Cyberpeace – Frieden gestalten mit Informatik
29. FIfF-Jahrestagung, 25.-27. Oktober 2013, Siegen
von Sara Stadler
Im Fokus der 29. Jahrestagung des »Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung« (FIfF), die unter dem Motto »Cyberpeace – Frieden gestalten mit Informatik« ausgerichtet wurde, stand aus aktuellem Anlass die Nutzung – oder besser der Missbrauch – der Informationstechnologie für Überwachung, Spionage und digitale Kriegsführung. Gegenentwürfe zur Dystopie des totalen Überwachungsstaates sind dringend gefordert. So wurde in den Vorträgen und Arbeitsgruppen immer wieder das emanzipatorische Potential der Informatik hervorgehoben und die Möglichkeit eines »Cyberpeace« diskutiert.
Eine Idee davon, wie Cyberpeace mittels friedensfördernder informationstechnischer Strukturen gestaltet werden kann, gaben die FIfF-Vorstandsmitglieder Sylvia Johnigk und Kai Nothdurft in ihrem einführenden Vortrag »Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg«. An ihren Vortrag schließen die Forderungen des FIfF zum Cyberpeace an, die auf der FIfF-Mitgliederversammlung verabschiedet wurden (siehe fiff.de/presse/pm_ cyberpeace).
Sebastian Schweda, Mitglied von Amnesty International, machte in seinem Vortrag, der ursprünglich »Eine neue Hoffnung – oder das Imperium schlägt zurück – zur Lage der Menschenrechte im digitalen Zeitalter« heißen sollte, deutlich, warum er die Hoffnung im Titel dann doch gestrichen hat. Zwar begreift er moderne Informations- und Kommunikationstechnologien mit Bezugnahme auf den »Arabischen Frühling« oder Whistleblower-Plattformen durchaus als Chance, Menschenrechte durchzusetzen und zu schützen. Anderseits hätten jedoch gerade die letzten Monate gezeigt, mit welcher Intensität und Professionalität Regierungen und Repressionsorgane die gleichen Technologien nutzten, um potentiell widerständiges Verhalten zu unterbinden und damit Menschenrechte – allen voran das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf freien Informationszugang und auf den Schutz des Privatlebens – einzuschränken. Diese und weitere Menschenrechtsverletzungen unter Einsatz digitaler Informations- und Kommunikationstechnologie öffentlich zu machen, hat sich eine neu gegründete AI-Arbeitsgruppe unter dem vorläufigen Namen Digital@Amnesty zum Ziel gesetzt.
Den Fokus auf das emanzipatorische Potential moderner Informations- und Kommunikationstechnologien setzte dagegen Prof. Dr. Gloria Mark von der University of California, Irvine in ihrem Vortrag »ICT use to support resilience in regions of conflict: The case of Iraq and the Arab Spring«. Am Beispiel Ägyptens und des Irak konnte sie zeigen, wie soziale Medien (politisch aktive) Menschen unter repressiven Bedingungen unterstützen und strukturelle gesellschaftliche Veränderungen vorantreiben können. Ihr Vortrag endet daher mit einem Appell an die IT-ExpertInnen, im virtuellen Raum »safe places« für NutzerInnen und AktivistInnen zu schaffen.
Nach Möglichkeiten des Schutzes vor Überwachung im digitalen Raum fragte auch Rainer Rehak, Preisträger des FIfF-Studienpreises 2012, in seinem Vortrag »Geheimnisse und das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme«, hob dabei jedoch in erster Linie die Bringschuld des Staates hervor. Auf der Grundlage des benannten Grundrechtes gelte es, rechtliche Konsequenzen zu fordern, wenn etwa Softwarehersteller wissentlich unsichere Betriebssysteme vertreiben, damit unter anderem Geheimdienste die offenen Sicherheitslücken ausnutzen können.
Eine andere Auffassung bezüglich der Gewährleistung digitaler Rechte im Netz vertrat Prof. Dr. Günter Müller von der Universität Freiburg. Die Titelfrage seines Vortrags »Datenschutz heute: 30 Jahre zurück statt 30 Jahre voraus?« beantwortete er in seinem Vortrag mit einem klaren Ja. Seine These, dass die NutzerInnen im Zeitalter von Sozialen Netzwerken und Big Data mit der informationellen Selbstbestimmung überfordert seien und Privatheit im Netz nur mittels Transparenz umgesetzt werden könne, wurde im Anschluss kontrovers diskutiert.
Auch in den Arbeitsgruppen wurde der ambivalenten Rolle der Informationstechnologie nachgegangen und diskutiert, wie ihr mit unterschiedlichen Strategien begegnet werden könnte. Die Arbeitsgruppe »Rüstung und Informatik: Mitten im Cyberkrieg – der Angriff auf die Zivilgesellschaft« des AK RUIN diskutierte die Rolle von Spionageprogrammen im Kontext des Cyberwarfare. (Ute Bernhardt und Ingo Ruhmann, die diese Arbeitsgruppe moderierten, widmen dem Thema das W&F-Dossier 75, das dieser W&F-Ausgabe beiliegt.) Ein Vortrag von Paul Schäfer richtete den Blick über die NSA-Affäre hinaus auch auf die Aufrüstung zur digitalen Kriegsführung in der Bundesrepublik. Weitere Arbeitsgruppen machten konkrete Repressionstechniken und Angriffszenarien zum Gegenstand. Die Arbeitsgruppe »Strukturen des gesichtslosen Blicks – revisited« des AK Videoüberwachung und Bürgerrechte machte deutlich, wie durch die Automatisierung der Videoüberwachung deren gesellschaftliche Folgen zugespitzt und ausgeweitet werden. Die Arbeitsgruppe »Hackertools« zeigte, wie leicht sich Angriffe auf informationstechnische Systeme realisieren lassen. Gegenstategien standen im Fokus der Arbeitsgruppe »Menschenrechte in einer digitalisierten Welt«. Hier wurde diskutiert, wie InformatikerInnen zusammen mit Aktiven aus Menschenrechtsgruppen auf die Risiken der IT-Nutzung hinweisen und Lösungsmöglichkeiten anbieten können, um der Überwachung durch Behörden zu entgehen. Um Möglichkeiten des Datenselbstschutzes ging es schließlich auch im Rahmen einer Cryptoparty.
Während einer Feierstunde wurden auf der Tagung zum dritten Mal herausragende Qualifikationsarbeiten mit dem FIfF-Studienpreis prämiert. Alle prämierten Arbeiten widmeten sich aktuellen Themen wie Privacy, Big Data und die mündige Teilhabe an der digitalen Gesellschaft (siehe fiff.de/presse/pm_studienpreis_2013).
Heft 1/2014 der FIfF Kommunikation, das Ende März erscheint, wird der Tagung gewidmet sein und die Vortrags- und Arbeitsgruppenthemen aufgreifen.
Sara Stadler