºC, sonnig, leichte Brise)
Mehr letal wirkende Kampfstoffe
Phosgen (1916) 8 1400 3200 (120) Min-Std. sofort
S-Lost,HD (1917) 217 0,072 1500 (100) 0,2 3-4 Tage 3-8 Std
Sarin,GR (1939) 147 2,1 100 (50) 0,05 einige Stunden unter 1 Min.
VX (1960/61) 320 0,0004 50 (5) 0,007 bis 10 Tage unter 1 Min.
Botulinus Toxin A
(intensiv 70/80er Jahre)
fest 0,02 0,001
Tab. 3. Ermittlung der Geschädigten beim Angriff mit V-Kampfstoff
(Luftüberfall mit V-Kampfstoff; Vergiftungsdosis 1-10g/m2 auf 55% der bekämpften Fläche, 0,1-1g/m2auf weiteren 40% der Zielfläche, zusammen mit einer Aerosol-Ct-Dosis von 10-20 mg/min/m3 auf 95% der Fläche)
Schutzniveau % Geschädigte
Todesfälle schwer Geschädigte
Schutzmasken aufgesetzt, jedoch mit 2 Minuten Verzögerung. Andere Gegenmaßnahmen ebenfalls langsam durchgeführt. 75 20
Schutzmasken innerhalb 30 Sekunden aufgesetzt
- keine weiteren Schutzmaßnahmen
55 15
- mit schneller Personendekontamination 20 5
- mit effektiver Antidotgabe mittels Autoinjektor 10 15

Anmerkungen

1 Vergl. „Special Reports of the Ad-hoc Committee on Chemical Weapons to the Conference of Disarmament“ (rolling text), z.B. CD/782, CD/795 vom 2.2.88, CD/831 vom 20.4.88, CD/874 vom 12.9.88. Zurück

2 Stiftung Wissenschaft und Politik : Arbeitspapier „Stand und Perspektiven der Verhandlungen über die Abrüstung chemischer Waffen“, Ebenhausen, März 1988 Zurück

3 Genfer Giftgasprotokoll vom 17.6.25. RGBL. 1929 II, S.174ff.; Deutscher Vertragstext in: G. Fahl: „Rüstungsbeschränkung durch internationale Verträge“, Berlin 1980, 127ff. Zurück

4 BGBl. 1955 II S.266 – Anl. III mehrf. geänd., zuletzt durch Beschl. v. 15.9.71 in Verb. mit Anl. IV neu gef. gemäß Bek. v. 6.7.72, BGBl. II S.767, und erneut geänd. durch Beschl. v. 26.9.73, BGBl. 1974 II S.671. Zurück

5 Gemeinsames Kommunique der von der SPD Bundestagsfraktion und der SED gebildeten Arbeitsgruppe vom 19.6.85. Zurück

6 H. Jaschinski, „Neuartige chemische Kampfstoffe im Blickpunkt des Völkerrechts“, Berlin 1975, S.181. Zurück

7 W. Dosch und P. Herrlich (Hrsg.): „Ächtung der Giftwaffen“, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1985. Zurück

8 R. Klimmek, L. Szinicz und N. Weger: „Kampfstoffe, Wirkung und Therapie“, Hippokrates Verlag, Stuttgart 1985. Zurück

9 Verschiedene Artikel über Chemical Defence in : Chemistry in Britain 1988, 657-691. Zurück

10 R. Ember, Chemical and Engineering News, March 28, 7-17 (1988). Zurück

11 Weltföderation der WISSENSCHAFTLER: „Chemische Waffen und die Folgen ihrer Anwendung“, 6 Endsleigh Street London C 1H ODX, United Kingdom 1986. Zurück

12 Kh. Lohs: „Synthetische Gifte“, Militärverlag der DDR, Berlin 1974. Zurück

13 Kh. Lohs: „Europa: Giftfaß oder chemiewaffenfrei“, Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986. Zurück

14 Kh. Lohs und D. Martinetz, Z. Chem. 26, 233 (1988). Zurück

15 R. Stöhr und H. Kießlich-Köcher: „Chemie des Todes“, Militär Verlag der DDR, Berlin 1987. Zurück

16 R. Harris und J. Paxmann: „Eine höhere Form des Tötens; Die unbekannte Geschichte der B- und C-Waffen“, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1983. Zurück

17 H.G. Brauch und A. Schrempf: „Giftgas in der Bundesrepublick“, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1982. Zurück

18 J. Angerer: „Chemische Waffen in Deutschland“, Luchterhand Verlag, Darmstadt 1985. Zurück

19 H.J. Uth und P. Rudolph, „Die Pest als Waffe“, Dreisam Verlag, Freiburg 1984. Zurück

20 W. Dosch, Informationsdienst Wissenschaft und Frieden, Marburg, 7, 7 (1988). Zurück

21 National Defence Authorization Act for Fiscal Years 1988 and 1989, H.R. 1748, U.S. Government Printing Office, Washington 1987. Zurück

22 J.P. Robinson, Chemical Weapons Convention Bulletion 2, 12 (1989). Zurück

23 vgl.: Hearings before the Committee on Armed Services, United States Senate, 100 Congress, first Session on S. 1174, U.S. Government Printing Office, Washington 1987. Zurück

24 Kh. Lohs, Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 78, 593 (1984). Zurück

25 I. Stark, Chemie in unserer Zeit 18, 96 (1984). Zurück

26 Kh. Lohs und D. Martinetz, „Entgiftung und Vernichtung chemischer Kampfstoffe“, Militärverlag der DDR, Berlin 1983. Zurück

27 Program Manager for Chemical Demilitarization: Chemical Stockpile Disposal Program, Final Progammatic Environmental Impact Statement, January 1988, Vol. 1-3, Aberdeen Proving Ground, Md. 21010-5401. Zurück

28 Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage im Deutschen Bundestag. Drucksache 11/166, in : Deutscher Bundestag, 10. Wahlperiode, 216. Sitzung, S.16681. Zurück

29 Program Manager for Chemical Demilitarization: Chemical Stockpile Disposal Program, Draft Programmatic Environmental Impact Statement, July 1, 1986, Aberdeen Proving Ground, Md 21010-5401. Zurück

30 Public Law 99-661, U.S. Government Printing Office, Washington 1987. Zurück

31 EuGRZ 1987 (14. Jg.) Heft 23, S. 565ff. Dazu s. Däubler: „C-Waffen Lagerung und Grundgesetz“, Demokratie und Recht 2/1988, S. 219ff. Zurück

32 Siehe dazu: Nachr. Chem. Tech. Lab. 36, 441 (1988); Chemie Report des VCI vom 12.1.89. Zurück

33 R. Trapp, Wissenschaft und Fortschritt 38, 254 (1988). Zurück

Prof. Dr. Dieter Wöhrle ist Chemiker an der Universität Bremen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1989/1 1989-1, Seite