Cyborg Soldier
Das US-Militär und der postmoderne Kämpfer
von Chris Hables Gray
Bedenken Sie, daß nicht nur der Mann den Krieg macht, sondern auch der Krieg den Mann.
Barbara Ehrenreich (1987)
In der Tat: Der Krieg macht den Mann. Und nicht nur der wirkliche Krieg. Mögliche Kriege, eingebildete Kriege, sogar undenkbare Kriege prägen heute Männer – und Frauen. Geradeso wie der moderne Krieg moderne Soldaten erforderte, braucht der postmoderne Krieg1 Soldaten mit neuen militärischen Tugenden, die den unglaublichen Anforderungen eines hochtechnologischen Krieges gewachsen sind. Zum Teil sind diese neuen Soldaten durch wissenschaftliche Personalverwaltung und Marketing Analyse geprägt, die mit traditioneller militärischer Disziplin und Gemeinschaft eine prekäre Verbindung eingehen. In einem anderen Sinne allerdings sind es die Waffen selbst, die den US-Soldaten von heute und von morgen bestimmen.
Waffen haben im Krieg immer eine wesentliche Rolle gespielt, von der Zeit vor dem griechischen Hoplit bis zu den Panzern der Weltkriege. Doch wird heute der Soldat durch die Waffen, die eingesetzt werden, nicht einfach nur beeinflußt; heute wird er, oder sie, umgebaut und umprogrammiert, um lückenlos in die Waffensysteme zu passen. Die Grundeinheit jedes Krieges, der menschliche Körper, ist der Ort dieser Veränderungen, sei es der »wetware« (des Kopfes und der Hormone), der »software« (der Gewohnheiten, Fähigkeiten und Disziplin) oder der »hardware« (des Körpers). Um die Grenzen des Soldaten von gestern zu überwinden, aber auch die der Automation als solcher, strebt das Militär eine subtilere Verbindung von Mensch und Maschine an: das Modell des Soldaten als kybernetischem Organismus (»Cyborg«), der maschinenhafte Ausdauer mit einem neu bestimmten menschlichen Intellekt verbindet, der dem Gesamtsystem der Waffen untergeordnet ist.
Die gegenwärtige Politik des US-Verteidigungsministeriums ist dabei, eine postmoderne Armee von Kriegsmaschinen, Kriegsmanagern und roboterhaften Kämpfern zu schaffen. Der postmoderne gemeine Soldat ist entweder tatsächlich eine Maschine, oder er wird durch Psychotechnologien wie Drogen, Disziplin und Führung dazu gebracht, wie eine zu handeln. Der postmoderne Offizier ist ein ausgebildeter Profi, der für die Waffensysteme verantwortlich ist und sie manchmal im Kampf anwendet. In allen Fällen werden Soldaten aufs engste mit Computern verbunden sein durch elektronische Vernetzung, Laser und herkömmlichere Formen der Interaktion zwischen Mensch und Maschine.
Trotz der Informationsbeschränkungen durch die Regierung, bewußter offizieller Desinformation und geheimer, militärischer, »schwarzer« Gelder von über 35 Milliarden Dollar für 1988 – das sind 11% des für das Pentagon vorgesehenen Budgets von 312 Milliarden Dollar2 – kann mit Hilfe unbekannter Zeitschriften, öffentlicher Dokumente und besorgter, teilnehmender Beobachter eine Menge über diese Entwicklungen herausgefunden werden. Sie sind einfach zu umfangreich, als daß man sie verstecken könnte; sie bestimmen weite Bereiche der Wissenschaft und der Ökonomie und den größten Teil des militärischen Diskurses. Ein wenig Nachforschung enthüllt bis in Einzelheiten die Beschaffenheit der obskuren Politik und geheimen R & D (research & development), die dieses Science Fiction-Szenario Wirklichkeit werden lassen. „Krieg ist vielleicht unmöglich: nichtsdestoweniger geht er weiter, wohin Sie auch blicken.“ (Baudrillard und Lotringer, 1987, S.111).
Der postmoderne Krieg steckt noch in den Kinderschuhen. Eine mögliche (die offizielle) Zukunft hat ihren formellen Ausdruck in den Zukunftsstudien des Pentagon gefunden. Ein Blick auf zwei dieser Berichte, einen von der Army und einen von der Air Force, wird zeigen, was die Kriegsmanager der Vereinigten Staaten nach dem Jahr 1999 von den postmodernen Soldaten erwarten.
AirlandBattle 2000: Die Army des 21. Jahrhunderts
Wie Capt. Ralph Peters (1987), US Army, in einem Artikel über »Die Army der Zukunft« schrieb3, ist das 21. Jahrhundert weniger als eine Umrüstungsphase entfernt. Viele der rangniedrigeren Offiziere von heute werden im kommenden Jahrhundert einen größeren Teil ihrer Laufbahn absolvieren als im jetzigen, bemerkt ein pensionierter General in einer Schrift über Streß in den Kämpfen der Zukunft. Seit der Zeit des Ersten Weltkrieges, in dem neue Technologien die entscheidende Rolle spielten (Maschinengewehre, Flugzeuge, Giftgas, Lastwagen, Panzer, Funkgeräte, Feuerleitung, U-Boote und Einsatzforschung), hat das US-Militär die Bedeutung neuer wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen erkannt. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat das Pentagon diese Erkenntnis institutionalisiert und erweitert zu einer »Hochtechnologie-Strategie«, die die technologische Erneuerung als den Faktor bestimmt, der für die Entwicklung einer Strategie und für das Gewinnen realer Kriege entscheidend ist.
Beginnend 1944 mit »Toward New Horizons«, hat das US-Militär eine Reihe von Studien eingeleitet, die auf ein systematisches Verständnis des Krieges der Zukunft zielen. Sie haben Zukunftsforscher, Wissenschaftler, Science Fiction Autoren und zivile und militärische Technobürokraten in einer Folge von Konferenzen zusammengebracht. Auf »Project Forecast« der Air Force von 1964 folgte 1985 »Forecast II«. Die nahe Jahrtausendwende hat zu einer Reihe von Ausblicken auf den Soldaten des kommenden Jahrhunderts angeregt, unter ihnen »AirLand Battle 2000«, »Army 21«, »Air Force 2000« und »Focus 21« (eine Gemeinschaftsproduktion der Army und der Air Force).
»AirLand Battle 2000«, das sich dem postmodernen Krieg im allgemeinen widmet, schlägt eine Anzahl technologischer Lösungen für die Probleme vor, die sich aus der nervenzerreißenden Wirkung hochtechnologischer Waffen während eines mehrere Tage andauernden Gefechts ergeben. Viele Einheiten werden ausgelöscht, andere lediglich zerschlagen sein. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die meisten Soldaten, wie wir sie heute kennen, nicht fähig sein werden, unter solchen Umständen auch nur mit der geringsten Effektivität zu kämpfen.4
Für die Organisation des postmodernen Kriegsschauplatzes empfiehlt »AirLand Battle 2000« einen verbesserten Hilfsservice – medizinische, logistische und sogar solch nebensächliche Hilfen wie Video-Seelsorger, sprechende Expertensysteme für Rechtsberatung und Computerkriegsspiele zur „Erholung und zur Verminderung von Streß“. Außerdem werden verstärkte Maßnahmen zur Integration des einzelnen Soldaten in Teile komplexer Kampfeinheiten vorgeschlagen. Gleichzeitig mit durchsichtigem Augenschutz und anderer „persönlicher biotechnischer Ausrüstung zur Verbesserung menschlicher Fähigkeiten“ soll es künstliche Knochen geben, künstliches Blut und aufsprühbare Haut für die Verwundeten. WHIMPER-Spritzen (Wound Healing Injection Mandating Partial Early Recovery; etwa: Wunden heilende Injektion für eine partielle frühzeitige Genesung) würden die Evakuierung der Schwerverletzten ermöglichen oder sogar ihre baldige Rückkehr ins Gefecht. Universelle Impfstoffe gegen bakterielle, Virus- und Geschlechtsinfektionen müßten neben Mitteln gegen Pilzerreger entwickelt werden. Ein Universalmittel zur Abwehr von Insekten soll Zeit und Ärger ersparen – ebenso wie Chemikalien, die den Haarwuchs hemmen, Körperfunktionen verlangsamen und Zähne sechs Monate lang ohne Putzen sauber halten.
Minisensoren werden den Soldaten vor chemischen, biologischen und radioaktiven Gefahren warnen. Auf Minidisketten werden seine oder ihre Daten gespeichert sein. Andere »automatisierte Geräte“ werden die „physische und psychische Verfassung“ des Soldaten beurteilen und darüber entscheiden, wer weiterkämpfen muß.
Das Strategische Computer Programm arbeitet an einem Expertensystem für die Kriegsführung, das AirLand Battle Befehlshaber auf Korpsebene berät. Es soll feindliche Aktivitäten voraussagen; die außerordentliche Menge an Informationen, die ein postmoderner Krieg hervorbringt, verfolgen und filtern; die Menschen beraten und ihnen sogar Befehle erteilen. Es wird damit gerechnet, daß Satelliten in Erdnähe fähig sein werden, einzelne Artilleriesalven zu lenken, Nachrichten zwischen verschiedenen Kommandos zu übermitteln und jeden einzelnen Soldaten und jede Maschine der eigenen Seite genau zu lokalisieren. Während die äußere Beherrschung und Kontrolle des einzelnen Kombattanten bereits computerisiert wird, sind auch für sein oder ihr Inneres verschiedene Eingriffe geplant. Kampfrationen werden versetzt sein mit „Zusätzen zur Vorbeugung gegen Krankheiten oder Auswirkungen durch CBR (chemische, biologische oder radioaktive) Verseuchung“, und sie werden „verstärkt sein durch … Anti-Streß-Komponenten“.
»AirLand Battle 2000« weist ganz unverhohlen darauf hin, daß „Kampfintensität den Abbau von Streß erfordert ...“. Neue Medikamente gegen Ermüdung und Streß, die „ohne Herabsetzung der Leistungsfähigkeit“ funktionieren, genießen höchste Priorität. Der bekannte Militärpsychiater Dr. Richard Gabriel behauptet, daß die Forschung für „ein Neurotrop ohne ermüdende Nebenwirkungen“ („ … eine chemische Zusammensetzung, die gegen Angst vorbeugt oder sie reduziert und dabei gleichzeitig dem Soldaten erlaubt, Grad und Intensität seines Bewußtseins auf normalem Niveau zu halten“) ihrem Erfolg nahe ist; die Implikationen sind schwerwiegend:
„Sowohl das US-Militär als auch die Sowjets haben in den letzten fünf Jahren Programme eingeleitet, um eine solche Droge zu entwickeln; die Einzelheiten des amerikanischen Programms bleiben geheim… . Das US-Militär hat bereits mindestens drei Prototypen entwickelt, die als »vielversprechend« gelten. Einer von ihnen könnte eine Variante von Busbiron sein. Falls die Suche Erfolg hat, und das ist fast unvermeidbar, wird das die Beziehung zwischen dem Soldaten und dem Krieg, in dem er sich befindet, für immer verändern … Wenn sie erfolgreich sind … , werden sie die Angst vor dem Tod gebannt haben und mit ihr werden das eigentlich Menschliche des Menschen und seine Seele verschwunden sein.“5.
Zwar sind die aktuellen Projekte zur Entwicklung solcher Drogen, was ihre potentielle Wirksamkeit angeht, einzigartig, doch sind sie zugleich Teil eines bis in die 50er Jahre zurückreichenden Forschungsprogramms der USA und einer jahrtausendealten militärischen Tradition. Bis zur erfolgreichen Entwicklung einer Droge, die Aggressivität und Gehorsam fördert, Angst und Verwirrung zurückdrängt und klares Denken zuläßt (wenigstens in bezug auf die speziellen Aufgaben des Soldaten) legt das US-Militär großes Gewicht auf verbesserte Waffensysteme und gründlichere Ausbildung.
Die Ausbildung für den ALB beinhaltet allerdings einen zentralen Widerspruch. Die potentiellen Reize von außen (Tod und Zerstörung) sind viel stärker als in früheren Kriegen, während die Aufgaben der Soldaten technischer und komplizierter sind. Wie ist es möglich, psychische Schranken zu überwinden, dabei aber das menschliche Urteilsvermögen zu erhalten? Dies war eines der zahlreichen Probleme, mit denen sich 1983 ein Symposium beschäftigte, das vom Army Institute für Verhaltens- und Sozialforschung der Texas Tech University in Lubbock, Texas, veranstaltet wurde.
Um das »Einfrieren« der kognitiven Fähigkeiten im Kampf zu verhindern, machten die vielen wissenschaftlichen und militärischen Experten auf diesem Symposium verschiedene Vorschläge zur Ausbildung, unter ihnen die »Über-Ausbildung«, die auch unter Streß das erwünschte Verhalten gewährleisten soll, die Schaffung quantitativer statt qualitativer Aufgaben (automatische Waffen mit breiter Streuung anstelle gezielter Einzelschüsse auf Menschen), die Bildung von starken Peer Groups (Einheiten Gleichaltriger) und die Anwendung von Hypnose und Drogen.6 Offizieren, technischen Spezialisten und, bis zu einem gewissen Grade, sogar den gewöhnlichen Soldaten wird dabei geholfen werden müssen, innovativ zu sein und Initiative zu zeigen, zwei Eigenschaften, die für hochtechnologische Waffen im allgemeinen und den ALB im besonderen erforderlich ist. Viele Beobachter und Analytiker sehen in solchen widersprüchlichen Ratschlägen vermutlich zurecht ein Zeichen für die unrealistischen Voraussetzungen des ALB. Aber an ihnen zeigt sich auch, daß der postmoderne Krieg mehr als nur einen Typus von Soldat verlangt. Zum mindesten muß es solche geben, die, fast ohne nachzudenken, ihre Aufgaben unter extremen, kaum einem Menschen erträglichen Bedingungen erfüllen; gleichzeitig aber werden Experten gebraucht für Verwaltung, technische Reparaturen und Anwendung der Waffensysteme.
In gewisser Weise hat die US Air Force diesen Teil des Problems bereits gelöst. Maschinen sind für den geistlosen Kampf zuständig, Menschen werden nach wie vor für einen Teil der Verwaltung, der Wartung und der Bedienung des Waffensystems benötigt. Für die Zukunft beabsichtigt die Air Force, diesen Ansatz sogar noch weiter zu führen, wie sich ihrem eigenen Entwurf für das nächste Jahrtausend entnehmen läßt.
Forecast II: Die Air Force des 21. Jahrhunderts
»Project Forecast II« versammelt eine große Anzahl von Experten: 175 zivile und militärische Experten, auf 18 Gremien verteilt, die sich mit Technologie, Fragen des Einsatzes und Analyseproblemen befaßten.7 Eine damit zusammenhängende dreitägige Konferenz unter dem Titel »Futurist II« auf dem Gelände der Wright Patterson Air Force Base brachte 30 Luftwaffenoffiziere, acht Science Fiction-Autoren und zehn Zukunftsforscher zusammen.8 Eine kleine Denkfabrik, Anticipatory Sciences Inc., erhielt 44.105 Dollar für die Organisation. 70 spezielle Vorschläge des »Forecast II« und des »Futurist II« werden weiterhin von der Air Force verfolgt.
General Lawrence A. Skantze, Commander beim Air Force Command, trägt in seinen Instruktionen zu »Aerospace `87« überzeugend vor, daß das »Project Forecast II« die Air Force R&D in großem Umfang mitbestimmt hat. Er behauptet, daß in die Vorschläge des Projekts über 10% des 1,6 Milliarden Dollar Budgets der Air Force Laboratories (die zu seinem Kommando gehören) geflossen sind, und daß bis 1993 noch einmal eine ähnlich hohe Summe vorgesehen ist. Die Air Force als ganzes trug 1988 weitere 150 Millionen bei. !987 stellten 24 Schlüsselgesellschaften der Raumfahrtindustrie für die Vorschläge von »Forecast II« 866 Millionen Dollar aus ihren eigenen Mitteln bereit: 44% ihrer 2 Milliarden für interne R&D.9 Diese »privaten« Forschungen aufgrund militärischer Vorgaben gelten offiziell nicht als militärische Projekte, obwohl sie deutlich militärischen Charakter haben, militärspezifisch arbeiten, darauf zielen, militärische Aufträge zu erhalten und nur durch die Profite aus früheren militärischen Projekten möglich sind.
Also wurden im Finanzjahr 1987 gut und gerne über 1 Milliarde Dollar für R&D aufgrund der Vorschläge dieser Konferenz ausgegeben, für 1988 sind weitere 1,2 Milliarden Dollar oder mehr angesetzt. Es ist ganz so, wie es die Zusammenfassung durch den Vorsitzenden auf Seite 1 verkündet: „Die Air Force der Vereinigten Staaten setzt sich dafür ein, die Ergebnisse von »Project Forecast II« umzusetzen“.
Kriegsmanager
In der langen Geschichte, die hierarchische Organisationen und Kriege miteinander verbindet, konnten erfolgreiche Armeen niemals reine Bürokratien werden, weil sehr unbürokratische Tugenden gebraucht werden – physischer Mut, Loyalität und Führungsqualitäten zum Beispiel – um wirkliche Kämpfe zu gewinnen. „Durch Kriege werden mehr gute Armeen ruiniert“, pflegten Offiziere zu scherzen, und sie meinten damit nicht die Niederlage auf dem Schlachtfeld, sondern die Manager und Amtsinhaber, die die Kontrolle über das militärische System an Kämpfer und Offiziere verloren, die für ihren Einsatz auf dem Schlachtfeld befördert worden waren.
In vielerlei Hinsicht ist der Versuch, aus Soldaten Maschinen zu machen, demjenigen, aus Maschinen Soldaten zu machen, vorausgegangen. Lewis Mumford hat behauptet, die erste Armee sei auch die allererste Maschine gewesen und die Soldaten ihre Teile.10 Uniformen, Hierarchien, Disziplin, Schulung und Kriegsreglement werden seit langem benutzt, um Soldaten zu kontrollieren, sie austauschbar zu machen und aus ihnen eine geschlossene Einheit von Kampfkraft zu bilden. Seit der Jahrhundertwende hat sich die moderne Arbeitsorganisation (kapitalistisch wie staatssozialistisch) parallel zur militärischen Personalführung entwickelt. Beide haben zum Ziel, den einzelnen Arbeiter-Soldaten in das militärisch-industrielle System einzupassen. Die »amerikanische« Produktionsweise, Taylorismus, wissenschaftliches Management, psychologische Tests, Beratung, Unternehmensforschung, Systemanalyse und ähnliche soziale Technologien sind sämtlich innerhalb eines militärischen Kontextes entwickelt worden.
In seinem Buch „The Taming of the Troops: Social Control in the United States Army“ 11 hat Lawrence Radine verfolgt, wie heutige Militärmanager zur Führung ihrer Truppen die althergebrachten Formen der „berufsmäßigen patriarchalischen Kontrolle durch Zwang“ um eine neue Form ergänzt haben, die er „zusätzliche rationale Kontrolle mit Hilfe von Verhaltensforschung und Management“ nennt. Seiner Ansicht nach wird persönliche Führung ersetzt durch „Tests, Gutachten zur inneren Haltung, verschiedene Anreize praktischer und den Lebensstil ansprechender Art und Waffensysteme…“. Er weist darauf hin, daß
„sich eine Anwendung dieses sozialtechnischen Ansatzes in der Art und Weise zeigt, in der das Militär die Menschen den Maschinen anpaßt (ebenso, wie es in einigen Punkten die Maschinen den Menschen anpaßt). Der Mensch bildet eine Erweiterung von Maschinen wie Artilleriegeschützen und Waffensystemen im allgemeinen; er ist ein Anhängsel, das die durch unvollständige Entwicklung bedingten Beschränkungen der Maschine ausgleichen soll.“ (S.89)
Als ein wichtiger Bestandteil gehört dazu die genaue Beobachtung des Menschen in seinen systematischen Lebenszusammenhängen. „Verhalten und Leistung [des Soldaten] werden mit einem Grad an Genauigkeit gemessen und vorhergesagt, der in der bisherigen menschlichen Erfahrung einmalig ist.“ Die Messung von Verhalten führt zu wirksamerer sozialer Kontrolle und könnte sogar „ein unbegrenztes Potential für die bürokratische und administrative Beherrschung des Menschen bereitstellen.“ Er führt C. Wright Mills als denjenigen an, der als erster diese Form der Herrschaft beschrieben hat und für die Subjekte, die sie hervorbringt, den Begriff vom »fröhlichen Roboter« prägte. Radine kommt zu dem Schluß, das „Endresultat der zusätzlichen rationalen Kontrolle“ sei „eine Art fröhlicher Geistesverfassung, die nurmehr automatisches und mechanisches Funktionieren zuläßt, ohne Werte und ohne einen anderen Glauben, als den an das eigene Wohlbefinden.“ (S.90).
Die Rationalisierung der sozialen Kontrolle wird im US-Militär in vielfacher Weise umgesetzt. In der Ausbildung umfaßt sie die Anwendung von B.F. Skinners Prinzipien der Bestärkung und Bestrafung für eine wirksame Konditionierung.
Ebenso bedeutsam ist der systematische Ansatz. Nachdem er angemerkt hat, daß „soziale Kontrolle effektiver ist, wenn sie in die Gesamtheit einer Situation eingebettet ist“, denkt Radine über die Bedeutung nach, die der Technologie für die Maximierung der Kontrolle über den einzelnen Soldaten zukommen kann.
„Ungefähr gleichzeitig haben sich zwei Entwicklungen herausgebildet, die Elemente dieser, durch eine Situation statt einer Person, ausgeübten Kontrolle aufweisen. Eine von ihnen ist das Ergebnis der technologischen Entwicklung der Waffen. In dem Maße, in dem die Waffen komplexer werden und stärker vom Material abhängen als von der menschlichen Kampfkraft, gewinnt das Zusammenspiel unterschiedlicher Bestandteile an Gewicht und wird als System oder Waffensystem bezeichnet. Das Waffensystem wird in vielleicht unvorhergesehener Weise zu einer neuen und effektiven Herrschaftsmethode. Es bewirkt Gehorsam und läßt Widerstand sinnlos erscheinen. Ebenfalls im Zusammenhang mit der Modernisierung der Waffen und des Materials entwickelte sich das Prinzip, Männer, die Waffensysteme bedienen, mit Hilfe eines die Umgebung simulierenden Computers auszubilden.“ (S.134)
Als Teil eines Systems hat der einzelne Soldat weniger Möglichkeiten, vom erwarteten Verhalten abzuweichen. Auch realistische Simulation dient als „ein Mittel zur Indoktrination“ – sowohl, weil sie hilft, das System selbst zu bestätigen, als auch, weil für einen Technologie-Soldaten das Abfeuern einer Rakete unter simulierten Bedingungen nahezu identisch ist mit dem unter den realen Bedingungen eines Krieges. Durch Systemanalyse, Sozialpsychologie, Verhaltenspsychologie, Personalführung und computergelenkte Systeme wird der einzelne Soldat Teil eines formalisierten, bürokratischen wie technischen Waffensystems, dem äußerst schwer zu widerstehen ist. Es erzeugt „eine Art von Isolation“ von der Brutalität des Krieges, deren ungehemmte Entfaltung es so ermöglicht; denn Bomberpiloten und andere, die aus großer Entfernung töten, sind weit abgerückt von den blutigen Folgen ihrer Entscheidungen. „Das Konstruieren einer Situation mit Hilfe technologisch entwickelter Ausrüstung und realitätsnaher Schulung in einem Team“ bringt überdies einen „Grad an Konformität und Effektivität“ hervor, der weit wirkungsvoller ist, als Führung im traditionellen Sinne, da es „für den einzelnen sehr schwer ist, zu spüren, in welchem Maße diese Form der Herrschaft sein Verhalten kontrolliert.“ (Radine, S.142).
Ähnliche formalisierte Systeme, die ursprünglich nach dem Muster von Computerprogrammen gebildet sind, werden vom bürokratischen Apparat benutzt, um den Krieg selbst zu steuern. Viele der merkwürdigen und dummen Entscheidungen des US-Militärs auf den Gebieten der Strategie, der Taktik und der Entwicklung von Waffensystemen lassen sich zurückführen auf die beschränkte und verselbständigte Logik von Spieltheorie und wirtschaftlicher Handelstheorie (die annimmt, der Gegner entspräche der eigenen Definition eines rational Handelnden), von Systemanalyse, Krisenmanagement, mathematischen Modellen und Computersimulationen.
Durch komplexe Berechnungen wurde alles und jedes gerechtfertigt, von tausenden strategischer Atomwaffen12 bis zu der Art und Weise, wie die USA den Vietnamkrieg führte.13 Dieser nur im gröbsten Sinne rationale Prozeß beruht mehr – als auf einer irgendwie vernünftigen Voerstellung von nationaler Sicherheit – auf dem psychodynamischen Vorgang, der die Furcht vor dem Krieg in Liebe zu den Waffen verwandelt und die existentielle Angst vor atomarer Zerstörung in die Schaffung immer mächtigerer Werkzeuge zu genau diesem Zweck. Der Drang, Kriege durchzuführen, scheint seinen Ursprung, bei den eigentlichen Soldaten wie bei den Kriegsmanagern, in der größtmöglichen Verdrängung unkontrollierbarer menschlicher und emotionaler Kräfte zu haben.14
Diese versteckten Emotionen kehren wieder in der Gestalt von Anmaßung und Haß. Unter Präsident Reagan übernahmen sie die amerikanische Außenpolitik, als ein enger Kreis von Offizieren und Agenten, die den Rat für Nationale Sicherheit kontrollierten und auf die der Präsident hörte, versuchte, rund um die Erde den Rückzug der »kommunistischen Bedrohung« zu »regeln«.15 Ollie North, der begeisterte Kämpfer, der in gefährlicher Mission nach Vietnam zurückkehrte, als er selbst die Zeit für gekommen hielt, ist die Ausnahme.16 Die meisten Offiziere, die zur Macht aufsteigen, sind kühlere Technokraten, die ihre Impulse besser unter Kontrolle haben, wie etwa die »Nachrichtendienst-Admirale« Inman, Turner und Poindexter.
Die Illusionen, denen sie nachhängen, teilen sie im großen und ganzen mit North: ein tiefes Vertrauen in die Technologie, unreflektierter Glaube an das Recht des amerikanischen Empire und unglaubliche Anmaßung gepaart mit der Furcht und dem Zorn derjenigen, die von berufswegen stets kurz davor stehen, die menschliche Rasse zu vernichten. Aber sie regen sich nicht auf. Sie schicken eine Notiz, machen einen Vorschlag und sorgen für die neue Waffe oder das Führungssystem, die das Problem ganz sicher in den Griff bekommen. Und sie vergessen ihre Karriere nicht.
Psychologische und andere Studien zum Zweiten Weltkrieg haben gezeigt, daß weniger als 25% der Männer, die im Einsatz waren,wirklich auf den Feind geschossen haben. Einige Männer wollten nicht töten, andere hatten zuviel Angst, um es zu versuchen.17 Diese und spätere Studien zeigten darüberhinaus, daß fast jeder Mensch Grenzen hat. Nur 2% aller untersuchten Soldaten waren fähig, anhaltende schwere Gefechte von mehr als ein paar Monaten Dauer durchzuhalten. Bei weitem die Mehrzahl dieser 2% erwiesen sich in Tests zum psychologischen Profil als reine Psychopathen ohne Gewissen und ohne emotionale Beteiligung angesichts des Tötens und Sterbens um sie herum. Sie können kalt handeln, mit Berechnung und Aggression, aber ohne Blutrünstigkeit. Mehr solcher Soldaten hervorzubringen scheint das Ziel vieler derzeit laufender Ausbildungsprogramme und wichtiger militärischer Forschungen auf dem Gebiet der Drogen zu sein.
Postmoderne Kämpfer
Colonel Frederick Timmermann jr., US Army, Direktor des Center for Army Leadership und ehemaliger Chefredakteur der »Military Review« über den Kämpfer der Zukunft:
„Im physiologischen Sinne könnten Soldaten dann drei Meilen groß und 20 Meilen breit erscheinen, wenn es nötig ist. Natürlich wird sich im eigentlichen physischen Sinn nichts geändert haben, eher durch veränderte Anwendung der Technologie, und indem man das Problem aus biologischer Perspektive betrachtet – sich konzentriert auf die Umformung und Ausweitung der physiologischen Fähigkeiten des Soldaten … (die Superman-Lösung?) Roboter? Ferngesteuerte Bildschirmüberwachung? Kontrollierbare Sensorenfelder? Eingepflanzte Computerchips? Biotechnik? Fluganzüge? Im Idealfall könnten wir darauf hoffen, Kämpfer der Zukunft zu schaffen, die wir nach vorn schicken könnten, umgeben von schützenden Robotern oder ferngesteuerten Flugzeugen, die dann auf jeden biologischen Befehl des Soldaten reagieren. Diese transformierten Kämpfer bräuchten über Monate hin nicht wieder neu angepaßt oder nachgerüstet zu werden. “ 18
Man bedenke die Tragweite von Colonel Timmermans Spekulationen. Und sie sind nicht nur seine Spekulationen, sondern Militärpolitik, die von lebendigen Menschen mit gesunden Budgets entworfen wird. Sie nehmen Gestalt an in wirklichen Waffen und wirklichen Soldaten.
Bisher erscheinen seine Vorschläge nicht sehr zusammenhängend. Sie sind eine Suche, sie erkennen an, daß der Soldat sich ändern muß, wenn der Krieg weiterhin, wie er es zur Zeit ist, wesentlich für die menschliche Kultur bleiben soll, und wenn die technologische Entwicklung weitergeht. Man wird die Körper der Soldaten »transformieren« müssen und auch ihre Rolle. Noch einmal Colonel Timmerman:
„Es hört sich radikal an, doch die Zeit, in der Soldaten nur Soldaten sind, könnte sich ihrem Ende nähern. Wegen ihrer erweiterten gesellschaftlichen Rolle kann es sein, daß Soldaten der Zukunft eine Art »Sozialingenieure« werden und sich der politischen Implikationen eines jeden ihrer Schritte bewußt sein müssen. Sie müssen in der Lage sein, sich zu wandeln, um Missionen zu erfüllen, die anders sind, als jene, die man als rein militärisch einstuft … Entscheidend wird sein, zu erkennen, wie wichtig die Ausbildung ist … Sprachfertigkeiten, die so lange vernachlässigt wurden, könnten ein wesentliches Mittel sein, das es ermöglicht, den Soldaten militärisch wirkungsvoll einzusetzen … ausführliches Training auf die sozialen Schwächen und Stärken des Feindes hin könnte so normal sein, wie es die Ausbildung am Gewehr ist … Schließlich könnten wir sogar dazu in der Lage sein, verbesserte soziale Fähigkeiten zur Schwächung des sozialen Zusammenhalts des Gegners zu gebrauchen.“ 19
Hier ist der gute Colonel nicht ganz auf dem Laufenden. Denn all dies tun bereits Soldaten des Geheimdienstes. Man mag sie Agenten nennen oder Spooks, Söldner, Detektive, Spezialeinheiten, Kommandos, Delta Force oder Spetsniks. Sie sind von Mittelamerika über Zentralafrika bis Zentralasien im Einsatz. Und zwar heute.
Traum und Alptraum, Kämpfer und Cyborgs und Kämpfer-Cyborgs sind unter uns, und sie kommen aus unserer Mitte. Was haben sie gemeinsam? Die Gunst der Stunde. Wenn die Postmoderne in bezug auf den Krieg irgendeine Bedeutung hat, dann ist es die Notwendigkeit zur Veränderung. Der moderne Krieg war sicher nicht stabil als Institution, doch bevor er selbstmörderisch wurde, gab er zumindest in begrenztem Maße Sinn. Nun kann er vielleicht beendet, oder so weit geändert werden, daß wir überleben können.
Anmerkungen
1) Ursprünglich prägte Frederic Jameson diesen Begriff, indem er Vietnam „den ersten postmodernen Krieg“ nannte (Jameson, 1984,S.84). Die meisten Militärschriftsteller haben erkannt, daß es den modernen Krieg, für den der Erste und der Zweite Weltkrieg exemplarisch stehen, nicht mehr gibt. Vorläufig trete ich dafür ein, seinen Nachfolger den postmodernen Krieg zu nennen. Er bleibt offen für Definitionen, denn das Wort »postmodern« bedeutet bisher nichts Genaues; es folgt auf etwas anderes, das mit dem Etekett »modern« versehen wird, dazu mit vagen Andeutungen von Fragmentarisierung, Bricolage ( aus der Moderne herausgefilterte Elemente werden umarrangiert und mit ihren Gegenteilen konfrontiert) und Krise. Die Wissenschaft steht im Mittelpunkt, aber es gibt keine einfache (keine alleinige?) Antwort. Mein Verständnis der Postmoderne ist stark beeinflußt von David Dickson (1984), Lyotard (1985) und Harding (1986). Zurück
2) Weiner, Tom: Black Budget Series, San Jose Mercury News, 13-16. Feb. 1987 Zurück
3) Peters, Capt. Ralph: The army of the future, Military Review, Sept. 1987, 36-45 Zurück
4) Hunt, James, and Blair, John, eds.: Leadership on the Future Battlefield. Texas: Pergamon-Brassey`s 1985. Zurück
5) Gabriel, Richard: No more heroes: Madness and Psychiatry in War. New York, Hill & Wang 1987. Zurück
7) United States Government, Forecast II. Exekutive Summary and project list. USAF. 1986 Zurück
8) Cooper, Earl, and Shaker, Steven: »The military forecasters«, The Futurist, May-June 1988, 37-43. Zurück
9) Skantze, General Lawrence: »AF science and technology – the legacy of forecast II«. Briefing at AIAA »Aerospace `87«, Crystal City, VA, 29.4.1987 Zurück
10) Mumford, Lewis: The Myth of the Machine: Technics and Human Development. New York: Harcourt Brace Jovanovich, 1967. Zurück
11) Radine, Lawrence: The Taming of the Troops: Social Control in the United States Army. Westport CN: Greenwood Press, 1977. Zurück
12) Kaplan, F.: The Wizards of Armageddon. New York: Touchstone. 1983. Zurück
13) Gibson, J.: The Perfect War – The Technowar in Vietnam. New York: Atlantic Monthly Press, 1986. Zurück
14) Gray, Chris H.: »Artificial Intelligence and real war: the shaping of postmodern conflict in the United States military today«, unpublished qualifying essay, University of California, 1988. Zurück
15) Zakaria, Farced: The colonels coup, This World, 2.8.1987 Zurück
16) Ehrenreich, Barbara: Iranscam: the real meaning of Oliver North – can a member of the warrior caste survive in the horror of peace?, Ms May 1987 Zurück
17) Keegan, John: The Face of Battle. London: Penguin, 1976. Zurück
18) Timmerman Jr., Col. Frederick: Future Warriors, Military Review, Sept. 1987 Zurück
Chris Hables Gray ist Computerwissenschaftler an der University of California in Santa Cruz.