„D 1“ – in friedlicher Mission?
von Forum Naturwissenschaftler für Abrüstung und Frieden
Am 30.10.85 startete die Raumfähre „Challenger“ mit dem Weltraumlabor SPACELAB zu ihrem als zivil deklarierten Raumflug. Während dieses Fluges setzten die USA einen Miltärsatelliten aus, und die europäischen Nutzlastspezialisten führten ein militärisch relevantes Navigationsexperiment durch. Die Experimente an Bord von SPACELAB unterlagen bundesdeutscher wissenschaftlicher Leitung („D 1“-Mission), so daß schon bei diesem ersten Raumflug unter Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland eine unübersehbare Verflechtung mit militärischen Interessen erfolgte. An dieser Mission, die unter rein zivilen Aspekten konzipiert und aus dem zivilen Forschungshaushalt finanziert wurde, verdeutlicht sich die Gefahr, daß durch die zunehmende Militarisierung des Weltraums die zivile Weltraumforschung Schritt für Schritt Rüstungsinteressen untergeordnet wird. Das Forum Naturwissenschaftler für Frieden und Abrüstung protestiert gegen diesen militärischen Mißbrauch und fordert die Bundesregierung auf, bei zukünftigen Raumflügen dafür Sorge zu tragen, daß der rein zivile Charakter solcher Missionen erhalten bleibt.
Die „D 1“-Mission ist wie folgt mit militärischen Aspekten verflochten.
Der Glomr-Satellit
Bei dem auszusetzenden Satelliten Glomr (Global low-orbiting message-relay satellite) handelt es sich um einen von der Defense Advanced Research Project Agency (DARPA) entwickelten Experimental-Relais-Satelliten, der u. a. zur U-Boot-Ortung eingesetzt werden soll. Dieser nur 70 kg schwere Satellit ist ein Prototyp einer neuen Generation leichtgewichtiger und extrem kleiner Nachrichtensatelliten, die Daten von bodengestützten Sensoren an Auswertezentralen übermitteln sollen. Ihr Durchmesser beträgt nur 40 cm. Sie werden in der Ladebucht der Space Shuttle in einem Spezialkanister mitgeführt und aus diesem mit Hilfe eines Springfeder-Mechanismus in den Weltraum ausgestoßen. 1/p>
Der erste Versuch, diesen Satelliten zu starten, mißlang während des „Challenger“-Fluges 51-B mit SPACELAB 3 Ende April 1985 wegen Schwierigkeiten mit dem Ausstoßmechanismus. 2 Das für den jetzigen Flug zunächst nicht vorgesehene Aussetzen des Glomr-Satelliten wurde deshalb unter Zustimmung der Bundesregierung nachträglich in den Aufgabenkatalog mit aufgenommen.
Mit dem Glomr-Satelliten soll gezeigt werden, daß man kleine Satelliten dazu nutzen kann, auf dem Ozeanboden ausgelegte Unterwasser-Mikrophone zur U-Boot-Ortung ein- und auszuschalten, sowie Daten solcher Mikrophone aufzunehmen und an US-Bodenstationen oder Schiffe zu übertragen. Der Satellit ist Teil eines Programms, sowjetische Raketen-U-Boote im arktischen Eismeer zu orten. 3
Raketen-U-Boote gelten bis heute als relativ schwer zu orten und zu bekämpfen und stellen deshalb den bisher am wenigsten verwundbaren Teil nuklearer Zweitschlagskapazität dar. Die US-amerikanischen Entwicklungsprogramme zur U-Boot-Abwehr sind darauf ausgerichtet, die Unverwundbarkeit sowjetischer Raketen-U-Boote aufzuheben. Zum Stand dieser Programme schrieb Spektrum der Wissenschaft schon 1981: „Während man im allgemeinen davon ausgeht, daß die amerikanischen Raketen-U-Boote vor einem russischen Präventivschlag … nichts zu befürchten haben, können sich ihre russischen Gegenspieler einer solchen Unverwundbarkeit nicht erfreuen. Mit anderen Worten, das amerikanische U-Bootbekämpfungssystem stellt für die russische Raketen-U-Boot-Flotte eine reale Gefahr dar … (Es) ist daher ein wirkungsvolles Mittel, um potentielle Zerstörungen auf dem Boden der USA in Grenzen zu halten und eine erfolgversprechende Strategie zu verfolgen, dem die Sowjetunion wahrscheinlich nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat. Diese Überlegenheit könnte im kommenden Jahrzehnt in dem Maße zunehmen, wie die Amerikaner neue strategische Waffen einführen, die die russischen Interkontinentalraketen (ICBM's) immer stärker bedrohen.“ 4
Das NAVEX-Experiment
Das unter bundesdeutscher Regie durchgeführte Experiment NAVEX soll im Hinblick auf die Nutzung des neuen US-amerikanischen Satellitensystems NAVSTAR Erfahrungen mit Satellitennavigation vermitteln.
Das NAVEX-Experiment wurde gemeinsam von der DFVLR und der Firma Standard Elektronik Lorenz (SEL) vorbereitet. SEL, eine Tochterfirma des ITT-Konzerns, baut einen Einkanal-Empfänger für NAVSTAR
Signale, der für zivile Zwecke eingesetzt werden soll. Nach Angaben von SEL kann der zivile Empfänger problemlos zu einem Mehrkanalempfänger ausgebaut werden, wie er für den militärischen Einsatz benötigt wird. 5 Die Ziele des NAVEX-Experiments sind u.a. der Test von präzisen Synchronisationstechniken für die Atomuhren in den Satelliten und Bodenstationen, sowie eine Entfernungsmessung und Positionsbestimmung mit einer Genauigkeit von 30 Metern oder weniger. 6 Die bei NAVEX anvisierten Zielwerte für die Uhrensynchronisation und der Bestimmungsgenauigkeit für Entfernungen sind weit besser, als sie für die alleinige Nutzung der zivilen des NAVSTAR-Systems im zivilen Bereich benötigt werden. 7 SEL hält sich somit die Option offen, bei entsprechender Nachfrage auch die militärischen Empfangsgeräte zu bauen, und dabei die durch das NAVEX-Experiment gewonnenen Erfahrungen zu verwerten.
Die militärischen Funktionen von NAVSTAR, das bis 1988 fertiggestellt werden soll, sind bedeutend. Eingesetzt werden soll es für die Navigation von zukünftigen Raketen-U-Booten (TRIDENT II), sowie für die Gewährleistung einer Schadensfeststellung im Atomkrieg. 8 Durch die Satellitennavigation werden U-Boot-Raketen erstmalig eine so hohe Zielgenauigkeit (kleiner als 100 m) erreichen, daß die Zerstörung von gehärteten Zielen, wie gegnerischen Befehlszentralen und Raketensilos, möglich wird. Da ca. 50 % der US-Nuklearsprengköpfe seegestützt sind, wird NAVSTAR die Counterforce-Möglichkeiten (Bekämpfungsmöglichkeiten für gehärtete militärische Ziele) der USA drastisch erhöhen.
Eine Überprüfung des Schadens, der durch einen Einsatz von Atomwaffen gegen Ziele in der Sowjetunion hervorgerufen würde, soll mit den auf den Satelliten mitgeführten Sensoren gewährleistet werden, die auf den Lichtblitz einer Nuklearexplosion im ultravioletten, optischen und infraroten Spektralbereich reagieren. Mit ihrer Hilfe kann der genaue Explosionsort eines Sprengkopfes lokalisiert werden. Sie ermöglichen damit eine Schadensfeststellung, die zur Ausführung von begrenzten und selektiven Atomwaffeneinsätzen benötigt wird, um gegebenenfalls bei Fehltreffern sofort nachschießen zu können. 9
Anmerkungen
1 Aviation Week and Space Technologe (AWST), 15.4.1985, S. 14 ff.Zurück
2 Amerika-Dienst, 8.5.1985 Zurück
4 Spektrum der Wissenschaft, April 1981, S. 58 ff. Zurück
5 Microwave Systems News, Mai 1985, S. 144 A ff. Zurück
6 Wissenschaftliche Ziele der Deutschen Spacelab Mission D1, hrg. im Auftrag des BMFT, 1985, S. 225 ff. Zurück
7 Microwave Systems News, ebd. Zurück
8 Vgl. T. Karas, The New High Ground, New York 1983. Zurück
9 Vgl. Spektrum der Wissenschaft, März 1985, S. 36 ff. Zurück
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